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6.2 Portrait Herr Quast

6.3.5 Die Organisation der Beratung

Zunächst will ich die Zahl der aufgesuchten professionellen Berater rekonstruieren. Es sind im ambulanten Rahmen je zwei weibliche und eine männliche Fachkräfte; im stationären Bereich der Kuren je eine weibliche und zwei männliche Fachkräfte, und im jetzigen halbstationären Setting vorrangig eine Beraterin und ein Berater als Vertretung. Diese Vielfalt impliziert für Herrn Quast jedoch keinesfalls Aufsplitterung oder Desorganisation, vielmehr empfindet er es als auch chronologisch sinnvolle Aufeinanderfolge der Zuständigkeiten und der Erfüllung seiner Bedürf-nisse.

Herr Quast hat immer Beratungsgelegenheiten so wahrgenommen, wie sie sich ihm boten, hat also nie spezielle Wünsche bezüglich der Fachkräfte oder deren Ausrichtung gestellt. Er fand nicht alle passend oder kompetent, dies wurde bereits ausgeführt, aber er stellte in dieser Hinsicht nie direkte Forderungen oder Bedingungen an Kontinuität oder Kompetenz an eine Institution. Den

Ablauf und die Dauer der Beratungen hat er jedoch im Hinblick auf die Zeitknappheit der Fachkräfte und auf inhaltliche Oberflächlichkeit im Nachhinein hinterfragt und kritisiert.

Beendung und Wiederaufnahme von Beratung finden abwechselnd statt. Sie werden nicht kommentiert, sondern als selbstverständlich möglich hingenommen.

Die Vernetzung und Kooperation mit anderen Institutionen oder Menschen findet –wie erwähnt – in seinem Dafürhalten hauptsächlich dann statt, wenn weibliche Beraterinnen mit ihm arbeiten.

Männlichen Fachkräften bescheinigt er eher das „Schnell-fertig-werden-wollen“, und das Ab-schieben verschiedener Aufgaben, die er gerne von den Beratern erledigt gesehen hätte, an ihn.

Dies wird unter der Rubrik „Kategorie Geschlecht“ noch einmal festgehalten.

Um die Kosten von z.T. auch aufwändiger, weil im stationären Rahmen durchgeführten Beratung kümmerten sich in seinem Fall die BeraterInnen. Kostenträger sind die Rentenversicherer, so dass Kosten keine direkten, evtl. aufgrund seiner Arbeitslosigkeit abschreckenden Themen für Herrn Quast waren.

Neutralitätder Beratung scheint ihm nicht vorrangig ein Thema, da sein Anliegen ja von lebens-wichtiger Natur war und ist, und er zuallererst Hilfe und Unterstützung bei der Bewältigung seiner gesundheitlichen Situation suchte, wobei ihm private oder informelle Kontakte nicht geholfen hätten.

6.3.6 Sensibilität für die Kategorie Geschlecht in der Beratung

Diese Auswertungskategorie legt sich beim Fall Herr Quast in besonderem Maße über alle anderen und ist deshalb bereits mehrfach angeklungen. Außergewöhnlich stark treten hier die Relationen zutage, die Herrn Quasts Beratungserfahrungen bezüglich der anderen Kategorien zurück binden an die Kategorie Geschlecht. Ob Zugang, Beziehung oder Inhaltliche Gestaltung und Auswirkungen, alle haben mit dem Geschlecht der Fachkraft zu tun, weil Herr Quasts Erfahrung folgendes reklamiert:

„Das macht mir gar nichts aus, ob das ein Mann ist oder eine Frau ist. Sie müssen bloß auf die Hintergründe, also auf die Hintergründe spezieller eingehen und ich beobachte Folgendes: Da sind die Männer ein bisschen schludriger, da tun die Männer ein bisschen schludern. Da sind die Frauen impulsiver und haken dort gerner nach oder bohren dort gerne ein bisschen mehr nach.

(200ff).

Wie zu sehen war, wuchs die Aufdeckung und Bearbeitung der „Hintergründe“ im Verlauf seiner Erfahrungen an zur wichtigsten Anforderung an Beratung überhaupt.

Er fand sie eingelöst dezidiert bei weiblichen Beraterinnen, die, wie er sagt, besser „nachhaken“, auch ein bisschen mehr „nachbohren“ (240) in Form von Nachfragen und Aufforderungen, die Lebenssituation noch aus anderen Blickwinkeln zu betrachten und zu verbalisieren, und vor allem

„sich da mehr Zeit lassen“ (249). Zusätzlich würden Frauen sich aktiv, z.B. per Telefonanruf, darum kümmern, dass Informationen fließen und Dinge auch für die Klienten erledigt werden.

Dahingegen wurden Männer als Berater als „schludriger“(239) empfunden. Es scheint ihm eher, dass Männer sich nicht für sein Anliegen interessieren, sondern „ziemlich schnell fertig werden wollen“(73).

Dies bemängelt er auch in den ihm bekannten stationären Einrichtungen der Suchttherapie, wo ein bereits erwähnter männlicher Therapeut hinter dem Schreibtisch am PC säße und sage, dass Herr Quast die organisatorischen Dinge „selbst in die Hand nehmen“ (223) müsse, während weibliche Fachkräfte sich bemühen, Kontakte zu knüpfen, Angehörige zusammen zu bringen, nach Adressen für die Nachsorge zu suchen und Verbindungen zu den ambulanten Beratungsstellen oder anderen Diensten auch tatsächlich herzustellen.

Er bestätigt hier die bekannte geschlechtsrollenstereotype Annahme, dass Frauen versierter sind im Bereich der Stiftung und Aufrechterhaltung sozialer Bindungen, die einerseits im Innen-verhältnis zwischen Beraterin und Klient positiv zum Tragen kommen, aber auch bezogen werden können auf die inter-institutionelle Netzwerkbildung für den Klienten. Außerdem scheint er die These aus Kap. 3.3 zu bestätigen, wonach männliche Fachkräfte den männlichen Klienten mehr an Eigenverantwortung und Aktivität abverlangen, was bedeutet, dass auch hier ein gewisser gender bias zum Tragen kommt – zu Ungunsten von Herrn Quast.

Erst im Betreuten Wohnen schätzt Herr Quast einen männlichen Berater positiver ein, weil er mehr Zeit einsetzt und für ihn aktiv tätig wird. Dies mag jedoch auch an der gesamten Struktur der Einrichtung liegen, die mehr Zeit für Einzelgespräche erlaubt, und somit auf ein organisatorisches Problem verweisen, das andernorts gerade von männlichen Beratern weniger befriedigend gelöst wird als von weiblichen.

Im Zusammenhang mit Kontrolle zeigt sich auch, dass Herr Quast die Qualität der Intervention auch an anderen Stellen (hier z.B. im stationären Setting) wieder mit dem Geschlecht der Fachkraft verknüpft sieht, wenn die Beraterin „kein Blatt vor den Mund“ nimmt und „drei oder vier Kontrollen gemacht hat“. Bei den männlichen Beratern in anderen Einrichtungen war davon als Beispiel „null!“ (210-217)zu sehen.

Die durchgreifende, eher autoritäre Art der weiblichen Fachkraft, mit seinem Anliegen und mit ihm als Mensch umzugehen, dazu auch seine Angehörigen herzuholen und einzubeziehen – etwa ganz in systemischer Manier, behagt Herrn Quast offensichtlich, weil es für ihn eine Richtung

anzeigt, Aktion bedeutet, nicht nur die Situation dahinplätschern lässt, wie er es eher bei männ-lichen Beratern erlebt hat. So ist er herausgefordert und muss etwas tun, sich seinem Problem stellen und daran arbeiten – aber erst mit deutlichem Druck spürt er auch die dahinter stehende Unterstützung.

Über das Innenverhältnis zwischen BeraterIn und Klient hinaus scheint sein Lebensgefühl massiv angehoben worden zu sein von seiner Freundin, die für ihn die stärkste Antriebskraft ist, sein Leben in Ordnung zu bringen. Damit sind wir beim „Außenverhältnis“ zu einer anderen Person, die für Herrn Quast immens wichtig ist. Die Beziehung zu einer Frau bedeutet viel: „Das gibt mir den Rückhalt zum abstinent leben“(58). Sie stellt somit die Motivation für Beratung und schließlich Änderung des Verhaltens dar. Das heißt im Umkehrschluss, dass nicht allein die Beratung die Motivation herstellt für seine Ziele, sondern die Beziehung zu dieser Frau. Dies will ich festhalten, weil es über die Beratungsbeziehung, über Beratungsinhalte, kompetenzen und -interventionen etc. hinaus weist auf einen externen Bezugsrahmen, dessen Auswirkungen offen-sichtlich nicht zu unterschätzen sind. Herr Quast lokalisiert ein sehr hohes Maß an für ihn bereit-stehendem Veränderungspotential (Ressourcen) in der Beziehung zu einer Frau.

Dies wirft einen weiteren geschlechtsrelevanten Aspekt im „Außenverhältnis“ zu anderen Inter-aktionspartnern auf, nämlich das bessere Verständnis einer Frau für eine andere Frau, das Herr Quast der weiblichen Fachkraft unterstellt, und aus dem er Gewinn für seine eigene Beratung erwartet: „Die (Beraterin, erg. .v. I.D.) kann sich ja ein bisschen in die Sachlage von der Freundin hineinversetzen, das ist wichtig“(63f).

Den Beratungsprozeß betrachtend, findet sich auch in den ersten Jahren des Alkoholmissbrauchs sog. männliche Bewältigungsmechanismen der Verdrängung oder Verleugnung gegenüber seinen Verwandten und Bekannten, während er sich nach dem Schlüsselerlebnis des Herzstillstandes auf sich selbst und seine Möglichkeiten der Bearbeitung besinnt, also Externalisierungstendenzen entgegen zu wirken scheint.

Zusammenfassung:

Subjektive Relevanz von Beratung für Herrn Quast:

Beratung (wirkt) als Hilfe zu Selbstverständnis und praktischer Lebensbewältigung.

6.4 Korrespondierende Fälle: Herr Roth, Frau Engel, Frau Früh