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Die feministische Frauenforschung leistete, beginnend in den Siebziger Jahren, einen maßgeblichen Beitrag zur Weiterentwicklung theoretischer Grundlagen für psychosoziale Beratung, indem sie z.B. Familienberatung auf deren Beitrag zur Aufrechterhaltung patriarchaler Familienformen hin untersuchte.15 Dabei wird postuliert, dass eine Ausrichtung an männlicher

14Für einen Überblick vgl. Rendtorff / Moser 1999, (Einführung, Gender-bezogen, für die Erziehungswissenschaft), Klika 2000 (Übersicht über die aktuelle Gender Diskussion), Löw 2001, (Diskussion versch. Differenz-Ansätze), Maurer 2001 (Zu Differenz in der Sozialpädagogik).

Sozialisation, an männlichem Machterhalt in der Familie in der Beratung zur Anpassung der Frauen führt.

Dennoch haben wir heute einen eher spärlichen Bestand an theoretischer Grundlegung der Beratung aus feministischer Sicht bzw. unter der Gender-Perspektive als einer Perspektive, die Frauen und Männer mit einschließt und nicht nur von feministischen Zielen ausgeht. Lediglich vereinzelte Artikel zu bestimmten Bereichen finden sich, so z.B. Suchtberatung als für Männer konzipierte Form der Hilfe, die spezielle Bedürfnisse von alkoholkranken Frauen außer Acht lässt, vgl. Vogt, 1997, oder nach Geschlechtern unterschiedlich ablaufende Rollenzuschreibungs-prozesse in der sozialen Arbeit bei Großmaß 1991. Außerhalb Deutschlands (in Schweden) finden sich in neuerer Zeit beispielsweise Untersuchungen zu geschlechtsdeterminierten Unterschieden in der Behandlung von KlientInnen der sozialen Arbeit (Kullberg 2001).

Es bleibt zu hoffen, dass beispielsweise das Gender Mainstreaming (vgl. EU-Richtlinie 2002) als Maßnahme zur Sensibilisierung für geschlechterbedingte Einschränkungen auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens und Arbeitens europaweit anregt zu mehr Forschung und Publikation auf diesem noch recht wenig bearbeiteten Feld.

Doch beginnen wir am Anfang: Bereits der sog. ersten Frauenbewegung war es ein Anliegen, zur Qualifizierung und Professionalisierung sozialer Arbeit, und damit von Frauen beizutragen, da diese ja hauptsächlich deren Trägerinnen waren. Beratungsarbeit wurde damals ehrenamtlich und bereits institutionalisiert in Berufsberatung, Sexual- und Familienberatung in Anlehnung an die Frauenbewegung geleistet. Sickendieck et al. (1999; 73) nennt drei Bereiche, die maßgeblich die Entwicklung der Sozialpädagogik und der psychosozialen Beratung beeinflussten:

1. Bisher private und tabuisierte Problembereiche des weiblichen Lebenszusammenhangs wurden zu „öffentlichen Angelegenheiten“ erklärt. Dazu zählten männliche Gewalt gegen Frauen, Legali-sierung des Schwangerschaftsabbruchs, sexueller Missbrauch, „typisch weibliche“ Krankheiten wie Depression und Essstörungen, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und Benachteiligung von Frauen im Erwerbsleben. Frauenzentren, Frauen- und Kinderschutzhäuser, Notruftelefone wurden ins Leben gerufen, Mädchentreffs und Frauenbildungswerke eingerichtet. Beratung fand dort selbstredend in großem Ausmaß statt. Verfachlichung, Professionalisierung und Spezialisierung folgten.

2. Während die damals für die Beratung relevanten Wissenschaftsdisziplinen Psychologie und Erziehungswissenschaft die Problemstellungen ihrer KlientInnen eher als individuelle Defizite interpretierte und behandelte, machte die feministische Forschung, die aus der Frauenbewegung hervorging, auf die gesellschaftliche Benachteiligung, auf geschlechtsspezifische Sozialisation und patriarchale Familienmodelle aufmerksam. Sie hinterfragte schließlich klassische implizite

Grundannahmen der Psychologie über geschlechtsspezifische Zuschreibungen von Defiziten besonders bei „der Frau“ und hatte so Anteil am Paradigmenwechsel vom medizinischen zum psychosozialen Modell in den Sozialwissenschaften.

3. Emanzipatorische Konzepte für die Praxis erwachsen aus der kritischen Auseinandersetzung mit bestehender Beratungspraxis und thematisieren z.B. das Machtgefälle in der Beratungs-beziehung, die Auswirkungen von Beratung unter dem Blickwinkel der Anpassung an ein traditio-nelles Rollenverständnis oder die Unwilligkeit der Männer, sich auf Veränderungen einzulassen, stattdessen diesen Part den Frauen zu überlassen.

Für Frauen war die gemeinsame Betroffenheit von potentieller männlicher Gewalt, von Diskrimi-nierung und Unterdrückung zunächst konstitutiv für einen Beratungsansatz, der parteilich und solidarisch, im Machtverhältnis zwischen Beraterin und Klientin egalitär ausgerichtet war und die Beratungsbeziehung auch zum Thema machte. Dies schloss Männer konsequenterweise von der Beraterrolle aus. So konnten Frauen Gleichberechtigung, Mitwirkung und Motivation zur Gestal-tung ihrer eigenen Verhältnisse erfahren, nicht wieder Unterdrückung erleben. Kritisch betrachtet wurde dieser Ansatz jedoch bald von der beginnenden Debatte um Differenz innerhalb der Gruppe von Frauen, die unterschiedliche soziokulturelle Herkunft, Bildung, Ethnizität und Religion zur Sprache brachte. Heute ist eingedenk dieser theoretischen Diskurse eine reflektierte Parteilichkeit (vgl. z.B. Bitzan 2000) als Grundorientierung von Beratung auszumachen.

Feministische Forschung und Perspektiven haben ebenso skandalisiert, dass Zugangsschwellen u.U. für sozial benachteiligte Mädchen und Frauen recht hoch waren, hier also eine Selektion der Klientel stattfand. So haben sie auch zu einer Öffnung und Erweiterung der Beratung beigetragen.

Letztere fand statt im Entstehen von Gruppenangeboten für Frauen mit ähnlichem Hintergrund, z.B. Gewalterfahrungen.

Ob die Tatsache, dass heute ca. 80 Prozent der Klienten in Beratungsstellen, gleich welcher Couleur, weiblich sind, dieser Entwicklung geschuldet ist, bleibt offen. Dass angesichts dieser offensichtlich geschlechtsspezifisch ungleichen Verteilung kaum ein Gender-Diskurs in der Beratungsdiskussion, auch in Veröffentlichungen, geführt wird, erstaunt.

Zu Inhalten der Beratung

Böhnisch / Funk (2002), deren Einschätzung ich hier exemplarisch zugrunde lege, postulieren Besonderheiten in der Beratung mit und für Frauen: Frauen übernähmen häufig die Probleme anderer und die Schuld für entgleiste Verhältnisse, verbäten sich selbst aber offenes Angehen von Konflikten. Sie kompensierten ihre Ohnmacht durch Überfürsorglichkeit und neigten zur

Personalisierung von Problemen, d.h. verließen die Sachebene und gerieten auf emotionales Terrain, das sehr schnell Konfliktbewältigung unmöglich mache. Vor Veränderungen scheuten Frauen häufig zurück, weil sie ihnen Angst vor dem Neuen, Unwägbaren machten. Deshalb hielten Frauen angeblich bspw. eine destruktive Beziehung aufrecht, weil sie Angst hätten, den Kindern durch Elterntrennung zu schaden, sich selbst u.U. aufwändig neu, auch beruflich orientieren zu müssen, und weil sie glaubten, sich nur selbst ändern zu müssen, um auch den Partner zufrieden zu stellen.

In vier Aspekten werden diese Sachverhalte gefasst: Schuldübernahme und Konfliktverbot, Überfürsorglichkeit als Kompensation der Machtlosigkeit, und Personalisierung (a.a.O., S. 239).

Beraterinnen würden ob der Isolation von Frauen mit deren Beziehungswünschen und –bedürftig-keiten leicht in die Rolle der professionellen Freundin gezwängt.

Andererseits erlebten beratungssuchende isolierte, aber starke Frauen mit von der Beraterin differenten Vorstellungen bspw. bezüglich Mutterschaft, beruflichem Engagement, Beziehungen, Sexualität etc. den Zwang zur Angleichung oder wenigstens soziale Kontrolle in der Beratung.

Außerdem muss hier mit eingeflochten werden, dass Beratung als per se assymetrische Beziehung immer auch Machtmissbrauch bedeuten kann. Die professionelle Rolle des Beraters schließt z.B.

Abstinenz, d.h. Verzicht auf sexuellen Kontakt mit der Klientin als Hilfesuchender ein. Dasselbe gilt für Beraterinnen und Klienten und in gleichgeschlechtlichen Konstellationen, kommt jedoch in der Praxis weit seltener vor. Heyne (1995) hat eindrücklich darauf hingewiesen, dass sexuelle Kontakte zwischen Therapeuten und Klientinnen als sexueller Missbrauch gewertet werden sollten. Sie stellt die verheerenden psychosozialen Folgen für die Opfer dar: Verlust des Vertrauens in Menschen und so ein Verlust der Beziehungsfähigkeit. Sie spricht von Manipulation und Machtmissbrauch und entlarvt die vordergründige Ausrede des Verführtwerdens durch die schutzbedürftige Klientin. Diese Vorgaben gilt es kritisch im Auge zu behalten für die Interviews und für die Auswertung des empirischen Materials. Ich ordne sie dem Kapitel Geschlecht und Beratung zu, weil der weitaus größte Teil sich in der gegenseitigen Anziehungskraft der Geschlechter zeigt, was jedoch nicht heißen soll, dass die Kategorie Geschlecht vorrangig belegt oder gar gleichgesetzt wird mit dem sexuell determinierten Begriff Geschlecht als Beziehung zwischen Mann und Frau.

Eine Untersuchung aus Schweden (Kullberg 2001) macht im Zusammenhang mit Geschlecht in der Beratung deutlich, dass weibliche Klienten in der sozialen Beratung weit weniger ausführlich ihre finanzielle Bedürftigkeit begründen müssten als männliche Klienten. Von letzteren wird außerdem wesentlich mehr Eigenverantwortung erwartet als vom weiblichen Pendant. Dies mag

zur Ergänzung der inhaltlichen Komponente bei geschlechtsdeterminierten Unterschieden in der Bearbeitung des Interviewmaterials dienen.