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In Frau Gall tritt uns eine heute 45-jährige Frau gegenüber, die seit zehn Jahren geschieden ist, drei Kinder, bzw. jetzt Jugendliche, allein erzieht und als pädagogische Fachkraft in einem Kin-derkrankenhaus arbeitet. In der Rekonstruktion ihrer Erfahrungen gibt sie zunächst einen Über-blick über die Anfangssituation, die durch die Trennung von ihrem damaligen Mann geprägt war.

„Die Lebenssituation war die, dass ich wie gesagt, nach 10 Jahren mich von meinem Mann habe scheiden lassen, weil er auch Alkoholiker war und dann war ich auch wieder berufstätig halbtags, habe keinen oder nur sehr wenig Unterhalt von dem Vater meiner Kinder bekommen und habe gedacht, es steht mir einfach mehr zu, da ich auch die Kinder habe.“(15-19).

An diesem kritischen Punkt ist es ihr wichtig, dass die Trennung für die Kinder keine allzu große Belastung bedeutet und sie nach wie vor mit ihrem Vater Umgang pflegen können. Sie sucht quasi als Vorbeugung von Schwierigkeiten in dieser Hinsicht eine Beratung.

„Ich habe gedacht, ich mache das auf eine ganz harmlose Art, also dass alles für die Kinder so perfekt wie möglich läuft, und deshalb wollte ich mir Rat holen“(21ff).

Zu diesem Thema Freunde zu befragen, erscheint ihr nicht sinnvoll, da diese „parteiisch“ (26) seien und natürlich zu ihr halten würden, weil für alle nachvollziehbar war, dass der Mann sich nicht adäquat um die Kinder gekümmert habe. Sein Trinken lässt ihn unzuverlässig und abweisend werden, Ehe- und Familienkonflikte folgen. Freundschaftlicher Rat als Anweisung, dies oder jenes zu tun, sei hierbei keine richtige Beratung, sondern „alles emotional gefärbt“ (30) und daher nicht neutral und wenig brauchbar.

Ihre erste Beratungserfahrung macht sie, als sie über das Telefonbuch zu einer Rechtsanwältin gelangt, die ihren Fall als nicht außergewöhnlich schwierig einstuft und ihr erklärt, dass sie ein Jahr getrennt leben und der Vater Unterhalt zahlen muss, der von seinem letzten Gehalt berechnet wird. Sie könne den vollstreckbaren Titel beim Jugendamt holen, damit gepfändet werden könne, sollte der Mann in Zahlungsverzug geraten. Frau Gall nennt sich selbst „blauäugig“(36), also naiv, weil sie sich nicht erkundigt hatte, wer überhaupt in solchen Dingen Erfahrung habe oder

„der Beste“ sei. Denn so einfach gestaltete sich die ganze Sache in der gelebten Wirklichkeit nicht, wie sie bereits andeutet.

Dies ist jedoch zunächst der rechtlich-finanzielle Teil von Beratung. Weil aber Frau Gall aus ihrer Berufspraxis schon wusste, dass Scheidungskinder Schwierigkeiten mit der Verarbeitung der elterlichen Trennung zu erwarten hätten, will sie sich Hilfe an der Erziehungsberatungsstelle vor Ort holen. „Und ich dachte, ich muss im Vorfeld alles so machen, dass die Kinder ziemlich gut aus der Sache herauskommen“(54f).

Diese Vorsorge stößt aber schnell auf den Widerstand des Mannes und auf unerwartetes Verhalten der Kinder: „Was immer zwei Paar Stiefel gibt, wenn einer willens ist und der andere nicht, und die Erziehungsberatungsstelle sagt, wie man es machen soll und man rechnet einfach auch nicht mit dem Verhalten der Kinder, die einfach anders reagieren. Es tut ihnen einfach weh und das geht nicht so einfach“(55-59).

So erlebt sie die zweite Beratung bei der Erziehungsberatungsstelle, die sie aus ihrem beruflichen Kontext schon kannte, dann unter den Vorzeichen sich anbahnender Schwierigkeiten.

Ihr sitzt eine Psychologin gegenüber, die den Eindruck vermittelt, sehr kompetent und erfahren zu sein im Umgang mit Scheidungskindern.

„Sie hat mir eigentlich auch von vorneherein gesagt, man kann es machen wie man möchte, dass eine Trennung Kindern immer weh tut. Es gibt keine schmerzlose Trennung für Kinder, weil sie an beiden hängen, an beiden Elternteilen, und hat mir also gleich die Illusion genommen, dass meine Kinder da ohne irgendeine Traurigkeit aus der Sache hervorgehen“(81-85).

Diese Aussagen verursachen ihr ein schlechtes Gewissen, ihr wird aber in Aussicht gestellt, dass es dennoch Wege gäbe, den Kindern„zur Seite zu stehen“(87), damit diese „aus der Sache gut rauskommen“(90).

Die Psychologin beschreibt diese Wege als Möglichkeiten der spontanen Kontaktaufnahme zum Vater per Telefon oder Besuch, als Verzicht auf negative Kommentare gegenüber dem anderen Elternteil und als grundsätzliche Bereitschaft zum normalen Miteinander.

Hier tut sich für Frau Gall jedoch eine Kluft auf zwischen dem Gehörten und dem tatsächlichen Vollzug im alltäglichen Leben: Zwar war sie jederzeit willens, ihren Kindern den Kontakt zum Papa zu ermöglichen, und hat sie auch ermuntert, anzurufen und hinzugehen. Doch mit dessen Widerstand hat keiner so recht gerechnet, umso heftiger war die Enttäuschung:

„Leider war es nur so, dass der Vater den Kontakt nicht haben wollte. Oder dass er die Kinder sehr oft verletzt hat und gesagt hat, ich hole euch ab, und sie standen mit ihrem Rucksäckle da und haben gewartet und gewartet und gewartet, und dann kam der Papa nicht und er hat auch nicht angerufen. Und dann habe ich drei verletzte, wütende, weinende Kinder zuhause und letztendlich habe ich immer die Schuld gekriegt, dass das alles nicht geklappt hat.“(115-121) Frau Gall kämpft an dieser Stelle mit Schuldgefühlen, die aus ihrer Entscheidung zur Trennung herrühren, mit der sie gleichzeitig ihren Kindern Schaden zugefügt sieht. Für sie war dies eine

„fürchterlich schwierige“(124) Situation.

Der Mann und Vater der Kinder zeigt blankes Desinteresse und kümmert sich hinfort um gar nichts mehr, obwohl er von Frau Gall, von der Rechtsanwältin, schließlich vom Familienrichter eindringlich darauf hingewiesen wird, dass er von seinen Umgangsrechten Gebrauch zu machen und seinen Unterhaltsverpflichtungen nachzukommen habe. Bei einem Gespräch auf dem Jugend-amt soll die Sorgerechtsregelung geklärt werden. Hier setzt eine dritte Beratungsform ein, die sich mit den anderen überschneidet. Ein „wirklich sehr netter Mitarbeiter“(136) des Amtes erklärt beiden Elternteilen, wie wichtig die Anwesenheit des Vaters im Leben vor allem der Jungen sei, um ein männliches Vorbild zu bieten und das jugendliche Selbstbewusstsein zu stärken. Er warnt vor dem Rückzug des Mannes, weil dadurch zuviel „verloren geht“(149)

Trotz dieser Bemühungen kommt keine Einigung zustande:

„Also der hat das wirklich ganz toll geschildert und hat eigentlich auch, wollte er uns eigentlich auch das gemeinsame Sorgerecht geben und der Vater hat es abgelehnt, er wollte es nicht haben

und somit habe ich es genommen, das alleinige Sorgerecht. Und im Nachhinein muss ich sagen, Gott sei Dank habe ich es alleine bekommen“(140-145)

Diese Entscheidung wird schriftlich begründet und dokumentiert.

Parallel zu den Schwierigkeiten der Eltern untereinander entwickelt sich beim ältesten Sohn, der in die dritte Klasse geht, ein massiver schulischer Abfall, verbunden mit nächtlichem Einnässen (155). Frau Gall sucht dazu –in einer vierten Beratungssequenz- die Hilfe eines Kinder- und Jugendpsychologen, den sie mit ihrem Sohn regelmäßig über ein Jahr aufsucht. Allerdings muss sie sich eingestehen, dass sie ihren „Sohn nicht retten konnte, er musste mit seinem Schmerz selber fertig werden“(159). Sie führt die Problematik ihres Sohnes direkt auf das väterliche Desinteresse, das sich bis zur offenen Ablehnung steigern konnte, zurück. Der Vater hält seine Versprechen der Kontaktaufnahme und der Besuche nie. Die Kinder leiden daran, sind geknickt und enttäuscht. Besonders der Älteste nimmt sich dies sehr zu Herzen und reagiert trotzig-verstockt und abweisend. Schließlich zahlt der Vater keinen Unterhalt mehr und Frau Gall und ihre Rechtsanwältin können trotz vollstreckbaren Titels nichts unternehmen, da nichts gepfändet werden kann. Der Mann hat sich selbständig gemacht und macht niedrigen Verdienst geltend, der jedoch nie nachgeprüft werden kann. Sie erstattet schließlich Anzeige wegen Unterhaltspflichtverletzung, die aber vom Staatsanwalt zurückgewiesen wird, weil kein öffentliches Interesse bestünde.

„Ich fand das ungerecht, weil ich berufstätig war, meine drei Kinder hatte, der Vater sich nicht um die Kinder gekümmert hat, keinen Unterhalt gezahlt hatte. Ich hatte die Titel, wo schwarz auf weiß draufstand, es kann gepfändet werden.“(177ff).Aber die Unterhaltsschulden in Höhe von ca.

8.000 Euro, so ihre Rechtsanwältin, seien zu gering, um damit ein Verfahren zu eröffnen, und aus dem Mann ist ohnehin „nichts rauszubringen“.

„Man hatte nichts in der Hand, wo er alle seine Verhältnisse offen legen musste.“(183f)

Mit diesem Zustand findet sie sich jedoch nicht ab, sondern reicht wenig später wieder Klage ein.

Diesmal mit dem Erfolg, dass ein anderer Staatsanwalt sie unterstützt und den Vater vor Gericht holt. „Er wurde dann verurteilt, drei Jahre auf Bewährung, dass er zahlen müsste.“(187).Er zahlt aber wieder nicht, und Frau Gall muss von jetzt an monatlich dem Gericht berichten, ob er zahlt oder nicht. Dies bedeutet außerdem, dass sie „dauernd wieder mit dem Vater in Kontakt treten“

(192) muss und so nie mit dem Ganzen abschließen kann.

schlussendlich stellt sie den Richter zur Rede und fordert Konsequenzen. Seine Reaktion:

„Und dann hat der Richter gesagt, aber wenn wir ihn jetzt ins Gefängnis tun und die Bewährungsstrafe aufheben, dann würde er ja erst recht nichts bezahlen und außerdem müssten

wir Mitleid mit ihm haben, er sei ja Alkoholiker und ich würde ja immerhin Geld verdienen für meine Kinder.“(197-201)

Frau Gall war also im Recht, aber niemand konnte es für sie durchsetzen, vielmehr wurde ihr noch abverlangt, nachsichtig zu sein mit dem alkoholabhängigen Ex-Mann. Unter diesem Eindruck der Ohnmacht schlägt sie sich leidlich durch, teils mit Hilfe des Jugendamtes in Form des Unterhalts-vorschusses, und nach dessen Streichung – er wird nur für die ersten sechs Lebensjahre der Kinder gewährt – mit einer Erhöhung ihres Arbeitsdeputats. Sie faßt zusammen:„Also ich hatte das Recht immer auf meiner Seite und niemand war da, der dann gesagt hat, so jetzt ist Schluss, jetzt wird das gemacht, was dir zusteht.“(217ff).

Im Heute angekommen merkt Frau Gall an, dass neuerdings ein Café für Mutter und Kind in ihrem Stadtteil aufgemacht habe, wo sie - nach zehn Jahren - erfährt, dass man Unterhalt immer wieder einfordern müsste, wobei sie ja dann aufgab. Außerdem hört sie, dass es sowohl beim Jugendamt für familienrechtliche, als auch bei Gericht für allgemein rechtliche Fragen eine Stelle gäbe, die einen kostenlos über alle gerichtlichen Schritte informiere.

Ihre Enttäuschung ist spürbar, wenn sie sagt: „Das habe ich jetzt nach zehn Jahren erst erfahren, obwohl ich vorher beim Jugendamt war und auch bei der Anwältin und keiner war da, wo so was dann gesagt hat“ (231ff).

Denn natürlich nimmt sie an, dass die Rechtsanwältin ihr all das sagen würde, was sie wissen musste, weil sie schließlich als Fachfrau auch von ihr bezahlt wird.

Im Nachhinein muss sie außerdem feststellen, dass sich das Engagement der Rechtsanwältin wohl in Grenzen hielt, denn „eindeutig war, dass bei Prozesskostenbeihilfe, dass sich da kein Anwalt groß reinhängt, der Frau oder dem Mann (...) in dem Fall zu ihrem Recht zu verhelfen, weil der Satz so gering ist, dass sich der Aufwand nicht lohnt.“

Resigniert fügt sie an: „Und irgendwann konnte ich dann auch nicht mehr. Ich hatte drei kleine Kinder und ich musste denen schon erklären, warum ihr Papa nicht mehr zu ihnen kommt oder warum er auch nicht Weihnachten, Geburtstag, Ostern an die denkt, eine Karte schreibt oder ein Geschenk gibt. Dann musste ich noch zum Anwalt und da auch wieder meine Lebensgeschichte aufrollen und irgendwann habe ich gedacht, jetzt hörst du auf damit, jetzt lässt du es, dann zahlt er eben nicht.“ (244-254).

Frau Gall wird des Kämpfens müde, da sie spürt, dass sie gegen eine Wand anrennt, und will sich in das Unvermeidliche fügen, will aufgeben und auf die Durchsetzung ihrer Rechte verzichten.

Doch in der Erziehungsberatungsstelle sind die BeraterInnen anderer Meinung und fordern sie auf,

„das Geld einzufordern“ (259), ja, sie beharren darauf, dass das Geld ihr aber zustehe. Für die Berater ist dieser Verzicht unvorstellbar, da es sich ja auch um Rechte der Kinder, nicht allein der

Mutter handele, und das Geld für ein späteres Studium, oder wenigstens für einen Urlaub zur Entlastung aller gut gebraucht werden könne. Spätere Vorwürfe der Kinder wären dann gerecht-fertigt. Damit rühren sie an das ohnehin schlechte Gewissen der Mutter und lassen den Zwiespalt, in dem sie sich befindet, noch intensiver zu Tage treten. Dieser besteht aus dem Schmerz über die Ablehnung und das Desinteresse des Vaters gegenüber den Kindern und ihren verzweifelten Ver-suchen, den Kindern durch vermehrte Anstrengung doch den Vaterkontakt zu ermöglichen.

Gleichzeitig ist sie aber am Rande ihrer Kräfte angelangt. Immerhin muss sie im „Beruf auch noch Leistung bringen“(277), damit der Lebensunterhalt halbwegs gesichert ist. Den Beratern und Beraterinnen fehle „die Emotionalität, die hatten ja die drei kleinen Kinder nicht, die dann immer geweint haben“(266). In anderen Worten, das alltägliche Aushalten-Müssen stand im Widerspruch zu den gut gemeinten Ratschlägen, die sich mangels Kraft nicht mehr umsetzen ließen. Frau Gall steht also von allen Seiten her unter Druck und kann deshalb ein Beratungsgespräch besonders wertschätzen, das sie dieses Mal mit einem Berater als Urlaubsvertretung führt, der so „betroffen“ und „wütend“ gewesen sei von ihrer auswegslosen Situation, dass er sagte: „Also ich kann Ihnen heute keinen objektiven Rat mehr geben, da müssen wir Schluss machen“(288f). Hier scheint sie auch emotional ein Echo gespürt zu haben, das ihr gut tut.

Da es an dieser Stelle hinfort thematisch dann mehr um den Sohn geht und sie einen guten Draht zu diesem Berater findet, bleibt sie auch bei ihm. Sie schreibt ihm als Mann mehr Verbindung zur Gefühlswelt ihres Sohnes zu und erhofft sich dadurch ein besseres Verständnis für diesen ältesten Sohn. Dieser zieht mit knapp 16 Jahren aus und findet beim Vater eine Bleibe. Das Verhältnis zur Mutter hat sich inzwischen ungünstig entwickelt. Er verhält sich für Frau Gall unverständlich, hört nicht mehr auf sie und tritt in offene Ablehnung.

„Also er war auf einmal ganz gegen mich und nur noch für seinen Vater, obwohl der Vater ihn dauernd ignoriert hat (321f).

Ihr alleiniges Sorgerecht wird jetzt zum Problem, da sie keinerlei Handhabe oder Kontrolle mehr gegenüber dem Sohn hat, dieser aber auch kräftig über die Stränge schlägt. „Dann hat mir der Herr auf der Erziehungsberatungsstelle dann gesagt, wenn Sie das jetzt nicht schriftlich irgendwo fixieren, dass der Sohn nicht mehr bei Ihnen wohnt und Sie keine Kontrolle mehr haben, dann kommen Sie nachher in Teufels Küche, wenn der tatsächlich irgendwas anstellt.“(315-319).In der Folge versucht sie, beim zuständigen Familienrichter klarzustellen, dass sie das Sorgerecht tatsächlicherweise gar nicht ausüben kann, aber dieser lässt sich nicht auf ihre Argumente ein, sondern legt ihr dar, dass sie es nur abgeben kann, wenn es der Vater auch aktiv übernehmen würde. Sie geht daraufhin in ihrer Not zu jenem Sozialarbeiter, der sie damals im Rahmen der

Sorgerechtsregelung beraten hat und lässt dort ein Schreiben aufsetzen, „dass ich es (das Sorgerecht, erg. v. I.D.) abgebe, und für diese Zeit der Vater dann für seinen Sohn verantwortlich ist“(340f). Erst nachdem sie den Vater persönlich aufsucht und ihn unter Druck setzt, unter-schreibt dieser.

Aber auch die Ablehnung durch den Sohn muss Frau Gall erst einmal verkraften, nachdem sie sich jahrelang so für ihn, ihr erstes Kind, eingesetzt hatte. Hinter den neutralen Fakten tut sich für sie ein gefühlsmäßiger Abgrund auf, in dem ihr auch Beratung nicht viel hilft. „Er hat sich gar nicht mehr bei mir gemeldet. Er wollte gar nichts mehr von uns wissen“ (359f). Die Entgegnung des Beraters, dass der Sohn „eine Auszeit“(363) brauche und sich pubertätstypisch abnabeln müsse, erreicht sie nicht. Sie leidet, ja trauert um ihren Sohn:

„Da war der Schmerz zu groß, dass ausgerechnet mein Sohn, um den ich mich mehr kümmern musste und immer habe als um die zwei anderen, dass ausgerechnet er von mir gegangen ist und überhaupt nichts mehr hat von sich hören lassen. Und der Vater, der sich überhaupt nie um ihn gekümmert hat, dass der ihn jetzt hatte, das stand ihm nicht zu.“(366-370).

Die Versuche des Beraters, sie aufzurichten, kann sie nur im Nachhinein als tröstend erkennen, in der damaligen Situation konnte sie nur empfinden: „das kam bei mir gar nicht an“, weil „der Schmerz größer war, dass mein Sohn weg war.“(374f).

Frau Gall begibt sich daraufhin an anderer Stelle „in therapeutische Behandlung“(381), die sich auf etwa ein Jahr ausdehnt, weil sie„einfach so verzweifelt war“(382). Neben den Spritzen gegen Depressionen, die sie von ihrem Hausarzt erhält, sucht sie Hilfe bei der Psychotherapeutin.

Damals offenbar vergeblich:

„Also ich habe dann Antidepressiva bekommen. Und auch, was mir dann die Therapeutin gesagt hat, das kam bei mir nicht an. Es kam nicht an. Ich hatte dann fürchterliche Angst, dass ich da drin bleibe in diesem schwarzen Loch und dass ich nur noch mit Spritzen leben kann und dass das überhaupt nie aufhört“ (384ff ).

Frau Gall geht es so schlecht, dass sie „auf Kommando heulen“ kann, „dann nicht mehr richtig einkaufen“und sich um ihre zwei anderen Kinder kümmern kann – Was ihr dann aber wieder leid tut, und „was dann wieder der Kreislauf war, dass man wieder ein schlechtes Gewissen hatte“(392ff).Ihr tägliches Leben schleppt sich dahin auf einer Durststrecke.

Im Rückblick muss sie aber den Beratern und ihrer Therapeutin recht geben, die ihr eindringlich prophezeien, „dass der Schmerz nachlässt und dass ein Jahr Trauerzeit ist“(398f), so dass sie resümieren kann: „Und es ist was Wahres dran gewesen,“, gefolgt jedoch von der Feststellung

„aber es kam doch bei mir nicht an“(401).

Wie aber gestaltete sich nun die Besserung ihres Befindens?

Gegen Ende des Jahres mit regelmäßigen Therapiesitzungen merkt sie langsam, dass es wieder besser geht, und dass ihre Kraft zurückkommt. Dies geschieht, obwohl ihr Sohn noch immer nicht zurückgekehrt ist und sich eigentlich wenig verändert hat. Ihre wachsende Kraft lässt die Traurigkeit zurücktreten und gibt ihr wieder einen positiveren Ausblick.

„Das war so: Mein Sohn ist im Februar ausgezogen und im Dezember des gleichen Jahres habe ich gemerkt, wie ich nicht mehr so traurig bin und wie ich einfach besser damit umgehen kann, ohne, dass jetzt irgendwas passiert ist.“(412ff).

Der Ursprung ihrer wachsenden Bewältigungsfähigkeit lokalisiert sie nicht ursächlich in der Beratung oder Therapie, sondern im normalen Fluss des Lebens allgemein. In einem späteren Abschnitt geht sie näher darauf ein und schreibt sie dem Wandel der Lebensphasen zu: Jetzt, wo die Kinder älter und verständiger sind, fällt der Stress mit Enttäuschungen durch den Vater weg, weil die Kinder sich an dessen Unzuverlässigkeit gewöhnt haben und seiner Aufmerksamkeit

Der Ursprung ihrer wachsenden Bewältigungsfähigkeit lokalisiert sie nicht ursächlich in der Beratung oder Therapie, sondern im normalen Fluss des Lebens allgemein. In einem späteren Abschnitt geht sie näher darauf ein und schreibt sie dem Wandel der Lebensphasen zu: Jetzt, wo die Kinder älter und verständiger sind, fällt der Stress mit Enttäuschungen durch den Vater weg, weil die Kinder sich an dessen Unzuverlässigkeit gewöhnt haben und seiner Aufmerksamkeit