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5.1 Die Konstruktion von Zugehörigkeit und Angehörigkeit im Kontext

5.1.3 Die sozialen Konsequenzen von „Verwandtschaft“

5.1.4.3 Die Betonung der Körperlichkeit

Im Zusammenhang mit dem Konzept eines „eigenen“ Kindes wird von den befragten Paaren immer wieder, besonders als Kontrast zu Adoptionen oder Pflegschaften, der Aspekt der Zugehörigkeit genannt: Ein „eigenes“ Kind ist eine Person, die zu einem gehört – körperlich (leiblich), emotional und rechtlich. Obwohl zumindest adoptierte Kinder, rechtlich gesehen, den biologischen Kindern vollständig gleichgestellt sind, spielt hier dennoch der Aspekt der biologischen Zugehörigkeit eine bedeutende Rolle.

Bei einem „eigenen“ Kind gibt es keine anderen biologischen Wurzeln und damit „rich-tige“ Eltern, die – erzählt man dem Kind von der Adoption – immer eine Rolle spielen werden. Dazu nahm auch Ute Wille (36) Stellung:

„Wir haben auch über Adoption gesprochen, aber letztendlich habe ich gesagt, ich will das nicht, weil es nicht von mir ist. Da komme ich auf Familie und Blutsverwandtschaft zurück. Man stellt sich da ja bestimmte Sachen vor, das heißt, dass man vielleicht stolz sein kann auf sein Kind und will, und dann ist es von jemandem Fremden, und das wi-derspricht sich mir. Das muss sich nicht grundsätzlich widersprechen, aber bei mir ist das so. Und wenn ich mir dann vorstelle, ich tue alles mögliche für das Kind und ir-gendwann kommt auf jeden Fall die Frage ‚Wo komme ich her?‘ Ich denke mir, dass das so ein Kind auch in Schwierigkeiten bringt. Und dass einen das selbst in Schwierig-keiten bringt, weil man dann zulassen können muss, dass es sich anders orientiert, weil es sagt ‚Ich will zu meinen richtigen Eltern‘. Oder zumindest versuchen wird dahin zu kommen, wenn es auch nicht unbedingt möglich ist.“

Das Gefühl, man müsse sich mit den „richtigen“ Eltern gegebenenfalls zu einem gewis-sen Zeitpunkt konkret auseinandersetzen und die Angst vor dem, was dann geschehen könnte, beschäftigt die befragten Paare sehr. Die Vorstellung einer unauflöslichen, kon-tinuierlichen Beziehung zwischen biologischen Eltern und ihrem Kind und deren unge-teilte Zugehörigkeit wird auch in dem folgenden Interviewausschnitt deutlich, indem Henrike Ludwig (32) sich mit der Möglichkeit einer Adoption auseinandersetzt und ihre zwiespältigen Gefühle zum Ausdruck bringt:

„Wenn man dann dem Kind irgendwann erzählt, dass es adoptiert worden ist, will es sicher die richtigen Eltern kennenlernen. Und das wäre ja auch nichts Schlimmes, wenn

man dann trotzdem die Eltern bleibt, auch wenn man nicht die leiblichen Eltern ist. Ich würde ihm dabei auch helfen, wenn es geht. Weil die leiblichen Eltern werden doch immer Fremde sein, denke ich mir. Aber das ist natürlich jetzt so theoretisch gesagt. Ich glaube ganz ehrlich, dass ich wahnsinnige Angst hätte vor dem was passiert, wenn mein Kind seine leiblichen Eltern treffen würde. Und wie reagieren die dann. Vielleicht wol-len die ja dann eine Beziehung zu dem Kind, selbst wenn das Kind es vielleicht gar nicht so will. Wie soll man dann reagieren? Das ist alles so schwierig. Deshalb wollen wir eben auf jeden Fall erst einmal versuchen, ein eigenes leibliches Kind zu kriegen, von dem wir dann die Eltern sind. Und dann auch immer sein werden. Ich meine, natür-lich gibt es Probleme zwischen Eltern und Kindern, das ist ja klar. Dass man sich strei-tet und nicht einer Meinung ist. Aber man gehört doch irgendwie zusammen, also das Kind gehört einfach zu mir als Mutter, und man muss nicht befürchten, dass man ge-trennt wird, also dass da sozusagen Gefahr von außen droht. Diese Beziehung zwischen Eltern und Kind kann eben keiner trennen, die dauert einfach ein Leben lang an und man gehört immer zusammen. So sehe ich das. Ist nicht einfach, aber das sind die Gründe, warum wir eben jetzt auch hier sind [in der Klinik für Reproduktionsmedizin].“

Noch präsenter sind die biologischen Eltern im Falle von Pflegekindern, die in der Re-gel nur für einen begrenzten Zeitraum zur Pflegschaft von diesen getrennt werden, spä-ter aber wieder zu diesen zurückkehren sollen (vgl. dazu Kap. 4.3.2). Diese Bedingun-gen sind für alle Interviewpartner unerträglich, weshalb sie Pflegschaften ablehnen. Dazu äußerten sich auch Ilona und Christoph Ottmers (30 und 33 Jahre):

I.O.: „Ich würde zum Beispiel kein Pflegekind nehmen. Obwohl ich vielleicht später mal Tagesmutter machen würde, aber ein Pflegekind würde ich nicht nehmen, weil ich das nicht verkraften könnte, wenn die mir das Kind wieder wegholen nach einer gewis-sen Zeit. Das könnte ich nicht. Die suchen ja überall nach Pflegeeltern. Aber ich denke, dass wir da nicht die einzigen sind, die damit ein Problem haben, das Kind wieder her-zugeben. Deshalb finden die auch keine Pflegeeltern mehr. Die kriegen die Kinder ja einfach wieder weggenommen.“

C.O.: „Da kommen dann die leiblichen Eltern, und die kriegen dann auch noch recht.“

Anhand der Aussagen wird deutlich, dass das „eigene“ Kind im Kontext der Reproduk-tionstechnologien verschiedene Aspekte in sich vereint. Es ist Teil des eigenen Körpers (und des Leibes), d.h. die Beziehung zwischen Eltern und Kind konstituiert sich über Leiblichkeit. Diese Leiblichkeit bzw. die leiblichen Eigenschaften des Kindes führen zu dem Gefühl des Vertraut-seins und (Wieder-)Erkennens, die eine besondere Verbun-denheit zur Folge hat (vgl. auch Kap. 5.1.4.1). Weiterhin beinhaltet die Weitergabe von biogenetischem Material eine Vorstellung der Kontinuität zwischen den Generationen, in dem es vergangene soziale Beziehungen beinhaltet und transferiert, die eine Person auch in der Gegenwart ausmachen. Mit einem „eigenen“ Kind wird eine unauflösliche

Beziehung assoziiert: Ein Kind zu haben wird damit gleichgesetzt mit einer Person, die immer zu einem gehört.149

Das biologische Kind ist demnach verbunden mit Vorstellungen enger und unauflösli-cher Zugehörigkeit und Verbundenheit, verstanden als „echte“ Verwandtschaft. Dies lässt auch einen Rückschluss auf Schneider zu, der für das amerikanische Verwandt-schaftskonzept festgestellt hat, dass die kognatische Liebe, die Eltern und Kinder ver-bindet, „unity, identity, oneness, togetherness, belonging“ symbolisiert (1980 [1968]:52), was durch die geteilten genetischen Substanzen noch bekräftigt wird. Auch Strathern (1992a) hat gezeigt, dass die Bedeutung des Zurückverfolgens der „natürli-chen“ Verbindungen einen bedeutenden Wert in der englischen Verwandtschaftskon-zeption darstellt, da die Identität von Eltern zu Kindern ‚fließt‘. Diese Idee basiert auf der Vorstellung sich zu reproduzieren und damit einen Teil seiner selbst wieder zu er-schaffen: „That is why who the real parent is matters“ (Strathern 1992a:52). Der damit verbundene deszendente Fluss von ‚Leben‘, von den Vorfahren auf die Nachkommen, führt zu der herausragenden Bedeutung der biologischen Eltern. Edwards (2000) arbei-tet in ihrer Studie über Verwandtschaft und Reproduktionstechnologien in England weiterhin heraus, dass das Gefühl von Zusammengehörigkeit, insbesondere von Eltern und Kindern, über das Wissen um die genetischen Ursprünge des Kindes hinaus auch mit der eindeutigen Einordnung einer Person in die Vergangenheit und Gegenwart zu-sammenhängt. So stellt sie fest (2000:245): „To know a person fully requires more than a knowledge of them as an individual, it requires knowledge of them as a person em-bedded in, and embodying, kinship. Closeness results as much from knowing as from relating.“

Gesamthaft betrachtet soll mit Hilfe der Reproduktionstechnologien ein Kind geschaf-fen werden, dass alle Kriterien der dominanten Verwandtschaftsvorstellungen, wie sie für Euro-Amerika von o.g. Autoren und bisher von mir für Deutschland herausgearbei-tet wurden, erfüllen soll. Das „eigene“ Kind vermittelt eine emotionale Sicherheit und ein Gefühl von Kontinuität, dessen Existenz im Zusammenhang mit Adoptionen und Pflegschaften angezweifelt bzw. kritisch hinterfragt wird. Es ist deutlich geworden, dass hier der Körper im Konstruktionsprozess von Selbst, Person und Verwandtschaft eine bedeutende symbolische Funktion übernimmt.

149 Auf die Idee des individuellen Besitzens weist auch Sault in ihrer Analyse des amerikanischen Konzeptes von Elternschaft hin: „When people talk about wanting a child of their own, they mean that the child must be born to them to be real, and born to them to be theirs, their own, or owned. […] People do not share ownership of a child, for the child is theirs exclusively“ (1994:298; Hervorhebungen im Original).

5.2 Ein Blick auf die Konstruktion von Zugehörigkeit und