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Der Versuch von Geschichtslosigkeit

Im Dokument Von Bremen in die Anderswelt (Seite 84-89)

1.3 »Was bin ich nur? Wer bin ich?« 30 – Die Suche nach Selbsterkenntnis

1.5 Der Versuch von Geschichtslosigkeit

Der vom ›Autor-Erzähler‹ so genannte »Versuch von Geschichtslosigkeit« (VG, 151) ist mit allen drei Protagonisten verbunden und versammelt verschiedene, miteinander zusammenhängende Themen unter einem Begriff. Dieser bezeichnet die Befreiung von vermeintlich vererbter Schuld der Elterngeneration, von Deutschsein und mit beidem verbunden sogar von der eigenen Sozialisation, und damit den Versuch, autonom von einer vorgegebenen und vorgeformten Identität zu werden.

Erstmals findet sich eins dieser Themen bei Falbin, der die Sehnsucht nach dem Weggehen beschreibt. Wie oben bereits dargestellt, bildet sich durch Laupeyßers Bestimmung in Falbin eine positive Einstellung zum Bahnhof, sodass er nach an-fänglichem Fehlgehen sich dort gezielt aufhält. Schließlich stellt er bei Überlegungen, einen längeren Urlaub zu machen, fest, dass er eigentlich nicht wiederkommen will:

»Denn das Problem ist:wirklichwegzukommen. Man müßte das Wegfahren zum Beruf machen. Nirgendwo länger als ein oder zwei Tage bleiben.« (VG, 57) Später verdichtet sich dann diese spontane Überlegung zum Bild des Niemandslandes, das die Erfahrung von vergangenheitsloser Unbeschwertheit während des Zugfahrens bezeichnet. Auch bei Laupeyßer bildet sich im Zuge seines Entschlusses das Bedürfnis aus wegzugehen. Bei ihm kommt hinzu, dass es sich um eine scheinbare Auflösung handeln solle, also niemand etwas wissen dürfe vom Weggang: »Keiner sollte etwas bemerken. Keine Spur hinterlassen. Verschwinden. Sich auflösen im Nichts. Meine Wahl war vollzogen.« (VG, 109)

Der Wunsch wegzugehen entwickelt sich im Folgenden parallel bei Falbin und Laupeyßer und wird von beiden zunehmend konkreter gefasst. Beim Versuch, offiziell eine Namensänderung zu beantragen (und damit eine weiterreichende Identitäts-änderung anzustoßen), gesteht Falbin dem Beamten: »Ich will wegziehen und mich dabei hierlassen. Was ich war, was ich wurde, warum ich es wurde, wer ich bin … nochbin … Das, das soll weg !« (VG, 113) Es geht also mithin nicht um einen bloßen Ortswechsel, sondern um das Abstoßen der eigenen Vergangenheit und des eigenen Werdegangs, der gesamten alten Identität, die zur Belastung geworden zu sein scheint.

Bei Laupeyßer korrespondiert dies mit dem wiederkehrenden Motiv der Suche nach dem, ›was bleibt‹. Im Zuge seines geplanten »Abstiegs« verkauft er in diesem Sinne fast seine gesamte Wohnungseinrichtung, doch läuft es letztendlich auch bei ihm auf einen radikalen Ortswechsel hinaus: »Umziehen, ohne etwas mitzunehmen. Daß man sich selbst mitschleppen muß, reicht ja wirklich schon aus.Was ich habe, habe ich bei mir.[…] Aber vorher diese Leere auskosten und erleben, was bleibt, wenn nichts mehr da ist.« (VG, 144)

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1.5.1 Belastung durch deutsche Geschichte

Die Begründung für den Fluchtgedanken liegt jedoch nicht in der Betrachtung des eigenen Selbst, sondern in der Belastung durch die deutsche Geschichte. Diese fin-det sich nun wiederum nicht bei Falbin, sondern ist mit Laupeyßer und dem ›Au-tor‹-Erzähler verbunden. Letzterer schreibt in Frankfurt und damit nach der zumin-dest äußerlich erfolgreichen Flucht, er könne sich nicht bei Agnes melden und so Kontakt zu seiner Vergangenheit aufnehmen, vielmehr müsse er beharren auf seinem

»Versuch von Geschichtslosigkeit« (VG, 151), dessen Verbindung mit Flucht und Auf-gabe der Vergangenheit durch diese Kontextualisierung eindeutig gemacht wird. Die Begründung für den »Versuch« folgt im direkten Anschluss: »Die Betroffenen nämlich können nicht trauern, jede Erleichterung dahin ist ihnen versagt. Alle Ganglien voll ha-ben sie zu tun, ihre Betroffenheit wegzuschaffen. Damit Platz für den Atem bleibt.« (VG, 151) Doch wirkt dies als »Begründung« unzureichend, wenn nicht gar deplatziert.

Wenn es um Geschichtslosigkeit geht, um das Abstreifen der Vergangenheit, wie die anderen Textstellen nahelegen, was hat der Sprecher dann mit den Betroffenen zu tun?

Eine Parallelstelle dazu ist bei Laupeyßer zu finden. Im Kontext eines Gespräches mit Axel Schulze, in dem dieser von seinem Aufenthalt im KZ erzählt, wird Laupeyßers innerer Entschluss dargelegt: »Was er zu akzeptieren auf sich nahm : betrauern die Geschichte, die er nicht begangen hatte. Sie betrauern als Betroffener, weil er nicht betroffen war.« (VG, 120)

In beiden Formulierungen ist vom Trauern die Rede. Auch wenn sich weder im Text noch in weiteren Äußerungen von Herbst ein direkter Hinweis finden lässt, so liegt hier nahe, an die sehr bekannt gewordene StudieDie Unfähigkeit zu trauernder Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich von 1967 zu denken. Kurz vor bzw. gerade zu Beginn der Studentenunruhen erschienen, die einen Umschwung im Umgang mit der Nazivergangenheit brachten, stellten die Mitscherlichs anhand von Fallbeispielen aus ihrer psychoanalytischen Praxis das Fehlen einer Aufarbeitung der eigenen Schuld in der Bundesrepublik fest. Ihre These war dabei, »die Bundesre-publik [sei] nicht in Melancholie verfallen, […] [indem sie] alle affektiven Brücken zur unmittelbar hinter ihnen liegenden Vergangenheit abbrach«71. Im Anschluss an Sigmund Freuds Aufsatz »Trauer und Melancholie« (1917) führen sie die Unterschei-dung zwischen diesen beiden Begriffen genauer aus. Zur Trauer seien die Deutschen nach ihrer Ansicht gar nicht fähig gewesen, da es sich beim verlorenen (zu betrau-ernden) Objekt um die ›Führer‹-Figur Hitler gehandelt habe, die aber nicht um ihrer selbst, sondern aus narzisstischen Gründen als ›Liebesobjekt‹ gewählt worden sei. Der

›Führer‹ wäre dabei als Ich-Ideal in das eigene Selbst aufgenommen worden. Zunächst fällt in Bezug auf den Diskurs inVGauf, dass es nicht um die Trauer um die Opfer, sondern um die Trauer um den Verlust des ›Führers‹ geht. Die damit einhergehende massive Selbstentwertung, auf die psychologisch reagiert werden musste, habe eine den anderen Nationen mögliche Trauer um die Opfer unmöglich gemacht. Doch ist es genau diese fehlende Aufarbeitung und ein Schuldeingeständnis sowie, wie in den eben zitierten Passagen deutlich wird, auch die fehlende Trauer, die Laupeyßer und

71 Alexander Mitscherlich / Margarete Mitscherlich:Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollekti-ven Verhaltens, München 1967, 37f.

der ›Autor‹-Erzähler beklagen. Die von den Mitscherlichs wieder im Anschluss an Freud beschriebene, bei den Deutschen vor allem der älteren, ›schuldigen‹ Generation ausgebliebene ›Trauerarbeit‹ ist es, die Laupeyßer auf sich nehmen will (vgl. dazu genauer unten Abschnitt 2.3 auf Seite 109).

Auch die Betroffenheit der jüngeren Generation wird inDie Unfähigkeit zu trauern angesprochen. Durch die Erziehung und die damit einhergehende Identifikation mit Älteren sei es »illusionär, anzunehmen, eine junge Generation könne leicht das Joch der Vergangenheit […] abwerfen«72. InVGist diese Thema der Diskussionen des ›Autor‹-Erzählers mit Iris, seiner zwar häufig genannten, aber nicht näher cha-rakterisierten Gesprächspartnerin. Diese Diskussionen stellen auch die Zitate zum Trauerdiskurs in einen größeren Zusammenhang und bestätigen ihre Verbindung über die Übereinstimmungen in der Wortwahl hinaus. Iris vertritt darin den gängigen Standpunkt, als ›Nachgeborener‹ könne man sich nicht in die vergangenen Taten und Leiden hineinversetzen, man sei gewissermaßen unschuldig. Der ›Autor‹-Erzähler gibt ihr zwar teils recht, doch sieht er in ihrer Position die Schuld der Elterngeneration fortbestehen. Durch ihre Argumentation, die wie eine Entschuldigung klinge, das Vorschützen von Nicht-Wissen, wie es schon die Zeitgenossen betrieben hätten, gebe sie »ihre Teilhabe zu, gestand sie den Sieg der Nazis ein« (VG, 120). Dem setzt er sein

»fiktives Trauma« (VG, 285) Auschwitz entgegen, seine manische Beschäftigung mit der Thematik. Er sieht es als gegeben an, dass die »Enkel« in der Verantwortung stehen (vgl.VG, 82 und 263). Obwohl er weiß, dass eine »Solidarität im Leiden« (VG, 199) niemandem, keinem Opfer konkret etwas nützen würde, hat er eine positive Utopie, die zumindest das Gedenken verwirklicht:

Einem solchen Haus gegenüber [dem Bahnhof], dachte Laupeyßer, wäre tat-sächlich Selbstaufgabe gefordert und ein exzentrisches Aufgehen. Dann erst befreiten sich aus den Nischen und eingekerbten Zeichen die gezwungenen und freiwilligen Reisenden und all die Züge, die nach Buchenwald gefahren waren und Theresienstadt, Majdanak oder Esterwegen, ins Moor. Dann stünden sie alle wieder dort, die zusammengetriebenen Menschenmassen, ängstlich, zusammengepfercht, gestoßen, resigniert, im Fahl der Augen ihrer ledernen Wächter. (VG, 134)

Dafür fungiert Laupeyßer als fiktiver Stellvertreter; dieser solle »anrennen dagegen, er soll gegens Nicht-sich-Hineinversetzen-Können einen Sturmlauf entfesseln, einen Ausfall reiten durchs Gebiet der mangelnden Verständigung« (VG, 120). Oder anders formuliert: »Daher Laupeyßers Ausbruchsversuch : Sich ganz bewußt fremde Schuhe anziehen und so tun, als hätte man sie noch gefertigt. Das ist die einzige Form von Wider-stand, die uns bleibt.« (VG, 285) Dieser Widerstand richtet sich gegen die beispielhaft vorgebrachte, Schuld nivellierende Position von Iris.

Dennoch wird ein Widerspruch nicht aufgelöst: Möchte (oder soll) Laupeyßer sich stellvertretend Schuld aufladen und stellvertretend Geschichte betrauern, so lässt er sich gerade auf Geschichte ein; dem steht der »Versuch von Geschichtslo-sigkeit« entgegen, wo er der Geschichte zu entfliehen versucht. Doch scheint es in diesem um die persönliche Geschichte zu gehen (obwohl das »nämlich« [VG, 151]

72 Mitscherlich / Mitscherlich:Die Unfähigkeit zu trauern, 135.

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im oben genannten Zitat eine andere Verbindung zu etablieren versucht). Die eigene Vergangenheit, das was bei Falbin das »was ich war […], was ich bin« ausmacht, soll abgestreift werden, was eine Flucht bedeutet aus Verantwortung, auch wenn sie vielleicht nur eingebildet ist.

Zur persönlichen Geschichte gehört auch die Schuld der Eltern bzw. der Elternge-neration. Die Schuld betrifft für Laupeyßer nicht nur die aktive Beteiligung an den nationalsozialistischen Verbrechen. Auch das Wegschauen, das Leugnen jeglichen Wissens um diese Taten sieht er als Schuld an (vgl.VG, 82, 101ff., 263). Diese ge-nerelle Schuld der Elterngeneration, die er als eine Kollektivschuld sieht und deren Auswirkungen er, wie das Beispiel Iris zeigt, sogar als eine Art Erbsünde73darstellt, untermauern den Wunsch, seine Vergangenheit abstreifen zu können:

Man müßte, dachte er, die Spuren seiner Eltern unkenntlich machen können : Erst dadurch garantierte sich Geschichtslosigkeit und also ein autonomes Ich.

Aber das ging nicht. Oder doch? (VG, 87)

Ist dies noch die Reaktion auf den Brief des Vaters, der mit völligem Unverständnis und Vorwürfen auf Laupeyßers Lebenspläne antwortet, so bleibt die Idee haften und löst sich von den individuellen Eltern:

Ein völliges Verschwinden, dachte er, ließe erst sich vollziehen im Abstreifen seiner bisherigen Identität, einer solchen nämlich, die sich noch nie besessen hatte. Eltern müßte man annehmen, die man nicht kannte, mehr noch : die erfunden waren. Papierahnen. Eine Sozialisation vorweisen, die es nicht gegeben hatte. (VG, 112)

In einer weiteren Stelle wird dies sogar indirekt als das »Laupeyßer-, das Falbingefühl«

(VG, 337) bezeichnet, das jedoch am verschwinden sei. Da er, der ›Autor‹-Erzähler, jedoch immer noch das Gefühl habe, »von einer bestimmten Person geboren worden zu sein«, müsse er sich seine Eltern erfinden.

Fraglich ist, warum gerade Laupeyßer mit dem »fiktive[n] Trauma« zu kämpfen hat. Wie Falbins ist auch sein Name »mit keiner moralisch oder ästhetisch üblen Assoziation belastet« (VG, 112); seine Eltern waren während der Nazizeit jung (seine Mutter noch ein Kind) und normale Mitläufer des Systems, »ich-los« (VG, 105) in der Masse; sein Großvater war zwar »SS-Standartenführer« (VG, 35) und hegte auch nach dem Krieg noch Sympathien mit rechtsradikalen und rechtskonservativen Kreisen, doch wird kein genauer Grund dafür ersichtlich, dass gerade Laupeyßer an der deutschen Schuld in solchem Maße leidet. Über die Identität des ›Autor‹-Erzählers wird nichts weiter ausgesagt und auch weitere Hinweise bleiben aus, die diese Frage in Bezug auf ihn erklären würden.74

73 Die durch die sich selbst entlastende Argumentationsstruktur und das damit verbundene Denken tradiert wird. Laupeyßer empört sich aber auch darüber, dass die Schuld durch die Generation der

›Betroffenen‹ nicht eingestanden wird und rassistische und verharmlosende Bemerkungen und damit eben solches Denken weiterhin zu finden sind; vgl.VG, 11 und 78.

74 Dass Herbsts eigener Familienname von Ribbentrop mit einer »üblen Assoziation belastet« war, konnte ein Leser zur Zeit des Erscheinens vonVGnicht wissen. Herbst hat seine Auseinander-setzungen mit diesem Namen später inMeere(2003) deutlich verarbeitet, als der Name bereits der Öffentlichkeit bekannt war, und geht auch im Weblog des Öfteren darauf ein. Vgl. dazu später Abschnitt 8.4.2 auf Seite 400.

Doch auch der ›Autor‹-Erzähler hat die gleiche Sehnsucht wie Laupeyßer und Falbin, die zunehmend drängender wird: »Nur abfahren, abfahren, ihn verlassen, diesen Ort der abgeschnittenen Seelen, das Kinodunkel, die Masturbationsmaschinen«

(VG, 322). Wie für Laupeyßer ist es also die Erfahrung des Films und die damit verbundenen Überlegungen, die ihn in die Flucht treiben. Erst in einem späteren Telefonat mit Agnes (lange nach den geschilderten Ereignissen) bezeichnet er das Fortgehen in gelassener Weise als »alte[n] Traum von der Freiheit« (VG, 333), wodurch die Verbindung zu Fluchtgedanken zumindest gemildert wird.

1.5.2 Name und Pass als Identität

Als konkretes Symbol für die gesamte Identität einer Person in dem Sinne, dass sie zurückgelassen werden soll, wird wiederholt der Pass verwendet. Zusammenhängend damit spielt auch der Name sowie die Namensgebung und -änderung eine wichtige Rolle. Den Überlegungen Laupeyßers zu Falbins Fluchtgedanken setzt Agnes die Idee bzw. Frage entgegen, warum er nicht einen anderen Namen annehme. Dem hält Laupeyßer in unerwarteter Rücksichtnahme auf Beschränkungen der empirischen Welt mögliche Schwierigkeiten mit der Bürokratie entgegen. Doch lässt er Falbin diese Möglichkeiten ›durchspielen‹, was zwar wie erwartet erfolglos ist, am Unverständnis des Beamten scheitert. So wird die Möglichkeit einer Namensänderung, die sich im Pass niederschlägt, eingeführt. Noch ist Laupeyßer aber davon überzeugt, dass Identi-tätsänderung in solcher Weise nichts bringen würde: »Nur eine Benennung änderte sich, als handelte es sich um eine Zahl. Aber das Symbol bliebe wirkungslos.« (VG, 113) Erst später erkennt er die Bedeutung eines neuen Namens und eines neuen, fal-schen Passes, die etwas über den bloßen Namenswechsel Hinausgehendes zu schaffen vermögen.75In Kombination, aber auch in wechselseitigem Bedingen mit einem Orts-wechsel, der räumlichen Flucht, sollen sie ein ›wirkliches Wegkommen‹ ermöglichen.

Laupeyßer wendet sich an Axel Schulze, der ihm auch tatsächlich einen falschen Pass besorgt. Fortan ist für alle drei Protagonisten der (falsche) Pass äquivalent zu einer neuen Identität, was sich in wiederholter Kontextualisierung und sprachlicher Gleichsetzung ausdrückt (vgl.VG, 218, 322 und 333). Dieser Sprachgebrauch ist bekannt durch die Verwendung im Kriminalroman oder Thriller (›sich eine neue Identität verschaffen‹), doch unterscheidet sie sich hiervon durch den fehlenden äuße-ren Zwang; vielmehr handelt es sich um eine symbolische Aufladung des imaginierten Dokuments. Der Wunsch, es zu besitzen, gipfelt schließlich im Kampf um den Pass auf der Bahnhofstoilette, der den ›Showdown‹ des Buches bildet. Auch in der Frage der Identität der drei Protagonisten (im Sinne, eine Person zu sein) und ihrer Realität bzw. Erfindung spielt der Pass in einer paradoxen Argumentation eine Rolle. Im Zuge seiner paranoiden Anfälle versichert sich Laupeyßer seiner Identität durch den Pass:

»Sie können mir ja gar nicht beweisen, daß ich in Wirklichkeit Falbin bin. Hihi. Und haha. In meinem Ausweis steht dick und vernehmlich der NameLaupeyßer. Steht einfach so drin. Weiß auch nicht. Ulkig.« (VG, 164) Später will er sich gerade das Gegenteil beweisen: »Wer will im übrigen behaupten, Laupeyßer habejemalsexistiert?

Er hat nie existiert, ich versichere Sie, ich, bitte, wollen Sie meinen Ausweis sehen?«

75 Zum schöpferischen Aspekt des Namengebens vgl. die Anmerkung in Fußnote 46 auf Seite 65.

Zusammenführung 89

(VG, 257) In beiden Fällen soll der Name im Pass die Versicherung des tatsächlichen, nicht eingebildeten oder imaginierten Namen bzw. entsprechender Identität sein.

Gleicher Logik folgt auch das Streben nach dem neuen Pass und neuem Namen, die erst einmal dem Träger und weniger anderen Leuten oder der ›Öffentlichkeit‹

entgegen besserem Wissen die neue Identität beweisen soll.

Im Dokument Von Bremen in die Anderswelt (Seite 84-89)