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Die Beendigung einer Ehe und die Auswirkungen auf Vorstellungen von

5.1 Die Konstruktion von Zugehörigkeit und Angehörigkeit im Kontext

5.1.1 Deszendenz und Affinalität

5.1.1.4 Die Beendigung einer Ehe und die Auswirkungen auf Vorstellungen von

In vielen außereuropäischen Gesellschaften werden im Fall einer Heirat bestimmte Ga-ben von den Verwandten des Mannes an die Seite der Frau gegeGa-ben, auch „Brautpreis“

genannt. Sie garantieren den Rechtsanspruch der Verwandtschaftsgruppe des Eheman-nes auf die Kinder (vgl. Radcliffe-Brown 1950). Da ein Auseinanderbrechen der Ehe, besonders wenn Kinder geboren sind, für beide Seiten erhebliche Unannehmlichkeiten mit sich bringen würde – etwa die Rückgabe des inzwischen für die Heirat anderer Söh-ne verplanten „Brautpreises“ – ist das Interesse beider Seiten an der Stabilität der Ehe groß. Eine Ehe ist somit keine Sache, deren Aufrechterhaltung man alleine den Ehe-leuten überlässt.

Wie ich in der Analyse des rechtlichen Diskurses gezeigt habe, gilt die Ehe in Deutsch-land ausschließlich als ein sozialer Kontrakt zwischen zwei Personen, der zwar neue formalrechtliche Zugehörigkeiten schafft, womit jedoch keine rechtlich fixierten Hand-lungsanweisungen verbunden sind. Da es sich bei der Institution der Ehe um eine aus-schließlich soziale Verbindung zwischen zwei Personen handelt, die alleinig durch den freien Willensentscheid von Mann und Frau entsteht, so gilt auch ihre Auflösung durch Scheidung als persönliche Angelegenheit der Ehepartner (ermöglicht durch den Staat).

Die Fragen nach dem Verbleib der Kinder sollen von den beiden Elternteilen geregelt werden, und nur im Fall einer fehlenden Einigung greift eine staatliche Instanz ein. Dies trifft auch für die güterrechtliche Auseinandersetzung zu. Zur Ehescheidung existieren im BGB zahlreiche Bestimmungen, die erfüllt sein müssen, damit eine Ehe per Gesetz geschieden werden kann (vgl. Kap. 4.1.2). Es wird also deutlich, dass ein Individuum persönlich entscheiden und wählen kann, mit wem es eine eheliche Gemeinschaft ein-gehen will, ebenso wie durch einen Willensentscheid eine Trennung möglich ist. Auch wenn es, im Unterschied zu zahlreichen außereuropäischen Gesellschaften, keine kultu-rell determinierten Allianzbeziehungen zwischen den jeweiligen Verwandtengruppen gibt, habe ich schon darauf hingewiesen, dass sowohl eine Eheschließung als auch eine Ehescheidung auf Egos Vorstellungen von Verbundenheit und das soziale Beziehungs-system Einfluss hat, was ich im Folgenden näher erläutern werde.

Durch die Heirat wird Egos theoretisches Beziehungsmodell um die Kategorie ‚Schwä-gerschaft‘ erweitert. Sie beruht auf der gesetzlichen Handlung der Eheschließung, ist jedoch rechtlich von einer Ehescheidung nicht betroffen (vgl. Kap. 4.1.1). Die Inter-views134 zeigen allerdings, dass sich im konkreten sozialen (verwandtschaftlichen)

134 Die Interviews im Kontext der Reproduktionsmedizin sind alle mit Paaren geführt worden, die von ihren An-sichten und Erfahrungen über Scheidungen in ihrer Verwandtschaft sprachen und somit auf eine Trennung als Ver-wandte reagierten. Es waren keine Personen dabei, die eine Scheidung selbst durchlebt hatten und über ihre persönli-(Fortsetzung siehe nächste Seite)

deln die Situation anders darstellt. Mit einer Ausnahme dominiert die Auffassung, dass mit einer Scheidung die Verwandtschaft zum angeheirateten Ehepartner offiziell been-det sei. Die rechtliche Lage war den von mir Befragten nicht bekannt. Nur in einem Interview bezeichnete Sonja Göbel (37) die geschiedene erste Frau ihres Onkels noch als „irgendwie verwandt und zur Familie gehörig“, was direkt damit zusammenhängt, dass sie während der Ehezeit ein sehr gutes persönliches Verhältnis zueinander hatten:

„Von meinem Onkel, meiner Mutter ihrem Bruder, die erste Frau, mit der bin ich ir-gendwie immer noch verwandt. Die zweite Frau, von der er jetzt geschieden ist, mit der hatte ich von vorneherein nicht viel zu tun. Die wollte mir in mein Leben hereinreden und war nur drei Jahre jünger wie ich. Da habe ich dann gesagt, ‚in meinen Augen bist du nur die zweite Frau von meinem Onkel‘. Ich habe keinen großen Kontakt gepflegt und zu seiner ersten Frau habe ich immer noch ein super Verhältnis. Das ist für mich auch eine Tante gewesen, zwar nicht in dem Sinne, dass ich ‚Tante‘ zu ihr gesagt habe, sondern mehr wie ein Kumpel. Wenn ich irgendwelche Probleme hatte, konnte ich zu ihr gehen. Das war auch bei unserer Hochzeit so, zu der Zeit war sie schon geschieden, und sie kam zur kirchlichen Trauung und wollte dann gehen. Da sagte ich ‚warum‘ und sie sagte ‚ich gehöre nicht mehr zur Familie, ich bin ja geschieden von deinem Onkel‘.

Und da habe ich gesagt, ‚du gehörst in meinen Augen noch zur Familie‘. Wir sind wirklich gute Freunde, gute Kumpels. Wenn es mir nicht gut geht, ruft sie an oder ich bei ihr. Die zählt auf jeden Fall dazu. Und jetzt von meiner Schwägerin, von meinem Mann seiner ältesten Halbschwester, die lebt in Scheidung. Mit ihrem Mann unterhalte ich mich so, wenn wir uns halt treffen. Der Kontakt ist schon da, zum Geburtstag rufe ich ihn auch mal an, weil er mir schon ein bisschen Leid tut, weil er jetzt so alleine ist.

Da kümmere ich mich ein bisschen drum. Um das Gewissen zu beruhigen, sagen wir mal so.“

Auch anhand der folgenden Beispiele möchte ich verdeutlichen, dass die Überzeugung, dass das durch die Ehe begründete Verwandtschaftsverhältnis im Fall einer Scheidung aufgelöst wird, den weiteren persönlichen Kontakt zum geschiedenen Ehepartner nicht zwangsläufig beeinträchtigen muss. So war Ute Wille (36) beispielsweise der Ansicht, dass sie zumindest theoretisch den Wunsch nach einer Weiterführung der Beziehung habe, wenn die Beziehung von gegenseitiger Zuneigung geprägt sei:

„Also bei meinem Mann in der Familie, da gibt es nur Scheidungen, bei mir keine ein-zige. Sein Bruder ist zwei Jahre jünger und auch geschieden. Wir haben eigentlich kein schlechtes Verhältnis zu seiner ersten Frau, aber auch nicht so ein besonders gutes. Wir haben sie mal in der Stadt gesehen und haben beide festgestellt, dass sie sehr gut aus-sieht. Sie hat mittlerweile auch ein Kind. Aber wir haben eigentlich keinen Kontakt mehr. Aber das ist nichts Bösartiges. Ich hätte auch kein Problem zu Geschiedenen den Kontakt zu halten, wenn ich den Menschen akzeptieren würde. Weil ich finde, das ist die urpersönliche Sache von den Beiden, die sich haben scheiden lassen. Ich würde im-mer versuchen, im Bekanntenkreis zu den Paaren, die sich getrennt haben, weiterhin gute Kontakte zu pflegen, auch wenn man jetzt nicht mehr verwandt ist. Eigentlich

chen Erfahrungen mit Verhaltensweisen von Verwandten (insbesondere Affinalverwandten) und die Auswirkungen auf ihr Beziehungssystem erzählen konnten.

ke ich, dass bestimmt kein Thema wäre, dass die Geschiedenen auch noch dazugehören, emotional jedenfalls. Zu Festen kommen die dann sicher nicht mehr. Ist ja dann auch keine Verwandtschaft mehr. Wenn jemand sich scheiden lässt, ist das aber eine Sache zwischen den Zweien und muss nicht in der Familie breitgetreten werden oder nach außen hin. Das geht niemanden was an. Das müssen die unter sich ausmachen.“

Es kristallisiert sich heraus, dass bei den von mir befragten Personen die Meinung do-miniert, dass staatlich anerkannte Zugehörigkeiten und Angehörigkeiten im Fall einer Eheschließung bzw. -scheidung zwischen Ehepartnern wechseln, die persönlichen Be-ziehungen zwischen Affinalverwandten jedoch im Fall von gegenseitiger Zuneigung weitergeführt werden können bzw. sollen. Wie das folgende Zitat von Marion Wieger (34) zeigt, kann die Beziehung zu dem Affinalverwandten nach einer Scheidung besser sein als zur konsanguinen Verwandtschaft. Es wird deutlich, dass hier die Kriterien der emotionalen Verbundenheit aufgrund häufiger sozialer Kontakte verknüpft mit gegen-seitigen Hilfeleistungen im Gegensatz zur Kategorie ‚Verwandtschaft‘ besonders her-vorgehoben werden. Deutlich wird jedoch auch, dass Frau Wieger die Situation als

„komisch“ empfindet, da sie nur mit der Cousine durch das Kriterium der Verwandt-schaft verbunden ist und nicht mit dem geschiedenen Mann. Diese Beziehungskonstel-lation scheint gerade in der speziellen Situation einer Ehescheidung als ungewöhnlich angesehen zu werden, da, wie ich schon zeigen konnte, eine Konstituente von Ver-wandtschaft auch die Vorstellung von gelebten sozialen Beziehungen beinhaltet. „Ko-misch“ und vermutlich daher erwähnenswert ist für Frau Wieger an der Situation, dass sie zu ihrer Cousine keinen Kontakt mehr hat, nur zu deren geschiedenem Mann, der doch gar keine Verwandtschaft mehr ist:

„Meine Cousine ist geschieden, aber das ist eine ganz komische Situation. Mit der Cou-sine habe ich überhaupt nichts zu tun, obwohl wir doch eigentlich verwandt sind. Das war aber schon immer schwierig mit der von meiner Seite aus und von ihrer mit mir auch. Aber mit dem Exmann haben wir sehr viel zu tun, weil der uns auch viel im Haus hilft. Der wohnt hier immer noch im Ort. Der ist super nett und handwerklich sehr ge-schickt. Wir helfen ihm auch, wenn er was braucht. Zu dem haben mein Mann und ich ein gutes Verhältnis, zu meiner Cousine gar keins. Das ist schon irgendwie merkwürdig.

Wenn ich die sehe, dann ist das wie jemand, der sonst im Ort wohnt. Trotzdem kam die zum Familientreffen letztens bei uns, also als meine Mutter ihren 65. Geburtstag gefei-ert hat. Da war sie eingeladen, weil sie ja die Tochter von der Schwester meiner Mutter ist, ihr Ex-Mann aber nicht mehr. Das ist bei unseren Feiern genau anders herum.“

Da Frau Wieger zu ihrer Cousine keinen Kontakt mehr pflegt (was auch umgekehrt der Fall zu sein scheint), kommt es bei Festen, die sie oder ihr Mann veranstalten, nicht zu Entscheidungssituationen bezüglich der einzuladenden Personen. Da das persönliche Verhältnis zum Zeitpunkt des Interviews ausschließlich zu dem geschiedenem Mann existiert, wird auch nur dieser von ihr eingeladen. Die Situation ist jedoch eine andere bei sogenannten Familientreffen, bei denen er aufgrund der Scheidung nicht mehr an-wesend ist. Die Berechtigung zur Anwesenheit ist in diesem Fall abhängig von dem

Kriterium der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Verwandtschaft, die jedoch im per-sönlichen Diskurs mit der Scheidung als beendet gilt.135

5.1.2 Die zeitliche Dimension von Zugehörigkeit: Die gemeinsame