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Die Cantigas de Santa Maria

2 DIE QUELLEN: DAS SCRIPTORIUM ALFONS’

2.5 Die untersuchten Quellen

1.4.4 Die Cantigas de Santa Maria

Die Cantigas de Santa Maria sind das kunstvollste poetische Werk Alfons’. Neben ihrem künstlerischen Wert haben die Cantigas auch einen hohen Quellenwert, denn sie beschreiben zum einen die Wunder Marias, wie sie mündlich in der Tradition des Volkes überliefert worden sind, und zum anderen historische und soziale Ereignisse, wie sie aus der Sicht Alfons’ und seiner Mitarbeiter abgelaufen sind. Nach dem Verstand von Connie Scarborough110 bestand zu Beginn die Absicht, eine Sammlung mündlicher und schriftlicher Erzählungen der Wunder Marias’ aufzustellen. Aus dieser Sammlung sei die älteste Handschrift der Cantigas de Santa Maria mit ihren 127 Cantigas hervorgegangen. Erst später seien ca. 300 weitere Cantigas hinzugefügt worden.

Die Cantigas repräsentieren also den Schnittpunkt zwischen den Volksüberlieferungen und der Sicht eines Königs als Herrscher, aber auch als Dichter. Eine solche Quelle ermöglicht eine Vielfalt von Studien verschiedener Fächer, wie der Romanistik und Philologie, der Folkloristik, Kulturwissenschaft und Geschichte. Sie repräsentiert einerseits die poetische Freiheit und andererseits die Legitimierung der Macht Kastiliens, was uns zu den Gefühlen und Einstellungen des Autors führt und uns die damaligen Weltbilder näher bringt. Während die Siete Partidas die gesetzliche Perspektive, die Idealisierung der Gesellschaft und den Einfluss von verschiedenen philosophischen, religiösen und juristischen

109 SP: 7, 24, 1 und SP 7, 25, 1.

110 Scarborough, Autoría o autorías, 1999, 331-337.

Lehren repräsentieren, öffnen die Cantigas die Türe zu den Bildern des Alltags, wie zum Beispiel den Marienfesten, Hochzeiten, Pilgerfahrten, Veranstaltungen, Schlachten und Handelsmessen sowie zur Geschichte von Vagabunden, Bauern, Seeleute und Händlern. Auch sind Berichte von den alltäglichen Begegnungen von Mauren, Christen und Juden dargestellt, das bedeutet, das ganze gesellschaftliche Leben ist dort abgebildet.

Die Cantigas de Santa Maria bestehen aus 427 Liedern (bei dieser Zahl sind sieben wiederholte Lieder eingeschlossen) mit musikalischen Anmerkungen, die zeigen, dass die Cantigas komponiert wurden, um gesungen zu werden. Die Sprache der Cantigas de Santa Maria ist Galizisch-Portugiesisch, die Sprache der Poesie auf der mittelalterlichen Iberischen Halbinsel, die eine Parallele mit dem Kastilischen aufwies, welches wiederum die Sprache der Chronik war. Von den 420 Cantigas handeln 356111 von den Wundern Marias, die sogenannten milagres, in denen Volkserzählungen wie auch historische Geschehnisse eingeschlossen wurden, so dass also historische Ereignisse als Wunder dargestellt wurden.

Jedes zehnte Lied ist eine cantiga de loor (Loblied), insgesamt fasst es einundvierzig Loblieder. Wegen dieser Aufzählung behaupten viele Autoren, dass sie von dem Rosenkranz inspiriert wurden. Das Werk insgesamt enthält noch zwei Prologe, zehn Gebete und fünf Gedichte über Marienfeste, die restlichen Lieder handeln von Festen zur Verehrung Jesu.

Angesichts dieses Aufbaus stimmen die Forscher darin überein, dass die Cantigas de Santa Maria ein komplexes Projekt sind, das von Alfons konzipiert wurde.112

Cantigas ist der Name einer literarischen Form. Es gab zu dieser Zeit verschiedene Arten von cantigas, wie zum Beispiel die cantigas de escarnio (Satyrische Lieder), die cantigas de amor (Liebeslieder) und die cantigas de amigo (Lieder des Freundes). Die Besonderheit dieser literarischen Form liegt darin, singbar zu sein. Das kommt auch in dem Begriff cantigas zum Ausdruck, der sich von dem spanischen Wort canto, und dem Verb cantar (cantar = singen) ableitet. Man kann auch fest davon ausgehen, dass sie in der damaligen Zeit gesungen wurden. Dafür spricht unter anderem, dass in dem Prolog A zu den Cantigas de Santa Maria steht, dass Alfons Gesänge und Töne machte, die angenehm zu singen sind: „fezo cantares e sões saborosos de cantar“.113 Außerdem befinden sich in den Handschriften unter jedem Vers musikalische Noten (siehe Abbild 1).

Mündliche Überlieferungen kommen deutlich in den Cantigas de Santa Maria zum Ausdruck. Der erste Hinweis darauf sind die in den Cantigas erzählten Wunder selbst, da

111 Procter, Alfonso X de Castilla, 2002, 39.

112 Snow, Alfonso X y/en sus Cantigas, 1985, 74.

113 CSM Prolog A, V. 25-29.

viele von ihnen mündlich überliefert und zusammengestellt wurden. Darüber hinaus kann man die mündliche Herkunft der Cantigas de Santa Maria daraus folgern, dass viele Ausdrücke verwendet werden, die auf das Hören hinweisen, wie zum Beispiel „segundo oy“114 (gemäß dem, was ich hörte); „ com’ oý eu“115 (wie ich hörte); „com’ oý contar“116 (wie ich das Erzählen hörte).

Auch die Cantigas selbst wurden vermütlich mündlich überliefert und verbreitet.

Dafür sprechen die unteren Verse, in denen das Publikum auf explizite Weise aufgerufen ist zuzuhören.

„Mais oyredes maravilla fera”117

Aber ihr werdet von einem großen Wunder hören

„Mais agora oyredes a mui gran façanna que ali mostrou a Virgen”118

Aber hört jetzt die Heldentat, Die die Jungfrau dort gezeigt hat

„E daquest’ un gran milagre direi, onde devoçon Averedes poi-l’oyrdes“119

Und ich werde von einem großen Wunder berichten, Das Eure Frömmigkeit befördern wird

Auf diese Weisen, das heißt durch Hören, Singen und Erzählen, konnte die Verbreitung der Cantigas weit über die Verbreitung der geschriebenen Texte hinausgehen, da sie auf dem Wege der mündlichen Überlieferung durch das Singen bekannt wurden.

114 CSM, Cantiga 3, V. 29.

115 CSM, Cantiga 16, V. 82.

116 CSM, Cantiga 26, V. 16.

117 CSM, cantiga 105, V. 49

118 CSM, cantiga 222, V. 41-42

119 CSM, cantiga 337, V. 5-6

2.5.1.5 Die Handschriften

Vier Kodizes der Cantigas sind bis heute erhalten, die sich voneinander in der Zahl der Cantigas und deren Miniaturen unterscheiden. Der älteste befindet sich in der Nationalbibliothek von Madrid unter der Bezeichnung Ms 10069 und ist als códice de Toledo (To) bekannt, weil er sich ursprünglich in der Kathedrale Toledos befand. Zwei Handschriften befinden sich in der Königlichen Bibliothek des Klosters von Escorial: Ms. T.j.1, auch bekannt als códice T oder E1, und Ms j.b.2, bekannt als códice E oder E2.120 Der letzte und jüngste ist als códice F bekannt und steht in der Nationalbibliothek von Florenz unter der Bezeichnung Ms. Banco Rari 20 (vorher II.1.213). Der älteste Kodex wurde sehr wahrscheinlich zwischen 1264 und 1277 erstellt, während die anderen drei Kodizes quasi gleichzeitig zwischen 1270 und 1284 entstanden sind,121 das bedeutet, alle Kodizes wurden während des Lebens Alfons’ geschrieben.

Der Kodex Toledos (To) enthält 127 Cantigas, die nach folgender Art aufgeteilt sind:

Ein Prolog, in dem Alfons die Heilige Maria um Erlaubnis zum Singen („Troubar“) bittet;

hundert Lieder, die die Wunder Marias erzählen und deren jedes zehnte Lied ein Loblied ist;

fünf Lieder über die jährlichen fiestas der Heiligen Maria; weitere fünf Lieder über die jährlichen fiestas Jesu. Zusätzlich findet man dazu einen Appendix mit sechzehn anderen Liedern über die Wunder Marias.

Die Handschrift T oder E1 ist reich an Miniaturen, weswegen sie als Códico Rico bekannt ist. Leider ist sie nicht komplett. Gemäß ihrem Inhaltverzeichnis sollte sie 200 Lieder enthalten, jedoch sind sieben von ihnen verschwunden. Der Unterschied zwischen T und To (der ältesten Handschrift, s. o.) ist bedeutsam, da einige Lieder von To nicht in T stehen, während andersherum 97 Lieder in T stehen, die in To. nicht erwähnt werden. Die Handschrift T umfasst 1257 Miniaturen, die auf 210 Seiten verteilt sind. Unter den ersten Miniaturen steht ein interessantes Bild, das die Erstellung der Cantigas und die persönliche Teilnahme Alfons’ darstellt: Fünf Bögen werden in dieser Miniatur dargestellt, wobei jeder Bogen von Säulen gestützt wird. Unter dem zentralen Bogen sitzt Alfons, während ein geöffnetes Buch auf dem Tisch vor ihm liegt. Unter den benachbarten Bögen links und rechts sitzen zwei junge Männer, die offensichtlich aufschreiben, was Alfons ihnen diktiert. Unter

120 Procter, Alfonso X de Castilla, 2002, 35-38; Las Cantigas de Santa Maria. Mettmann, 1964, Introducao, S.

VII-XIX.

121 Corti, La Narrativa Visual, 2001, 19-38 hier 24.

den äußeren zwei Bögen stehen links Musikanten mit ihren Instrumenten und rechts Sänger (siehe Abbild 2).

Die Handschrift E oder E2 sollte gemäß ihrem Verzeichnis 417 Lieder enthalten, allerdings sind 7 verloren gegangen. Es handelt sich um die vollständigste unter den vier Handschriften der Cantigas. Sie enthält fast alle Lieder von T, To und F zusammen. Sie ist auch als códice de los músicos (Kodex der Musiker) bekannt, denn sie enthält bei jedem zehnten Lied Illustrationen von Musikern und ihren Instrumenten.122

Die Handschrift F ist unvollständig, einige ihrer Miniaturen sind nicht fertiggestellt und es fehlen musikalische Notizen. Sie enthält 104 Lieder und es gibt Spuren von weiteren zehn. Ihre Buchmalerei ist ähnlich wie in T (códice rico), allerdings befindet sich kein Lied von F in T, weshalb einige Autoren behaupten, dass F ein zweiter Band von T sei. Die Handschrift F ist bisher nicht so gründlich kommentiert worden wie die anderen drei, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass sie sich außerhalb von Spanien befindet und keine musikalische Notiz enthält. Allerdings unternahm Antonio Solalinde eine interessante Analyse dieser Kodizes inklusive des Kodex von Florenz.123

Die vier Handschriften der Cantigas de Santa Maria stellen eine voranschreitende Verbesserung dar, wobei neue Erzählungen hinzugefügt und die Abbildungen gründlich überarbeitet wurden. Aus dem Aufbau der Handschriften kann man folgern, dass die To der Ausgangspunkt war und eine erste, kurze Version darstellte. Einige Jahre später kamen dann noch zwei Versionen hinzu, wovon die eine (E) mit 417 Liedern umfassender und die zweite hinsichtlich der Illustrationen prächtiger ausgestaltet war, nämlich die Handschriften T und dazu auch die F. Obwohl nur die Handschrift E mit Ausnahme von drei Liedern vollständig ist, scheint es dennoch, dass das Werk gemäß Alfons’ Ansicht abgeschlossen war. Darauf weist der Text in der Cantiga 401 der Handschrift E, der als ein letztes Gebet erscheint.

2.5.1.6 Die gedruckten Ausgaben

1889 wurde der Text der Cantigas von der Königlichen Akademie der Spanischen Sprache (Real Academia de la Lengua Espanola) veröffentlicht. Der Marquis von Valmar übernahm die Organisation und das Kommentieren des Werks, das aus den Handschriften E,

122 Procter, Alfonso X de Castilla, 2002, 37.

123 Solalinde, El códice florentino, 1918, 143-179.

dem To und T stammt. Obwohl ihm die Existenz der Handschrift F bekannt war, benutzte der Marquis diese nicht.

Eine interessante Ausgabe der Cantigas ist die Publikation von dem Arabisten Julián Ribera124, die auch Studien der Musik und Melodien enthält. Er unternahm seine Analyse auf Grundlage des To (Kodex von Toledo), also der ältesten Handschrift, und stellte fest, dass nicht nur die Musik, sondern auch die Form und die Metrik der Cantigas ursprünglich arabisch sind.

Die Ausgabe, die heute in der Regel als Grundlage zum Studium benutzt wird, ist von Walter Mettmann herausgegeben worden.125 Diese Ausgabe enthält vier Bände. Der erste Band umfasst die Cantigas von Nummer 1 bis 100, der zweite von 101 bis 250 und der dritte von 250-427. Der vierte Band stellt ein philologisches Vokabular vor. Mettmann benutzt vor allem die Handschrift E, schließt aber auch cantigas der anderen Handschriften – inklusive der Handschrift F – ein, die nicht in der E stehen. Der Grund für die heutige Verwendung dieser Ausgabe liegt darin, dass sie die vollständigste der drei zitierten Ausgaben ist.

2.5.1.7 Die Autorschaft Alfons bei den Cantigas

Im Bezug auf die Cantigas de Santa Maria kann man wegen ihres Inhalts und ihrer Darstellungen in Betracht ziehen, dass es bei ihrer Erstellung eine noch größere persönliche Beteiligung Alfons’ gab als bei der Erstellung anderer Werke an seinem Hof. Trotzdem ist die Autorschaft Alfons’ bei den Cantigas de Santa Maria seit langem Diskussionsthema und es gibt hierin keinen allgemeinen Konsens. Jedoch sind die meisten aktuellen Forscher von der Autorschaft Alfons’ bei einigen Cantigas überzeugt, besonders wegen der großen Anzahl an Gedichten, die in der ersten Person geschrieben sind. John Esten Keller stellt die Frage, ob ein professioneller Dichter im Dienst des Königs das Gefühl Alfons’ so effektiv hätte beschreiben können. Keller betont, dass diese Hypothese im Fall Alfons’ sehr schwer zu akzeptieren sei.126 Ein anderer Hinweis auf die Autorschaft Alfons’ sind die Miniaturen im Werk, die zeigen, wie der König persönlich an den Cantigas de Santa Maria arbeitete. Auch ein Vergleich zwischen den Cantigas de Santa Maria und den anderen poetischen Werken Alfons’ wie seine cantigas de amor (Liebeslieder) und cantigas de escarnio (satirische Lieder) deuten auf

124 Ribera y Tarragó, Cantigas de Santa Maria, 1922.

125 Las Cantigas de Santa Maria. Mettmann, 1964. Neue Aufl. 1986-1989.

126 Keller, Alfonso X, 1967, 68.

seine Autorschaft. Ein weiteres Argument dafür, dass Alfons einige cantigas selbst geschrieben hat, ist der Umstand, dass er gleich von Anfang an im Prolog zu den Cantigas als der Autor auftritt und dabei sagt, dass er, der König, der Troubadour Marias sein möchte und er dabei um Marias Liebe und Gnade bittet. Weiterhin wird nirgendwo in den Cantigas der Name eines anderen Verfassers oder Mitarbeiters erwähnt, im Gegensatz zu vielen anderen Werken, in denen explizit geschrieben steht, dass Alfons das Schreiben oder die Übersetzung befahl und wer an diesem Werk gearbeitet hat.

Die Autorschaft Alfons’ kann also angenommen werden. Das heißt aber nicht, dass keiner anderer Dichter ebenfalls an den Cantigas mitgearbeitet hat. In der Tat war der Hof Alfons’ eine attraktive Umgebung für Dichter aus der Iberischen Halbinsel und Frankreich.

Viele dieser Dichter haben sich dort aufgehalten und hätten während dieser Zeit an den Cantigas mitarbeiten können. Allerdings sind keine Mitarbeiter in den Cantigas erwähnt.

Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass Alfons die Cantigas als seine persönliche Ehrung für Maria betrachtet hat.

Letztlich ist es aber wichtig zu betonen, dass die Frage, ob Alfons die Cantigas eigenhändig geschrieben oder lediglich in Auftrag gegeben hat, von untergeordneter Bedeutung ist. Selbst wenn Alfons die Cantigas nicht eigenhändig geschrieben hat, kann man nämlich fest davon ausgehen, dass er den Inhalt und die Botschaft ganz wesentlich und richtungweisend beeinflusst und gesteuert hat, da die Cantigas de Santa Maria unbestrittenerweise für Alfons ein Projekt von größter Wichtigkeit und höchstem ideellen Wert waren, wie bereits oben mehrfach ausgeführt worden ist.

2.5.1.8 Wie die Cantigas vermitteln wurden

Auf den vorhergehenden Seiten wurde die singbare Eigenschaft der cantigas dargestellt, woraus sich die Frage ergibt, wo die Cantigas de Santa Maria gesungen wurden.

Eine Antwort darauf geben die Miniaturen, die nicht nur zeigen, wer die Cantigas musiziert hat, sondern auch die kulturelle Vielfalt am Hof Alfons’ darstellen. Die in den Miniaturen dargestellte Umgebung ist ganz deutlich höfisch, das heißt, es liegt nahe, dass die Handschriften und ihre Miniaturen am Hof Alfons’ geschrieben und gemalt und die Cantigas dort gesungen wurden. Dabei muss man berücksichtigen, dass der Hof Alfons ein Wanderhof war, das bedeutet, der Hof hatte keinen festen Aufenthaltsort, sondern reiste mit dem König

gemeinsam durch das Land. Da der König persönlich an jeder corte127 in jeder Stadt teilnahm, war sein Hof sehr beweglich. Das bedeutete für die Verbreitung der Cantigas, dass diese nicht nur in Sevilla oder Toledo gesungen wurden, sondern in vielen anderen Städten Kastiliens.

Ein Hinweis darauf, dass die Cantigas nicht nur am Hof, sondern auch im öffentlichen Raum gesungen wurden – oder mindestens dafür komponiert wurden, steht im Testament Alfons, in dem er darum bittet, die Cantigas in der Kirche und an Festen Marias zu singen:

„Otrosí mandamos que los libros de los Cantares de los Milaglos de Loor de Sancta María sean dados en aquella eglesia ó el nuestro cuerpo fuere enterrado e que los fagan cantar en las fiestas de Sancta María e de Nuestro Sennor“128 (Wir befehlen, dass die Bücher der Gesänge über die Lobwunder der Heiligen Maria jener Kirche gegeben werden, in der mein Körper begraben werden wird und dass sie (die Gesänge) an den Festen der Heiligen Maria und Unseres Herren gesungen werden.).

Ob die Cantigas allerdings wirklich an den öffentlichen Festen gesungen wurden, kann man nur vermuten. Mit Sicherheit wissen wir, dass dies der Wille und die Absicht Alfons’ war. Auf jeden Fall ist es ganz wahrscheinlich, dass die Cantigas bei solchen Veranstaltungen, wie den Festen Marias, gesungen worden sein werden, da bei diesen Festivitäten auf der Iberischen Halbinsel eine Menge von Menschen zusammentraf mit viel Tanz und Musik. Juan José Escorza hob hervor, dass damals in den großen Festen der spanischen Städte Spielleute aus den drei Religionen beieinander sangen, tanzten und spielten, und erwähnte als Beispiel davon die Chronica Adefonsi Imperatoris von Alfons VII., in der steht, dass im Jahr 1139 Christen, Sarazenen und Juden mit ihren Instrumenten die Straßen entlang liefen und jeder in seiner Sprache sang.129 Davon gibt es einen weiteren Hinweis aus dem Jahre 1322, als das Konzil von Vallodoid diejenigen mit Exkommunikation und dem Entzug der christlichen Beerdigung bestrafte, die die maurischen und jüdischen Musikanten während der religiösen Nachtwache zum Spielen in die Kirchen brachten. Diese drakonische Strafe deutet darauf hin, dass diese Gewohnheit sehr häufig gewesen ist und dass

127 Corte war ein Rat unter Menschen, die autorisiert wurden, über die wichtigen Handlungen des Staats zu intervenieren. Die cortes wurden vom König geleitet und der Text, der sich von dieser Versammlung ergab, wurde auch corte genannt. Die Versammlung war zeitweilig und wandernd, also gab es z. B. Corte de Sevilla (1252) usw. In den cortes wurden auch neue Gesetze zu den fueros der betreffenden Stadt hinzugefügt. Eine andere Bedeutung des Wortes bezieht sich auf das deutsche Wort Hof, z. B. „a corte de Alfonso“, der übrigens auch ein wandernder Hof war, in: Diccionario Terminológico de Historia de España, 1993, 118-119.

128 Diplomatario andaluz, Gonzálvez Jiménez, 1991, Dokum. 521, 557-564, hier 560.

129 Escorsa, Sobre la influencia arábigo-andaluza, 1976, 4. Dieser Aufsatz wurde in zwei Teile in derselben Zeitschrift publiziert, hier beziehtes sich auf den ersten Teil auf die Heterofonia, 9, 5.

die Bischöfe zu solchen drastischen Maßnahmen griffen, um diese Gewohnheiten zu unterbinden.130

Bei solchen christlichen Festlichkeiten waren maurische und jüdische Musikanten offensichtlich beliebt. Die Beschäftigung von Mauren als Musikanten, Sänger und Tänzer auch an christlichen Höfen war sehr verbreitet. Einige maurische Musikanten Sanchos IV., Alfons’ Sohn, sind namentlich bekannt, z. B. acht maurische Trompetenspieler: Yacaf, Muca, Cale, Abdalla, Xativí, Barachelo, Hamet, Fate, Fates Frau und zwei weitere maurische Artisten.131 Als Beweis der maurischen Präsenz beim Spielen der Cantigas zeigen die Miniaturen im Kodex E der Cantigas de Santa Maria – cantiga 120, fol.125. Diese Miniatur stellt einen Mauren und einen Christen dar, die zusammen singen und ihre Gitarren spielen (siehe Abbild 3). Die Vermutung liegt nahe, dass die selben Spielleute (menestréis), die am Hof spielten und musizieren, auch auf den populären und religiösen Festlichkeiten spielten.

Diese Spielleute waren also die Verbreiter der Lieder im öffentlichen Raum jenseits des Hofes Alfons’.

2.5.1.9 Die Thematik in den Cantigas

Die 356 Wunder Marias, die in den Cantigas de Santa Maria erzählt werden, präsentieren ein breites thematisches Feld. Es kommen sogar verschiedene Varianten derselben Geschichte vor. Bei vielen Wundern geht es um bekannte Themen wie die, die auf den allgemeinen mittelalterlichen Sammlungen der Wunder Marias (12. und 13. Jh.) beruhen.

Einige cantigas beziehen sich auf Heiligtümer auf der Iberischen Halbinsel und in Frankreich wie Rocamador, Soissons und Chartres. Auch gibt es cantigas, die örtliche Szenen beschreiben und ganz wahrscheinlich aus Volkserzählungen stammen. Sie beziehen sich auf den Alltag der einfachen Leute wie Spielleute, Vagabunden, Seeleute und Bauern. In mehr als dreißig cantigas geht es um persönliche Ereignisse des Königs und seiner Familie, wie Krankheit, Träume, Verletzungen und Tätigkeiten. Einige cantigas sind Zeugen der Liebe Alfons’ zu seinem Bruder Dom Manuel und seiner Hingabe an seinen Vater Ferdinand III.

Eine weitere Gruppe deuten Ereignisse an, die im Königreich passierten, wie den Kampf gegen die Mauren und die Erhebung des Adels. Unter den Themen, die in den Cantigas präsentiert werden, gibt es noch Platz für die Wunder, die sich auf die Juden und Mauren

130 Ebd.

131 Ebd, 6.

beziehen. Bei den Cantigas de Santa Maria handelt es sich also um ein unfassendes Werk, das die verschiedenen Aspekte der Gesellschaft darstellt

beziehen. Bei den Cantigas de Santa Maria handelt es sich also um ein unfassendes Werk, das die verschiedenen Aspekte der Gesellschaft darstellt