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Die Bedeutung des Volksbegriffs in den Siete Partidas

4 DIE MAUREN- UND WELTBILDER IM WERK ALFONS’

4.1 Mikro- und Makrokosmos: Weltbilder im Mittelalter

1.4.11 Die Bedeutung des Volksbegriffs in den Siete Partidas

Die erste Definition des Volksbegriffs in den Siete Partidas erscheint in der partida 1.2.5, wonach Volk die Ansammlung aller Arten von Menschen bedeutet, die sich in jenem Land zusammenschließen. Durch die Analyse dieser Aussage und weiterer Definitionen, die die Siete Partidas enthalten, wird beabsichtigt herauszufinden, ob auch Nicht-Christen im Volksbegriff der Siete Partidas eingeschlossen waren. Es gibt keine Passage in diesem Werk, in der die Mauren und Juden ausdrücklich zum Volk gezählt werden, andererseits gibt es auch keine Stelle, wo die Definition ausdrücklich nur für Christen bestimmt ist. Tatsache ist, dass bezüglich der Definition des Volksbegriffes keine religiösen Bedingungen erwähnt werden.

Vielmehr sind sie von einem Umfang und einer Allgemeinheit gekennzeichnet, die nur bei den alten Weisen (sabios antigos) gefunden werden konnten. Offensichtlich suchten die Verfasser nach einem neutralen Begriff, wobei die Volksangehörigen nach ihren Funktionen in der Gesellschaft und nicht nach ihren Glaubenrichtungen erwähnt werden.

So lautet die partida 1.2.5:

“Quien puede poner costumbre, een que manera.

Pveblo tanto quiere decir ayuntamiento de gentes de todas maneras de aquella tierra do se allegan. E desto no sale ombre ni muger, ni clerigo, ni lego. E tal pueblo como este, o la maior parte del, si usaren diez o veynte años a fazer alguna cosa, como en manera de costumbre, sabiendolo el señor de la tierra, e no lo contradiziendo, e teniendo lo por bien, pueden la fazer y deue ser tenida e guardada por costumbre(...)“

Wer Gewohnheit bestimmen kann und auf welche Weise.

Volk bedeutet die Ansammlung aller Arten von Menschen, die sich in jenem Land zusammenschließen. Und daraus schließt man weder Mann, Frau, Geistlichen oder Laien aus.

Und solches Volk wie dieses oder die Mehrheit dessen, wenn es zehn oder zwanzig Jahre etwas als Gewohnheit unter Zustimmung des Herrn des Landes tut, und das Volk dem Herrscher nicht widerspricht und ihn gern hat, darf es das tun, und soll das als Gewohnheit behalten und bewahren.

Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Allgemeingültigkeit des Volksbegriffs im ersten Satz lenken: „Volk bedeutet die Ansammlung aller Arten von Menschen, die sich in jenem Land zusammenschließen“. In diesem Satz ist ganz klar ausgedrückt, dass die Menschen eines Landes, die als Volk bezeichnet werden, „keine Emanation des Bodens sind“

322, sondern verschiedener Art sind und aus verschiedenen Orten kommen, um das Land zu

322 Zitat von Americo Castro in: Castro, Origen, ser y existir, 1959, 52.

besiedeln. Diese Aussage präsentiert ein beeindruckendes Bewusstsein von der heterogenen Bevölkerungsansiedlung des Landes.

Das entspricht auch der Ansicht in der Primeira Crónica General de España, nach der die Völker durch ihr aufeinanderfolgendes Auftreten auf der Iberischen Halbinsel die Hauptrolle in deren Geschichte spielen,323 und nicht lediglich die adligen Helden. Dieses Verständnis des Aufbaus des Landes durch die Ankunft verschiedener Völker berührte also, wie auch in anderen Passagen der Siete Partidas dargestellt, das Vorrecht des Adels als einzigem und wichtigstem Protagonisten der Gesellschaft und in der Geschichte. Diesen Fokuswandel stellt Maravall auch im rechtlichen Bereich fest und bezeichnet diese von Alfons verfolgte Politik als antinobiliaria,324 d. h. adelsfeindlich.

Wie in der Primera Crónica General de España die Bedeutung der verschiedenen Völker für die Geschichte Spaniens dargestellt wird, sieht man beispielsweise an der Geschichte von der Niederlage der Westgoten gegen die Mauren. Die Mauren sind in dieser Erzählung die Grausamen: “El su caballo dellos ligero como leopardo e el su caballero mucho más cruel et más dañoso que el lobo en la grey de las ovejas en la noche“325 (Und ihre Pferde waren schnell wie der Leopard und ihre Ritter grausamer als der gefährlichste Wolf in der Schafherde in der Nacht). Trotzdem hätten die Westgoten das wegen ihrer Sünden verdient:

„et como por el desacuerdo que hobieron los godos con so señor el Rey Rodrigo et por la traicíon que urdió el conde Don Illán et ell Arçobispo Oppa, passaron los d’Africa et ganaron todo lomás d’Españna“326 (Und wegen der Meinungsverschiedenheit, die die Goten mit ihrem König Rodrigo hatten, und wegen des Verrats des Grafen Don Julian und des Erzbischofs Oppa, kamen sie von Afrika und eroberten ganz Spanien). Auf diese Weise sollte der Sieg der Muslime durch Gottes Willen begründet werden. Außer der göttlichen Intervention bekam das unerwartete Geschehen auch einen prophetischen Aspekt, indem die Ankunft der Mauren in einer Legende als ein vorhergesehenes Ereignis dargestellt und in der Chronik nacherzählt wird.327 Als König Rodrigo in ein verbotenes Schloss eintrat, sah er Figuren an der Wand, nämlich Männer, die wie Araber aussahen. Weiterhin sah er eine Schrift, die lautete, dass, wenn die Türen des Schlosses aufgebrochen werden, diese Männer das Land erobern werden

323 Alfonso el Sabio, Primera Crónica General,Filgueira Valverde, 1949, 44-45.

324 Maraval, Estudios de Historia, 1983, 123.

325 Alfonso el Sabio, Primera Crónica General,Filgueira Valverde, 1949, 116.

326 Erzählt die Legende, dass König Rodrigo die Tochter Julians, des Grafs von Ceuta, vergewaltigt hätte und deswegen hätte der Graf als Rache die Araber bei der Invasion des westgotischen Königreiches unterstützt.

Vgl. Cordero Rivera, La España musulmana, 1996, 11.

327 Alfonso el Sabio, Primera Crónica General,Filgueira Valverde, 1949, 107-109.

und der Einbrecher dafür büßen wird. Das stellt offensichtlich den Versuch dar, Erklärungen und Begründungen für unerwartete Ereignisse in der Vergangenheit zu finden oder zu erfinden, da Vergangenheit ein bekannter – und damit als sicher empfundener – Bereich war.

Sie mussten eine Erklärung liefern, die zu ihrer Weltordnungsvorstellung passte. Demnach sollten Christen, die sich auf dem richtigen Weg befanden, gemäß Gottes Willen den Sieg davontragen. Trugen die Christen jedoch den Sieg nicht davon, mussten sie etwas falsch gemacht haben. Auf diese Weise wurde der Sieg der Muslime als Gottesstrafe gegen die Christen aufgrund einer verfehlten Handlung angesehen und nicht als Unterstützung der Mauren. Dies war die einzige Erklärungsmöglichkeit, denn die Chronik konnte die Tatsache nicht leugnen, dass die Mauren zu den Völkern gehörten, die auch auf der Iberischen Halbinsel ankamen, siegten und sich dort niederließen.

Menédez Pidal betont seinerseits, dass das Interesse Alfons’ an der Geschichte nicht in einer kritischen Analyse lag, sondern in einer Nationalisierung der Legende und der Geschichte, das bedeutet eine Geschichte der patria. Deshalb, schreibt Pidal, war die Primera Crónica General de España nicht nur an das höfische Publikum, sondern auch an Ritter, Bürger und andere Mitglieder des Volkes gerichtet. Da man durch das vergangene Geschehen auch das Zukünftige wissen könne, sei die historische Vergangenheit eine Sache, die alle betreffe.328

Die Siete Partidas und die Primera Crónica General de España zeigen miteinander Konkordanz im Bezug auf den umfassenden Volksbegriff, nur dass die Crónica ausdrücklich die Mauren als ein Volk annimmt, das auch Spanien besiedelte. Hier stellt man den Einfluss des Werkes von Rodrigo Jiménez de Rada (1170-1247) auf die historischen Werke Alfons’

(siehe Kapitel 2.1 und 5.4) fest. Der Erzbischof von Toledo schrieb – als Vorreiter einer kritischen Geschichtsschreibung – Historia Arabum,329 ein Werk, das von den islamischen Herrschaften des Westens handelt, und für das nur arabische Quellen benutzt wurden.

Rodrigo gab der Auffassung Spaniens eine geographische Konzeption, statt religiöse Kriterien hervorzuheben. Klaus Herbers betont, dass dieses Werk verdeutlicht, wie man sich neben den westgotischen auch die arabischen Traditionen als Teil der eigenen Geschichte aneignen konnte.330 In dieser Stelle verbindet sich eine von Rodrigo begründete Tradition einer erweiternden Geschichtsauffassung mit dem umfassenden Volksbegriff der Siete Partidas.

328 Menédez Pidal, Alfonso X y las leyendas heroicas, 1977, 52-65

329 Historia Arabum. Lozano Sanchez, 1974.

330 Herbers, Geschichte Spaniens im Mittelalter, 2006, 237.

Neben der partida 1.2.5 drückt weiterhin die partida 2.10.1 die Umfassendheit des Volksbegriffs aus:

“Que quier dezir pueblo (2,10,1)

Cvydã algunos, que el pueblo es llamado la gẽte menuda, assi como menestrales, e labradores. E esto nõ es ansi. Ca ãtiguamẽte en Babylonia e en Troia e en Roma, que fuerõ logares muy señalados, ordenarõ todas estas cosas, cõ razõ, e pusierõ nome acada vna segund que cõuiene.

Pueblo llamã el ayuntamẽto de todos los omes comunalmẽte, e de los mayores, e de los medianos, e de los menores. Ca todos son menester: e nõ se puedẽ escusar, porque se hã de ayudar, vnos a otros, por que puedã bien biuir e ser guardados, e mantenidos”

Was Volk bedeutet

Einige behaupten, dass die kleinen Leute (gente minuda) Volk genannt werden, wie Handwerker und Bauern. Jedoch ist das nicht so. Denn früher wurde in Babylonien, Troja und Rom, die sehr wichtige Orte waren, wo alle Dinge durch Vernunft geordnet wurden und angemessene Namen bekamen, Volk die gemeinschaftliche Ansammlung aller Menschen genannt: der Großen, der Mittleren (medianos) und der Kleinen, denn alle sind wichtig und man kann keinen ausschließen, weil sie einander helfen werden, um wohl zu leben, und so werden sie beschützt und unterhalten.

Hier wird die Berechtigung der alten Zivilisationen angesprochen, die „sehr wichtigen Orte, wo alle Dinge durch Vernunft geordnet wurden“, was die Begründung dafür ist, dass die Siete Partidas ihren Volksbegriff annahm. Dadurch bekräftigt und rechtfertigt Alfons die Behauptung, dass das Volk alle Menschen ohne Ausnahme einschließt, da auch der kleinere seine Aufgaben und seine Funktion hat und das Lebenswohl eines jeden von allen abhängt.

Diese Allgemeingültigkeit entspricht auch dem alfonsinischen Gesetzesbegriff, wie im vorhergehenden Kapitel (3.4) erwähnt wurde: „pera os omees come per as molleres e assy pera mancebos come pera uellos e tanbẽ pera os sabedores come per os insabes e tãben pera os das cidades come pera os das aldeyas (...) que seya conuenhavil aa terra e ao tẽpo (...)“331 (sowohl für Männer als auch für Frauen, sowohl für junge Leute als auch für die Alten, sowohl für die Wissenden als auch für die Unwissenden, für die, die in den Städten leben und für die, die in Dörfern leben (...), möge (das Gesetz) dem Land und der Zeit angemessen sein).

War die Allgemeingültigkeit aber so breit, dass sie auch die Mudejaren einschloss? Es lassen sich einige Hinweise finden, die dafür sprechen. Beispiele für den Einschluss einiger Muslime in einem christlichen Raum findet man in den vielen Cantigas, in denen die Mauren zu den Schützlingen Marias gezählt werden. Die Mudejaren waren beruflich in vielen Tätigkeiten integriert. Sie waren beispielweise Bauern, Händler, Baumeister und Spielleute,

331 FR, 1, 4.

das bedeutet, sie hatten klare Funktionen und einen festen Ort in der kastilischen Gesellschaft.

Da Alfons’ Weltbild und gesellschaftliche Auffassung sehr vom Aristotelismus geprägt waren, war für ihn das Universum vollkommen und hierarchisch, wobei jedes Ding einen Platz und eine Funktion hatte und die Gesellschaft ein verkleinertes Modell dieses Universums darstellte. Das bedeutet, dass nach der Vorstellung Alfons’ die Mudejaren gar nicht außerhalb der gesellschaftlichen Ordnung leben konnten.

Ein wichtiger Aspekt des Volksbegriffs in der partida 1.2.5 betrifft das Gewohnheitsrecht, das gemäß der partida 1.2.5 dem Volk verliehen wird und daher direkt an den Volksbegriff geknüpft ist. Es reicht die kurze Frist zwischen zehn und zwanzig Jahren für die Bestimmung eines Gewohnheitsrechts der neuen christlichen Siedler, die in kurzer Zeit ihre Gesetze in Kraft setzen durften. Tatsache war jedoch, dass die neuen pueblos während der Schenkungen und Aufteilung des Landes auch bestimmte fueros vom König bekommen haben. Das heißt, dass die Freiheit des Volkes, seine Gewohnheiten zu bestimmen, in Wirklichkeit relativ war, es sei denn, dass es anerkannt war, dass die fueros die allgemeinen Gewohnheiten umfassten. Dies wurde aber vom Adel in Frage gestellt.

Die Prämisse, dass eine menschliche Gruppe ihre Gewohnheiten bestimmen kann, wurde mit der Tatsache konfrontiert, dass die Muslime, die in den neuen christlichen eroberten Gebieten blieben, ebenfalls ihre Gewohnheiten einschließlich der Gesetze und der religiösen Bräuche behalten durften, da sie seit fünf Jahrhunderten in diesem Land arbeiteten und lebten. Jedoch war dieses Recht nur wirksam, wenn der Herr des Landes (bzw. der König) damit einverstanden war. Diese Zustimmung wurde auch tatsächlich in Orten von Andalusien und in Murcia gegeben, wie in dem dritten Kapitel gezeigt wurde. Gewiss hing die Zustimmung des Königs hierzu viel stärker von seiner Eroberungsstrategie und den Schwierigkeiten ab, jene Gebiete mit christlichen Einwohnern zu bevölkern, als von dem Gesetz oder der alten Gewohnheit. Trotzdem war das stets eine gute Begründung für seine Zustimmung.

Durch die vorhergehenden Analysen lässt sich feststellen, dass die Auffassung des Volksbegriffs in den Siete Partidas sehr umfassend und allgemein ist, dass sich die Verfasser bei dem für sie passenden Volksbegriff auf das Altertum stützen, wie es in den Partidas selbst erwähnt wird, und dass diese umfassende Allgemeingültigkeit eine Antwort Alfons’ auf die Beschwerden des kastilischen Adels sowie ein Ausdruck für die politischen Bestrebungen des Königs war. Hinter diesem Volksbegriff stand die damalige Auseinandersetzung zwischen dem König und dem Adel wegen der Ambitionen Alfons’ nach einer zentralisierten monarchischen Macht. Daher ist es offensichtlich, dass die Nicht-Christen Kastiliens auch in

dem Volksbegriff der Siete Partidas eingeschlossen werden sollten, da Alfons sie bei der Auseinandersetzung zwischen ihm und dem Adel als eine Stärkung seiner Position ansah. Sie standen nämlich direkt unter dem Schutz des Königs, was in den Formulierungen „seine Juden“ und „seine Mauren“, von denen Alfons Loyalität und Steuern erhalten wollte, zum Ausdruck kommt.

1.4.12 „Der König ist der Kopf, das Herz und die Seele“: Zum gesellschaftlichen Körper

Die vorher erwähnte Verbindung zwischen König, Volk und Land erscheint in vielen anderen Passagen der Partidas. Einige von ihnen nehmen die interessante Metapher des Körpers auf, um dieses Verhältnis und die enge Abhängigkeit zwischen den sozialen Teilen darzustellen. In Bezug darauf präsentiert die Partida 2.9.1 ein wichtiges Beispiel der Darstellung der sozialen Ordnung, die in den Siete Partidas – dank des aristotelischen Einflusses – zum Ausdruck kommt. Durch die Analyse dieser Körper- und Gesellschaftsdarstellung soll in diesem Unterkapitel nachgewiesen werden, dass die Nicht-Christen, die im Königreich lebten, nicht außerhalb des gesellschaftlichen Körpers bleiben konnten, da dies gemäß dem im Werk Alfons’ zum Ausdruck gebrachten Weltbild unvorstellbar war.

Die partida 2.9.1 lautet:

“Aristoteles en el libro que fizo a Alexandro, de como auia de ordenar su casa e su señorio, diole semejança del ome al mundo: e dixo assi como el cielo, e la tierra, e las cosas que enellos son, fazen vn mũdo, que es llamado mayor, Otrosi, el cuerpo del ome, con todos sus miembros faze otro que es dicho menor. Ca bien assí como el mundo mayor hay moebda, e entendimiento, e obra, e aconcordança e departimiento, otrosi lo ha el ome segund natureza. E deste mundo menor, de que el tomo semejança, al ome, fizo ende otra, que a semejo ende al rey e al reino, e en qual guisa deue ser cada vno ordenado, e mostro que assi como Dios puso el entendimiento en la cabeça del ome, que es sobre todo el corpo, el mas noble lugar, e lo fizo como rey, e quiso que todos los sentidos, e los miembros, tambien los que son de dentro, que nõ parecen: como las de fuera, que son vistos, le obedesciesen, e le siruiessen, a si como señor (...)“

Aristoteles verglich den Menschen mit der Welt in seinem Buch, das er für Alexander schrieb und in dem er zeigte, wie das Haus und die Herrschaft geordnet werden sollten. Und er sagte, dass so, wie der Himmel und die Erde und alle existenten Dinge in einer Welt einschließen, diese Welt, die größere (mundo mayor) heißt, so besteht der Körper des Menschen mit allen Gliedern in einer anderen Welt, die die kleinere Welt (mundo menor) heißt. So wie die größere Welt Bewegung, Verständnis, Erschaffung, Übereinstimmung und Teilung hat, so hat diese auch der Mensch gemäß der Natur. Und diese kleinere Welt, die er (Aristoteles) mit dem Menschen

verglich, verglich er auch mit dem König und dem Königreich und sagte, auf welche Weise jeder eingeordnet sein soll. Und er zeigte, dass so wie Gott das Verständnis in den Kopf des Menschen stellte, der ganz oben am Körper ein edler Platz ist, so machte Er es auch mit dem König. Und Er wollte, dass alle Sinne und Glieder, die inneren, die unsichtbar sind, wie auch die äußeren, die sichtbar sind, ihm folgen, und ihm als Herrn dienen.

Die Repräsentation des menschlichen Körpers wird in dieser Aussage mit der Vorstellung des gesellschaftlichen Raums eng assoziiert und dem Mikro- Makrokosmosschema (mundo menor – mundo mayor) zugeordnet: Der menschliche Körper sei die kleine Welt (Mikrokosmos), und die Natur (Himmel und Erde) sei die große Welt (Makrokosmos). Nach diesem Verbindungsschema entspricht alles in einer Welt der anderen Welt: Wie die größere Welt Bewegung, Verständnis, Konkordanz und Unterschiede hat, hat der Mensch das auch. Das Verhältnis Körper – Kopf, erklärt die Partida weiter, wurde von Aristoteles mit dem Verhältnis Königreich – König verglichen. Nach diesem Vergleich sind große Welt, Mensch und Königreich verschiedene Skalen desselben Musters.

Die Körpermetapher zur Erklärung der sozialen Ordnung war im 13. Jahrhundert sehr verbreitet und hatte starke Präsenz im Werk Alfons’. Bereits in der ersten Hälfte des 12.

Jahrhunderts wurde der Policraticus (1156-59) von Johann von Salisbury (1115-1180) geschrieben, in dem der Autor ein politisches Gemeinwesen mit einem Organismus vergleicht: Der Fürst ist der Kopf – caput – und die anderen Glieder werden auf die Stände der Untertanen verteilt. Den Ort des Herzens hat der Senat inne – cordis locum senatus optinet, von dem die Anregungen zu guten und schlechten Maßnahmen kommen. Augen, Ohren und Zunge entsprechen den Richtern und den Verwaltern einer Provinz. Die Hände haben ihre Parallele im Soldatenstand und im Stand der Beamten. Schließlich sind die Füße den Bauern gleichzusetzen.332 Jedes Glied ist durch Eigenschaften geprägt, wie zum Beispiel der Senat von Weisheit, die Verwalter und Richter von Gerechtigkeit und die Soldaten von Ehre, Treue und Tüchtigkeit. Trotz ihrer verschiedenen Tugenden sind sie aber sehr eng miteinander verbunden und abhängig voneinander.

Johann von Salisbury begründete eine Staatstheorie mit der Körperdarstellung, aber er erfand die Metapher nicht selbst. Er kannte die Körpermetapher ganz wahrscheinlich aus der biblischen Darstellung (I Cor., 9, 33), wonach die Kirche als Körper bezeichnet wird, die alle Mitglieder durch das heilige Abendmahl vereinigt. Weiterhin wurde Johanns Anwendung der Metapher im politischen und sozialen Bereich vor allem von den römischen Denkern beeinflusst. Unter solchem Einfluss führte er die Briefe Plutarchs an Trajan als Beispiel seiner

332 Johann von Salisburg, Policraticus, Webb, 1909 (Nachdruck 1965), liber V, cap. 2, 282.

Begründung an und schrieb dazu seine Kommentare. Aus der Verschmelzung seiner christlichen mittelalterlichen Prägung mit seiner Interpretation der römischen Texte entstand die Anwendung der Körpermetapher, um ein organisches funktionales System zu veranschaulichen. Dabei wurde die gegenseitige Abhängigkeit der Mitglieder einer Gesellschaft und die Notwendigkeit der Harmonie unter den Gruppierungen hervorgehoben.

Wenn die Körpermetapher in den Siete Partidas erscheint, wird Johann von Salisbury jedoch nicht erwähnt, sondern stattdessen wird auf Aristoteles verwiesen. Aus der Erwähnung Aristoteles’ kann man schließen, dass die Verfasser der Partidas sich ganz wahrscheinlich auf das schon erwähnte Werk des Pseudo-Aristoteles’ (Unterkapitel 4.1) bezogen, das aus einem Ratgeber für Fürsten besteht und dessen lateinische Version als Secretum Secretorum bekannt wurde. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass die Verfasser der Partidas auch Zugang zur

Wenn die Körpermetapher in den Siete Partidas erscheint, wird Johann von Salisbury jedoch nicht erwähnt, sondern stattdessen wird auf Aristoteles verwiesen. Aus der Erwähnung Aristoteles’ kann man schließen, dass die Verfasser der Partidas sich ganz wahrscheinlich auf das schon erwähnte Werk des Pseudo-Aristoteles’ (Unterkapitel 4.1) bezogen, das aus einem Ratgeber für Fürsten besteht und dessen lateinische Version als Secretum Secretorum bekannt wurde. Jedoch ist es wahrscheinlich, dass die Verfasser der Partidas auch Zugang zur