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Narratologische Analyse

Im Dokument Von Bremen in die Anderswelt (Seite 38-47)

»ungesicherten« Identität

1.1.2 Narratologische Analyse

Die Erzählsituation vonVGist sehr komplex und umfasst auf den unterschiedlichen Erzählebenen zudem verschiedene Erzähler. Da sie durch eine verzögerte Informati-onsvergabe darauf angelegt ist, erst nach und nach vom Leser3erschlossen und

ver-3 In der gesamten Arbeit wird das generische Maskulinum als geschlechtsübergreifende Bezeichnung für Leserinnen und Leser verwendet, falls nicht explizit anders vermerkt.

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standen zu werden, soll in diesem Abschnitt die narratologische Beschreibung nicht über eine ›abgeschlossene‹ formalistisch-technische Zuordnung narratologischer Ter-mini erfolgen. Vielmehr soll im Anschluss an Fotis Jannidis eine Beschreibung der Inferenzprozesse erfolgen, durch die der (Modell-)Leser sich den Text erschließt.4 Um die Beschreibung und die nötige Bezeichnung der Instanzen im ansprechendem Maß zu halten und für den Leser verständlich zu bleiben, kann nicht der vollstän-dige Prozess dargestellt werden. So werden am Anfang also schon einige Eingaben gemacht, von denen erst im Nachhinein darzustellen versucht wird, wie und wann der Leser sie sich erschlossen hat.

Die drei Erzählebenen sind jeweils durch eine der drei Hauptfiguren gekennzeichnet:

durch einen anonymen Ich-Erzähler, durch Ulf Laupeyßer und durch Claus Falbin.

Während dies noch nicht bedeutet, dass damit auch ein Erzähler jeder Ebene zugeord-net werden kann, sind sie zunächst eindeutig dadurch voneinander geschieden, dass der anonyme Ich-Erzähler die Figur Laupeyßer erfindet und dieser dann wiederum die Figur Falbin. Für den Leser ist dies jedoch keineswegs von Beginn an klar, auch nicht wie viele Ebenen es gibt oder wer spricht.

Zunächst ist der Leser mit einem kursiven Absatz konfrontiert, der eher nebulös scheint. Nach einem für Herbst typischen rätselhaft-konstatierenden Eingangssatz (Im Bahnhof lebt die Stadt inwärts gekehrt: träumt sich fort.)5wird fortgefahren:

Suche jemanden, also, dessen Geschichte, oder wie du’s nennen willst, dort enden wird; eine überspannte Fantasie, nichts sonst zeichne ihn aus. Er soll es nicht mehr aushalten können. Darf nicht zu alt sein für meine Zwecke. Vielleicht fünfund-zwanzig. – Weil: Man geht von dem aus, was man kennt.(VG, 3)6

Bezeichnenderweise wird das Subjekt des Satzes, das »Ich«, weggelassen. Dadurch dass er das Vorbild für die erfundene Figur ist sowie durch die Leseranrede ist der Erzähler

4 Vgl. dazu als beispielhafte Analyse: Fotis Jannidis: »Wer sagt das? Erzählen mit Stimmenverlust«, in: Andreas Blödorn / Daniela Langer / Michael Scheffel (Hg.):Stimme(n) im Text. Narratologische Positionsbestimmungen(Narratologia 10), Berlin / New York 2006, 151–164, hier: 154–157. Jannidis geht von einem Modell narrativer Kommunikation aus, das auf Inferenz basiert. Unter Inferenz ist dabei jede Form der Schlussfolgerung zu verstehen, zu denen logische und auch probabilistische Schlüsse zählen. Er setzt dies von einem traditionellerweise angenommenen Code-Modell ab, das auf der Annahme beruht, sprachliche Konventionen würden ein Regelsystem vorgeben, nach dem der Autor eine Botschaft nach bestimmten Regeln codiert und der Leser diese Botschaft unter Berücksichtigung der Regeln eindeutig zurücküberträgt. Das Modell inferenzbasierter Kom-munikation geht demgegenüber davon aus, dass die Bedeutung des Textes durch Inferenzen auf Grundlage des kulturellen Wissens, der sprachlichen Codes, der Regeln des Kommunikationssys-tems sowie weiterer Elemente erschlossen wird. Vgl. Fotis Jannidis:Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie, Berlin / New York 2004, 15–83 (besonders 44–52), 237f., 254. Der Modell-Leser ist als vom Autor intendierter Leser zu verstehen, allerdings nicht als intendierter realer Leser, sondern als Versuch eines anthropomorphen Konstruktes, das aus dem Text rekonstru-iert wird. Dieser Leser hat die nötigen Kompetenzen, »um die vom Text erforderten Operationen erfolgreich durchzuführen« (ebd., 254). Vgl. auch ebd., 28–33, 237.

5 SieheVG, 7; vgl. die Anfänge vonWolpertingerundThetis, die eine ähnliche Qualität haben. Dort handelt es sich quantitativ zwar sogar um drei Absätze resp. einen Absatz, doch erfolgt dann ebenfalls der Übergang zu Figureneinführung, Handlung, Erzählen etc.

6 Die Kursivierung im Original, die den ›Autor‹-Erzähler markiert, wurde beibehalten (auch im Folgenden).

dennoch präsent. Das Weglassen des Subjekts deutet mündliche Rede an und ist zu-dem kennzeichnend für die Vagheit des Anfangs, die minimale Informationsvergabe an den Leser. Denn auch sonst sind die Angaben vage: weder werden die Umstände der ›Suche‹ erläutert, noch die ›Zwecke‹. Lediglich kann darauf geschlossen werden, dass es sich bei dem Erzähler um eine Person handelt, die zudem etwa 25 Jahre alt ist.

Weiterhin fällt die Leseransprache auf, die den gesamten Roman durchzieht, sowie die Vorläufigkeit der Formulierung, die den Eindruck einer gewissen Nachlässigkeit evoziert.

Kein Gerücht, nein, es gibt Menschen, die können sich tatsächlich noch entset-zen. Und nicht nur so getan als ob, nicht nur gestellt, während sie heimlich ihre Zungen rausstrecken, lüstern auf Neuigkeiten : – Hansen neulich : »Scheußlich, scheußlich«, sagte er beim Betrachten der auf Hochglanz farbig hingedruckten Verkehrstotenfotos, konnte sich nicht mehr lösen davon, tastete mit seinen unru-higen Blicken das Gerasterte nach unverletztem Brustfleisch ab. Und was vielen, im Kino hier, Anlaß zu Lachkrämpfen ist, stülpt nur wenigen noch Übelkeit über. […] (VG, 7)

Dieser nächste Abschnitt, nicht kursiv und aus zwei Absätzen bestehend, wird eben-falls von einem Ich-Erzähler geschildert und ist dadurch gekennzeichnet, nichts erklärend einzuführen. Thematisch scheint ermedias in reseinzusetzen, als ob in einem Gespräch auf einen Einwand reagiert würde (»Kein Gerücht, nein, […]«). Der Name Hansen fällt ohne weitere Erläuterung, um wen es sich dabei handelt (eine Nebenfigur, die sehr viel später erst wieder auftaucht). Weder beschreibt der Erzähler sich selbst genauer noch die Gesprächspartnerin, der er anscheinend am Telefon von Hansen erzählt. Es folgt wieder ein kurzer kursiver Abschnitt und ein längerer nicht kursiver, der an den zweiten Abschnitt anzuschließen scheint (»nächstentags«).

Kann ich mich noch entsetzen? Als jemand existieren, den es nicht gab vorher, von keinem Leib ausgestoßen. Einfach Schluß machen mit der Empirie, zumindest so tun, es sich erfinden. Eine offensive Flucht: Angriff aus Unwägbarem.

Den Entschluß faßte ich nächstentags im Café, er überraschte mich: außeror-dentliche, geradezu dingliche Gegenwart. […] (VG, 8)

Der Leser merkt also schnell, dass der Text in Abschnitte unterschiedlicher Länge, von wenigen Zeilen bis maximal mehreren Seiten reichend, eingeteilt ist. Aufgrund der besagten Vagheit kann ein Erzähler oder eine eindeutige Erzählperspektive noch nicht identifiziert werden. Im darauf folgenden Abschnitt gibt es einen weiteren Hinweis.

Ich ging ins Wohnzimmer, kramte die Unterlagen hervor, nahm die Cassetten, verstaute alles in dem Karton, den klebte ich am Boden und an den Seiten zu mit Tesaband, stellte das schwere, sich stumpf anfassende Ding auf den Tisch, wo es stehenblieb zweieinhalb Wochen unangerührt,

und Laupeyßer aus gepreßten Papieraugen unablässig belauerte : Der saß, war er nicht unterwegs, im Cocktailsessel und rauchte […]. (VG, 9)

Zum ersten Mal wird ein Abschnitt nicht durch einen Punkt, sondern, mitten im Satz (obwohl so weit vollständig; es könnte also auch ein Punkt stehen), durch ein Komma ›beendet‹. Im nächsten Absatz kann der Leser dann schnell erkennen, dass

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ein Sprecherwechsel erfolgt ist, nun kein Ich-Erzähler mehr spricht, sondern von außen auf eine Person geschaut wird, die als Laupeyßer bezeichnet wird. Durch diesen Wechsel innerhalb eines Satzes und den als ungebrochen erkennbaren thematischen Zusammenhang kann der Ich-Erzähler des vorhergehenden Abschnitts als diese Person Laupeyßer identifiziert werden.

Über die kursiven Abschnitte ist damit noch keine weitere Erkenntnis gewonnen.

Gleich folgt wiederum der nächste von ihnen und verwirrt zunächst wieder mehr, als dass er aufklärte:

So etwa stellte ich mir vor, wozu mir in Wahrheit der Mut noch fehlte. Freilich hätte meine Behausung kahler nicht wirken können: Unterm Fensterbrett welke Blätter. Das mit dem achtundzwanzigsten Geburtstag allerdings stimmt. Selten war ich dermaßen berauscht.(VG, 10)

Der vorhergehende Abschnitt über Laupeyßer wird als eine Vorstellung dieses Erzäh-ler-Ichs bezeichnet, als eine inauthentische Rede und damit als fiktional.7Durch die Feststellung bezüglich des Geburstags, die sich auf eine entsprechende Schilderung im Abschnitt über Laupeyßer bezieht, wird eine vermeintliche Identität insinuiert, die sich erst später als (zumindest erzählerisch) nicht haltbar erweist. Zunächst ist jedoch die Annahme für den Leser möglich, dass es sich beim Ich-Erzähler der kursiven Pas-sagen ebenfalls um Laupeyßer handelt, vielleicht zu einem anderen Zeitpunkt (d. h. als älterer Laupeyßer) oder in einer anderen (Erzähl-)Funktion (bspw. als metanarrativer Kommentator). Da die folgenden kursiven Abschnitte lediglich Kommentare zu den nicht kursiven Abschnitten enthalten, ergeben sich weitere Schlüsse diesbezüglich erst wesentlich später. Ein erster deutlicher Hinweis auf die Nicht-Identität des ›kursiven‹

Ich-Erzählers und Laupeyßers findet sich im Satz »Kurz bevor Laupeyßer nach Frank-furt fährt.« (VG, 32). An dieser Stelle wird Laupeyßer erstmals namentlich in einer kursiven Passage genannt, was eine externe Sicht auf diesen nahelegt. Wenig später findet sich dann erstmals das Erzähler-Ich und der Name Laupeyßer in einem Satz in einem kursiven Abschnitt: »Eine billige Reflexion, die ich vorhin angestellt habe und von der Laupeyßer jetzt mit Agnes spricht.« (VG, 37) Erst hier wird die Nicht-Identität der beiden eindeutig und außerdem auch ihr Verhältnis geklärt, was sich noch nebulös in den bereits zitierten ersten und dritten kursiven Abschnitten (VG, 7 und 10) angedeu-tet hatte: dass der anonyme Erzähler der Erfinder der Figur Laupeyßer ist. Um den durchgängig anonym bleibenden Ich-Erzähler der kursiven Abschnitte im Folgenden eindeutig bezeichnen zu können, greife ich auf eine sehr viel spätere Stelle zurück;

dort bezeichnet er sich selbsten passant in einem metafiktionalen Kommentar als

»erfundenen Autor des allen« (VG, 308). Da die Erzählsituation, vor allem wenn man die bereits erwähnte, gleich näher zu erläuternde dritte Erzählebene hinzunimmt – eine Person erfindet einen Erzähler bzw. eine Figur (Laupeyßer), die wiederum eine Figur (Falbin) erfindet, die dann in einer Binnenerzählung agiert –, zudem die Situation eines realen Autors spiegelt, der einen Erzähler erfindet usw., scheint mir die Bezeichnung ›Autor‹-Erzähler passend zu sein. Die Komponente ›Autor‹ ist dabei zudem noch in einfache Anführungszeichen gesetzt, um sicherzugehen, dass keine

7 Für den Begriff der ›inauthentischen‹ Rede vgl. Matias Martinez / Michael Scheffel:Einführung in die Erzähltheorie[1999], 2., durchgesehene Auflage, München 2000, 17 und 161f.

Verbindung zum realen Autor (oder zum ›impliziten Autor‹ oder ähnlichen Konstruk-tionen) gezogen wird, sondern nur der Erzähler der ersten Erzählebene gemeint ist, der die Funktion eines imaginären Autors in Bezug auf die anderen Erzählebenen hat.8

Auf der Erzählebene ersten Grades9fungiert der ›Autor‹-Erzähler als einziger Erzähler, der zudem am Geschehen selbst beteiligt ist; es handelt sich damit um einen autodiege-tischen Erzähler. Dass diese Erzählebene eine eigene, mehr oder weniger ›vollständige‹

erzählte Welt bildet, mit Figuren und einer Handlung, wird anfangs nicht unmittelbar deutlich. Zwar gibt es die Hinweise darauf, dass es sich beim ›Autor‹-Erzähler um eine Person handelt, der einige wenige Eigenschaften zugeschrieben werden können, die über das Personalpronomen hinausgehen. Eine rudimentäre Handlung, weitergehend als Reflexionen zu den anderen Erzählebenen und zum Erzählen an sich, ergibt sich jedoch erst später, insbesondere nach Einführung der Figur B., der Freundin des

›Autor‹-Erzählers. Da sich die meisten Äußerungen auf die anderen Erzählebenen beziehen, handelt es sich um ein metafiktionales oder metanarratives Sprechen; die Fokalisierung ist dabei in gewissem Sinn auktorial, geht allerdings darüber hinaus, da er ja nicht nur in auktorialer Weisewahrnimmt, sondern auch schaffend oder zuschreibend agiert (vgl. z. B. »Denn Falbin soll wollen[…].«, 62); es könnte demnach

8 Wie hier dargelegt, habe ich die Bezeichnung aus dem Text abgeleitet und nicht nach der Verwen-dung des Begriffs bei Genette gebildet (vgl. Gérard Genette:Die Erzählung[1972/1983], München 1994, 164). Er verwendet den Begriff aber ähnlich, bezeichnet bspw. den Erzähler Robinson Cru-soe als Autor-Erzähler, da dieser gleichzeitig der Erzähler und der imaginäre Autor des Romans Robinson Crusoeist. Unterschiede können jedoch zum einen darin ausgemacht werden, dass der

›Autor‹-Erzähler inVGnicht der einzige Erzähler des gesamten Buchs, sondern lediglich auf seiner Erzählebene ist, zum anderen sehe ich ihn nicht auf einer extradiegetischen Ebene, ein Begriff, den ich – wie gleich erläutert – aber auch nicht benutzen werde.

9 Bezüglich der narratologischen Terminologie orientiere ich mich weitgehend an Genettes bzw. an der an ihm ausgerichteten, teils leicht modifizierten Systematik von Martinez und Scheffel (Marti-nez / Scheffel:Einführung in die Erzähltheorie). Die Bezeichnung der Erzählebenen (extra-, intra-, metadiegetisch) übernehme ich jedoch nicht, da mir die Begriffe insgesamt und vor allem für die Texte von Herbst irreführend erscheinen. Kritik vor allem am Begriff »metadiegetisch« findet sich schon bei Bal und Rimmon-Kenan, die diesem den Begriff »hypodiegetisch« entgegensetzen (vgl.

Mieke Bal: »Notes on Narrative Embedding«, in:Poetics Today2/2 (1981), 41–59, und Shlomith Rimmon-Kenan:Narrative Fiction. Contemporary Poetics, 2. Aufl., London / New York 2002, 93, 157). Da jedoch die ebenfalls nicht unproblematischen Bezeichnungen »extra-« und »intradie-getisch« übernommen werden und sich meines Wissens eine eindeutige Zuordnung noch nicht etablieren konnte, werde ich diese Begriffe nicht verwenden (siehe dazu die mir sehr einleuchtende Verwendung dieser Terminologie am komplexen Beispiel von Flann O’BriensAt Swim-Two-Birds bei Malina, die meines Erachtens aber nicht ganz mit der intendierten Verwendungsweise bei Bal und Rimmon-Kenan übereinstimmt, vgl. Debra Malina:Breaking the Frame. Metalepsis and the Construction of the Subject, Columbus 2002, 12). Ich werde daher die, wie mir scheint, unmittelbar einleuchtende Bezeichnung als Erzählebenen ersten, zweiten usw. Grades verwenden. Gegen diese Begrifflichkeit (bzw. vor allem gegen das ähnliche ›primäre, sekundäre etc. Ebene‹) wurde schon von Genette eingewendet, dass hier eine wertende Hierarchisierung impliziert würde. Zum einen kann diese Problematik jedoch ggf. durch einen entgegenwirkenden Hinweis geklärt werden, zum anderen liegt gerade beiVGdurchaus eine Hierarchie vor, da die Erzähler ja erfunden werden und damit ›abhängig‹ sind. Vgl. zu dieser Diskussion auch Manfred Jahn / Ansgar Nünning: »A Survey of Narratological Models«, in:Literatur in Wissenschaft und Unterricht27 (1994), 283–303, hier 286f.

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als meta-auktorial bezeichnet werden.10Bezogen auf die Schilderung der Handlung der eigenen Ebene, die dann in der Metalepse auch die Figuren Laupeyßer und Falbin umfasst, handelt es sich um aktoriales Erzählen, um eine interne Fokalisierung auf den Erzähler selbst (wobei die metafiktionalen Kommentare und Reflexionen keineswegs ausbleiben).

Die Erzählebene zweiten Grades wird zunächst etabliert durch den Ich-Erzähler Laupeyßer, also einen weiteren autodiegetischen Erzähler. Nach dem oben beschriebe-nen Wechsel wird ein weiterer Erzähler erkennbar; es handelt sich hier um eibeschriebe-nen nicht figürlichen, heterodiegetischen Erzähler mit interner Fokalisierung mit Laupeyßer als Perspektiventräger. Vermutlich handelt es sich dabei aber um eine lediglich dominant interne und damit um eine variable Fokalisierung. Denn auf dieser Ebene gibt es einen dritten Typus von Abschnitten, der einfach zu erkennen ist: die Gespräche Laupeyßers mit der Freundin Agnes, die durch Spiegelstriche abgesetzt sind und so den dramatischen Modus mit direkter und größtenteils sogar autonomer direkter Figurenrede markieren. Auch hier finden sich aber, abgesehen von denverba dicendi, zwischendurch, fast unbemerkt, Beschreibungen und Kommentare, die einen auk-torialen heterodiegetischen Erzähler erkennbar werden lassen. So wenn Laupeyßer Agnes mit »einem leicht traurigen Ausdruck in den Augen« (VG, 34) ansieht, diese

»nachlässig« (ebd.) in ihrer Tasse rührt oder es ihr aber »in der Tat etwas zu viel wurde« (VG, 45). Zudem gibt es auch Abschnitte, die weder Gedanken noch Gesprä-che oder Handlungen von Laupeyßer erzählen, aber durch figurale Verbindungen auf seiner Ebene angesiedelt sind, so z. B. die (auktoriale) Schilderung von Episoden aus dem Leben von Laupeyßers Großvater (vgl.VG, 35f.) oder wenige Abschnitte, die Handlungen von Axel Schulze schildern, der aus Abschnitten zusammen mit Laupeyßer bekannt ist (vgl.VG, 152f.). Ob es sich – da eigentlich unterschiedlichen Abschnitten zuzuordnen – um zwei verschiedene heterodiegetische Erzähler oder aber um eine variable Fokalisierung handelt, ist nicht eindeutig zu entscheiden. Da wiederum nichts eindeutig für eine Nicht-Identität und damit für eine weitere Verviel-fältigung der Erzählinstanzen spricht, soll im Folgenden die Annahme einer variablen Fokalisierung gelten.

Laupeyßer erfindet nun die Figur Falbin, wodurch sich eine Erzählebene dritten Grades eröffnet.11Hier spiegelt sich noch einmal die Konstruktion der zweiten Ebene.

Wie Laupeyßer agiert auch Falbin als autodiegetischer Erzähler (auch wenn er recht spät in Erscheinung tritt, sieheVG, 57), wobei diese Abschnitte andeutungsweise als Tagebucheinträge bezeichnet werden (sieheVG, 36 und 149), was jedoch nicht bei jedem Abschnitt nachvollzogen werden kann. Ebenso wie auf der zweiten Ebene

10 Genette stellt eine ähnliche Überlegung an angesichts des traditionell gebrauchten Ausdrucks der Allwissenheit. Dieser sei, »wörtlich genommen, im Bereich der Fiktion absurd […] (der Autor braucht nichts zu ›wissen‹, da er alles erfindet) und den man besser ersetzen sollte durchvollständige Information« (Genette:Die Erzählung, 242, Hervorhebung im Original). Was bei Genette durch die fehlende Unterscheidung zwischen Autor und Erzähler seine argumentative Stringenz verliert, wird beim ›Autor‹-Erzähler stimmig, da er durch seine metanarrativen Kommentare den Vorgang des Erzählens abbildet.

11 Damit zeigt sich wieder die Schwierigkeit, dem Erkenntnisprozess des Lesers auf übersichtliche Weise zu folgen; die oben beschriebene Identifizierung des ›Autor‹-Erzählers erfolgt eigentlich nach der Erfindung von Falbin.

wechseln sich die autodiegetisch erzählten Passagen ab mit solchen mit einem hetero-diegetischen Erzähler mit dominant interner Fokalisierung, wobei diesmal Falbin Perspektiventräger ist. Und auch hier gibt es wieder die variable Fokalisierung, sodass sich auch in Abschnitten, die thematisch mit Falbin verbunden sind, auktoriale Kom-mentare finden (vgl. z. B. die Perspektive der Kollegen,VG, 54). Im Folgenden wird der Anschaulichkeit halber die Ebene zweiten Grades auch als Laupeyßer-Ebene und die Ebene dritten Grades als Falbin-Ebene bezeichnet. Diese umfassen aber nicht nur die von diesen selbst erzählten Abschnitte, sondern alle Abschnitte, die thematisch mit ihnen verbunden sind oder in denen sie sogar Perspektiventräger sind.

Es gibt viele Verbindungen zwischen den einzelnen Erzählern (und auch der verschie-denen Ebenen), die sich dadurch auftun, dass sie über die Abschnittsgrenzen hinaus aufeinander Bezug nehmen. Während die eingeschobenen Kommentare des ›Au-tor‹-Erzählers noch nachzuvollziehen sind, da er sich als »Autor des allen« zu erkennen gegeben hat, wird der Leser durch andere Bezugnahmen vor größere Schwierigkeiten gestellt. So endet der erwähnte Abschnitt über Laupeyßers Großvater mit einem Hin-weis des (nicht figürlichen) Erzählers auf Falbin, der im folgenden, wieder nur durch ein Komma (und Leerzeile) separierten Abschnitt im Fokus steht (sieheVG, 36f.).

Warum weiß also der Erzähler der zweiten Ebene etwas von Falbin, der auf der dritten Ebene angesiedelt ist? Zu Anfang ist es wohl so, dass Laupeyßer die Falbin-Passagen (zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich mit heterodiegetischem Erzähler) Agnes mündlich wörtlich genauso wie niedergeschrieben erzählt. Dies wird nicht nur durch Einwände von Agnes insinuiert, die durch Spiegelstriche und eigene Absätze markiert sind, sondern ganz explizit deutlich durch Laupeyßers Anrede an sie innerhalb der

Warum weiß also der Erzähler der zweiten Ebene etwas von Falbin, der auf der dritten Ebene angesiedelt ist? Zu Anfang ist es wohl so, dass Laupeyßer die Falbin-Passagen (zu diesem Zeitpunkt noch ausschließlich mit heterodiegetischem Erzähler) Agnes mündlich wörtlich genauso wie niedergeschrieben erzählt. Dies wird nicht nur durch Einwände von Agnes insinuiert, die durch Spiegelstriche und eigene Absätze markiert sind, sondern ganz explizit deutlich durch Laupeyßers Anrede an sie innerhalb der

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