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8.3 Theoriegeleitete Interpretation und zusammenfassende Einschätzung

8.3.5 Organisation der Beratung

Auffallend an Frau Möhrs Bericht ist die Vielfalt der aufgesuchten Beratungsarten bzw. -stellen.

Es können sechs verschiedene Beratungsarten identifiziert und rekonstruiert werden. Sie sind alle chronologisch aufeinander folgend aufgesucht worden; es bestand also nie eine so genannte Doppel- oder Mehrfachbetreuung, die eine ihr eigene Problematik provozieren könnte. (Diese kann sich bspw. zeigen am gewollten oder unbewussten „Ausspielen“ der Beratungsfachkräfte gegeneinander durch Frau Möhr, oder am mehrfachen Erlangen von materiellen Hilfen, die an sich

„einmalig“, d.h. singulär nur gewährt werden sollten oder können). Aber auch eine Verstrickung innerhalb eines nicht koordinierten Helfernetzes scheidet so aus. Es scheint, Frau Möhr ging es nie darum, aus möglichst vielen Stellen möglichst hohen Nutzen zu ziehen, sondern eine Stelle zu finden, die sie begleiten, beraten und sie mit der ihr nötig erscheinenden Hilfen unterstützen konnte

Ihr Wunsch ist, dass die Beratungsstelle eine Anlaufstelle für alle unsortierten Anliegen, Fragen und Problemlagen ist, und dass sie nicht an verschiedene, speziell zuständige Beratungsinstanzen zur Erledigung weiter verwiesen wird. Sie möchte, dass die Beratung zentral in einer Hand bleibt. Sie wünscht sich ein „Basislager“, an dem sie als Mensch voll angenommen ist und alle Fragen zunächst grundsätzlich gestellt werden dürfen. „...ich möchte eine Beratungsstelle, die alles macht für mich und nicht zu verschiedenen Beratungsstellen rennen, soviel Zeit habe ich nicht, deshalb will ich ja eine Anlaufstelle, wo ich weiß, hier kann ich hin und hier kann ich mich

drauf verlassen, dass die mir helfen und Informationen zukommen lassen und halt sich selber informieren, wenn sie das und das nicht wissen, weil alles kann –klar- einer auch nicht wissen. „ (197ff).

Dass sie, mit Informationen versehen und bei den entsprechend zuständigen anderen Stellen von ihrer Beraterin telefonisch weg-ebnend angekündigt, dann noch Dinge selbst erledigen muss, konzediert sie.

Der Wunsch nach umfassender Beratung aus einer Hand steht aber in auffälligem Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Verhalten: Frau Möhr selbst ist es, die im Großen und Ganzen dafür sorgt, dass eine ganze Anzahl von Beratungsstellen abgeklappert und bei Missfallen wieder aufgegeben wird. Dieses „Shopping“ hat sie durch eine weite Beratungslandschaft geführt. Es musste zwangs-läufig zu Enttäuschungen kommen, weil BeraterInnen ihren Wünschen auch Grenzen setzten.

Diesen will sie entgehen, indem sie von vornherein zu erfahren sucht, was sie erwarten kann von einer Beratungsstelle.

Der Wunsch nach Klarheit des Angebots ist daher ein weiterer Akzent bezüglich der Organisation von Beratung:

„Komisch war, dass jetzt manche Beratungsstellen auch gar nicht sagen, was jetzt, was man von denen verlangen kann überhaupt, weil das interessiert mich ja auch, wenn ich irgendwo hingehe, was bieten die überhaupt an? Vielleicht bin ich ja doch falsch irgendwie und rede andauernd an denen vorbei, und das bringt doch nichts, das ist Zeitverschwendung und kostet mich ja auch einen Haufen, dass ich dann wieder gehe und mein Problem mitnehme, anstatt dass ich das jetzt gelöst habe.“ (204ff)

Dieser Wunsch nach Klarheit, die oft vermisst wird, erinnert ein wenig an die Konsumwelt von Supermärkten, in denen man sich bei Bedarf bedienen kann, andererseits aber die Zeit sparen will, wenn man weiß, dass es das Gewünschte dort nicht gibt, und stattdessen an anderer Stelle danach sucht. Frau Möhr`s Haltung offenbart sich hier teilweise als Konsumhaltung in der Beratung.

Sie reflektiert auf der anderen Seite aber auch die fehlende Flexibilität in der Auffassung von Zuständigkeit und Klientennähe bei Fachkräften. Mit Frau Möhrs Aussage darf außerdem ver-mutet werden, dass Fachkräfte sich auch gerne als nicht zuständig erklären und weiterverweisen, wenn die Erwartungen der Klientin offenbar werden. Umsonst gegangene Wege will sich Frau Möhr ersparen, aber auch auf eine Enttäuschung aufgrund unangemessener Erwartungen kann sie verzichten. Sie will geradewegs zum Ziel, nämlich einer Problemlösung, kommen, und nicht über beschwerliche Umwege. Dafür bleibt keine Zeit.

Außerdem verführt das Verweisungswissen der Profis häufig auch zur schnellen Verweisungs-praxis, die der vom Klienten gewünschten Wahrung der Komplexität der Anliegen in einer Hand widerspricht.

Das Aufsuchen der Beratungsstellen war verbunden mit der Notwendigkeit, eine kindgerechte Termingestaltung für ihre Beratungen zu bewerkstelligen. Frau Möhr kontrastiert hierbei die ihr unmöglichen Termine des Sozialamtes (nämlich um acht Uhr in der Frühe) zu Zeiten, in denen sie weder alle Kinder zur Schule geschickt hat, noch zu denen sie ihren verbilligten Pass fürs öffent-liche Verkehrsnetz benutzen kann, mit den auf ihre Bedürfnisse und Möglichkeiten zuge-schnittenen Terminen, die sie von den „guten“ Beratungsstellen erhält. Sie diagnostiziert im Falle der dritten Beratungsstelle außerdem, dass sich mangelndes Interesse am Klienten u.a. daran zeigt, dass bei Krankheit der Beraterin der Termin nie abgesagt wurde und sie so vergeblich Organi-sation und Wege auf sich genommen hat. Sie interpretiert so, „dass denen nichts an mir liegt, sonst würden die sich ja melden“(99 f).Das merkt sie als großen Mangel an.

Damit deutet sie auch auf ein komplexes Zeitmanagement hin, wie es zu ihrem Alltag gehört, wie es von ihr als „Nur-Hausfrau und Mutter“ von denjenigen Beratungsstellen aber nicht geahnt oder akzeptiert wird, die ihr ohnehin kein großes Interesse entgegen bringen, und die Frau Möhr unter der Rubrik der schlechteren Beratung einstuft.

Kosten fielen keine an, diese hätten Frau Möhr abgeschreckt. Beratung wäre ihr unmöglich gewe-sen, da sie selbst ja der finanziellen Unterstützung bedurfte.

Eine Beendung der Beratung leitete sie meist selbst wegen Unzufriedenheit im Umgang mit ihr ein. Die Dauer bestimmt sie also stets selbst, doch nimmt sie für sich an, dass sie Beratung eigentlich immer brauchen wird. In diesem Zusammenhang kann sie weniger über Prozessabläufe berichten, als vielmehr von ihr entschiedenen Abbrüchen oder im Gegensatz dazu, Dauerbetreu-ungswünschen. Erst in der aktuell erlebten Beratung scheint es auch eine Form der Reflexion zu geben, die u.U. Grenzen der Beratung aufzeigt, ihre eigenen Möglichkeiten herausfordert und sie gleichzeitig verbindlich stärkt und akzeptiert. Hierbei kommt der Beachtung von Prozessschritten wie z.B. pädagogischen Interventionen des Anleitens und Evaluierens (nach gewissen Einschätzungs- und Planungsphasen) der Wert zu, nicht nur strukturgebend zu wirken, sondern inhaltlich gleichzeitig fördernd für ihre Alltagsbewältigung zu sein.

Neutralität und Verschwiegenheit waren sehr wichtig, da dies als Schutz vor Stigmatisierung eingeschätzt wurde.

8.3.6 Sensibilität für die Kategorie Geschlecht in der Beratung

Frau Möhr behandelt in einem längeren Abschnitt ihre Sichtweise der Kategorie Geschlecht, ohne explizit mit meiner Forschungsfrage konfrontiert gewesen zu sein:

„Ich könnte mir’s ohne Beratung nicht vorstellen, weil man einfach Hilfe braucht. Und wenn man weiß, da ist jemand, da kann man hin, das ist schon eine Erleichterung und bei mir war es immer eine Frau als Beraterin, also immer. Und das ist auch gut so, weil ich finde, Frauen verstehen besser die Frauen, vor allem, die wissen, wenn man Kinder hat, wie das ist und die wissen auch ganz genau, was man durchmacht und wie Frauen sowieso in der heutigen Zeit abgestempelt werden. Und ich finde eine Frau, die weiß es auch einfach besser, weil sie selber eine Frau ist und auch die Probleme und auch wenn man was durchgemacht hat. Viele haben vielleicht auch ähnliches durchgemacht und können es dann auch besser vergleichen. Da habe ich eigentlich mit Frauen nie schlechte Erfahrungen gemacht. Ich denke mir, mit Männer werde ich so auch nicht über alles reden können, wenn ich sage, ja, ich habe so Probleme mit meinem Kind. Vielleicht ist es für einen Mann selbstverständlich, dass die Frau das packen muss mit der Erziehung, egal wie und eine Frau wird da vielleicht auch anders denken und sagen, ha ne, das verstehe ich schon usw. und macht einem Mut. Bei einem Mann weiß ich nicht. Ich habe noch nie einen Mann gehabt als Berater, aber ich denke mir, wenn ich an das Sozialamt denke, da habe ich oft genug Männer gehabt, die kein Verständnis für mich hatten. Aber wenn ich mit irgendwas kam, wie die was geschrieben haben, und, ja das werden Sie doch wohl machen können und so. Also da habe ich mir gedacht, Gott sei Dank habe ich als Berater keinen solchen Mann erfahren müssen.“ (630 – 653).

Dieser Abschnitt umfasst nahezu alle bereits angesprochenen Dimensionen ihrer Beratungs-erfahrung. So lassen sich die Auswertungskategorien des Zugangs, der Beziehungsentwicklung zwischen Fachkraft und Klientin, die inhaltliche Gestaltung (Handlungsmodi, Ressourcen-erschließung), die Auswirkungen und die Organisation gleichsam „durchdeklinieren“ unter der Kategorie Geschlecht.

Frau Möhrs Vorannahmen sind: Frauen können Frauen besser verstehen, eine höhere Identifikation ist möglich, deshalb ist die Beratung einfühlsamer und kompetenter. Und: Frauen teilen allgemein die Rolle, für die soziale Reproduktion zuständig zu sein in dieser Gesellschaft, deshalb wissen sie automatisch besser, wovon Frau Möhr spricht, wenn sie ihre Alltagssorgen, -probleme und Fragen aus dem Erziehungs- und Familienalltag einbringt. Dass es hier unter Frauen

„Differenzen“ geben kann, d.h. dass Frauen auch andere Rollenvorstellungen in ihrem Leben umzusetzen versuchen, z.B. ohne Kinder zunächst ihre berufliche Entwicklung zu verfolgen, oder

gar sich ihr gesamtes Leben ganz ohne Kinder einzurichten, bleibt außerhalb Frau Möhrs Blick-winkel.

Sie setzt außerdem bei potentiellen männlichen Beratern voraus, dass diese es als selbstver-ständlich ansehen könnten, dass eine Frau allein mit der Erziehung der Kinder, also mit der traditionellen Ausfüllung von Geschlechtsrollen, klarkommen müsse. Eine weibliche Beraterin dagegen könne ihr definitiv Verständnis entgegen bringen und ihr Mut machen.

Damit teilt sie, bewusst oder unbewusst, allgemeine geschlechtsrollenstereotypische Verhaltens-zuschreibungen. In meiner Fragestellung nach dem subjektiven Empfinden in der Beratung aber verweist sie auf die Wichtigkeit der (sozialen) Identifikation zwischen BeraterIn und KlientIn; auf die „Passung“ im Kontakt zwischen hilfesuchendem Menschen und Fachkraft, aus der erst wirk-liche Hilfe resultieren kann. Das ist der Fall, wenn Frau Möhr einen dem ihren ähnwirk-lichen Lebens-und ErfahrungshintergrLebens-und der Fachkraft annehmen kann, ja, sie präjudiziert diesen bereits.

Letzterer allein ist noch nicht geschlechts-spezifisch, auch ein Mann könnte allein erziehend Kinder haben und in einer ähnlichen Lage stecken- es entspricht nur ihrem derzeitigen Lebenshorizont – aber für Frau Möhr wird es zum gender issue, zum geschlechtsrelevanten Thema, weil sie im Frausein als gemeinsamem Lebenshorizont die ihr wichtige und hilfreiche Identifikationmit der Beraterin lokalisiert.

Diese Vorannahmen schließen umgekehrt auch die negative Erwartung ein, dass männliche Berater sie nicht adäquat und verständnisvoll würden beraten können. Diese Erwartungen wurden durch die Erfahrung mit männlichen Sachbearbeitern des Sozialamts geprägt und verdichtet, indem diese durch hier allerdings nur vage benannte Handlungsaufforderungen zeigen, dass sie kaum Verständnis dafür aufbringen oder nachvollziehen können, was Frau Möhr in ihrem Lebenszusammenhang schwer fällt oder unmöglich ist. So ist Frau Möhr froh, dass sie Frauen als Beratungsfachkräfte erlebt hat – obwohl zumindest die Hälfte dieser Beraterinnen sie in ihren Anliegen und deren Bearbeitung nicht zufrieden gestellt hat. Dies lässt darauf schließen, dass sie dann eher den Konflikt mit einer Frau in Kauf nimmt, der durchaus auch durch ein stillschweigendes Wegbleiben gelöst wird, als dass sie sich männlichen Fachkräften in der Beratung aussetzen will.

Gerade Frauen finden bei Freundinnen oder Bekannten, auch im Familienkreis, häufig Anregung und Unterstützung bei der Bearbeitung ihrer Problembereiche wie etwa Kindererziehung, Bezie-hungsfragen und anderen alltagsnahen Anliegen, so dass angenommen werden könnte, dass Frau Möhr sich auch auf dem Wege der informellen Beratung Entlastung verschafft. Dies ist aber offensichtlich nicht so. Diese Art der Beratung bleibt völlig unterbelichtet, wird sogar einmal