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Datenerhebungen im Kontext der Reproduktionsmedizin

Wie schon in Kapitel 3.1 deutlich wurde, bildete den Schwerpunkt meiner empirischen Datenerhebung die Methode der teilnehmenden Beobachtung, die für ethnologische Feldforschungen zentral ist. Um eine Forschung in einer Praxis oder Klinik für Repro-duktionsmedizin durchführen zu können, nahm ich zunächst schriftlichen und telefoni-schen Kontakt auf, um mein Vorhaben zu erklären. Ich bat um Unterstützung, musste allerdings feststellen, dass die Resonanz nur zum Teil positiv war. Einige der von mir angefragten Kliniken antworteten erst gar nicht, andere standen einer ethnologischen Untersuchung mit ihren spezifischen Methoden prinzipiell skeptisch gegenüber. Nur von den Zentren, in denen ich letztendlich meine stationäre Feldforschung durchführte, bekam ich eine positive Rückmeldung. Nach Besuchen vor Ort, in denen ich mir selbst einen ersten Eindruck verschaffen konnte, ob eine Forschung durchführbar wäre, und bei denen ich den Ärzten und medizinischen Mitarbeitern mein Vorhaben ausführlich vorstellte, entschied ich mich, die vier Kliniken für Reproduktionsmedizin (s.u.) in un-terschiedlichen Bundesländern aufzusuchen. Diese Entscheidung war einerseits davon geprägt, möglichen kulturellen Unterschieden innerhalb Deutschlands Rechnung zu

tragen, da sich auch die landesärztlichen Bestimmungen voneinander unterschieden, was einen direkten Einfluss auf den Umgang mit der Reproduktionsmedizin hatte: So war in Bayern die reproduktionsmedizinische Behandlung an einen Trauschein gebun-den, wohingegen es in Hessen und Niedersachsen ohne größere Schwierigkeiten mög-lich war, mit einer Genehmigung der Landesärztekammer auch unverheiratete Paare zu behandeln. Andererseits wollte ich der Frage nachgehen, ob sich an unterschiedlichen Kliniken auch unterschiedliche Einstellungen und Handlungen widerspiegeln, worauf ich im Folgenden näher eingehe.

Zunächst hospitierte ich 1997 einige Tage in der Frauenklinik des Universitäts-Klinikums in Göttingen (Niedersachsen), einer staatlich finanzierten Klinik mit einer

„Abteilung für IVF (In-vitro-Fertilisation)“.60 Das Einzugsgebiet des Klinikums um-fasste in erster Linie Südniedersachsen und Nordhessen sowie die angrenzenden neuen Bundesländer. Die Durchführung der reproduktionsmedizinischen Behandlungen er-folgte ambulant, d.h. die Paare bzw. die Frauen kamen mehrere Male zur Zykluskon-trolle und Ultraschalluntersuchungen in die Routinesprechstunden und konnten am Tag eines medizinischen Eingriffs wie Eizellenpunktion und Embryonentransfer (siehe dazu Kap. 4.3.1.2) bei problemlosem Verlauf die Klinik wieder verlassen. Die medizinischen Maßnahmen zur Behandlung von „ungewollt kinderlosen“ Paare wurden nur im Rah-men der Ehe und ausschließlich mit Körpersubstanzen der Ehepartner durchgeführt.

Bei dem „IVF-Zentrum“ in Wiesbaden (Hessen), wo ich 1997 fast drei Monate und 1998 einen Monat verbrachte, handelte es sich um eine staatlich finanzierte Tagesklinik, die sich ausschließlich auf die Behandlung „ungewollt kinderloser“ Paare konzentrierte und in der alle Eingriffe ambulant durchgeführt wurden. Die meisten Paare des Zen-trums kamen aus Hessen oder den angrenzenden Bundesländern, jedoch reisten auch vereinzelt Paare aus Norddeutschland oder der Schweiz an. Weitere Paare waren türki-scher, bosnitürki-scher, iranischer oder irakitürki-scher, zum Teil auch amerikanischer Herkunft. In Wiesbaden wurden nach Genehmigung der hessischen Landesärztekammer auch unver-heiratete Paare behandelt. Diese Genehmigungen mussten vom jeweiligen Paar bean-tragt und dem Arzt vorgelegt werden. Die medizinischen Therapien wurden in diesen Fällen jedoch nicht von den Krankenkassen bezahlt, die in ihren Richtlinien festgelegt haben, dass eine reproduktionsmedizinische Behandlung nur im Rahmen einer Ehe fi-nanziert wird (siehe Kap. 4.3.1.1). Weiterhin besaß das Zentrum eine Spermabank, so dass die Befruchtung mit „Spendersperma“ (heterologe Insemination) hier möglich war.

60 Die zeitliche Begrenzung dieses Aufenthaltes war nicht meine Entscheidung, sondern beruhte auf der Entschei-dung der dort tätigen Ärzte, die eine längere Forschung aus verschiedenen Gründen letztlich ablehnten (vgl. dazu auch Kap. 3.1). Bei der folgenden Beschreibung meiner Untersuchungseinheiten werde ich die Göttinger Universi-tätsklinik daher nur kurz erwähnen.

Einen weiteren Feldforschungsaufenthalt führte ich 1997 für zweieinhalb Monate an einer Frauenklinik in München (Bayern) durch, eine staatlich finanzierte Klinik, in der die Reproduktionsmedizin nur einen Bereich neben gynäkologischen Vorsorge- und Routineuntersuchungen, operativen Eingriffen, der Schwangerschaftsbetreuung u.a.m.

bildete. Da dort jedoch schon seit zwölf Jahren reproduktionsmedizinische Maßnahmen durchgeführt wurden, waren die Klinik und deren Ärzte in ganz Deutschland und auch im angrenzenden Ausland bekannt. Obwohl die meisten der dort behandelten Paare aus dem süddeutschen Raum kamen, reisten auch aus Österreich und der Schweiz Betroffe-ne an. Auch hier befanden sich Paare ausländischer Herkunft (Türkei, Iran, Irak) in Be-handlung. In der reproduktionsmedizinischen Abteilung fanden täglich Routinesprech-stunden statt, und parallel dazu wurden Eizellpunktionen und Embryotransfers im Ope-rationsbereich durchgeführt, die auch mit stationären Aufenthalten von mindestens einer Nacht verbunden waren. Die reproduktionsmedizinischen Therapien erfolgten nur im Rahmen der Ehe, und die Klinik führte keine heterologen Inseminationen durch.

Die letzte stationäre Feldforschung fand in der Deutschen Klinik für Fortpflanzungsme-dizin (DKF) in Bad Münder (Niedersachsen) 1997 für zwei Monate statt, bei der es sich um die größte deutsche private Klinik handelte. Die Paare kamen aus der ganzen Bun-desrepublik, die Behandlung erfolgte ambulant und musste privat bezahlt werden. Für die Dauer der zehn- bis vierzehntägigen Behandlung wohnten die Paare oft in den Ap-partements der Klinik oder in Ferienwohnungen am Ort. Im Unterschied zu den anderen von mir besuchten Zentren wurde die Deutsche Klinik häufig in den Medien erwähnt, da der Vorsitzende des Direktoriums eine medienfreundliche Einstellung besaß und daher zahlreiche Interviews gab. Da die hier durchgeführten medizinischen Behandlun-gen nicht von den Krankenkassen bezahlt wurden, waren regelmäßig in verschiedenen regionalen und überregionalen Zeitungen Werbeanzeigen zu finden, und es gab aus-führliches Informationsmaterial, das auf Anfrage kostenlos verschickt wurde. Propagiert wurde hier besonders eine „ganzheitliche Medizin“, d.h. „das Paar als Paar ernst zu nehmen und sowohl die persönliche Paarsituation als auch Umweltbedingungen und Ernährung bei der Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit zu berücksichtigen“. Ein Kriterium für die Entscheidung, dort eine längere Feldforschung durchzuführen, war, dass die hier anzutreffenden Paare sich bewusst für privatärztliche Behandlungen ent-schieden, was mit einem hohen finanziellen Eigenaufwand verbunden war.61 Auch in Bad Münder wurden alle in Deutschland zulässigen reproduktionsmedizinischen Be-handlungsmethoden angewendet.

61 1999 wurde die Deutsche Klinik für Fortpflanzungsmedizin (DKF) neu strukturiert. Der bisherige Bereich der Privatklinik wurde aufgelöst und gehört nun, bis auf eine privatärztliche Praxisgemeinschaft, zum kassenärztlich zugelassenen IVF-Zentrum der Deutschen Klinik.

Während meiner Feldforschungsaufenthalte nahm ich, mit Ausnahme der Universitäts-klinik in Göttingen, an den täglichen Routinesprechstunden teil, in der Ultraschallunter-suchungen und Zykluskontrollen durchgeführt wurden, war bei homologen und hetero-logen Inseminationen anwesend, bei Eingriffen wie Bauchspiegelungen (Laparoskopie), röntgenologischen Untersuchungen der Eileiter und der Gebärmutter (Hysterosalpingo-graphie), Hodenbiopsien ebenso wie bei den Eileiterpunktionen und Embryonentran-fers. Ich konnte den Biologen und medizinischen Mitarbeitern bei der Spermaaufberei-tung, bei der In-vitro-Fertilisation (IVF) sowie bei der Mikroinjektion (ICSI) über die Schulter schauen. Weiterhin hatte ich die Gelegenheit, an den „Kinderwunsch-Sprechstunden“ zwischen Ärzten und Paaren teilzunehmen, die ein Gespräch zur Abklä-rung der (medizinischen) Vorgeschichte, eine erste Diagnose und Beratung umfasste.

Dies war mir auch in Göttingen an zwei Tagen möglich. Während oder nach diesen ver-schiedenen Situationen machte ich mir Notizen und verfasste ausführliche Protokolle, in denen ich Angaben zum Ort und zu den Anwesenden machte sowie den Ablauf, die angesprochenen Themen und die Länge der Gespräche festhielt. Während der gesamten Feldforschung ergaben sich 50 Gesprächsprotokolle von Erst- und Zweitgesprächen zwischen Ärzten und Paaren. Meine täglichen Beobachtungen in den verschiedenen Bereichen der Kliniken habe ich systematisiert und in Tagesprotokollen festgehalten.

Die Methode der Erhebung mittels Fragebögen wurde an jedem der angeführten Unter-suchungsstandorte angewendet (siehe Anhang).62 Entweder verteilte ich die Fragebögen selbst oder bat die Ärzte um Verteilung oder Versendung. Da die Resonanz auf die Fra-gebögen und deren Rücklauf jedoch weniger positiv war als erwartet, dienten sie letzt-lich zur Unterstützung der von mir persönletzt-lich gesammelten Daten oder als Ergänzung der ausführlichen Gespräche. Es hat sich gezeigt, dass fast alle der zurückgesandten Fragebögen von mir verteilt worden waren. Dies entspricht auch meiner Erfahrung wäh-rend der gesamten Feldforschungen, in der die meisten Interviews dadurch zustande kamen, dass die Paare mich durch einen kontinuierlichen Aufenthalt kannten und ich mein Forschungsvorhaben persönlich erklären konnte.

Für die Durchführung der Interviews entschied ich mich, die Methode eines halbstan-dardisierten Interviews mit einem thematischen Leitfaden und verschiedenen Fragen-komplexen auszuwählen, die ich mit den Betroffenen, zum Teil auch mit einigen Ärz-ten, führte (siehe Anhang).63 Dieser Befragungsform liegt kein absolut gültiger und

62 Zwischen den einzelnen empirischen Phasen im laufenden Jahr wurden die Fragebögen aufgrund der gewonne-nen Erfahrungen überarbeitet und gegebegewonne-nenfalls ergänzt.

63 Ich sprach fast alle Ärzte, in deren Sprechstunden und Untersuchungen ich eine teilnehmende Beobachtung durchführte, darauf an, ob sie auch zu einem Interview mit mir bereit wären. Aus den verschiedensten Gründen lehn-ten jedoch einige ab. Es ist mir wichtig hier zu erwähnen, dass nicht ich die Auswahl der ärztlichen Interviewpartner traf, sondern dass die Entscheidung für oder gegen ein Interview mit mir allein auf einer persönlichen Entscheidung der Ärzte beruhte.

schließlicher Fragenkatalog zugrunde, sondern vielmehr ein mehr oder weniger flexibel aufgebautes und anzuwendendes Frageschema (vgl. Atteslander 1975:91). Als Inter-viewerin konnte ich unverstandene Fragen erklären und Nachfragen stellen, um die Antworten zu präzisieren. Diese Methode ermöglichte es, nötigenfalls – der jeweiligen Situation entsprechend – Fragen umzuformulieren oder sie zu einem früheren oder spä-teren Gesprächszeitpunkt zu stellen. Ein weiteres Merkmal eines halbstandardisierten Interviews stellt nach Atteslander die Formulierung der Frage in alltäglichen, vertrauten Worten dar. Während der Interviews versuchte ich weiterhin offen zu sein für Themen-komplexe, die von Seiten der Betroffenen formuliert wurden, da nicht alle meine Fragen für die jeweiligen Interviewpartner relevant waren.

Insgesamt führte ich 45 Interviews von ein bis zwei Stunden Dauer durch. 28 Inter-viewpartner waren Paare, 17 Frauen. Nach jedem Interview, das ich auf Tonband auf-nahm, erstellte ich ein Protokoll, in dem ich u.a. festhielt, wo das Interview stattfand, wer anwesend war, ob es Störungen gab, wie lange es dauerte, und welche Themen be-sprochen wurden. Darüber hinaus machte ich Notizen zu non-verbalen Elementen, zur Atmosphäre, zur Interaktion zwischen den Interviewpartnern und mir und über meine persönlichen Gefühle vor, während und nach dem Interview.

Bei den 16 im Jahr 1997 im IVF-Zentrum in Wiesbaden aufgenommenen Interviews handelte es sich mit zwei Ausnahmen um Gespräche mit verheirateten Personen. Sie wurden alle in deren privaten Räumlichkeiten geführt und dauerten ca. ein bis zwei Stunden. Dieser Umstand wirkte sich positiv auf die Gespräche aus, da die Befragten nicht unter Zeitdruck standen und sich zum anderen auf einem ‚sicheren Terrain‘ befan-den.Die Gesprächsatmosphäre war symmetrischer als in den Räumen der Klinik, da ich zwar die Forschende und Fragende und meine Gesprächspartner die Beforschten und Befragten waren, gleichzeitig aber kam ich als fremder Gast in das den Paaren vertraute Heim, in dem ich mich nicht auskannte, und war in dieser Atmosphäre nicht mehr so eng mit der Klinik und der Behandlung verknüpft (vgl. Kap. 3.1). Im Januar 1998 ver-brachte ich ein weiteres Mal einen Monat in Wiesbaden. Nach einer ersten Übersicht meiner 1997 gewonnenen empirischen Daten wollte ich eine zweite kurze Phase zur Vorstellung und Diskussion erster Ergebnisse und teilweiser Vertiefung des Materials durchführen. Ich konnte vier Zweitinterviews mit Frauen führen, die nach einer Be-handlung ein Kind bekommen hatten, zwei davon mit Hilfe der Methode der heterolo-gen Insemination, eine durch die Mikroinjektion (ICSI) und eine nach vielen erfolglo-sen IVF-Behandlungen (In-vitro-Fertilisation). Mit ihnen konnte ich nochmals über ver-schiedene Aspekte sprechen und diese vertiefen.

Die 14 Interviews in München wurden bis auf vier in einem Sprechzimmer der Klinik geführt, da sie mir zumeist durch die Ärzte nach der „Kinderwunsch-Sprechstunde“

vermittelt wurden; Alle Personen waren verheiratet. Da die Befragten nach dem

Ge-spräch mit den Ärzten oft nicht mehr viel Zeit hatten, dauerten diese GeGe-spräche unge-fähr 45 bis 60 Minuten. Auch wirkte sich die Tatsache, dass wir uns in einem Raum der Klinik befanden – mit großem Schreibtisch und gynäkologischem Stuhl – zum Teil auf das Verhalten der Befragten aus. Die Distanz zwischen mir als derjenigen, die Fragen stellte (wie kurz zuvor der Arzt) und den Paaren als denjenigen, die Auskunft gaben, war deutlich auffälliger als bei den Gesprächen in privater Umgebung, in der die Paare entspannter waren, was sich auch auf die Länge, Ausführlichkeit und inhaltliche Tiefe der Interviews auswirkte (s.o.).

In Bad Münder führte ich 12 Interviews von ein- bis zweistündiger Dauer durch. Außer einer Person waren alle verheiratet. Die Interviews wurden mit zwei Ausnahmen in den Räumen der Klinik geführt, wobei es sich um ein Bibliothekszimmer mit kleinem Tisch und Sesseln handelte und nicht um ein Sprechzimmer mit medizinischen Gerätschaften.

Die meisten befragten Paare hatten für die Behandlung einen längeren Aufenthalt über mehrere Tage vor Ort eingeplant, was sich positiv auf die Gespräche auswirkte, da sie Zeit hatten und meine Fragen ausführlich beantworteten. Mit den anderen Gesprächs-partnern verabredete ich zusätzliche Termine in privater Umgebung.

Des weiteren konnte ich insgesamt zehn Interviews mit Ärzten und medizinischen Mit-arbeitern in den Räumen der verschiedenen Kliniken von ungefähr einstündiger Dauer führen.64 Einerseits wurden sie als Funktionsträger und Repräsentanten ihres Berufs-standes befragt, andererseits standen ihre individuellen lebensweltlichen Orientierungen und Einstellungen im Mittelpunkt. Zusätzlich zu den aufgezeichneten Interviews erga-ben sich zwischen den Untersuchungen immer wieder kürzere oder längere Gespräche zu bestimmten Aspekten der Behandlung oder einfach zur Beantwortung meiner Fra-gen.

Einen Teil meiner empirischen Daten erhob ich durch teilnehmende Beobachtung bei einer lokalen Selbsthilfegruppe für „ungewollte Kinderlosigkeit“. In Deutschland exi-stiert seit 1995 der Bundesverband der Selbsthilfegruppen für Fragen „ungewollter Kin-derlosigkeit“ „Wunschkind e.V.“ mit Sitz in Berlin, der u.a. den Erfahrungsaustausch der regionalen und lokalen Selbsthilfegruppen koordinieren soll, Ansprechpartner für Medien, Politik und Verbände sein will und in der Öffentlichkeit für Aufklärung und Auseinandersetzung mit dem Thema „ungewollte Kinderlosigkeit“ sorgen möchte. Die Selbsthilfegruppen auf regionaler und lokaler Ebene sind zwar überwiegend an den Bundesverband „Wunschkind e.V.“ angegliedert, im Mittelpunkt ihrer Gruppenarbeit steht allerdings die Situation der Einzelnen. Der Schwerpunkt liegt hier auf gegenseiti-gem Austausch von Erfahrungen, Weitergabe von Informationen und gegenseitiger

64 Neun dieser Interviews sind auf Tonband aufgezeichnet; über ein Gespräch fertigte ich nachträglich Notizen an.

Unterstützung. Mein Entschluss, eine teilnehmende Beobachtung in einer lokalen Selbsthilfegruppe durchzuführen, war geprägt von der Überlegung, dass es sich bei den Teilnehmenden um „ungewollt Kinderlose“ handelte, die in Gesprächen mit anderen Betroffenen Hilfe bei der Entscheidungsfindung für oder gegen die Inanspruchnahme einer reproduktionsmedizinischen Behandlung suchten, die sich in Behandlungen be-fanden, die eine Behandlung aus persönlichen Gründen abgebrochen hatten oder ‚er-folglos‘ abbrechen mussten. Ich erhoffte mir somit ein breiteres Spektrum von Betrof-fenen, die sich in einem anderen Kontext als in den Kliniken mit ihrer Situation ausein-ander setzten und die einen aktiven Umgang mit ihrem ‚Zustand‘ anstrebten. Des weite-ren erschien es mir sinnvoll, nicht nur direkt vor oder in den reproduktionsmedizini-schen Behandlungen auf die Paare zu treffen, da ich in den Kliniken oftmals mit der ärztlichen Seite und damit dem medizinischen Diskurs über „ungewollte Kinderlosig-keit“ identifiziert wurde. Von der Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe versprach ich mir einen anderen und tieferen Einblick in die persönlichen Erfahrungen und Schwie-rigkeiten, die die Situation der „ungewollten Kinderlosigkeit“ mit sich brachte.

Aufgrund eines Zeitungsberichtes über eine „Selbsthilfegruppe für ungewollte Kinder-losigkeit“ kontaktierte ich die dort angegebene Ansprechpartnerin mit der Bitte um eine Teilnahme an den regelmäßig stattfindenden Treffen. Im Jahr 1997 und bis Mitte 1998 konnte ich einmal monatlich an den Begegnungen teilnehmen und einen guten Kontakt für Einzelgespräche aufbauen. In der Regel erstellte ich im nachhinein ein ausführliches Protokoll über die angesprochenen Themen, die Stimmung, über die Interaktion zwi-schen den Teilnehmenden sowie über meine ganz persönlichen Gefühle. Aus diesen Treffen ergaben sich zusätzlich drei Interviews von zwei- bis dreistündiger Länge mit zwei Paaren und einer Frau in privaten Räumen. Der Umstand, dass ich meine Inter-viewpartner schon über mehrere Monate regelmäßig getroffen hatte, wirkte sich sehr positiv auf die Gespräche aus.

Meine Gesprächspartner aus dem Kontext der Reproduktionsmedizin waren zwischen 26 und 42 Jahre alt. Aus den gewählten Feldforschungsorten ergab sich, dass die Inter-views in erster Linie mit Personen durchgeführt wurden, die sich vor oder in einer re-produktionsmedizinischen Behandlung befanden, mindestens eine ‚erfolgreiche‘ Be-handlung hinter sich hatten, die zu der Geburt eines Kindes geführt hat, oder die sich aus verschiedenen Gründen zu einer Behandlungspause entschlossen hatten mit dem Wunsch, diese in absehbarer Zeit wieder fortzusetzen. Es stellte sich heraus, dass dies auch für die Teilnehmenden der Selbsthilfegruppe zutraf. Paare, die die Behandlungen aus unterschiedlichsten Gründen abgebrochen hatten oder abbrechen mussten, befanden sich entgegen meiner Erwartungen nicht in der Selbsthilfegruppe, so dass ich mit ihnen keine Gespräche führen konnte.

Obwohl sich auch zahlreiche ausländische Paare in reproduktionsmedizinischer Be-handlung befanden, bei deren Erstgesprächen mit den Ärzten oder Untersuchungen ich anwesend war und teilnehmend beobachten konnte, handelte es sich bei allen Personen, die sich zu ausführlichen Interviews mit mir bereit erklärten oder meine Fragebögen beantworteten, um Deutsche. Dieser Umstand hing vermutlich in erster Linie mit sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten zusammen, da viele ausländische Paare (und insbesondere die Frauen) die deutsche Sprache nur sehr schlecht beherrschten, zum anderen schien es spezifische Hemmungen bezüglich der Thematik meiner Studie zu geben, die jedoch nicht direkt geäußert wurden/konnten und über die daher nur speku-liert werden kann. Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich auf die mir bewusste Schwierigkeit hinweisen, dass sich Paare ausländischer Herkunft in reproduktionsmedi-zinischen Behandlungen befinden, aus genannten Gründen jedoch in meiner Studie per-sönlich nicht zu Wort kommen.

Datenerhebungen im Kontext von Adoptionen und Pflegschaften

Ich hatte mich entschlossen, als Vergleichsgruppe für meine Studie im Bereich der Re-produktionsmedizin meinen Blick auf Adoptiv- und Pflegeeltern zu richten, die ein Kind/Kinder adoptiert oder zur Pflege angenommen hatten. Hier ging es mir um eine genauere Betrachtung der Vorstellungen von sozialen Beziehungen, die sich nicht über geteilte Körpersubstanz konstituierten. Aus diesem Grund nahm ich Kontakt zur Adop-tions- und Pflegekindstelle eines Jugendamtes auf, da die Jugendämter die staatlichen Anlaufstellen für Adoptionsbewerber und Pflegeeltern in Deutschland darstellen. Nach Gesprächen mit den zuständigen Mitarbeitern wollten diese meine Forschung gern un-terstützen. Eine teilnehmende Beobachtung scheiterte jedoch daran, dass dafür eine of-fizielle Genehmigung des Dienststellenleiters notwendig war, die ich jedoch ohne An-gabe von Gründen nicht erhielt. Die Mitarbeiter des Jugendamtes erklärten sich jedoch bereit, Briefe an Adoptionsbewerber, Adoptiv- und Pflegeeltern zu verteilen, in denen ich mein Forschungsvorhaben beschrieb und um persönliche Gespräche bat. Leider be-kam ich keine Rückmeldung von angeschriebenen Paaren, auch nicht auf nochmaliges

Ich hatte mich entschlossen, als Vergleichsgruppe für meine Studie im Bereich der Re-produktionsmedizin meinen Blick auf Adoptiv- und Pflegeeltern zu richten, die ein Kind/Kinder adoptiert oder zur Pflege angenommen hatten. Hier ging es mir um eine genauere Betrachtung der Vorstellungen von sozialen Beziehungen, die sich nicht über geteilte Körpersubstanz konstituierten. Aus diesem Grund nahm ich Kontakt zur Adop-tions- und Pflegekindstelle eines Jugendamtes auf, da die Jugendämter die staatlichen Anlaufstellen für Adoptionsbewerber und Pflegeeltern in Deutschland darstellen. Nach Gesprächen mit den zuständigen Mitarbeitern wollten diese meine Forschung gern un-terstützen. Eine teilnehmende Beobachtung scheiterte jedoch daran, dass dafür eine of-fizielle Genehmigung des Dienststellenleiters notwendig war, die ich jedoch ohne An-gabe von Gründen nicht erhielt. Die Mitarbeiter des Jugendamtes erklärten sich jedoch bereit, Briefe an Adoptionsbewerber, Adoptiv- und Pflegeeltern zu verteilen, in denen ich mein Forschungsvorhaben beschrieb und um persönliche Gespräche bat. Leider be-kam ich keine Rückmeldung von angeschriebenen Paaren, auch nicht auf nochmaliges