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Die Entwicklung des Körpers als Objekt oder Die soziale Entbettung

2.3 Körper, Leib und Selbst

2.3.1 Die Entwicklung des Körpers als Objekt oder Die soziale Entbettung

erste große wissenschaftliche medizinische Konzept des Abendlandes, das fast 2000 Jahre Gültigkeit besaß, die Humoralpathologie, ablöste.44 In der Mitte des 16. Jahrhun-derts rückte der menschliche Körper ins Licht der Öffentlichkeit: Andreas Vesalius (1514-1564), ein flämischer Arzt, sezierte Leichen, um von der Erfahrung über tote Körper Kenntnisse über das Funktionieren des Körpers und Einblicke in Krankheiten zu gewinnen. Er enthüllte damit die Anatomie Galens, dessen Sektionen nicht der Erfor-schung dienten, sondern lediglich der Bestätigung des auf philosophischer Grundlage Erkannten, als er 1543 seine Fabrica de humani corporis herausbrachte (Winau 1982:289). Das Sektieren und Anschauen wurde nun als die Basis aller Aussagen über den Körper proklamiert, der in einem radikalen Empirismus zu Quelle und Prüfstein allen anatomischen Wissens wurde.

Damit wurde die Anatomie als neue Wissenschaft begründet, die für Jahrhunderte zur Grundlagenwissenschaft der westlichen Medizin wurde. Die neue anatomische Betrach-tungsweise des Körpers führte auch zu der Erkenntnis, dass die Körper von Männern und Frauen in ihrem biologischen Bau unterschiedlich waren. Die Fortpflanzung, die dem weiblichen Körper zugeordnet wurde, stellte das entscheidende Kriterium für die Festlegung der Geschlechter dar.45 Vorher erklärte man sich, nach dem Modell Galens, die morphologische Differenz dadurch, dass bei Männern die Genitalien nach außen gestülpt waren, bei Frauen jedoch aufgrund ihrer mangelnden vitalen Hitze innen lagen (Laqueur 1990:25ff); Körperlich gab es zwischen Männern und Frauen keine Oppositi-on, sondern es handelte sich um graduelle Differenzierungen eines einzigen Körpers.

Mit dem Sezieren toter Menschen fiel auch die Auftrennung in einen körperlich-materiellen Körper und einen geistigen Denk- und Erkenntnisbereich zusammen. Die Trennung von Körper und Geist geht auf René Descartes zurück (1596-1650), der

44 Das Konzept der Humoralpathologie (Säftelehre) wurde im 2. Jahrhundert n. Chr. von dem griechischen Arzt Galen formuliert. Den vier Elementen Luft, Wasser, Feuer und Erde, die als konstituierend für die gesamte Welt angesehen wurden, entsprachen im Menschen die vier Körpersäfte Blut, Schleim, Galle und schwarze Galle. Weiter-hin gab es noch die Kategorien wie die vier Lebensalter, die vier Jahreszeiten, die vier Temperamente oder die vier Qualitäten. Wenn die Säfte des Menschen gut gemischt waren, galt er als gesund (Eukrasie). Wenn die Säfte jedoch aus dem Gleichgewicht gerieten, wurde der Mensch demzufolge krank (Dyskrasie). Außerdem herrschte die Ansicht vor, dass die Seele des Menschen durch die Substanz des Körpers beeinflusst wurde. Je nach Mischung der dem Körper eigenen vier Qualitäten Wärme, Kälte, Trockenheit, Feuchtigkeit veränderte sich auch der Charakter der Seele. Die Seele konnte folglich durch rechte Ernährung und Lebensweise (Diätetik) beeinflusst werden (Hauke 1937).

45 Im 19. Jahrhundert etablierte sich die Gynäkologie als eine weibliche ‚Sonderanthropologie‘ und spielte bei der Geschlechterkonstruktion eine entscheidende Rolle. Die biologisch determinierten Geschlechter von ‚Mann‘ und

‚Frau‘ wurden entdeckt und davon auch eine gesellschaftliche Aufgabenverteilung zwischen den Geschlechtern abgeleitet (vgl. Lindemann 1994:4). Durch die „natürlichen“ Prozesse von Schwangerschaft und Geburt wurde die Frau dem Bereich der ‚Natur‘ zugeordnet (siehe dazu auch Petersen 2000:49ff).

des in ein hierarchisches Verhältnis zueinander setzte: Den Geist über den Körper. Er begründete den von der philosophischen Souveränität der Vernunft überzeugten moder-nen Rationalismus (Schmidt 1982:116). Es ging darum, Wissen um die ‚Natur‘ nicht mehr an den antiken Autoritäten festzumachen, sondern in der Übereinstimmung mit der ‚Natur‘ selbst. Die ‚Natur‘ wurde folglich ihre eigene Autorität und war zugleich Erkenntnis- und Zergliederungsobjekt (Eckart 1998:209).

Descartes entwarf in seiner Theorie eine Neubewertung der ‚Natur‘ mit dem Menschen als „maitre et possesseur de la nature“ (zitiert nach Eckart 1998:209). Sein Glauben an die Vernunft drückte er mit dem Zitat „ich denke, also bin ich“ (cogito, ergo sum) aus.

Der Mensch wurde in dieser rationalen Idee als gespaltene (dualistische) Gestalt be-trachtet: Er war zum einen „denkende Substanz“ (res cogitans) mit einem Bewusstsein und zum anderen Körpersubstanz, wobei als das Merkmal des Körpers die Ausdehnung im Raum galt (res extensa). Alle Eigenschaften des Körpers müssen demnach als Modi-fikationen derselben gedeutet werden und alle physikalischen Vorgänge als Lageverän-derungen oder als Bewegungen (König 1989:52). Diese Theorie wurde bekannt als die

„kartesianische Lebensmechanik“46. Eine Ausnahme gab es jedoch: Die Epiphyse oder Zirbeldrüse (glandula pinealis) galt als der Sitz der wahrnehmenden und denkenden Seele (anima rationalis) (Eckart 1989:198; Winau 1983:217f). Von besonderer Bedeu-tung für die westliche Medizin war die aus der kartesianischen Trennung von Geist und Körper hervorgegangene Dichotomie von Subjekt und Objekt; Der Körper wurde säku-larisiert und damit zum Objekt (vgl. Pfleiderer 1995:169).47

Der Körper wurde allerdings immer weiter auf seine Einzelteile und das Funktionieren derselben reduziert (Winau 1983:224). Es herrschte die Meinung vor, dass sich Verän-derungen des Körpers in kleineren Einheiten abspielen müssten. Diese Einheiten waren die in Organen vorkommenden Gewebe. Störungen in der Funktion eines Gewebes müssten zwangsläufig zu fehlerhafter Funktion eines Organs führen: „Krank wird nicht mehr der Körper; krank wird nur noch ein Organ, vielleicht nur noch ein Gewebe in einem Organ. Mit der Lokalisierung der Krankheit geht in gleichem Maße die Einheit des Körpers verloren“(Winau 1983:221).

Der nächste Schritt war die von Rudolf Virchow (1821-1902) im 19. Jahrhundert ent-wickelte Zellularpathologie. Virchow wies nach, dass nicht Organe oder Gewebe, son-dern letztlich immer die einzelnen Zellen Träger krankhafter Veränderungen waren

46 Die beiden Hauptwerke von Descartes, in denen er die physikalischen Grundzüge dieser Theorie darlegt, heißen

„Principia philosophiae“ (Amsterdam 1644) und „De homine“ (Leiden 1662) (Eckart 1998:198; Winau 1983:217).

47 Diese Zweiteilung und die unterschiedliche Bewertung der beiden Teile hatte weitreichenden Einfluss auf das Bild des Menschen in den westlichen Kulturen und prägt dieses auch gegenwärtig, wie im weiteren Verlauf noch gezeigt wird (siehe auch Hauser-Schäublin et al. 2001:80f).

(Winau 1982:294). Er postulierte drei Grundregeln: Erstens, dass allein die Zelllehre den „einzig möglichen Ausgangspunkt aller biologischen Doktrinen“ bilden könnte, zweitens, dass die Zelle die kleinste aller vitalen Einheiten wäre, und drittens, dass jeder Zelle eine andere vorausgegangen sein müsste (omnis cellula a cellula) (Eckart 1998:272f). Damit wurde zum ersten Mal dem Konzept der Humoralpathologie (Säfte-lehre) ein ebenso umfassendes Konzept der Solidarpathologie gegenübergestellt, die in den festen Bestandteilen des Körpers die Ursachen für eine Krankheit suchte. Diese bildet bis heute die Basis des medizinischen Denkens, zumindest der Schulmedizin.

Nach Winau hatte das Körperkonzept des Mediziners fatale Folgen: „Nicht der gesamte Körper interessiert den Arzt, er existiert für ihn nicht mehr, alles muss lokalisiert wer-den, alles hat seinen spezifischen Sitz“ (1982:294). Der Körper als Ganzes ist der iatro-technischen Medizin48 aus dem Blick geraten und hat sich aufgelöst in Organe, Organ-teile und Funktionen. Der damals begonnene Prozess wurde durch die damit zusam-menhängende Spezialisierung der Ärzte noch intensiviert (Winau 1982:295).

2.3.2 ‚Körper‘ und ‚Leib‘ als Analyseinstrumente

Da der Schwerpunkt meiner Arbeit auf dem individuell erlebten und empfundenen Kör-per49 liegt, verwende ich die Unterscheidung zwischen Körper und Leib. Dabei gehe ich vom objektivierbaren abtrennbaren Körper und vom Leib als subjektivem Wahrneh-mungs- und Empfindungsorgan aus. Ich bin mir bewusst, dass beide Aspekte letztlich nicht klar voneinander zu trennen sind, da der Körper auch immer eine leibliche Dimen-sion enthält. Die analytische Trennung von Körper und Leib soll jedoch dazu dienen, die Widersprüche, die sich aus dem Körper als medizinischem Behandlungsobjekt mit seiner ganz besonderen Geschichte und dem Leib als individueller Befindlichkeit und als Organ der Welterfahrung schlechthin ergeben, sichtbar zu machen und erklären zu können. Die Reproduktionstechnologien arbeitet genau in dem Spannungsfeld zwischen

48 Das Wort „Iatro“ stammt aus dem griechischen. „Iatrik“ ist die Heilkunst bzw. ärztliche Kunst. Ivan Illich hat als Medizinkritiker den Begriff der „Iatrogenesis“ geprägt. Es ist zusammengesetzt aus den griechischen Vokabeln für

„Arzt“ (iatros) und für Ursprung (genesis). Zu den iatrogenen Leiden gehören, laut Illich (1975:20), nur solche Krankheiten, die nicht ausgebrochen wären, wenn eine entsprechende, fachlich gebotene Behandlung vorgenommen worden wäre. Rothschuh (1978:417-419; zitiert nach Winau 1982:296) verwendete den Begriff vom „iatrotechni-schen Körper“, der heutzutage weite Teile der modernen Medizin prägt, und definierte folgende Grundsätze dieses Körperkonzeptes: 1. Der Organismus ist nicht von besonderen vitalen Kräften gelenkt, es gibt keine Lebenskraft, 2.

Alle Lebensvorgänge sind chemische oder physikalische Prozesse, 3. Der Zusammenhang aller Funktionsglieder ist streng naturgesetzlich determiniert, 4. Die Kenntnis der Bedingungen, unter denen Organe arbeiten, erlaubt, Le-bensprozesse in beliebiger Weise zu beeinflussen, 5. Krankheit ist eine Störung physikalischer oder chemischer Pro-zesse, die sich in morphologischen Veränderungen der Organe niederschlägt. Sie sind mit adäquaten Mitteln objektiv nachweisbar, 6. Die Therapie verfolgt das Ziel, unmittelbar und gezielt in die gestörte Funktion einzugreifen. Dies kann der Arzt am besten, wenn er über lückenlose Kenntnisse zur Reparatur verfügt.

49 In der Körperethnologie wurde dafür der Begriff embodiment eingeführt. Er bezeichnet die Fokussierung auf den individuell gelebten Körper. Der Körper gilt dabei jedoch nicht nur als Objekt, das in seiner Beziehung zur Kultur untersuchbar ist, sondern als Subjekt seiner Kultur (Csordas 1994:5).

dem aufteilbaren Körper als Objekt medizinischer Diskurse und Praktiken einerseits und dem geschlossenen und individuell kontrollierten Körper als verleiblichte Integrität und persönliche Identität andererseits. Nur auf der Grundlage der Vorstellung eines trenn- und aufteilbaren Körpers, der die Loslösung von Zeugungssubstanzen und ihre außerkörperliche Zusammenführung ermöglicht, können die reproduktiven Technologi-en angewTechnologi-endet werdTechnologi-en. Gleichzeitig ist das Ziel dieser BehandlungTechnologi-en die Konstituie-rung von Leiblichkeit im Form von leiblichen Nachkommen.

Die deutsche Sprache ermöglicht durch die Differenzierung der Begriffe ‚Körper‘ und

‚Leib‘ dem doppelten Aspekt von Körper Ausdruck zu verleihen. Die Wörter ‚Leben‘

und ‚Leib‘ sind etymologisch über das mittelhochdeutsche lip verwandt, das eng ver-wandt ist mit dem niederländischen lijt und dem englischen life.50 Der Leib ist demnach mit Leben synonym, d.h. er ist ein lebendiger, beseelter Körper. Körper geht auf das lateinische corpus zurück. Der heutige Begriff des Körpers bezieht sich nicht mehr nur den menschlichen Leib, sondern wird in verschiedenen Dimensionen verwendet: ‚Kör-per‘ bezeichnet „ein stoffliches und räumliches Gebilde“ oder auch eine „Stoffmasse“

(vgl. Hauser-Schäublin et al. 2001:133). ‚Leib‘ wird im allgemeinen nur dem Lebendi-gen zugesprochen.Illich (1975:216) konstatiert dazu:

“Der Körper als klinisch verstandener Organismus ist etwas anderes als der Leib. Noch Ende des 18. Jahrhunderts machen zeitgenössische Wörterbü-cher einen deutlichen Unterschied: ‚Körper‘, das ist etwas Totes, Dingli-ches, Tierisches (Leichname, Hölzer, Hunde haben ‚Körper‘), Leib ist, was Mensch ist. Leib und Leben gehören sinnmäßig zusammen, aber was ‚Leib‘

im Laufe der Wortgeschichte jemals meinte, wird oft erst verständlich, wenn er dem Blut oder der Seele oder dem Herzen gegenübergestellt wird.“

In der deutschen Philosophie hat der Leib eine lange Tradition (vgl. Waldenfels 2000:15). Husserl, der als Begründer der Phänomenologie gilt (1859-1938), beschreibt den Leib als das Wahrnehmungsorgan des erfahrenden Subjektes (1993:144). Der Leib ist seiner Ansicht nach Träger von „Empfindnissen“ (1993:149), durch die sich Welt konstituiert, und damit auch das Orientierungszentrum des Ichs (1993:152f). Diesem Leib kann sich das Ich nicht entziehen. Jede Erfahrung ist somit eine sinnliche leibliche Wahrnehmung: „Der Leib hat nun für sein Ich die einzigartige Auszeichnung, dass er den Nullpunkt aller Orientierungen in sich trägt“ (1993:158).Husserl spricht auch von

„Leibkörper“, was auf einen Zusammenhang von Leiblichkeit und Körperlichkeit hin-weist. Der Leib konstituiert sich somit auf doppelte Weise, er ist sowohl physische Ma-terie, die eine bestimmte Beschaffenheit aufweist als auch Wahrnehmungsorgan. Auch der Philosoph Waldenfels (2000:254) erwähnt die Doppelheit des Leibes: Einmal tritt er

50 Die folgenden Ausführungen basieren auf dem etymologischen Wörterbuch der deutschen Sprache von Adolf (1937) und dem Duden Herkunftswörterbuch (1997).

als fungierender Leib auf, d.h. er ist beteiligt an der Konstituierung von Welt und somit Wahrnehmungsorgan, und einmal als Körperding, was bedeutet, er ist ein Ding in der Welt wie jedes andere und kann ge- und vermessen werden. Beide Aspekte sind jedoch nicht klar voneinander zu trennen, sondern ineinander verschränkt. Dabei kommt es zu einer Selbstverdoppelung des Leibes in Leib und Körper (Waldenfels 2000:265).

Auf der Grundlage von Husserls Phänomenologie beschäftigte sich auch Merleau-Ponty (1908-1961) mit dem Verhältnis zwischen Ich und Leib. So schreibt er: „[...] mein Leib steht nicht vor mir, sondern ich bin in meinem Leib, oder vielmehr ich bin mein Leib [...]“ (1966 [1945]:180). Das reflektierende Subjekt ist ein verleiblichtes Wesen, das von der Welt nicht getrennt ist und kann sich nur seiner bewusst sein auf der Basis der Leiblichkeit: Für Merleau-Ponty gibt es demnach keine Wahrnehmung jenseits der Leiblichkeit. Er hat damit indirekt Körper von Leib abgegrenzt, denn der Leib gilt ihm als Gesichtspunkt zur Welt (siehe auch Hauser-Schäublin et al. 2001:135). Merleau-Ponty fasst zusammen: „Und auf diese Weise ist der Leib Ausdruck der gesamten Exi-stenz, nicht als deren äußere Begleiterscheinung, sondern weil sie sich in ihm realisiert“

(1966 [1945]:198). Auch der deutsche Philosoph Schmitz entwickelte eine Leibtheorie, die eine explizite Unterscheidung zwischen Körper und Leib trifft. Er versteht unter

‚Leib‘ dasjenige, was innerlich gespürt wird, das affektive Betroffensein, während

‚Körper‘ das ist, was durch die Sinne äußerlich wahrgenommen wird. Leiblichkeit be-deutet für Schmitz ein Empfinden, nicht ein Wahrnehmen, was impliziert, dass es auch nicht zu behandeln ist (vgl. Waldenfels 2000:112).

Die konzeptionelle Unterscheidung zwischen Körper und Leib, so wie sie implizit von Merleau-Ponty und explizit von Schmitz vorgenommen wurde, ermöglicht es bei der Analyse des Umgangs und des Erlebens von Reproduktionstechnologien zu untersu-chen, in welchem Verhältnis der Körper zum Leib steht. Auch die von der Leibphiloso-phie beeinflussten Körper-Theoretikerinnen (vgl. z.B. Duden 1991; Lindemann 1993, 1994, 1996; List 1993) unterscheiden zwischen dem Körper als Bild und damit als äu-ßerlich, objektiviert und instrumentalisiert und dem Leib als lebendigen, sinnlich erfah-renden, ganzheitlichen Körper. Die alltägliche Leibeserfahrung der Subjekte wird hier einem biologischen, sexualwissenschaftlichen und medizinischen Wissen über den Kör-per entgegengehalten. Lindemann (1993, 1996:166) beschäftigt sich zum einen mit den sozial relevanten Wissenskonzepten vom Körper, und zum anderen damit, wie der Kör-per von Individuen gespürt wird.51 Körpergefühle, -erfahrungen und -wahrnehmungen

51 Den engen Zusammenhang von Körperkonstruktion und Leiberfahrung und die historische Wandlung des leibli-chen Empfindens, zeigt Duden (1991) am Beispiel des schwangeren Frauenleibes auf. Sie vergleicht das Erleben der Leibesfrucht unter der Haut mit der Besichtigung des durch Ultraschallaufnahmen veräußerten Fötus auf dem Bild-schirm und kann damit kulturkritisch zeigen, wie die subjektive Erfahrungsvielfalt, das intuitive und empirische Wissen und die Sinnlichkeit als Erkenntnismittel zunehmend ausgeschlossen werden.

sind ihrer Ansicht jedoch immer schon gesellschaftlich vermittelt. Sie sind eingebettet in historisch gewordene, kulturell vermittelte soziale Lebenswelten.52 Bei diesen Ansät-zen gilt der empfindende, spürende, wahrnehmende Leib als individueller Zugang zur Welt und als entscheidende Quelle aller Erkenntnisse (siehe auch Merleau-Ponty 1966 [1945]). Die Leiblichkeit – unser embodiment – ist unsere existentielle menschliche Daseinsform, an die sich die Erfahrung von Raum und Zeit bindet.