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Der Gedanke an Forschung zur Rezeption von Beratung3 evoziert unweigerlich Erkenntnisse der Therapieforschung, wie sie im englischsprachigen Raum von Jerome D. Frank (1988) in den Achtziger Jahren dargelegt wurden, gefolgt von einer Vielzahl von Veröffentlichungen über psychotherapeutische Wirkungsforschung. Im deutschsprachigen Raum hat Grawe (1998) durch seine Untersuchungen maßgeblich ein Bild der Wirkfaktoren von Psychotherapie geprägt, das zumindest in groben Zügen zum Wissensbestand jedes Profis im Feld der Psychologie und der Sozialen Arbeit gehört und sich auch hier aufdrängt, weil es Aufschluss zu geben scheint auch über die Wahrnehmung von Beratungsprozessen aus Klientensicht. Dies mag auf die Klientensicht zutreffen, dennoch beschränkt sich dieser Zweig von Forschung auf das psychotherapeutische Setting mit einer kurativen Zielsetzung, von dem sich das Setting der unterschiedlichen Beratungsformen meiner Zielgruppe u. U. stark unterscheidet. Wir haben es also mit zwei verschiedenen, doch manchmal auch überschneidenden Sphären zu tun. Außerdem gibt Grawes Arbeit keinen Einblick in Details der Beratungsverläufe und –geschichten über Jahre hinweg.

Wirkfaktoren, also Aspekte, denen Klienten von Psychotherapie hohe Bedeutungsrelevanz zumessen, will ich nur nochmals kurz streifen. Es sind dies für eine gelingende Beratungs-beziehung die Therapeutin oder der Therapeut, die professionell und kompetent wirken müssen auf den Klienten, die vertrauens- und glaubwürdig sein müssen und dem Klient das Gefühl vermitteln, geschätzt und respektiert, und schließlich mit seinen Problemen verstanden zu werden (a.a.O; 136).

Es ist sinnvoll, sich trotz des Mangels an Forschung zu Beratungsverläufen mit der Forschung zu Beratung in einem auch psychotherapeutischen Horizont zu befassen, weil dies Erkenntnisse gewähren kann über die bereits erwähnten „überschneidenden Bereiche“. Ich beschränke mich hier allerdings auf eher exemplarische Studien, um den Rahmen nicht zu sprengen.

Zur Hilfebeziehung arbeitete beispielsweise U. Bittner (1981) anhand teilnehmender Beobachtung bei Erstinterviews; Märtens (1991) untersuchte aus systemischer Sicht die Krankheitskonzepte von Klienten, deren Stellenwert und deren Veränderung in therapeutischer Behandlung.

Subjektive Sichtweisen sind damit jedoch nicht ausgewiesenermassen erforscht worden.

Bezüglich „Vertrauen“ in der Beratung und Therapie in einem sozialpsychiatrischen Kontext untersuchte Flick (1988) als Soziologe subjektive Theorien von Klienten und Professionellen, und

3Dieser Aufriß versteht sich als exemplarische Sichtung gegebenen Forschungsmaterials, nicht jedoch als theoretische Grundlegung meiner Studie.

wie diese die Vertrauensbildung beeinflussen. Seine Arbeit widmet sich jedoch ausführlich der Forschungsmethodik, und seine Ergebnisse weisen sog. idealtypische Verläufe der Vertrauens-entwicklung nach. Beispiele für die Voraussetzung für Vertrauen in der Beratungssituation fasst er als „Ansatzpunkte für eine gegenstandsbegründete Theorie des Vertrauens“ (a.a.O.; S.479), zu der beispielsweise das freiwillige Aufsuchen von Beratung gehören, und, wenn dieses nicht gegeben ist, weil Klienten „geschickt“ werden, die Explizierung des Kontextes und des Vorwissens durch den Berater, notfalls eine Aushandlung darüber. Weiter wird wichtig, dass die Fachkraft einen Rahmen, einen sog. „umgrenzten Freiraum“, schafft in Beginn und Schluss, und dass sie Kompe-tenz vermitteln kann. Außerdem benötigt ein Klient die Erfahrung, als Subjekt gesehen zu werden, um Vertrauen zu entwickeln.

Krause Jacob (1992) hat in einer Studie die Veränderungsprozesse untersucht, die aus der Sicht der KlientInnen durch Psychotherapie und Ehe- Familien- und Lebensberatung erwachsen sind.

Gleichzeitig wurden diese, quasi als Korrektiv, kontrastiert mit der Einschätzung der jeweiligen Fachkraft. Auch hier gibt es also keine subjektive Adressatensichtweise, die einfach stehen gelassen wird, vielmehr wird sie sogleich der Sicht der Fachkraft gegenüber gestellt und so annähernd „korrigiert“.

Untersuchungen zum Zugang zur professionellen Hilfe stellt Lenz (1989) im ländlichen Raum an und erforscht den Stellenwert von informeller Hilfe durch soziale Stützsysteme bei Familien- und Erziehungsproblemen und zeichnet den Weg zu professioneller, institutionalisierter Hilfe nach.

Auch Guski (1988) beforscht in einer teilqualitativen Arbeit den Prozess, der Menschen in psychosozialen Krisensituationen schließlich zur professionellen Beratung bringt.

Straus/Höfer/Gmür (1988) widmeten sich in einer Untersuchung der Frage, welche Charakte-ristiken Familienberatung aufweisen muss, soll sie als hilfreich erlebt werden. Halbstandardisierte Interviews fragen nach der subjektiven Wahrnehmung vom Verhalten der Fachkräfte, nach den Auswirkungen der Beratung und evtl. Veränderungen.

Sie stellen beispielsweise fest, dass bei relativ hoher Zufriedenheit der Klienten die tatsächlich durch Beratung ausgelösten Veränderungen stark „nachhinken“, dass also die Erfahrung, wertge-schätzt und gehört zu werden u.U. schon genügt, um innere Einstellungen positiv zu formen, ohne dass umwälzende persönliche Konsequenzen daraus folgen müssen. Anders betrachtet, könnte dies aber auch in der Form interpretiert werden, dass die Zufriedenheit mit der Beratung und der Fachkraft noch lange nicht eine Zufriedenheit mit der eigenen Situation nach der Beratung hervorbringt, hier also Ebenen unterschieden werden müssen, oder dass Klienten nach Beratungs-ende die Fachkraft nicht durch schlechte Beurteilung kränken möchten.

Buchholz, W. et al., (1988) arbeiten über Bedeutungen sozialer Netzwerkbeziehungen und über Hilfesuchverhalten von Angehörigen der sog. Unterschicht, neben Nestmann (1988), der die Relevanz der Unterstützung durch alltägliche Instanzen, bei denen sich Menschen aussprechen, also informelle Beratung wahrnehmen, wie z.B. Friseurin, Taxifahrer oder Barkeeper, exploriert.

Beide können die Bedeutung informeller Beratungsinstanzen nur unterstreichen.

Oftmals werden unter „Beratungsforschung“ die prominenten Arbeiten von Vennen (1992) und Klann/Hahlweg (1994, 1995) aufgeführt, obwohl diese sich deutlich im Bereich der Psycho-therapie bewegen und dennoch Beratung und Therapie häufig synonym benutzen.4 Vennen befasst sich in seiner quantitativ angelegten Arbeit stark mit psychotherapeutischen Modellen von Paarberatung, arbeitet hierbei katamnestisch und erhebt subjektive Einschätzungen der KlientInnen zum Erfolg von Ehetherapie, ganz in der Tradition der Psychotherapieforschung.

Dabei werden zwar im Setting der Paarberatung der Beratungsprozess und dessen Auswirkungen beleuchtet, aber die lebensweltliche Eingebundenheit mit ihren Schwierigkeiten und Chancen kommt zugunsten der Betonung der Ehezufriedenheit (auf meine Forschungsfragen hier bezogen) zu kurz. Seine Ergebnisse belegen, dass anhand der Erfolgskriterien der Verbesserung der Beziehung, klarerer Kommunikation, ausgewogener Machtverteilung und Lösung bestehender Eheprobleme ca. 50-60 % der Probanden langfristige Verbesserung erlebten. Klann/Hahlweg (1994) erbringen ebenso mit methodischen Instrumenten aus der empirischen (quantitativen) Psychotherapieforschung den Nachweis, dass Beratung in signifikanter Weise Wirkung zeigt und dass spezifische Zusammenhänge unter dem Vorzeichen einer vorher definierten Gesundheit-Krankheit- Unterscheidung bestehen. Ein Beispiel dafür ist das Einhergehen einer Abnahme der Partnerschaftsproblematik mit einer Reduzierung der depressiven Symptomatik. Anders als bei Vennen zeigt sich jedoch beispielsweise kein deutlicher Zusammenhang zwischen positiv eingeschätzten Beratervariablen (z.B. hohe Empathie) mit einem höheren Beratungserfolg bei den Klienten (a.a.O., 143f). Als besonders relevant konnte das Ergebnis eingeschätzt werden (auch entgegen dem Befund von Vennen), dass sich Kurzzeit-Verfahren5als nahezu gleich wirksam wie Langzeitbehandlung erwiesen. Dies mag auch ein Licht auf die Beforschung von psychosozialer Beratung werfen, die häufig kurzzeitlich angelegt ist oder mit längeren Unterbrechungen und Unregelmäßigkeiten umzugehen hat.

Dennoch wird deutlich, dass eine subjektorientierte, in die Tiefe gehende, langfristig prozess-orientierte Forschung, die mit der Lebenswelt und dem häufig von materiellen, sozialrechtlichen, lebenspraktischen oder pädagogischen Problemen gekennzeichneten Alltag der Adressaten und der Fachkraft sensibel umgeht und diese einbezieht, noch fehlt.

4vgl. Kap.1.3 i.d.B.; Versuch der Unterscheidung.

H. von Schubert et al. (1998) berichten in einer neueren Arbeit zur „Psychotherapeutischen Beratung im kirchlichen Auftrag“ nicht vorrangig über die Klienten, sondern über Beratungs-teams, beforschen also Fachkräfte, und deren interne Prozesse, Krisen und Konflikte und wie sich diese auswirken auf den Beratungsprozess. Schrödter (2004, S.822) fordert in diesem Zusammenhang in Antwort auf von Schubert, „Beratung konsequent als sozialen Prozess zu erforschen“, da sie genau diesen selbst auch darstellt. Dies bedeutet für ihn, qualitativ und einzelfallbezogen das kommunikative Geschehen in seiner ganzen Komplexität zu sehen und in der Tiefe zu arbeiten, nicht nur in der Breite. I.a.W.: Dies verweist darauf, dass Ergebnisqualität von Beratung wohl kaum ohne die Beleuchtung der helfenden Beziehung exploriert werden kann.

Beziehungen zwischen Ratsuchenden und professionellen HelferInnen werden z.B. auch von Fuhr als kaum erforscht verstanden und bedürften dringend des qualitativen Vorgehens (Fuhr 2003;

36). Diesen sozialen Prozess werde ich, obwohl die genannten Autoren nicht subjektive Klientensichtweisen erhoben haben, sicherlich trotzdem im Blick behalten müssen.

Eine weitere Studie, die jedoch eher als Evaluation und Rechtfertigung der Arbeit dienen soll, ist – als ein Beispiel - eine mit ca. 800 Probanden als quantitativ einzustufende Nachbefragung an Psychologischen Beratungsstellen der Diözese Rottenburg-Stuttgart und von fünf Evangelischen Kirchenbezirken (Fachstelle für psychologische Beratung, 2000). Sie gibt einen groben Überblick über das Erleben von Beratungsprozessen, wenn auch nur in standardisierten Antworten und wenigen prägnanten Sätzen der Betroffenen zu einigen offenen Fragen. Lebenskontexte, Deu-tungsmuster, soziale Netze etc. können hierbei in ihrer Langfristigkeit kaum erfasst werden, wohl aber zusammenfassend Prozentzahlen von Zufriedenheit, von erfolgter Veränderung, von der Strukturqualität der Beratungsstellen (diese betrifft bspw. die Erreichbarkeit etc.). Als Ergebnis kann, ähnlich wie bei Straus/Höfer/Gmür, festgehalten werden, dass eine relativ hohe Zufrie-denheit (Annähernd die Hälfte der Befragten waren sehr zufrieden) anzutreffen war, bei geringer erscheinenden, tatsächlich durch die Beratung angestoßenen und konkretisierten Veränderungen, die zu besserem Zurechtkommen mit der jeweiligen Lebenssituation führten (Ein starkes Drittel kommt nun viel besser zurecht). Zur Sichtweise der AdressatInnen wurde die Einschätzung der Fachkräfte in bestimmten Fällen kontrastiert. Es zeigte sich, dass Ratsuchende mit Beratung zufriedener waren und sie als hilfreicher einschätzten als die Fachkräfte; dass jedoch Ratsuchende sich als belasteter erleben, als sie von den BeraterInnen eingeschätzt wurden. Diese Aufzählung kann nur fragmentarisch wiedergeben, was in einer komplexen Untersuchung von der Sichtweise der Klienten erhoben wurde. Wiederum jedoch ist sichtbar, dass die qualitative Seite dieser Aus-sagen zu kurz kommen muss. Was bedeutet beispielsweise „viel besser zurechtkommen“ konkret?

Außerdem ist die Untersuchung, wie die vielen anderen genannten auch, bezogen auf das klar strukturierte Setting einer psychologischen Beratungsstelle, das nur sehr eingeschränkt verglichen werden kann mit der Vielfalt möglicher Beratungserfahrungen von den vielen Klienten, die mehrere Beratungsinstanzen aufgesucht haben. Außerdem sind die soziokulturellen Hintergründe und Lebenswelten der Ratsuchenden hier eher in der Mittelschicht anzusiedeln und lassen die in dieser Hinsicht benachteiligten Gruppen nahezu aus, die gerade häufig das Klientel vieler ver-schiedener Beratungsinstitutionen gleichzeitig stellen.

Obert (2001) geht eher auf diese Randgruppen ein, indem er u.a. das Erleben des Beratungs-prozesses einer als chronisch psychisch krank charakterisierten Frau exploriert und damit quanti-tative Erhebungen untermauert, die den hohen Stellenwert einer alltags- und lebensweltorien-tierten sozialpsychiatrischen Versorgung für diesen Personenkreis hervorheben.

Insgesamt lässt sich also konstatieren, dass es an in die Tiefe gehenden (d.h. konsequenterweise qualitativen) Untersuchungen zur Rezeption von Beratung aus Adressatensicht noch mangelt.

Gerade die Prozesshaftigkeit von Beratung, ihr Verlauf über Jahre hinweg und die daraus sich erschließenden subjektiven Beratungsgeschichten sind noch nicht im Detail untersucht worden.

Dies aber macht einen Fokus dieser Arbeit aus.

Erwähnenswert im Zusammenhang mit der Expansion der Beratung und ihrer Beforschung ist, dass sich als Lehr- und Lernhilfe für (auch soziale) Beratung ein umfangreicher Apparat von psychologisch und psychotherapeutisch ausgerichteter Methodenliteratur in jeder einschlägigen Bibliothek findet. Doch diese Literatur geht von der Perspektive der Fachkräfte aus und misst der methodischen Ausrichtung hohe Relevanz bei. Dass sich Beratungserfolg allermeist nicht auf ein bestimmtes Methodenrepertoire zurückführen lässt, ist bereits seit längerem nachgewiesen (Vgl.u.a. Klann/Hahlweg 1994; 140; Grawe 1998). Dass auch KlientInnen u.U. keinerlei Wert legen auf bspw. psychotherapeutische Ausgefeiltheit und Methodenkompetenz, steht zum psycho-therapielastigen Lehrbuchapparat im Widerspruch und fordert dazu heraus zu überprüfen, wie Beratung, egal welcher methodischen couleur, nun “ankommt“ bei den Nutzern und wie sie sich auswirkt auf deren Lebensgestaltung und auf die Bewältigung täglichen Lebens.

Affirmativ dazu ist die Feststellung von Grunwald / Thiersch (2001; 1146): „Soziale Arbeit insistiert auf der Bedeutung der Erfahrungs- und Deutungsmuster der AdressatInnen. Einstweilen aber fehlen Forschungen zur Sicht der AdressatInnen auf die Soziale Arbeit, zu deren Erfahrungen mit der Sozialen Arbeit, zur Lebensweltorientierten Sozialen Arbeit von unten, wie sie sich z.B.

im Kontext der Biographieforschung ergeben. Auch in der inzwischen durchaus elaborierten Kultur der Falldarstellungen fehlen die authentischen Stimmen der Betroffenen.“

Auch Sickendieck u.a. (1999 (1.), 57) betonen, dass „Lebenswelten im Sinne „dichter Beschrei-bung“ (Geertz 1987) verständlich“ gemacht werden müssen, um Handlungsperspektiven in der Beratung zu fördern.

Meine Arbeit bemüht sich also um eine der „Leerstellen“ der einschlägigen Forschung, und nimmt in der Erhebung der subjektiven Wahrnehmung Betroffener über langfristige Beratungsverläufe das Anliegen auf, einen Beitrag zu leisten zur Evaluation dieser oftmals aufwändigen Hilfen, zur Effektivitätsforschung, schließlich zur notwendigen Theoriebildung und zur Zukunft der Profession.

Damit ist der Horizont dieser Arbeit als Adressatenforschung umrissen, in dem zusätzlich auch die Kategorie Geschlecht ihren festen Platz fordert.