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Die soeben nur kurz skizzierten unterschiedlichen Gegenstände, Inhalte und Formen von Beratung sind für Nutzer zwar immens wichtig und bedürfen im empirischen Teil auch der Thematisierung,

doch für die Bestimmung meiner theoretischen Unterlegfolie werde ich sie ersteinmal nicht benötigen bzw. problematisieren. Ich lasse sie zunächst so stehen.

Denn ich gehe, analog zu Grawe (1998) davon aus, dass Beratung und ihr positiver Verlauf für die Klienten auf einigen Wirkfaktoren basieren: Vertrauen, das dadurch entsteht, dass die Fachkraft professionell und kompetent, gleichzeitig auch glaubwürdig auf die Hilfesuchenden wirkt;

Akzeptanz der Person, ihre Wertschätzung und Respekt unterschiedlicher Sichtweisen und Um-gangsmodi mit den vorgebrachten Anliegen, und darüber hinaus die Fähigkeit, dem Klienten Verständnis entgegen zu bringen. Dabei muss die strukturell asymmetrische Beziehung zwischen Fachkraft und Klient, also ein gewisses Machtungleichgewicht, so ausbalanciert werden, dass der Beratene sich selbst als handlungsfähig erlebt und so auch zu für ihn stimmigen Lösungen finden kann. Dazu gehört selbstverständlich auch Freiwilligkeit. Auf Seiten der Fachkraft muss metho-disches und begründbares Handeln erwartet werden können.

Diese Grundpfeiler von Beratung und ihrer Wahrnehmung berühren nicht die Vielfalt der Formen und Ausprägungen von Beratung. Die Frage, ob Beratung nun mit psychotherapeutischer Metho-dik und Intention in einer eigenen Institution wie einer Beratungsstelle geführt wird, oder ob sie wichtige Informationsvermittlung zur Rechtsdurchsetzung im Setting sozialer Beratung in einem Obdachlosenheim bedeutet, ist hier also nicht ausschlaggebend. Vielmehr betone ich die Bezogenheit der Beratung auf die lebensweltliche Erfahrung und Umsetzung der Adressaten.

Da ich mich ja dafür interessiere, wie Beratung wahrgenommen und schließlich in die Lebenswelt der Betroffenen übersetzt wird, also im Alltag zu Bewältigungshandeln führen soll, liegt es nahe, eine theoretische Basis zu wählen, die sich mit dem Alltag und der Lebenswelt der Hilfeadressaten dezidiert befasst. Deshalb gehe ich vom Konzept einer lebensweltorientierten Beratung aus, die um den Aspekt der biografischen Bewältigung erweitert wird. Diese sollen an die Erfahrungen der Nutzer von Beratung angelegt werden.

Hierbei folge ich Thiersch (2000, 2004), Nestmann (2004), Sickendieck u.a. (2001), Ansen (2000 und 2004) und Böhnisch (1999).

Zur begrifflichen Klärung sei gesagt, dass z.B. Thiersch in diesem Zusammenhang von „sozialer Beratung“ sprechen, weil sie sich im sozialpädagogischen Feld verorten. Meine Untersuchung bleibt nicht beschränkt auf das sozialpädagogische Feld, soweit die Wahrnehmung bzw. Rezeption von professioneller Beratung betroffen ist. Dennoch lege ich eine sozialpädagogisch begründete theoretische Basis zugrunde, die die Lebenswelt von AdressatInnen thematisiert, weil die Blick-richtung und die Ausgangsfragen meiner Arbeit die Wirksamkeit und Integration von Beratung in die jeweilige Lebenswelt betreffen. Und weil die Zielrichtung der NutzerInnen von Beratung stets auf das genannte Bewältigungshandeln im Alltag abhebt.

Das Rahmenkonzept der Lebensweltorientierung erlaubt die Erstellung eines dennoch offen handhabbaren Rasters, das mit einigen Maximen definiert, wie der Rahmen von lebensweltlich relevanter Beratung sein soll, damit sie von Menschen in Not überhaupt wahrgenommen, dann auch hilfreich rezipiert und im Alltag sinnvoll umgesetzt werden kann. Richtlinie und Ziel ist die Förderung bzw. (Wieder-) Herstellung eines „gelingenderen Alltags“.

Thiersch definiert Beratungsgeschehen zunächst in den klassischen Strukturmomenten der Wahrnehmung und der Diagnose, der Klärung der Lage, dem Entwerfen von Hilfemöglichkeiten–

bis hin zur Unterstützung bei der Erschließung von Ressourcen. Er bleibt darin recht allgemein, pointiert hier jedoch, dass die Voraussetzung aller Beratung „das Wissen um Lebensverhältnisse, um Lebenseinschränkungen und Lebensmöglichkeiten“ ist, „wie sie unabhängig von Beratungs-konzepten und ihrem Verständnis von Hilfsbedürftigkeit und Hilfschancen erfahren werden“

(Thiersch 2000, (4.),131).

Alltag als Bezugspunkt für Beratung kann sich orientieren an den „Dimensionen von All-täglichkeit und Alltagswelten“, wie sie Thiersch im Rückgriff auf Alfred Schütz formuliert (a.a.O., S. 50f.). Sie können uns Aufschluss geben über die Entstehung, Perpetuierung, über Auftauchen und Verschwinden von den in der Beratung genannten und behandelten Schwie-rigkeiten. Alltagswelten stellen gleichermaßen Quelle von Problemen als auch Quelle von Ressourcen dar, die jeweils aufeinander bezogen werden können, um sinnvollen Lösungen näher zu kommen. In anderen Worten, was sich an einer Stelle in der Alltagspragmatik bewährt, könnte auch einen Lösungsansatz für ein anderweitig auftauchendes Problem begründen.

Durch folgende Dimensionen wird Alltag gelingend oder problematisch strukturiert:

„Subjektiv erfahrene Zeit“

Zeit als eine Grundlage des Seins wirft die Fragen auf: Wie entstehen Schwierigkeiten über Zeiträume hinweg, wie lösen sie sich wieder, oder chronifizieren sie sich gar? Hilfreiche Zeitstrukturierung, z.B. in geregelten gemeinsamen Essenszeiten, kann Kindern und Jugendlichen Zuverlässigkeit der Betreuung und der Verpflegung vermitteln. Gibt es andererseits auch Zeit, die plötzlich frei wird für andere Erfahrungen – als Ressource -, wenn z.B. Kinderbetreuung Zeit für alle Beteiligten neu strukturiert? Wie verhält es sich mit der sog. „quality time“ anstatt der totzuschlagenden Zeitquantität, z.B. wenn Arbeitslosigkeit zum „Zeithaben“ zwingt und das zeitstrukturierende Element Arbeit (neben dem sonst erwirtschafteten Lebensunterhalt) fehlt? Die Dimension Zeit enthält auch den Bezug zum Lebenszyklus, zu Lebenslauftypischem mit den kritischen Übergängen und Ereignissen, die im Leben eines jeden unausweichlich sind.

Die Dimension des „subjektiv erfahrenen Raums“

lässt fragen nach Raum z.B. für Kinder, in dem „genug Raum“ zum Erforschen, zum Toben, zum Ausleben verschiedener Bedürfnisse da ist, oder ob dieser Raum erst als Freiraum, physisch wie emotional oder psychisch gesehen, geschaffen werden muss durch bestimmte Unterstützungs-leistungen – und sei es nur einfach größerer oder besserer Wohnraum für eine Familie, oder sozialer Raum, der eingenommen und angeeignet werden will von einem allein lebenden Menschen.

„Subjektiv erfahrene soziale Bezüge“ sind die dritte Dimension –

Gerade Beziehungen sind häufig der Boden, auf dem Konflikte entstehen – seien es fehlende oder zu stark einengende, erstarrte oder konfliktbeladene Beziehungen innerhalb der Familie, eines größeren Gemeinwesens mit z.B. Vereinen, Kindergarten, Schule etc., oder die chronifizierten Probleme einer langjährigen, vielleicht von Gewalt und Abhängigkeit beidseits geprägten Partnerschaft.

In diesen Dimensionen der Alltäglichkeit ist auch zu fragen nach dem „Wie“ der „pragmatischen Erledigung“ schwieriger Alltagsaufgaben (a.a.O.), das Anhaltspunkte geben könnte für die Lösung anderer Probleme, und nach dem Status von KlientInnen als Subjekte, als Regisseure ihres eigenen Lebens, und wie dieser Status gestärkt werden kann.

Denn allein die hilfreiche Routine des Alltags zu beschwören wäre zu einfach. Der Alltag muss vielmehr in seinen Brüchen und Verwerfungen gesehen werden.

Thiersch diagnostiziert eine „Krise des Alltags“, d.h. dass sich „im Alltag die Gewichte verschie-ben: Nicht nur Überschaubarkeit und Verlässlichkeit, sondern auch Unzulänglichkeiten, Brüche, Experimente werden wichtig. (...) Alltagshandeln heute ist auch Notwendigkeit und Anstrengung der Vermittlung, ist auch Inszenierung von Alltäglichkeit, ist auch reflektiertes Alltagshandeln.“

(Thiersch 1992; 45).

Dazu kommt das Erfordernis der Moderne, dass sich Menschen in einer immer mehr individua-lisierenden Welt eine eigene Biographie erarbeiten und aus-leben müssen, was neben einer immensen Expansion von Wissen und Information, von arbeitsteilig organisierten bzw.

hochspezialisierten Arbeitsweisen und rational strukturierten Organisationen und, auf der persönlichen Ebene, neben dem Zurückweichen autoritär-hierarchischer Gesellschafts- und Lebensformen und deren Pluralisierung nicht einfach ist. (Thiersch 2004, S. 116; s.a. Böhnisch 1999). So wird nachvollziehbar, wenn sog. „Modernisierungsverlierer“ (Sickendieck u.a. 2001) als Menschen, die, unabhängig von bisherigen Schichtzugehörigkeiten, in diesen Arbeits- und

Gesellschaftsstrukturen nicht mehr mithalten können, immer häufiger die Adressaten von Bera-tung stellen.

Dennoch: Die Beachtung dieser oben genannten Dimensionen der Alltäglichkeit gibt Aufschluss über die „Regeln der Problemselektion“ und über „charakteristische Problemlösungsstrategien“

der Klientinnen. „Bewährte Routinen entlasten“ (a.a.O.; 114) den Einzelnen, und dieses „erprobte Bewältigungshandeln“ sollte zunächst einmal wahrgenommen und respektiert werden (so Galuske, 1999 (1.); 157).

Doch nicht nur das, auch sinnvolle und hilfreiche Konfrontation oder angemessene Provokation müssen hinzukommen, um verkrustete Strukturen aufzubrechen, und so die „Borniertheit“ immer wieder kontraproduktiver Routinen und hingenommener Ungerechtigkeiten und Resignation zu überwinden. Beratungshandeln muss sich folglich in der „Balance zwischen Akzeptanz von Alltagsroutinen und Offenlegung, Kritik, Veränderung von borniertem Alltag“ bewähren (ebd.;

158). Die Stichworte dazu sind „Destruktion“ im Hinblick auf notwendige Veränderung im Alltag und „Respekt“ als Grundhaltung gegenüber den Hilfeadressaten (Grunwald/Thiersch 2004 S.24).

Diese Stichworte müssen in ihrem Widerspruch dennoch komplementär gedacht, behandelt und umgesetzt werden.

Dieses Leitbild eines Hilfeprozesses für Beratung ist allemal noch methodisch offen, muss also angemessen inhaltlich und methodisch gefüllt werden.

Thiersch betont hier im Hinblick auf die Methodik sozialpädagogischer Beratung, dass ihr Inhalt nicht durch eine Fixierung auf eine Methode oder auf die etablierten Hilfeformen in den Hintergrund gedrängt werden dürfe, vielmehr sollten das Problem und die Lebensumstände die Methode und die Hilfe bestimmen. Hier bleibt er zwangsläufig – ob der Offenheit und der Unwägbarkeit des sozialpädagogischen Feldes- vage. Es verwundert- jetzt im weiteren Kontext betrachtet- nicht, dass sich Fachkräfte im Rahmen der Methodendiskussion gerne auf die handhab-barere Reduktion psychotherapeutischer Ansätze zurückziehen, die einen gewissen eng gesteck-ten, sicheren methodischen Rahmen vorgeben.

Gleichzeitig insistiert er auf dieser Offenheit als einer auszuhaltenden, nicht vorschnell zu glättenden Größe, spricht von einer „strukturierten Offenheit“ (1993), die konstitutiv ist für diese Form lebensweltorientierten Arbeitens, die auch der Fachkraft viel Können, Reflexion von Distanz und Nähe, von Expertenmacht und hin und wieder ein Verlassen professioneller

Besitzstände abverlangt9. Lebensweltorientierte Beratung ist methodisch strukturiert (z.B. in einer Abfolge von Schritten und Vorgehensweisen, vgl. S.22, Strukturmomente), aber dies immer in Bezug auf die Offenheit der Situation, und darin reflexiv. Eklektisches Vorgehen ist nahe liegend, doch nur unter der Vorgabe, dass es die grundlegende Handlungsstruktur lebensweltorientierter Beratung nicht einebnet und relativiert (Thiersch 2004, S.705).

Ansen (2004) schlägt in diesem Zusammenhang vor, die personzentrierte Gesprächsführung als eine wichtige methodische Grundlage aber auch als Grundhaltung festzuhalten, weil sie am ehesten den Gestaltungserfordernissen von Alltags- und Lebensweltorientierung entspricht.

Thiersch hat eindringlich darauf hingewiesen, dass Beratung unter den Vorzeichen der Lebensweltorientierung eine Öffnung braucht, um ihre „geheime Moral“ zu überwinden (Thiersch bereits 1989, auch 2004). Diese zeigt sich in einer Art geheimem Anforderungsprofil, dem die Hilfesuchenden entsprechen müssen, damit ihnen geholfen werden kann. „Dem „Homo consultabilis“ (dem zur Beratung fähigen Menschen, I.D.) wird Hilfe angeboten, (...) indem in der komplexen Vielschichtigkeit gegebener Lebensschwierigkeiten vor allem psychische und kommu-nikative Schwierigkeiten thematisiert werden, indem Probleme und Problemlösungsmuster hier-archisiert und strukturiert werden.“ (ebd.; 185) Dies lässt sich verbildlichen mit dem Konzept der Vorderbühne und der Hinterbühne, das dazu verführt, den Vordergrund der lebensweltlichen Erfahrungen und Problemstellungen zugunsten einer Konzentration auf die Hinterbühne zu überspringen, die ihrerseits wiederum die „eigentlich wahren, dann wissenschaftlich-professionell rekonstruierbaren Strukturen“ aufdecken soll, damit aber den „Eigenwert von Erfahrungen“ der direkten Lebenswirklichkeit übersieht, ja entwertet, aber eben Beratung in ihrer Komplexität handhabbar machen soll (a. a. O.; 185). Dies führt zu fatalen „Verkürzungen und Vereinfachung von Wirklichkeit“ (a. a. O.; 186) und schließt Menschen, die sich diesem System nicht anpassen können, von Hilfe aus. Thiersch zeichnet als Beispiel die Erziehungsberatung in ihrer Reduktion auf familiale, oft die Frauen am meisten belastenden Kommunikationsstrukturen, methodisch auf systemischer Basis sitzend, nach10.

Eine angemahnte „Öffnung von Beratung“ soll demzufolge zu einer Überwindung der geheimen Moral beitragen und benennt folgende Aspekte (vgl. Thiersch 1998, 189):

9Dies mag heißen, dass nicht nur eine Komm-Struktur an einer Beratungsstelle vorherrschen darf, oder dass Mitarbeiter auch einmal einen Klienten nach Hause fahren oder ihn in einem Café treffen.

10Als ein Beispiel sei auch R.Welter-Enderlin (1998; in: Rücker-Embden-Jonasch / Ebbecke-Nohlen) genannt, die dies als Vertreterin der Familientherapie als häufig frauenfeindlichen „Familialismus“ kritisiert hat. In der

einschlägigen US-amerikanischen Literatur wird dies seit langem angeprangert und findet seit geraumer Zeit auch Resonanz in Europa.

- Eine Allzugänglichkeit soll gegen eine Selektion der Adressaten wirken, d.h. besonders auch einkommensschwachen Klienten soll der Zugang erleichtert werden.

- Methodische Offenheit soll einer Engführung, die aus Spezialisierung auf bestimmten, besonders psychotherapeutischen Verfahren resultiert, vorbeugen, gleichzeitig lebensweltnahe, lebensprak-tische (auch übende, trainierende), instrumentelle und gesellschaftlich-polilebensprak-tische Ausrichtung zeigen.

- Inhaltliche Offenheit wird eingefordert, die sich nicht nur auf die Rekonstruktion der Beratungsanliegen aus psychisch-kommunikativem Blickwinkel und dies innerhalb des Familiensystems beschränkt, sondern auch die Erfahrung des Umfeldes und größerer Lebens- und Gesellschaftskontexte einbezieht (z.B. Gemeinwesen).

- Nötig ist eine Reflexion des Zusammenhanges von abstrakter Methodik und der konkreten Lebenswirklichkeit der Klienten. Die Frage „Erreicht Beratung die Klienten, oder geht sie über deren Köpfe hinweg?“ mag dies konkretisieren.

- Ein Verzicht auf die Illusion der Machbarkeit durch Kompetenz in der Beratung, stattdessen je nach Beratungsanliegen, eine Sensibilität für die Bescheidung auf Begleitung, Teilnahme, Zuhören, Aushalten und Dasein für die Klienten sind vonnöten.

- Die Abkehr von einer reinen Komm-Struktur und von der Beschränkung auf den klar abgegrenzten institutionellen im Sinne eines bürokratisch-rigiden Rahmen von Beratung ist gefordert.

- Eine Öffnung zur Kooperation mit anderen Institutionen soll erfolgen, aber auch, falls nötig, eine Ablehnung von Alibi- und Entlastungsfunktionen für andere Institutionen, d.h. deren In-Verantwortung-Nahme im sozialanwaltschaftlichen, parteinehmenden Sinne für den Klienten.

- Die Offenheit als sensible Reflexion von Hilfe und Kontrolle, in der Dichotomie zwischen möglicher Funktionalisierung durch Klienten und notwendiger nachgehender Hilfe wird angemahnt.

- Akzeptanz und Einbeziehung von Ehrenamtlichen, Würdigung deren Arbeit, und Reflektion und gemeinsames Aushandeln ihres Einsatzes ohne Expertenattitüden der Fachkräfte sollen hinzukommen.

Betont wird die Notwendigkeit des Aushandelns von Vorgehensweisen, Inhalten und Zielen von Beratung (im klassisch interaktionistischen Sinne und hier unter der Maxime der Partizipation gefasst) und auch deren Umsetzung in konkretes Handeln, im Entwerfen und Üben von Situationen und Handlungen. Hier wird wiederum Alltag transzendiert, um bessere Lösungen für problematisch gewordene Bereiche zu finden.

Formal graduell unterschiedliche Settings des beratenden Handelns gehören dazu: das Gespräch im Lebensfeld der Betroffenen, auch „zwischen Tür und Angel“, aber ebenso das sich davon abhebende Gespräch an einer Beratungsstelle, die mehr Distanz schaffen kann zu einem Anliegen, das an neutralem Ort verhandelt werden muss, um sich nachher im Alltag zu bewähren.

Für Fachkräfte heißt das u.U. ein Sich-hinein-Begeben in den Alltag der Klienten, ohne diesem die eigenen (oft mittelschichtsorientierten) Werte und Normen überzustülpen.

Denn Vertrauen entsteht dort, wo Fachkräfte nicht mit ihren Lösungen für die Probleme der Klienten aufwarten, sondern deren Probleme als eigene Lösungsversuche ernst nehmen, respek-tieren, und so „von Lösung zu Lösung“ miteinander sprechen können, vielleicht bessere Lösungen gemeinsam entdecken. Dazu bedarf es eines „Zusammenspiels von entlastender Strukturierung und Öffnung neuer Gestaltungsräume“, damit „frische Luft in die muffige Enge“ z.B. der Familie kommt (Thiersch 1997; 106). Dazu bedarf es auch eines offeneren Handlungsrahmens jenseits institutionell vorgegebener Maßnahmen oder Interventionen, der schlicht mit der Möglichkeit, Alltagsbegleitung anbieten oder „nur“ mit -aushalten zu können, umschrieben wird.

Thiersch merkt außerdem kritisch an, dass ein Agieren der Fachkräfte in der Lebenswelt (z.B. bei Hausbesuchen) auch die fachliche Kompetenz beinhalten sollte, „in Takt und Respekt wegsehen zu können, Verhältnisse gelten zu lassen, nicht überall gleich Schwierigkeiten zu sehen“ (a.a.O., 107).

Schließlich wird nochmals akzentuiert, dass Beratung in advokatorischer Ethik (Brumlik 1992) agieren soll, indem sie sozialanwaltschaftlich handelnd den Fokus der sozialen Gerechtigkeit im Auge behält – und diesen bei Bedarf auch offensiv vertritt.

Um das Bild jedoch zu vervollständigen, sei hier an die Handlungsmaximen erinnert, wie sie im Achten Jugendbericht (BMJFFG 1990) maßgeblich bes. auch von Thiersch formuliert wurden, und nicht nur für die Jugendhilfe galten, sondern auch Einfluss nahmen auf den Entwurf lebensweltorientierter Beratung:

Prävention mit ihrer Intention, das Kind bzw. den Hilfeadressaten zu erreichen, bevor es sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist; die Regionalisierung, auch als Sozialräumlichkeit umschreibbar, mit der Hilfe dort angeboten werden soll, wo sie akut gebraucht wird; schließlich Niedrigschwelligkeit und Alltagsnähe, damit die genannte Hilfe auch angenommen werden kann. Integration als Prinzip bedeutet, immer darauf hinzuwirken, dass durch Hilfe Menschen Anschluss und nicht Ausschluss finden, sei es beispielsweise für lernschwache, behinderte oder ausländische Kinder, und diese auch nicht in abgelegenen Heimen zu gettoisieren. Partizipation beinhaltet, wie erwähnt, das aushandelnde und vom Adressaten selbstbestimmte Element, das

schlussendlich mehr Motivation und so auch Erfolg verspricht für eine Maßnahme. Vernetzung und Kooperation auf Institutionenebene verhindert kräfteraubende Redundanzen, erschließt demgegenüber aber sinnvolle Ressourcen und nutzt Synergieeffekte.

Dazuhin fassen Sickendieck et al. (1999; 154f) später Aspekteeiner alltags- und lebensweltnahen Beratung folgendermaßen zusammen:

-Ein erster Aspekt ist die Erreichbarkeitder Beratung in der Lebenswelt der Beratungssuchenden einerseits (hierin geht die Regionalisierung und Niedrigschwelligkeit auf), andererseits auch die Zugänglichkeit in Sprache und Gestik. D.h., Beratung kann nicht über die Köpfe der Bera-tungssuchenden hinweg geschehen, sondern muss sie dort abholen, wo sie stehen und verstehen.

Das bedeutet Niedrigschwelligkeit in räumlicher, organisatorischer, intellektueller und zwischen-menschlicher Dimension.

-Ein weiterer Aspekt ist die Freiwilligkeit, d.h. Hilfe soll gewollt, nicht zwangsverordnet werden.

Denn ohne eigenen Antrieb, ohne Motivation ist kein Erfolg zu erwarten.

-Die Wahrung der Komplexität der Problemlagen in einer Hand, nicht aufgesplittert an mehrere Beratungsinstanzen delegiert, auch nicht reduktionistisch auf psychologische oder, umgekehrt, auf rein materielle oder administrative Belange und Handlungsorientierungen verengt, stellt einen dritten Aspekt dar.

-Ein vierter ist die Partizipation der Betroffenen am Hilfe- und Entscheidungsprozeß von vornherein, wie sie bereits im 8. Jugendbericht gefordert wurde. Dies bedeutet eine Aushandlung des zu bearbeitenden Themas, der Problemrekonstruktion, des Vorgehens, des Einbezugs anderer und der Lösungswege. Es gilt auch, aufmerksam zu erwägen, ob nicht auch die Tiefe der Re-flexion in der Beratung, die schließlich auf (u.U. aufwändige) Veränderung von Lebens-arrangements abzielt, ausgehandelt werden muss. Jedenfalls darf sie nicht von einer selbstsicheren Philosophie der Machbarkeit durch Beratung bereits fraglos vorausgesetzt werden.

Partizipation wird auf einer eher gesellschaftstheoretischen Ebene als Teilhabe an als normal erachteten Gütern unserer Gesellschaft und aktive Gestaltungsmöglichkeit von Lebensräumen und –entwürfen verstanden (so auch die Stoßrichtung bspw. des Achten Jugendberichts). So weist diese Maxime auf eine Verschränkung von gesellschaftlichen Strukturen und der Lebenswelt des Individuums, hebt also die Dichotomisierung Individuum und Gesellschaft zugunsten eines komplexeren Blicks auf Lebensverhältnisse ansatzweise auf (Thiersch 1992; 5. Vgl. auch Engelfried 1997, S. 65). So kann Partizipation auch als Zielbestimmung einer umfassenderen Teilhabe an gesellschaftlichen Errungenschaften für das Arbeitsfeld Beratung mitgedacht werden.

-Akzeptanz und Problemangemessenheit bedeuten, dass Beratung so angeboten und organisiert werden muss, dass sie möglichst auf Akzeptanz durch ihre Adressatengruppe, und auf deren tatsächliche Anliegen und Probleme trifft, d.h. diese weder marginalisiert noch überbewertet, sondern eine klientengerechte Balance bieten kann.

-Ressourcensensibilität weist darauf hin, dass sich im Kontext der Beratungssuchenden neben den Schwierigkeiten immer auch Bereiche der Stärken, bessere Möglichkeiten der Bewältigung, also Ressourcen befinden, die aufgedeckt, evtl. ergänzt und nutzbar gemacht werden können.

Ich erweitere aufgrund der genannten Literaturbeiträge um weitere Aspekte:

- Soziale Geschicklichkeit der Fachkräfte kann heißen, mit Takt auch wegsehen zu können, Lebensentwürfe und –verhältnisse stehen lassen zu können, „von Lösung zu Lösung“ miteinander zu reden.

Nicht nur die kommunikative Orientierung, sondern auch die

-Handlungsorientierung, das Training entsprechender Verhaltenweisen oder Handlungen soll in Beratung integriert sein. (Das mag heißen, z.B. Bewerbungsgespräche in Rollenspielen vorzubereiten, oder Formulare ausfüllen zu üben, um Hilfe zur Selbsthilfe vorzubereiten) und - Sozialanwaltschaftlichkeit als soziale und fachliche Beistandschaft zur Durchsetzung von legitimen (Rechts-)Ansprüchen der Klienten.

Erweitert wird die Maxime der Partizipation um den Aspekt der

-Aushandlung des Inhalts und der Tiefe der Interventionund Konfrontation, die sich durchaus auch in einem Nein der KlientInnen äußern darf.

-Aushandlung des Inhalts und der Tiefe der Interventionund Konfrontation, die sich durchaus auch in einem Nein der KlientInnen äußern darf.