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Die edle Stelle des Wissens

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.3 Der Libro de las Cruzes

1.4.17 Die edle Stelle des Wissens

Der Libro de las Cruzes enthält zwei Prologe. Der erste wurde am Hof Alfons’ (13.

Jh.) geschrieben. Der zweite ist der Prolog der Version Obeydallas (11.Jh.), der von der Kategorisierung und Hierarchisierung der Völker handelt und das Kreuzsystem erklärt. Der Prolog Alfons’ wurde so geschrieben, dass beide Prologe bezüglich des Inhalts eine Einheit bilden. Denn in beiden Prologen erscheinen das Wissen und die Wissenschaft als Voraussetzungen für die Kategorisierung der Menschen nach dem Edelstand, wobei sich der Prolog Alfons’ auf das Individuum und der Prolog Obeydallas auf die Völker bezieht und sich beide Prologe daher ergänzen. Die Kategorisierung und Hierarchisierung der Völker im

406 García Avilás, Alfonso X y la tradición, 1999, 88.

407 Al-Kindi, Des rayons, Matton, 1976.

408 Barata Vianna, Os filosófos árabes, 1964, 19-40.

409 García Avilás, Alfonso X y la tradición, 1999, 84-85.

Prolog Obeydallas wird im Unterkapitel 4.3.6 im Detail analysiert, während hier nun der Prolog Alfons’ erörtert wird.

“Assi como dixo tholomeu en el Almageste, non morro el qui abiuo la sciencia et el saber, ny fue pobre el qui fue dado a entendemiento. Onde en quanto el angel es mas alto et mas noble que el homme por su grand entendemiento et por su grand saber que Dyos li dyo, assi el ombre, en qui Dyos quiso posar seso et entendemiento, es mas alto et mas noble entre todos los hommes. Onde nostro sennor, el muy noble rey don Alfonso, rey dEspanna, fyio del muy noble rey don Ferrando et de la muy noble reyna dona Beatriz, en qui Dyos puso seso, et entendemiento et saber sobre todos los principes de su tyempo, leyendo por diuersos libros de sabios, por alumbramyento que ouo de la gracia de Dyos de quien vienen todos los bienes, siempre se esforço de alumbrar et de abiuar los saberes que eran perdidos al tyempo que Dyos lo mando regnar en la tierra. Et por que el leyera, et cada un sabio lo affirma, el dicho de Aristotil que dize que los cuerpos de yuso, que son los terrenales, se mantenen et se gouiernan por los mouimentos de los corpos de suso, que son los celestiales, por uoluntat de Dyos entendio et connocio que la sciencia et el saber en connecer las significationes destos corpos celestiales sobredichos sobre los corpos terrenales era muy necessaria a los hommes. Onde este nostro sennor sobredicho, qui tantos et diuersos dichos de sabios uiera, leyendo que dos cosas son en el mundo que mientre son escondidas on prestan nada, et es la una seso encerrado que non se amostra, et la otra thesoro escondido en tiera, el semeiando a Salamon en buscatr et espaladinar los saberes, doliendo se de la perdida et la mengua que auian los ladino en las sciencias de las signifitiones sobredichas, fallo el Libro de las Cruzes que fizieron los sabios antigos que esplano Queydalla, et faula en las costellationes de las reuolutiones de las planetas et de sus ayuntamentos, de lo que significan en los compeçamentos de los regnos et de los sennorios (…) et mandolo transladar de arauigo en lenguage castellano, et transladolo Hyuhda fy de Mosse alChoen Mosca, su alfaquim et su merçed et por que este libro en el arauigo non era capitulado, mandolo capitular et poner los capitulos en compeçamento de libro, segont es uso de lo fazer en todos los libros, por fallar mas ayna et mas ligero las razones et los iuzios que son en el libro; et esto fizolo maestre Johan a su servuitio“ 410

Wie sagte Ptolemäus im Almagest: Weder stirbt derjenige, der Wissen und Kenntnis hatte, noch war derjenige arm, dem der Verstand (von Gott) gegeben wurde. So wie der Engel wegen seines von Gott gegebenen Verstandes und seiner Kenntnis größer und edler als der Mensch ist, ist auch der Mensch, dem Gott Verstand und Empfinden schenken wollte, größer und edler als die Anderen. Unser Herr, der sehr edle König Don Alfonso, König Spaniens, dem Gott mehr Verstand, Wissen und Empfinden schenkte als allen anderen Fürsten seiner Zeit, Sohn des sehr edlen Königs Don Ferrando und der sehr edlen Königin Dona Beatriz, las viele verschiedene Bücher von Gelehrten. Der König hat sich durch die Erleuchtung und Gnade Gottes, aus dem alles Gute kommt, immer Mühe gegeben, das Wissen, das vor seiner Zeit verloren gegangen war, zu erleuchten und zu stärken. Und er las den Ausspruch Aristoteles’, der sagt, dass die irdischen Körper durch die Bewegung der Himmelskörper gehalten und beherrscht werden, und er

410 LC., 1.

(Aristoteles) verstand und erkannte durch Gottes Willen, dass die Wissenschaft und das Wissen um der Bedeutung dieser Himmelskörper für die irdischen Körper notwendig für die Menschheit waren. Dieser unser oben genannte Herr (Alfons), der verschiedene Aussprüche der Gelehrten sah, las, dass es zwei Sachen in der Welt gibt, die, wenn sie verborgen sind, keinen Wert haben.

Die eine Sache ist das verborgene Wissen, das nicht gezeigt wird, und die andere ist ein Schatz, der unter der Erde versteckt liegt. Ähnlich wie König Salomon in der Suche und Verbreitung des Wissens, bedauert er (Alfons) den von den romanischen Völkern (ladinos) erlittenen Verlust und Mangel an den oben genannten Wissenschaften. Er entdeckte den Libro de las Cruzes, der von den alten Gelehrten geschrieben und von Ouedalla erleuchtet wurde. Der Libro de las Cruzes erklärt die Konstellationen und Bewegungen der Planeten und deren Einflüsse auf die Königreiche und Herrschaften (...). Er (Alfons) befahl dem Juden Hyuhda fy de Mosse al Choen, seinem alfaquim zu seinen Diensten, die Übersetzung des Werkes aus dem Arabischen ins Kastilische, und weil das Werk im Arabischen nicht in Kapitel unterteilt war, befahl Alfons diese Aufgabe dem Meister Johann, um die Erklärungen und Prognosen (juízos) einfacher und schneller zu finden.

Hier im ersten Prolog werden die Gründe und die Interessen Alfons’ an der Übersetzung des Werks sowie auch an den anderen wissenschaftlichen Texten deutlich geäußert. Ein wichtiger Grund besteht darin, dass die Weisheit als die edelste Gabe angesehen wird und sie daher nicht verborgen sein sollte. Dem Prolog zufolge stellen Wissen und Weisheit eine direkte Verbindung zu Gott dar und sind eine Gabe und ein Zeichen Gottes für seine Auserwählten: „Wie der Engel wegen seines von Gott gegebenen Verstandes und seines Wissens größer und edler als der Mensch ist, so ist auch der Mensch, dem Gott Verstand und Empfinden schenken wollte, größer und edler als die Anderen“.

Das kastilische Wort noble bedeutet auf Deutsch sowohl edelmütig als auch adlig und Adliger. Daher könnte sich die Interpretation des Textes als schwierig erweisen. Jedoch kann man aus dem Kontext und der Verwendung des Begriffs noble in der partida 2.9.6, „Quales deuen ser los ricos omes411e que deuen fazer“ (Wie die ricos omes sein sollen und was sie machen sollen) ersehen, wie Alfons den Begriff noble versteht und dass der Begriff noble im Sinne von edelmütig für Alfons einen höheren Wert als adlig hat.

“(…) e nobles son llamados en dos maneras. O por linaje, o por bontad, E como quier que el linaje es noble cosa, la bondad la passa y vence, mas quien las ha ambas, este puede ser dicho en verdad rico ome, pues que es rico por linaje, e ome cumplido por bondad”

(...) und noble nennt man Menschen aus zwei Gründen: entweder wegen des Geschlechts (linaje) oder wegen der Güte. Und weil das Geschlecht eine adlige Sache ist, überholt die Güte es und

411 Die „ricos omes“ oder „ricohombres“ waren die Oberschicht des kastilischen Adels.

gewinnt, aber wer die beiden hat, kann wirklich rico ome genannt werden, denn er ist reich wegen seiner Herkunft und ehrenhaft wegen seiner Güte.

Dieser partida zufolge wird die Güte als wichtigerer Grund als die adlige Herkunft eingeschätzt, um jemanden noble zu nennen. Die Güte überholt das Geschlecht und gewinnt gegen es. Das ist dadurch zu erklären, dass das adlige Geschlecht eine angeborene und daher unbeeinflussbare Eigenschaft ist, die sich nicht weiterentwickeln lässt. Dahingegen ist die Güte eine Eigenschaft, die absichtlich und durch eigenes Tun und Handeln weiterentwickelt werden kann und dadurch den Wert des Individuums selbst zeigt. Hier wird deutlich das von José Antonio Maraval genannte „antinobiliarias“412 (adelsfeindliche) Handeln Alfons’, das die Vorrechte eines nicht-ehrenhaften Adels – in anderen Worten, der nicht dem König treu war – in Frage stellt (siehe Kapitel 4.2.2).

Eine weitere Erklärung für Alfons’ Verständnis für noble ist, dass er ein König war, der von dem ritterlichen Ideal geprägt war und deswegen beide Bedeutungen von noble vereinigte, da das ritterliche Ideal auf der Ehrenhaftigkeit eines Mannes basierte. Ein solches Ideal wurde in der mittelalterlichen ritterlichen Literatur als Prinzip geäußert, wobei bei den Helden in solchen Erzählungen oftmals eine verborgene niedrigere Herkunft im Kontrast zu ihren glänzenden und ehrenhaften Taten standen, wie z. B. bei Parsival, Lancelot oder dem Schwanenritter. So wurden ihre Taten trotz – oder gerade wegen – ihrer unklaren Herkunft besonders hervorgehoben. Durch die Reconquista wurde dieses ritterliche Ideal verstärkt, und so war das „Schwert der Gerechtigkeit“ auf der Iberischen Halbinsel ein Symbol der nobleza in beiden Bedeutungen geworden.

Im Libro de las Cruzes wird also das Wissen als Kriterium genannt, um noble zu sein, nirgendwo erscheint das Wort noble in Sinne einer adligen Herkunft. Die Weisheit wird im Prolog Alfons’, wie die Güte in der partida 2.9.6, als individuelle Gabe angesehen, die von Gott geschenkt wird und das Wissen als etwas, das gesucht werden soll. Dabei stellt Alfons im Libro de las Cruzes fest, dass es verschiedene und hierarchische Niveaus von nobleza gibt, die vom Wissensgrad des Individuums abhängen. In den folgenden Übersetzungen werde ich daher das Wort nobleza als Edelstand übersetzen.

Im Libro de las Cruzes wird Weisheit als hoher Wert präsentiert. Gesellschaftlich kann man die Einführung dieses neuen Wertes in der Weltvorstellung der christlichen Hispani durch die metaphorische Vereinigung von Gerechtigkeit und Weisheit bemerken, die durch gemeinsame Darstellungen des Schwertes und des Buches in der damaligen Ikonographie

412 Maraval, Del Regime Feudal, 1983, 123.

zum Ausdruck kommt, wobei Alfons in vielen Darstellungen mit Pergament und Schwert präsentiert wird. Nach meiner Auffassung nutzte Alfons diese Weisheits-Gerechtigkeitsdarstellung aus, um sich ein Image als mui noble und weise aufzubauen und sein Handeln zu legitimieren, sei es als Ritter, als König, der Gesetze erlässt, oder als gelehrter Mäzen. In diesem Zusammenhang ist auch bemerkenswert, dass im ersten Prolog des Buchs die Bibel nicht erwähnt wird. Statt der biblischen Texte werden die Werke der antiken Philosophen Ptolemäus und Aristoteles hervorgehoben. Die einzige biblische Figur, die im Libro de las Cruzes erscheint, ist der weise König Salomon, dem Gott Weisheit schenkte und der mit dem Alfons verglichen wird – ein Vergleich, der auch im Prolog der Siete Partidas vorkommt. Dies ist ein weiterer Beweis dafür, dass die Assoziation mit König Salomon von Alfons verwendet wurde, um sich ein „weises“ Image aufzubauen – was aus heutiger Zeit betrachtet auch gelungen ist.

Ein weiterer Grund, warum Alfons sich im Libro de las Cruzes einzig mit König Salomon verglich – trotz dessen Polygamie und heidnischer Sitten – könnte darin liegen, dass er die Gefahr sah, wegen seines Interesses an heidnischen Texten über Astrologie und Astromagie in Kritik zu geraten und er daher dieses Interesse mit dem Vergleich mit der christlich anerkannten biblischen Figur Salomon rechtfertigen wollte.

Anhand der Bewertung des Wissens als Gabe Gottes wird in diesem Prolog auch der Grund angedeutet, warum Alfons die arabische Version des Libro de las Cruzes ins Kastilische übersetzen ließ, nämlich weil die romanischen Völker einen Verlust und Mangel an Kenntnis der Astronomie zu verzeichnen hatten. Auf diese Weise verglich Alfons die westlichen Kenntnisse mit den östlichen und hatte keine Schwierigkeit zuzugeben, dass das westliche Wissen vergleichsweise dürftig war. Nach dem Prolog war das alte Wissen leider verloren gegangen, Wissen, das von den Muslimen wiederhergestellt wurde.

Außer diesem im Prolog genannten Grund weist die Übersetzung ins Kastilische auch darauf hin, dass Alfons’ Interesse an der Festigung der sprachlichen Einheit des Königreiches hatte. In diesem Sinne interpretiert Johan V. Tolan das Interesse Alfons’, die arabischen wissenschaftlichen Texte ins Kastilische zu übersetzen, als eine „Hispanisierung“ des Wissens. Dabei übernähme Alfons durch die Übersetzungen der Texte das orientalische Wissen, ohne dass dies auf eine Vorliebe für den Islam hinwies,413 sondern auf seine Absicht, das arabische Wissen aus seinem politischen und religiösen Kontext zu lösen. Das ist eine

413 Sa volonté de traduire (ou, mieux, d’hisoaniser) la science arabe ne montre aucune prédilectuion pour l’Islam (…), in: Tolan, Alphonse X, 1997, 135.

mögliche Interpretation, jedoch nach meiner Auffassung schwierig durch den Libro de las Cruzes zu beweisen. Die Persönlichkeit Obeydallas ist nämlich in der Version Alfons’

deutlich zu bemerken und es scheint, dass sein Text nicht modifiziert worden ist, sondern dass einige Stellen von den Mitarbeitern Alfons’ hinzugefügt worden sind, was noch weiter unten näher kommentiert wird. Es scheint daher nicht, dass die arabische Version aus ihrem Kontext gelöst wurde, wobei das gefundene Fragment der Version Obeydallas leider nicht ausreicht, um diese Frage zu klären.

Zurückkommend auf das im Libro de las Cruzes dargestellte Verhältnis zwischen Edelmut und Wissen ist es interessant darauf hinzuweisen, dass religiöse und moralische Anweisungen nicht erwähnt werden, stattdessen wird die Weisheit gelobt. Demzufolge sei ein Mensch wegen seines Wissens und seines Verstandes noble und nicht unbedingt wegen seiner Herkunft. Weiterhin bekämen die Auserwählten von Gott Verstand, Wissen und Weisheit und dadurch erreichten sie einen hohen Edelstand und näherten sich Gott. Das bedeutet also, dass das Wissen nach den Thesen des Textes der Hauptzugang zu Gott sei.