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2 DIE QUELLEN: DAS SCRIPTORIUM ALFONS’

2.5 Die untersuchten Quellen

1.4.5 Der Livro de las Cruzes

Der Libro de las Cruzes ist ein Werk, das sich mit einer besonderen Form der Astrologie beschäftigt, nämlich der prognostischen (judiciária) Astrologie, die die irdischen Ereignisse gemäß den planetarischen Konjunktionen vorhersagt. Das im Libro de las Cruzes vorgestellte Berechnungssystem bildet ein altes und einfaches Kreuzsystem, deswegen der Name Cruzes. Dieses System besitzt nicht die Komplexität und Feinheit der hellenistischen und der späteren arabischen Astrologie. Gemäß dem Prolog handelt es sich um ein System, das früher in Spanien und Nordafrika benutzt wurde: „et estos son los iudiçios generales et antigos et son los iudizios que usauan los de las partidas de occidente del tempo antigo, et los de tierra de Affrica, et los de Babaria et una partida de los romanos dEspanna“145 (dies sind die allgemeinen und alten Prognosen, die die Menschen vom Okzident in alter Zeit benutzten, die Menschen von Afrika, vom Berberland und von einem Teil der Römer Spaniens). Der Hauptübersetzer des Werkes war der Jude Jehuda Fy de Mosse al-Cohen (Jehuda ben Moses),

143 CSM, cantiga 181

144 Das Thema Bekehrung der Mauren zum Christentum in den cantigas: 28, 46, 167, 192, 205. Zur Mauren in den Cantigas de Santa Maria siehe: Bagby, The moslem in the Cantigas, 1973; Bagby, Alfonso X, el sabio compara moros y judíos, 1970; García-Arenal, Los Moros en las Cantigas, 1985; Zaid, The Muslim/Mudejar in the Cantigas de Santa Maria,187.

145 LC, 5.

der Alfaquim146 des Königs. Er war auch der Übersetzer einiger anderer astrologischer Werke, wie zum Beispiel des Lapidario, das mit Hilfe des christlichen Geistlichen Garcí Pérez übersetzt wurde. Diese Zusammenarbeit ist ein weiterer Hinweis auf die interkulturellen Begegnungen am Hof Alfons’.

2.5.1.12 Die Autoren und Versionen des Libro de las Cruzes

Der Prolog erzählt, dass das Buch von den alten Gelehrten geschrieben wurde und Obeydalla, der Weise, es erläuterte. Diese Version Obeydallas wurde von den Übersetzern Alfons’ verwendet, um den Text ins Kastilische zu übersetzen. Die Identität Obeydallas wurde kontrovers diskutiert.147 Der Historiker José Maria Millás Vallicrosa148 vermutete, dass es sich bei Obeydalla um einen der berühmtesten Astrologen und Astronomen Südspaniens handelt, nämlich um Abu Marwan Ubayd Allah Ibn Jalaf Al-Istyyi, der im 11. Jahrhundert lebte.149 Einen Hinweis auf die Bestätigung der Vermutung Vallicrosas hatte Juan Vernet in der Bibliothek des Escorial gefunden. Es handelt sich dabei um Fragmente einer Handschrift auf Arabisch vom Libro de las Cruzes, die Zitate über Abu Ubayd Allah Ibn Jalaf al-Istyyi als Astronom, Astrologe und Verfasser enthält. Als Hinweis darauf, dass Obeydalla – wie im Prolog geschrieben – eine der ältesten Versionen des Textes besaß, wurde später ein Fragment eines Gedichts aus dem 8./9. Jahrhundert des Autors Abd al-Wahid b. Ishaq al-Dabbi in der Bibliothek in Escorial gefunden, dessen Inhalt zum 57. Kapitel des Libro de las Cruzes passt.150

Bezüglich des Kreuzsystems und seiner Eigenschaften sollte man die Frage stellen, welches Interesse der arabische Astrologe im 11. Jahrhundert und der weise König im 13.

Jahrhundert an diesem Werk hatten, das sich mit einem solchen alten und schon überholten astrologisch/astronomischen System beschäftigt. Dies erscheint umso fragwürdiger, als ein komplexeres orientalisches astrologisch/astronomisches System damals schon bekannt war und bereits Obeydalla das alte System gering schätzte, als er dieses mit dem persischen und

146 Alfaquim oder Alfaquí stammt vom arabischen al-faqih ad, und bedeutet Kenner oder Spezialist der Gesetze.Diccionario Terminológico de Historia de España, 1993, 28.

147 Samsó Moya, Alfonso X y los origenes de la astrología, 1981, 11-40; Castells, Un nuevo dato sobre el Libro de las Cruzes, 1992, 363-376; Sanchez Pérez, El Libro de las Cruzes, 1930, 77-132.

148 Millás Vallicrosa, Sobre el autor del Libro de las Cruzes, 1940, 230-234.

149 Samsó Moya, Alfonso X y los origenes de la astrología, 1981, 11-40.

150 Ebd., 22.

griechischen System verglich.151 Es kann also nicht das System sein, was das Interesse Obeydallas und Alfons’ X geweckt hatte. Was im Libro de las Cruzes Alfons und Obeydalla vielmehr interessierte, waren die Prognosen, die gestellt wurden. Diese Prognosen betreffen das Königreich, die Herrschaft, das Volk, Krieg und Frieden und natürliche Phänomene wie Hochwasser, Dürren und die Fruchtbarkeit des Landes. Das weist auf eine andere Auffassung der Astrologie hin als diejenige, die individuelle Prognosen für einen bestimmten Menschen anbietet. Vielmehr handelt es sich um eine „soziale“ Astrologie, die sich auf den Einfluss der Himmelskörper auf die natürlichen und sozialen Phänomene konzentriert.

Bisher weiß man, dass es drei Versionen des Libro de las Cruzes gibt. Alle drei Versionen beruhen auf einem älteren System, das im Vergleich mit der arabischen Astrologie des 11. Jahrhunderts überholt war. Die älteste Version ist auf Arabisch aus dem 8.

Jahrhundert, wobei es sich aber nicht um den ursprünglichen Text handelt, der noch nicht gefunden wurde. Die zweite Version – auch auf Arabisch – stammt aus dem 11. Jahrhundert und wurde von Obeydalla bearbeitet. Von beiden Versionen gibt es nur Fragmente einiger Verse, die in Konkordanz mit der kastilischen Version stehen. Die dritte Version ist die Übersetzung ins Kastilische, die am Hof Alfons’ geschrieben wurde. Alles weist darauf hin, dass dafür die Version aus dem 11. Jahrhundert verwendet wurde.

Bezüglich des ursprünglichen Textes sprechen folgende Hinweise dafür, dass die älteste der drei Versionen auf einem älteren westgotischen Text152 beruht:

Im Prolog Obeydalla (11. Jahrhundert) steht, dass das Kreuzsystem von den romanos in Spanien verwendet worden sei.

Wegen der Einfachheit des Systems schließt man eine orientalische Herkunft aus, was selbst von Obeydalla angenommen wird. Dafür spricht auch, dass, obwohl der Verfasser der Version aus dem 8./9. Jahrhundert, Abd al-Wahid b. Ishaq al-Dabbi, ein berühmter Astrologe im Dienst des Emirs von Córdoba (788-769) war, es keinen Hinweis auf die Einführung von orientalischen Texten über indische, persische oder griechische Astrologie in dieser Zeit in Al-Andalus gibt. Die wahrscheinlichste astrologische Basis wird für al-Dabbi daher die römische Astrologie gewesen sein, die in Spanien damals verwendet wurde. Aus diesen Hinweisen behauptet J. Vernet, dass der Libro de las Cruzes die letzte Stufe in der

151 LC, 5.

152 Samsó Moya, El Libro de las Cruzes, 1992, 27-36, hier 28.

Entwicklung eines astrologischen Handbuchs sei, das in Spanien und in Nordafrika vor der islamischen Eroberung benutzt wurde und dessen Ursprung in der spätrömischen Zeit liegt.153

2.5.1.13 Handschriften und Ausgabe

Heute gibt es zwei Kodizes, die den Text des Libro de las Cruzes enthalten. Der erste und vollständigste stammt aus der königlichen Kammer von Alfons X. und ist heute registriert unter der Nummer 9294 in der Nationalbibliothek von Madrid zu finden. Der zweite Kodex ist eine kürzere Zusammenfassung, jetzt in Besitz der Königlichen Akademie der Geschichte (Real Academia de Historia).

Es gibt nur eine Ausgabe, die immer noch verwendet und zitiert wird. Dies ist die Ausgabe von 1961, durch Lloyd A. Kasten und Lawrence B. Kiddle. Als Grundlage für diese Ausgabe benutzten die Herausgeber die Handschrift, die aus der königlichen Kammer stammt. Die Autoren beschreiben dabei detailliert die Handschrift, die verwendeten Farben und Zeichnungen sowie die Buchstaben. Ihr Ziel besteht darin, eine so zuverlässige Ausgabe wie möglich zu erstellen. Dieser Ausgabe liegt auch die Analyse des Werkes in dieser Dissertation zugrunde. Dabei werden weder die philologischen Aspekte, noch der damalige Grad der astronomischen und astrologischen Kenntnisse, noch die Richtigkeit der mathematischen Berechnungen in Betracht gezogen, sondern lediglich die Weltanschauung und die Wahrnehmung des Anderen und seines Lebensraumes, wie sie im Werk dargestellt werden.