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Adressatenforschung ist in sich nicht unproblematisch. Dafür gibt es mehrere Gründe.

Einerseits stellt eine Rekonstruktion dessen, was AdressatInnen in Beratung erfahren haben und wie sie darüber denken und fühlen, nicht die Realität von Beratung dar, sondern eine partielle Abbildung davon. Die anderen ergänzenden Teile sind immer auch die Sichtweisen der Fachkräfte und außenstehender Beobachter. Auf letztere verzichte ich aber explizit. Meine Arbeit behandelt ausschließlich den Ausschnitt „subjektive Erlebnis- und Sichtweisen der Adressaten“ aus dem Ganzen der Beratung.

Andererseits ist die Rekonstruktion von subjektiven Sicht- und Erlebensweisen nie frei von per-sönlichen Färbungen, u.U. Verzerrungen durch die Forschenden, die diese oft unbewußt in die Beschreibung einfließen lassen.

Mein Vorhaben, hier die subjektive Sichtweise von Rezipienten von Beratung zu erheben, bedarf daher einiger klärender Gedanken, da es sich des Konstrukts der „Sicht des Subjekts“ bedient.

Das, was der Forscher meint, von seinem Gegenüber wahrzunehmen (zu hören etc.), wird in sei-nem eigenen Bedeutungs- und Begriffsrahmen rezipiert und zugleich entsprechend interpretiert.

Der Ethnologe Geertz (1983; 14) hat im Rahmen seiner deutenden Theorie von Kultur6 bereits darauf hingewiesen, dass „das, was wir als unsere Daten bezeichnen, in Wirklichkeit unsere

6wobei die Vorgehensweise zur Erforschung von Kultur hier analog der Erforschung der subjektiven Sichtweise

Auslegungen davon sind, wie andere Menschen ihr eigenes Tun und das ihrer Mitmenschen auslegen“.

Das heißt, die Forscherin macht sich eine Vorstellung, ein Bild, davon, was die subjektive Sicht des Beforschten sei, was also die Aussagen in einem Interview bedeuten und vom Sinn her zusammenhält. Sie sucht nach dahinterliegenden Strukturen (auch auf der Grundlage ihres theoretischen Vorwissens), nach Sinn (vgl. Krause Jacob 1996; 56). Dies generiert eine Gesamtgestalt, ein „Ganzes“, das jedoch nicht notwendigerweise tatsächlich so existiert, sondern von der Interpretin erst als solches rekonstruiert wird. Diese Rekonstruktion will nicht die Frage beantworten, ob die „Sicht des anderen“ damit detailgetreu, also „richtig“ nachgebildet wird, son-dern ob mittels dieser Rekonstruktion der andere besser bzw. adäquat verstanden wird und ob mit dieser Rekonstruktion ein zusammenhängendes, sinnvolles Ganzes als „Modell seiner subjektiven Sicht“ gewonnen werden kann. Mit Geertz (a.a.O.; 16) gesprochen: „Es ist nach ihrer Bedeutung zu fragen: Was wird mit ihnen und durch sie gesagt (...) ?“

Es geht darum, „uns in sie (die Menschen, erg. v. I.D. ) zu finden“ (a.a.O.; 20). Nicht mehr und nicht weniger, möchte man hinzufügen.

Als Mittel dazu bedarf es der „dichten Beschreibung“7unter den vorgenannten Prämissen.

Ein parallel laufender Prozess der intersubjektiven Validierung (z.B. in einem Team) hilft, wie bereits oben angesprochen, dem Einfluss eigener oder fremder Strukturen, die das Gesamtbild ver-zerren würden, entgegenzuwirken.

Allerdings kann auch durch einen Erfahrungszuwachs im Forschungsprozess eine Veränderung der eigenen Sichtweise einsetzen, die den Horizont öffnet für ein besseres Verständnis der jeweils subjektiven Sicht meiner Gegenüber.

Dieser Prozess wird offen gelegt und kann in der Darstellung des Forschungsprozesses der einzel-nen Fälle nachvollzogen werden.

Ein weiterer Punkt sollte m. E. bedacht werden, wenn die subjektive Sichtweise angesprochen wird, gleichzeitig aber Begriffsverwirrung vermieden werden soll:

Im Zusammenhang mit der Betrachtung der subjektiven Rezeptionsweisen von Beratung fällt ins Auge, dass in der Praxis und der Theorie der Begriff der Beratung häufig synonym mit (psycho-logischer oder Psycho-) „Therapie“ verwendet wird, vor allem, wenn es nicht um reine Informa-tionsvermittlung oder um eher materiell oder rechtlich orientierte Sachverhalte in der Beratung geht. Allgemein findet eine Entgrenzung der Begriffe und häufig ein inflationärer Gebrauch statt

7im Gegensatz zu einer „dünnen“, „thin description“, was soviel bedeutet wie „oberflächlich“, ist hier eine detaillierte Beschreibung gemeint, die mehrere Ebenen des Gesagten exploriert.

(so auch z.B. Gildemeister / Robert 2001; S.1901), obwohl man sich, auf der anderen Seite, in der praxisanleitenden Literatur bemüht, beide Begriffe voneinander abzugrenzen, wenn auch in teilweise nicht ganz schlüssigen Versuchen.

Dieser Unterscheidungs-Debatte „Beratung versus Therapie“, die resultiert aus der zumeist an psychotherapeutischen Schulen orientierten Ausrichtung von Beratung in ihrer Reibung mit sozialpädagogischen oder sozialarbeiterischen Konzepten, werde ich mich nur insofern widmen, wie sie bei meiner Fragestellung für die Wahrnehmung der „Nutzer“, der Klientinnen beiträgt. In Frage stehen z.B. bei beiden Begriffen die evtl. unterschiedlichen Grade der damit eingestandenen Hilfebedürftigkeit oder die antizipierte bzw. zugeschriebene Qualität der Problemlösungs- Kom-petenzen. Dieser Sachverhalt benötigt jedoch nicht zwingend eine abschließende Definition von Beratung, wie sie sich abgrenzt zu einer Definition von Therapie. (In der scientific community herrscht darüber ohnehin kaum ein Konsens.) Als Grobunterschiede, und ohne Anspruch auf ab-schließende Vollständigkeit, seien zur Orientierung folgende Punkte genannt: Das strengere Set-ting, das regelmäßige Termingespräche und vorausgesetzte starke Motivation einschließt, die Aus-richtung auf Heilung intrapsychischer Zustände (somit eine kurative Zielsetzung) oder deren Be-wältigung in längerfristigem Rahmen unter Konzentration auf die Therapeutenpersönlichkeit als

„Resonanzboden“ (a.a.O., S.1907) für eine dem Patienten noch verschlossene Sinnhaftigkeit seiner Wahrnehmungen seien auf psychotherapeutischer Seite genannt. Dagegen stehen die eher bedarfsorientierten Gespräche auch an unkonventionellen Orten und die Konzentration auf Unterstützungshandeln und Integration bei nicht vorrangig psychischen sondern lebensweltlich-offenen, sozialen, auch materiellen Problemstellungen in zeitlich überschaubarem Rahmen für die Beratung. (a. a. O., vgl. auch Sander 1996)

Die genannte kurative Zielsetzung von Therapie involviert u.U. Ansprüche an die Krankenversicherer, während bei Beratung dies ausgeschlossen bleibt, jedoch für Nutzer nicht immer sogleich nachvollziehbar ist.

2 Theoretische Basis dieser Arbeit: Beratung im Horizont der Lebenswelt-orientierung und des Prozessaspektes

Um beschreiben zu können, w i e Beratung bei den Adressaten ankommt, muss ich zunächst klären, in welchem Rahmen meine Beobachtungen aus der Empirie betrachtet werden sollen, also meine theoretische Basis festlegen. Dazu schicke ich die Formen und Arrangements von Beratung im sozialen Feld voraus und bestimme so, was Beratung i s t, was sie w i l l, und wie sie idealerweise ankommen s o l l t e, soll sie positive Auswirkungen haben.

Das Konzept einer lebensweltorientierten Beratung, wie es von H. Thiersch et al. entwickelt und schließlich von F. Nestmann u.a. aufgegriffen wurde, gibt Richtlinien und Strukturen vor, wie Beratung klientengerecht und alltagsnah angeboten werden kann. Dieses Konzept benutze ich als Suchschema, als sensitizing concept (vgl. Kelle/Kluge 1999, 25ff), für meine Untersuchung. Es erscheint für mein Vorhaben auch deshalb als besonders geeignet, weil es immer wieder auf den

„Ist-Zustand“ der AdressatInnen in ihrer Lebenswelt abhebt, und nicht nur den „Soll-Zustand“, das Ziel methodischen Könnens seitens der Fachkraft hervorhebt.8

(Dazu in Kapitel 4 zur Methodik mehr)

Die Lebensweltorientierung wird sodann verschränkt mit Teilen von L. Böhnisch`s Konzept der biografischen Lebensbewältigung (1999 (2.)), die entlang des Lebenslaufs des Menschen nach sinnvoller Unterstützung des Bewältigungshandelns gerade in krisenhaften Zeiten des Lebens fragt. Ein Aufriss von Strukturen im Beratungsprozess ergänzt die theoretische Grundlage.