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4.1 Rechtliche Definitionen und Zuordnungen von Personen

4.1.1 Verwandtschaft, Schwägerschaft und Familie

Die wichtigsten Rechtsvorschriften, die Verwandtschaft nach dem Gesetz begründen und die sich aus ihr ergebenden Rechtsfolgen, sind im deutschen Grundgesetz (GG) und dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) festgelegt. Das Familienrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB)66 definiert exakt, wer mit wem als verwandt gilt und welche Rechte und Pflichten sich mit diesem Status verknüpfen (siehe Kap. 4.2). Unter Ver-wandtschaft wird hier Bluts- oder leibliche VerVer-wandtschaft (Kognation) verstanden.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch § 1589 wird Verwandtschaft wie folgt definiert:

66 Lucke (1998:62) weist darauf hin, dass sich im Bürgerlichen Gesetzbuch zwar ein Ehe-, Familien- und Schei-dungsrecht findet, jedoch kein eigenes Verwandtschaftsrecht.

„Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie, Per-sonen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von der selben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Ver-wandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten.“

Dementsprechend gelten Großeltern, Eltern und Kinder als in gerader Linie verwandt, Geschwister in der Seitenlinie. Eltern und Kinder werden in gerader Linie als Ver-wandte ersten Grades, Großeltern und Enkel als VerVer-wandte zweiten Grades definiert. In der Seitenlinie ist Ego mit seinen Geschwistern im zweiten Grad verwandt, mit Ge-schwisterkindern im dritten Grad. Geschwisterkinder untereinander sind im vierten Verwandtschaftsgrad miteinander verwandt.

Des weiteren regelt ein spezieller Paragraph die „Verwandtschaft durch Adoption“, wo-bei es sich hierwo-bei um Verwandtschaft im Rechtssinn handelt; Durch die Annahme als Kind wird ein Kindschaftsverhältnis durch Rechtsakt „künstlich“ begründet. Die Ge-setzgebung unterscheidet zwischen der Adoption Minderjähriger und Volljähriger. Nach

§ 1754 I 1 BGB besitzt ein minderjähriges adoptiertes Kind die rechtliche Stellung eines ehelichen Kindes der Ehegatten. Zu seiner bisherigen genetischen Verwandtschaft er-lischt das Verwandtschaftsverhältnis mit der Adoption (§ 1755 I 1 BGB). Ein adoptier-ter Volljähriger hingegen wird nur mit den Adoptiveladoptier-tern verwandt, nicht aber mit deren Verwandten (§ 1770 I BGB). Darüber hinaus bleibt in diesem Fall die genetische auch als rechtliche Verwandtschaft erhalten (§ 1770 II BGB).

Von Verwandtschaft unterschieden wird die Schwägerschaft. In § 1590 I BGB heißt es: „Die Verwandten eines Ehegatten sind mit dem anderen Ehegatten verschwägert [...]“. Der Grad richtet sich dabei nach dem Verwandtschaftsgrad, der die Schwäger-schaft vermittelt. Laut Absatz II § 1590 BGB dauert die SchwägerSchwäger-schaft auch nach Auflösung der sie vermittelnden Ehe an. Dies gilt jedoch nur für die schon in der Ehe begründeten Schwägerschaften; Neue Schwägerschaften können nach Auflösung der Ehe nicht mehr begründet werden. Ebenso wie die Verwandtschaft gliedert sich die Schwägerschaft in Verschwägerte in gerader Linie, z.B. Stiefeltern und Stiefkinder, Schwiegereltern und Schwiegerkinder, sowie in Verschwägerte in der Seitenlinie. Als stiefverwandt werden das nicht blutsverwandte Kind des Ehepartners, der nicht bluts-verwandte Ehepartner eines Elternteils und die mit ihm genealogisch verbundenen Per-sonen bezeichnet (vgl. Fenner 1984:51). Die stiefverwandte Verbindung ist demnach gekennzeichnet durch die Heirat zwischen Ego und dem Elternteil eines mit Ego nicht blutsverwandten Kindes. Ehegatten sind im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches we-der verwandt noch verschwägert. Ihr Verhältnis zueinanwe-der ist besonwe-ders geregelt.

Im Gegensatz zum BGB liefert das Strafgesetzbuch (StGB) eine genaue Definition des Begriffes ‚Angehörige‘. Nach § 11 1 I StGB gelten folgende Personen als Angehörige:

„a) Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Verlob-te, Geschwister, Ehegatten der Geschwister, Geschwister der Ehegatten, und zwar auch dann, wenn die Beziehung durch eine nichteheliche Geburt ver-mittelt wird, wenn die Ehe, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht, oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist.

b) Pflegeeltern und Pflegekinder“.

Im übrigen ist der Begriff der Angehörigen in einzelnen Gesetzen verschieden weit ge-fasst (vgl. z.B. §§ 530, 569 a, 1579 Nr. 2, § 11 I Nr. 1 Strafgesetzbuch).

Das Grundgesetz stellt Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1) unter den besonderen Schutz des Staates. Der deutsche Begriff der ‚Familie‘ wird am Ende des 18. Jahrhunderts aus dem lateinischen familia entlehnt. Dieser Begriff hat wiederum einen Bedeutungswandel erlebt – als Bezeichnung von allem, was zum Haus gehört (Personen, Sachen, unfreies Gesinde) bis hin zur Beschreibung einer personenrechtlichen Gemeinschaft (Segalen 1997; Zonabend 1996).67 Historisch wurde ‚Familie‘ nicht als Interaktionssystem ver-standen, sondern mit Haus und Besitz als Sachgegebenheit gleichgesetzt (Lüschen 1989:441f). Bis in das 19. Jahrhundert hinein galten Haus und Hof als Wirtschaftsein-heit in Landwirtschaft, Handwerk und Handel. Die Industrialisierung führte zu einer erhöhten Mobilität, aus ‚Haus und Hof‘ wurde für viele die gemietete Wohnung und arbeitsteilige Wirtschaft ersetzte die vorher übliche Universalproduktion. Die Familie im Sinne der oben beschriebenen Hausgemeinschaft konnte nicht mehr untergebracht werden und wurde wirtschaftlich funktionslos. Übrig blieb die Kern- oder Kleinfamilie (Zwei-Generationen- oder Gattenfamilie).68

Unter den gegenwärtigen deutschen Rechtsbegriff der Familie fallen Eltern und Kinder;

Ehepartner ohne Kinder bilden hingegen keine Familie im Rechtssinn. Andererseits kam es verfassungsrechtlich (Art. 6 GG) auf Ehelichkeit oder Nichtehelichkeit für die Familienbeziehung auch schon früher nicht an (Lüderitz 1999:23), d.h. auch die nicht

67 Auf die Mehrdeutigkeit des Begriffs ‚Familie‘ soll hier nur hingewiesen werden. Auf die Etymologie des Wortes, die unterschiedlichsten Verwendungen und Bedeutungen kann in dieser Arbeit nicht eingegangen werden.

68 Die ältere Familiensoziologie hat aus dieser Entwicklung ein „Kontraktionsgesetz der Familie“ (Durkheim 1921) abgelesen. Jedoch wird in neuerer Zeit eingeräumt, dass jede Gesellschaft ein komplexes Familienbild zeigt (König 1976). Eng verknüpft mit der Entstehung der bürgerlichen Familie war die soziale und rechtliche Ausdifferenzierung von Eltern-Kind-Beziehungen. Die außerhäusliche Produktion wurde zur Domäne des Mannes. Den Frauen wurde die Sorge für Haus, Kinder und Ehemann zugeteilt. Parallel zu einer neuen geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung wurde durch Vorstellungen vom „natürlichen“ Wesen der Frau und ihrer biologischen Fähigkeit zur Mutterschaft ihre soziale Zuständigkeit für die Betreuung und Versorgung der Kinder abgeleitet. Die ‚Natur‘ des Kindes verlangte dementsprechend die Fürsorge der Mutter (Schütze 1991). Zunehmend verband sich mit der Umstrukturierung von Familie auch deren spezifische Gefühlswelt: die Intimisierung und Emotionalisierung von Familienbeziehungen.

Näher werde ich in dieser Arbeit nicht auf historische Veränderungen der Zusammensetzung und Funktionen der Familie eingehen. Mit den Wandlungen, die die Institution der Familie durchmachte, haben sich u.a. Volkskundler und Soziologen beschäftigt (vgl. Fehlmann-von der Mühll 1978; König 1976; Lüschen 1970; Mitterauer 1977; We-ber-Kellermann 1974). Eine Analyse der gesellschaftlichen Bedingungen von Familie und Verwandtschaft im Feuda-lismus und KapitaFeuda-lismus und ihre Determiniertheit durch Wirtschaft und Gesellschaft liefert Rosenbaum (1982).

durch eine Ehe gegründete Gemeinschaft von Eltern und Kindern gilt als Familie.

Großeltern werden nicht zur Familie gerechnet, aber der Gesetzgeber ist nicht gehindert, sie wie Mitglieder der engeren Familie zu behandeln (siehe Kap. 4.2). Dagegen zählen zur Familie die Kinder nur eines Ehegatten, die mit dem Stiefelternteil lediglich ver-schwägert sind, ferner auch Pflegekinder. Im bürgerlichen Recht kommt der Begriff der

‚Familie‘ kaum vor. Statt der Familie verwendet das BGB häufiger den traditionellen Begriff der ‚Hausgemeinschaft‘ (Lüderitz 1999:23f).