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Von den Forschungsfragen zum Interview-Leitfaden und zur Interviewführung

Die Eckpunkte einer lebensweltorientierten und prozessbewussten Beratung, wie ich sie unter 2.3.

entwickelt habe, führen folgerichtig zu einer Ableitung von Fragen für den narrativen Teil und den leitfadengestützten Nachfrageteil.

Wichtig halte ich die Prämisse, nie die Forschungsfrage direkt zu stellen, denn dieses Vorgehen würde beim Interviewpartner bestenfalls eine Reproduktion dessen bewirken, was ich als Input einfließen lasse, im schlimmsten Fall Missverständnisse mit hohem Klärungsbedarf hervorrufen.

So hielt ich es für angemessen, mit einer Einladung zum Gespräch in Form eines Erzählanreizes (vgl. Glinka 1998) zu beginnen:

„Sie haben irgendwann in ihrem Leben Beratung als nötig empfunden. Könnten Sie Ihre damalige Lebenssituation schildern, die Sie zur Beratung führte?“ Und schließlich: „Was war Ihr Beratungsanliegen?“ Hier ging es mir um die Erhebung des aktuellen und subjektiven Lebenskontexts – die Dimensionen der Alltagswelten sollten hier angesprochen werden.

Mit Aufforderungen zur Exploration („Erzählen Sie ruhig mehr..“, „hm, aha, wie war das dann...“ und „geben Sie ruhig ein Beispiel von...“) gab ich, wo nötig, Hilfestellung, hielt mich ansonsten aber sehr zurück und registrierte „im Hinterkopf“, welche Fragen schon beantwortet wurden und wo ich zu einem späteren Zeitpunkt nachhaken wollte.

Für dieses weitere Vorgehen hatte ich mir Vertiefungsfragen notiert, die aus meinem theoretischen Teil abgeleitet waren, die sich jedoch auch organisch im Interviewverlauf ergeben konnten.

Der erzählgenerierende Teil bewog die Probanden in fast allen Fällen, einen meist weiten Hori-zont der Erfahrung aufzuspannen, der viele Fragen z.T. bereits beantwortete, z.T. so anriss, dass ich anschließend gleich darauf eingehen konnte.

Der Katalog meiner Vertiefungsfragen umfasste die an die „Eckpunkte lebensweltorienter und prozessbewusster Beratung“ angelehnten Aspekte. Die explizierten Fragen wurden nie alle, sondern nur diejenigen nach Bedarf gestellt, wenn sie nicht schon in der Eingangssequenz beantwortet wurden. So konnten sie sensibel an das Gesagte anschließen.

Hier soll dies mit einer exemplarischen Auswahl illustriert werden.

Zur Frage nach den informellen Hilfen und nach Freiwilligkeit:

„Wie kamen Sie darauf, professionelle Beratung zu suchen? Haben Sie schon im privaten Kreis nach Rat und Hilfe gesucht?“

Zur Frage nach den Erwartungen, Vorstellungen, nach Terminvergabe, Wartezeiten, Transport-fragen, und den damit einhergehenden Gefühlen:

„Wie verlief die Suche nach einer passenden Beratung?“

Zur Frage nach der Erreichbarkeit, nach damit gekoppelten emotionalen Inhalten:

„Als Sie vor der Tür zur Beratungsstelle standen – wie ging es Ihnen da?“

Weitere Fragen konnten sein:

„Wie wurden Ihre Anliegen behandelt?“, „Brachten Sie schon eigene Lösungsansätze oder – vorstellungen mit?“, „Waren Sie immer einig mit dem Berater?“, „Was geschah mit ihren eigenen Vorstellungen, Erwartungen oder Wünschen?“. „Haben Sie auch mal zu irgendetwas

„nein“ gesagt?“

Dies sollte eine offene Möglichkeit schaffen, über evtl. partizipatives oder eher direktives Vorgehen zu berichten und auch über die Methodik der Fachkräfte nachzudenken.

Fragen nach methodischer und inhaltlicher Offenheit sollen deren Relevanz für BeratungsnutzerInnen und daneben mehr oder weniger starke Richtungsvorgaben durch die Fachkräfte eruieren:

„In welcher Weise handelten und/ oder reagierten die Fachkräfte, nachdem Sie Ihr Anliegen vorgebracht hatten?“

„Gab es außer Rat durch das Gespräch auch noch andere Hilfen, z.B. materielle, oder andere Formen/ Möglichkeiten der Beratung… ?“

Zur Beratungsbeziehung:

„Was fällt Ihnen zum Stichwort „Vertrauen“ ein ?“

Bezüglich Ressourcensensibilität ließ sich z.B. fragen:

„Was können Sie zum Thema „eigene Stärken“ sagen?“

„Können Sie über neue Ideen berichten?“ (z.B. für den Umgang mit bestimmten Problemen etc.)

„Wie war das, als Sie die Beratungsstelle verließen?“, „Was war der Grund dafür, dass sie weitere Male hingegangen sind ?“

Zur Umsetzung von Beratung im Alltagsleben stellt sich die Frage, wie Beratungsinhalte übersetzt wurden auf die Situation des Hilfesuchenden, ob sie rein sprachlich und kognitiv, oder auch pro-aktiv handelnd Eingang in den jeweiligen Alltag fanden, oder „nur im Kopf“ geblieben, dabei aber u. U. auch ausreichend waren:

„Hatte die Beratung Auswirkungen auf Ihren Alltag? Wenn ja, welche? Wenn nein, wie erklären Sie sich das?“ „Wie sieht heute ihr Alltag / Ihr Tagesablauf, / Ihr Aktionsfeld XY / Ihre Beziehung zu XY aus ?“ (siehe auch unten)

„Wie haben Sie schließlich zu einer Lösung Ihres Problems / Anliegens gefunden?“

Zur Beratungsfachkraft, deren Haltung, Beziehungsgestaltung, Erfahrung, Takt, Reflexionsver-mögen und mögliche methodische Ausrichtungen:

„Wie ging sie auf Sie ein? ... War sie verständlich? Ist Ihnen noch etwas besonders in Erin-nerung?“, „Was beeindruckte Sie (negativ, positiv)?“, „“Hatten Sie das Gefühl, an der richtigen Stelle zu sein? Wenn ja / nein, worauf führen Sie das zurück?“

Zur Frage nach der Wahrung von Komplexität der Beratungsanliegen in möglichst einer Hand und deren Umsetzbarkeit, gleichzeitig auch in Bezug auf die mögliche Zusammenarbeit mit anderen Diensten:

„Worüber haben Sie im ersten / in weiteren Gesprächen geredet? Gab es Schwerpunkte?

Welche?“; „Wie viele Fachkräfte kümmerten sich um Sie? Wurden Sie noch an andere Stellen weiterverwiesen? Was geschah dort?“

Zur Geschlechtersensibilität formulierte ich folgende Anreize zum Nachdenken:

„Fanden Sie, dass Ihr Mannsein / Frausein irgendwie für den Verlauf der Beratung wichtig war?

Wie wäre die Beratung wohl verlaufen, wenn sie mit einem Mann /einer Frau (anders-geschlechtlich als geschehen) als BeraterIn stattgefunden hätte?“ „Hatten Sie diesbezüglich Wünsche geäußert?“ „Wie stehen Sie dazu? Haben Sie Vergleiche aus anderen Beratungen?“

Wenn das Beratungs-Anliegen hierbei relevant war:

„Wie wirkte sich das auf ihre Beziehungen zu ... aus?“ ... „Was sagte Ihr Partner dazu?“Damit konnte ich auch die Auswirkung auf „Außenverhältnisse“, also Interaktionspartner erfassen.

Schließlich bat ich um eine Einschätzung der aktuellen Lage:

„Wie sieht heute Ihr Alltag aus? Wie geht es Ihnen heute, nach all diesen Erfahrungen?“

Eng mit dieser Form der Fragestellung verbunden ist der Interviewstil; er ist der klienten- bzw.

personzentrierten Gesprächsführung entlehnt.

Die Interviewführung ergab sich organisch aus meinen Forschungsfragen.

Sie bewegte sich in der Form der Kommunikation mit den Befragten analog zum nicht-direktiven Beratungs-Modell von C. Rogers (vgl. Maindok 1996). D.h. der jeweiligen Gesprächssituation angepasst bediente ich mich nach Rogers`schem Modus weiterer Fragen und Spiegelungen.

Die nicht-direktive Beratung nach C. Rogers (1994), hat zum Ziel, beim Beratenen (hier den Befragten) die Exploration und das Neu-Denken eigener Möglichkeiten zu maximieren und den Ausdruck von Gefühlen wie von Einstellungen, Sachverhalten etc. zu ermöglichen. Dazu gehören analog den Beratervariablen Authentizität des (hier) Fragenden, Werteneutralität, Einfühlung, aber auch sinnvolle Distanz. Als Technik bewährte sich das Spiegeln, das Zusammenfassen und Konkretisieren von bereits nur diffus Erahntem und Gesagtem. Dies geschah jeweils als ein Angebot an die Befragten, hier zu entscheiden, was für sie zutreffen könnte, nie direktiv als Vorgabe. Da dies nicht immer genügte, fügte ich direkt aus meinem Leitfaden Fragen hinzu, die alltagsnah und lebensweltlich orientiert waren. Dazu gehörten, wo nötig, auch Beispiele aus dem Kontext des Befragten, die als weiterer Erzähl- oder Reflexionsanreiz dienten. Meine Erfahrung in der Pretestphase zeigte, dass sich mit einer personzentrierten Gesprächshaltung tatsächlich die gewünschte möglichst natürliche Gesprächsführung rasch entwickeln konnte.

Ein weiterer Punkt scheint mir an dieser Stelle erwähnenswert: Einige meiner Interview-partnerInnen erlebten die Rekapitulation ihrer Beratungserfahrungen als erneutes Eintauchen in ihre damalige schwierige Lebenssituation. Wo in solchen Fällen der Tonbandmitschnitt den Befragten zum Problem wurde, bot ich an, das Aufnahmegerät dann auf Wunsch abzuschalten.

Dies kam allerdings nur einmal vor mit der Bitte der Probandin, mir dennoch Notizen von dem, was sie auch unter Tränen zu sagen hatte, zu machen, um dies zu verwerten in meiner Untersuchung. Es war ihr wichtig, ihre Erfahrungen mitzuteilen. In den meisten anderen Fällen wurde diese Reflexion über vergangene Notlagen als sehr bereichernd und bestätigend konnotiert, weil zum Schluss immer deutlich wurde, was Einzelne „bereits geschafft“ hatten. So wurde mir immer die Erlaubnis gegeben, das Gesagte zu verwerten.

Dass ich hierbei auch hin und wieder Gefahr lief, meine Distanz aufzugeben, war mir voll bewusst. Da ich aber selbst über langjährige Erfahrung in der Beratung verfüge, und somit die

Problematik von Nähe und Distanz mir keineswegs fremd ist, hielt ich mich daran, diese offen zu legen und auch eigens zu reflektieren.