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Der religiöse Zusammenfluss auf der Iberischen Halbinsel

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.3 Der Libro de las Cruzes

1.4.21 Der religiöse Zusammenfluss auf der Iberischen Halbinsel

Seit dem Ankommen der Muslime aus Nordafrika erlebte die Iberische Halbinsel Konflikte und Widerstände, aber auch Anpassungen und gegenseitige Einflüsse der drei religiösen geprägten Kulturen, nämlich Christentum, Judentum und Islam. Das war der Hintergrund, vor dem die Cantigas de Santa Maria geschrieben wurden. Und da die Cantigas

463 Kleine, El rey que es formosura del Espanna, 2005, 66.

nicht nur eine künstlerische Äußerung der Religiosität Alfons’ sind, sondern auch des damaligen Volkes Kastiliens, kommt dieser Hintergrund in ihren Versen deutlich zum Ausdruck.

Die Wurzel des religiösen Zusammenflusses zwischen den drei Religionen auf der Iberischen Halbinsel befindet sich am Anfang des 8. Jahrhunderts. Damals waren weder das westgotische iberische Christentum noch der stammesberberische464 Islam, der auf der Iberischen Halbinsel gerade eintraf, bezüglich der orthodoxen Liturgie konsolidiert. Infolge dieses Umstands wurden Möglichkeiten für die Erscheinung vieler heterodoxer religiöser Äußerungen geöffnet. Dabei muss man in Betracht ziehen, dass das Christentum und der Islam auch vom Judentum aufgrund ihres Ursprungs und des gelegentlich engen Zusammenlebens stets beeinflusst wurden.

Eine Erklärung für diesen iberischen nicht-konsolidierten Islam beginnt mit den ersten Kontakten der berberischen Stämme in Nordafrika mit dem Monotheismus. Dies war zum einen der Kontakt mit orientalischen christlichen Häresien, und zum anderen der Kontakt mit dem Judentum.465 Als die arabischen Eroberer am Ende des 7. Jahrhunderts im Magreb eintrafen, wurde der Islam daher für eine christliche Sekte gehalten.466 Als Resultat der Begegnung des Islams mit dem vielfältigen religiösen und kulturellen Substrat in Nordafrika entwickelte sich eine Art des Islams, die durch die Vermischung mit den anderen Religionen Lücken in der Lehre aufwies und damit die Erscheinung von Heterodoxien ermöglichte. Auch wurde die arabische Sprache unter den ungebildeten Schichten der Gesellschaft nie vollständig assimiliert, so dass selbst der Koran wieder einen mündlichen Charakter annahm, was die Stärkung von neuen religiösen Einflüssen begünstigte.

Aus diesem religiösen Umfeld stammten die arabisch-berberischen Soldaten, die 711 n. Chr. auf der Iberischen Halbinsel eintrafen. Sie waren daher mit den muslimischen Gelehrten nicht vergleichbar. Die ersten Eroberer tranken wie Heiden, und der Koran war für sie quasi unbekannt, dennoch verteidigten sie den Propheten.467 Dies zeigt, wie schwach die Orthodoxie des Islams während der Eroberung der Iberischen Halbinsel gewesen war. Infolge dieser nur schwach konsolidierten Islamisierung wurde das Auftreten anderer muslimischer religiöser Strömungen unter den Berbern ermöglicht. Als Beispiel dafür stehen die Fatimiden

464 Bonnassie/Guichard/Gerbet, Las Espanas Medievales, 2001, 65-67.

465 „Die wichtigste ethnische Gruppierung nannten die Römer ‚Berber’, also ‚Barbaren’, da sie weder Latein noch Griechisch sprachen; das Volk war in Stämmen organisiert und bestand überwiegend aus Heiden, aber auch aus christianisierten und judaisierten Gruppen“, Borgolte, Christen, Juden, Muselmanen, 2006, 255.

466 Espirito Santo, Os Mouros Fatimidas, (ohne Jahr), 76-83.

467 Bonnassie/Guichard/Gerbet, Las Espanas Medievales, 2001, 58.

im Maghreb (909),468 Anhänger der Schiiten, die die Religiosität auf der Iberischen Halbinsel deutlich beeinflussten. Die Fatimiden waren eine politische und häretische Bewegung bezüglich des sunnitischen Islams. Sie erkannten die Familie Fatimas (‚die Strahlende’ – ‚az-Zahra’), Mohammeds Tochter, als legitime Nachfolger des Propheten an. Sie wurden auch von der orientalischen Gnosis, dem Zoroastrismus und der christlichen Mystik beeinflusst. In der Lehre der Fatimiden erscheint häufig der Vergleich zwischen Maria und Fatima, wie z.

B.: „Maria wurde mit den Früchten des Paradieses genährt, Fatima aus den Früchten des Paradieses geschaffen“469. Hier können wir auf das katholische Heiligtum von Fátima, das heißt „Nossa Senhora (Maria) de Fátima“, in Portugal hinweisen, wo die Jungfrau Maria drei Kindern erschienen sein soll. Moisés Espirito Santo untersucht in seinem Werk – Os Mouros Fatimidas e as aparicoes de Fátima – die Anwesenheit der Fatimiden in dem Gebiet als Ursache für das Phänomen der mystischen Erscheinungen.470

Der Stammesislam traf am Anfang des 8. Jahrhunderts auf der Iberischen Halbinsel mit dem westgotischen Christentum zusammen, das eine relative Selbstständigkeit und eigene Rituale hatte. Dieses Zusammentreffen führte unter dem Volk zu zahlreichen religiösen Anpassungen, aber auch zu Widerständen, wie zum Beispiel bei den Märtyrern unter den Mozarabern. Viele dieser Christen setzten sich dadurch freiwillig dem Tod aus, dass sie öffentlich Beleidigungen gegen den Islam und seinen Propheten äußerten und deswegen zum Tod verurteilt wurden. Dieser „sprudelnde Kessel“ von unterschiedlichen Glauben, Bräuchen und Traditionen stellt uns einige interessante Beispiele dieser Begegnung vor. So verteidigte beispielsweise am Ende des 8. Jahrhunderts ein Geistlicher, Elipando von Toledo, eine Art von Ketzerei, die vom orientalischen Monophysitismus und Nestorianismus inspiriert worden war. Seine Lehre bekam den Namen Adoptianismus471, denn nach dieser Lehre hatte Christus eine sekundäre göttliche Natur, die er von Gott durch Adoption bekommen hatte. Diese Lehre wurde in den Synoden in Regensburg im Jahr 792, in Frankfurt im Jahr 794 und in Aachen im Jahr 799 als Häresie verurteilt. Hier kann man nicht die Möglichkeit ausschließen, dass der Adoptianismus aufgrund seiner Ablehnung der göttlichen Dreifaltigkeit und der Nähe zum Islam auch von diesem beeinflusst worden sein könnte. Ein weiteres Beispiel ist der Jude Sereno, der sich 722 zum Messias erklärte und seine Anhänger davon überzeugte, ihr

468 Halm, Der Islam, 2002, 49.

469 Ibn Scharaschub 12/13. Jahrhundert, zitiert in Rotter/Rotter, Venus, Maria, Fatima, 1996, 138.

470 Das ist die These von Espirito Santo in Os Mouros Fatimidas (ohne Jahr).

471 Bonnassie/Guichard/Gerbet, Las Espanas Medievales, 2001, 69

Vermögen abzugeben – und ihm zu überlassen.472 Daraufhin befahl der Gouverneur Anbasa Ibn Suhaym die Konfiskation des Vermögens Serenos und empfahl ihm, sich als Messias nicht um irdische Reichtümer zu kümmern, sondern um himmlische. Ein drittes Beispiel handelt von einem Muslim berberischer Abstammung, der sich 768 zum Propheten und Nachfolger Mohammeds erklärte. Er versammelte Berber aus der Mitte der Halbinsel für eine Revolte, die durch die schiitische Lehre inspiriert worden war und Jahrzehnte dauerte.473

Mozarabische Texte zeigen, dass die christliche Gemeinde Andalusiens den vielfältigen orientalischen Einflüssen ausgesetzt war, sowohl den islamischen wie auch den jüdischen, monophysitischen und manichäischen. Hinweise auf diese Einflüsse finden sich in den Akten des Konzils von Córdoba (839), welches die Bräuche einiger Mozaraber – wie z.

B. die Ehe zwischen Blutsverwandten, das Verbot einiger Arten von Fleisch und die Beschneidung – verurteilten.474 Das Zusammentreffen der verschiedenen religiösen Kulturen auf der Iberischen Halbinsel bewirkte sowohl Widerstandsbewegungen als auch gegenseitigen Austausch und Einfluss. Der Kulturaustausch war derart bedeutend, dass es schwer fällt genau zu bestimmen, was das Eigene einer Kultur war und was durch die gegenseitigen Einflüsse entstanden war. Das kommt auch in den Cantigas de Santa Maria zum Ausdruck, wenn zum Beispiel die cantiga 329 über Mauren spricht, die in der Kirche Marias beten und dort Opfer für sie hinterlassen (siehe unten, Kapitel 4.4.3).

Also nehmen die Cantigas de Santa Maria eine große Bedeutung als Zeugnis der Volksbräuche und des Glaubens ein, da sie Elemente aus verschiedenen Überlieferungen kombinieren und durch die Kunst und Thematik der Musik diesen religiösen und kulturellen Zusammentreffen und Austausch bezeugen.