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5.3 Theoriegeleitete Interpretation und zusammenfassende Einschätzung

5.3.2 Beratungsbeziehungen

Frau Markovic steht in ihrer ersten Beratungssituation so sehr unter Druck durch körperliche Beschwerden, dass sich endlich auch die psychisch massiv belastenden Ursachen Bahn brechen und sie diese verbalisieren kann. Vertrauen kommt, so scheint es, erst danach bewusst ins Spiel, vielmehr spürt sie zunächst, dass ihr zugehört wird, dass sie ernst genommen und nicht verurteilt wird. Sie saugt es geradezu auf wie ein Schwamm, dass ihr genuines Interesse und Verständnis und auch ein Hoffnungsschimmer entgegengebracht wird, dass Vertrauen beinah selbstverständlich wächst. Sie lässt sich, bildlich gesprochen, fallen in die Hände der Sozialarbeiterin, die einen ansprechenden Lösungsvorschlag macht: Eine baldmögliche Herausnahme aus der krankmachenden Situation, eine ermöglichte Flucht sozusagen. Dafür setzt sie sich ein, Frau Markovic braucht erst einmal nichts aktiv selbst zu tun. Dazu wäre sie auch überfordert. So ist diese erste Beratungsbeziehung geprägt von einer eher passiven Haltung der Klientin und der Aktivität der Sozialarbeiterin. Das Handeln der Fachkraft ersetzt ihr eigenes, wird

zum stellvertretenden Handeln. Im Rahmen der Lebensweltorientierung ist dies u.a. ein Indiz für den Respekt vor dem derzeitigen (subjektiven) Ist-Zustand von Frau Markovic’s Lebenssituation:

Verantwortung für einen bestimmten Bereich muss kurzzeitig eine Fachkraft -natürlich mit Einwilligung der Klientin- übernehmen, eben weil sie die aktuelle Situation anerkennt und ernst nimmt, bis andere Umstände die Klientin wieder befähigen, eigene Schritte zu gehen. Dies ist legitim für eine gewisse Zeit, obwohl dadurch auch ein starkes Machtgefälle entsteht. Die Klientin überlässt es der Sozialarbeiterin, wie diese für sie zu handeln hat. Dieser „Zwischenschritt“ aber ermöglicht erst einen Prozess eigenen Wachstums, wie wir am Beispiel Frau Markovic`s sehen können: Eine zeitweise Delegation der Verantwortung an die Beraterin ist legitim und weiter-führend im Prozess des „empowerments“, der Selbstermächtigung und Verselbständigung.

Die Beziehung zu den Fachkräften innerhalb der Kur wird nicht weiter ausgeführt, außer dass sie grundsätzlich viel Ermutigung und Stärkung bereitstellen – dies tun vor allem auch einige andere Teilnehmerinnen. Letztere sind ihr eine starke Quelle des Aufbaus und der zwischenmenschlichen Unterstützung durch (mit-) geteilte Lebenshorizonte und können dem Bereich der informellen Ressourcen zugeordnet werden. Die Beziehung zu dem einzigen männlichen Professionellen, dem leitenden Psychologen, wird in ihrer Erinnerung geprägt von seinen Abschiedsworten. Diese enthielten –sinngemäß- eine Provokation: Er kenne ja die Frauen aus dem ehemaligen Jugos-lawien, die würden ja doch nichts ändern und es nicht schaffen, sich von einem Mann zu trennen.

Ob er dies eher als augenzwinkernden Ansporn zur Veränderung gemeint hatte oder tatsächlich als resignative, wenn auch nicht gerade zielführende Feststellung, muss dahingestellt bleiben. Frau Markovic faßt es jedenfalls so auf, dass er ihr die Veränderungspotenz abspreche und er ihr als Frau nichts zutraue, also negativ und abwertend. Vielleicht aber bewirkt gerade dies auch den Ehrgeiz, „es ihm zu zeigen“ und tatsächlich die Umsetzung des Gelernten durchzusetzen. Dann hätte auch die Provokation ihre guten Seiten. Dennoch konstituiert sie ein hierarchisches Verhält-nis für Frau Markovic und prägt jede weitere Vorstellung von Beziehung zwischen männlichem Berater und weiblicher Klientin negativ. Damit berührt sie auch den Bereich der Kategorie Geschlecht, worauf ich noch eingehen werde.

Dies Beispiel macht deutlich, wie Gefühle der Abwertung und Entwertung durch unklare, ironisch gefärbte, jedenfalls zweideutige Äußerungen der Therapeuten möglich sind, egal, was die KlientIn schließlich für sich daraus macht.

Am ausführlichsten wird über die Beziehung zu der Sozialarbeiterin in der dritten Stelle der Beratung berichtet. Frau Markovic ist zunächst erstaunt über das Interesse der Beraterin an ihrer Person und der Wertschätzung, die ihr entgegengebracht wird. Sie findet die Frau sehr sym-pathisch, öffnet sich und spürt, dass sie sich hier anvertrauen und Hoffnung schöpfen kann. Der

Einsatz der Sozialarbeiterin bekräftigt dies; er zeigt sich in Aktivitäten wie Zuhören und Zeit-haben, dann Anrufen, Ausfindigmachen von Informationen rechtlicher Art, von verschiedenen Handlungsvorschlägen, später Kontakt zu Rechtsanwalt und Polizei. „(...) durch diese Art, wie sie mich aufgenommen hat und was sie mir da alles vorgeschlagen hat. Ich habe dadurch so viel Vertrauen in sie gefunden und auch viel Hoffnung, dass ich also es schaffe, was ich vor habe“

(284 ff). Hier wird ihr Vorhaben bekräftigt und unterstützt; diese Vorleistung ermöglicht jetzt eigene Schritte und Umsetzung der angestrebten Ziele. Beraterin und Klientin erleben eine

„Passung“, die viel mit der sozialen Kompetenz der Fachkraft zu tun hat und auf deren Respekt vor dem Gewordensein von Frau Markovic gründet. Es gibt keine Zurechtweisung, keine Fragen oder Vorwürfe, warum sie nicht schon früher gekommen sei. Auch auf so genannte gute Rat-schläge wird verzichtet.

Die Beratungsbeziehung ist zunächst von Frau Markovics Vorstellung beeinflusst, hier sei eine Frau aus Privatinitiative an ihrer Problematik interessiert; erst später realisiert sie, dass es eine Fachkraft ist, die es gelernt hat, mit Menschen in Not umzugehen. Frau Markovic erhält eine Ahnung davon, dass professionelle Helfer ihr Handeln und die berufliche Beziehungsgestaltung reflektieren. Das tut ihrem Vertrauen aus spontan menschlicher Sympathie jedoch keinen Abbruch, vielmehr begründet es dieses eher noch, denn sie kann sich sicher sein, dass so ihr Anliegen keine Behandlung je nach Lust und Einsatzfreudigkeit oder eben deren Gegenteil erfährt, sondern dass sich die Beraterin in ihrem Handeln auch einer übergeordneten Instanz gegenüber verantworten muss. Sie hebt in einem späteren Abschnitt die Trennung privat und beruflich symbolisch wieder auf, indem sie der Beziehung zwischen sich und der Beraterin große Nähe zuschreibt. Dies geschieht sicher aus Erleichterung und Dankbarkeit über die Unterstützung: „Ja, wie gesagt, die hat mich richtig, ich schätze, also richtig so umarmen können und geknuddelt. Sie ist wie meine eigene Schwester oder Tochter“(723). Eine strikte Trennung zwischen privatem und beruflichem Engagement von vornherein hätte die Beziehung sicher nicht gefördert und Frau Markovic eher abgeschreckt. Hier aber entstehen Bande, die mit einem Verwandschaftsgrad verglichen und eng und herzlich konnotiert werden, die für die Entwicklung einer positiveren Zukunft für Frau Markovic sehr wichtig und förderlich waren. Hier ist bezüglich Machtver-hältnissen in der Beziehung eher eine Ebene der Gleichstellung (Schwester) angesprochen, bzw.

wird angerissen, dass die Fachfrau jünger ist (Tochter), und damit ihr Wissensvorsprung - um in hierarchischen Begriffen zu sprechen- ausgeglichen wird und sich Beraterin wie Klientin auf einer Ebene befinden. Gleichzeitig drückt dieser Vergleich auch die Identifikation der Klientin mit der Sozialarbeiterin aus, was für Vertrauensbildung sehr wichtig erscheint.

Die flexible und reflektierte, nicht rigide Handhabung von Grenzen, auch bezüglich Machtgefälle („oben / unten“), scheint sich auf die Beziehungsgestaltung positiv auszuwirken.

Die Identifikation mit der Beraterin, die Annahme gleicher oder ähnlicher Lebenshorizonte spielt eine große Rolle für die Vertrauensbildung für Frau Markovic.20

In diesem Zusammenhang werden methodische Ausrichtungen und auch psychotherapeutische Orientierungen eher in den Hintergrund gedrängt. Und zwar bereits im Zugang zum Beratungs-prozess als auch im Rückblick auf ihn. Die Passung ist entscheidend.