• Keine Ergebnisse gefunden

Die Bedeutung des Figurengeflechts

Im Dokument Von Bremen in die Anderswelt (Seite 183-187)

3.3 ›Prinzipien in wechselnder Gestalt‹

3.6 Das Deters-Netzwerk

3.6.5 Die Bedeutung des Figurengeflechts

Diese Schleifen sind wie insgesamt für die Konstruktion des Romans auch für das Verhältnis aller Deters-Instanzen untereinander kennzeichnend. Wurden sie bislang (bis auf die Figur Cordes) alle in ihrer Autor-Funktion beschrieben, als eine sich potenzierende Hierarchie von Autoren auf einer Struktur von Meta-Ebenen, so bleibt wie mehrfach angedeutet auch diese Hierarchie nicht bestehen. So wie Deters II entgegen herkömmlicher Richtungen schon seinen Überautor erfindet, so erdenkt sich auch Deters nicht nur seine Geschichte, sondern auch seinen ihn erfindenden ›Autor‹, wie zwischendurch wieder eingeflochten wird (vgl.WB, 767, 786, 834, 873 u. ö.). Das Verhältnis dieser vier Instanzen ist also mit herkömmlichen Denkvorstellungen nicht zu vereinbaren. Zwar sind sie auch »zeitliche Aufspaltung[en]«129einer Person, doch sie lediglich als solche zu sehen, greift zu kurz. Sie hängen miteinander zusammen, sind identisch und doch wieder nicht. Sie sind Aufspaltungen einer Person, die sich

128 Eine andere Andeutung, Cordes sei ein Vampir, wird noch weniger ausgeführt und ist zudem widersprüchlich. Alda spricht diese Vermutung als Warnung aus und bezieht sich dabei auf die Zugfahrt (vgl.WB, 704). Dort ist das fehlende Spiegelbild, ein typisches Vampirkennzeichen, aber eindeutig Deters zugeschrieben (vgl.WB, 89). Dieser hat aber andererseits an anderer Stelle wieder ein Spiegelbild, obwohl er gleichzeitig eine Veränderung seiner Zähne bemerkt (vgl.WB, 161).

Auch in Bezug auf Deters bleibt die Andeutungen einer Verwandlung problematisch, da er sich vermutlich am Ende dann nicht in einen Vampir verwandelt, sondern in einen Luchs. Reber hält das Motiv daher für ein »interpretatorisches ›Dead End‹« (Reber:Formenverschleifung, 408 FN 169).

Ein Anschluss an die zugehörige Symbolik ausVGist jedoch anzunehmen.

129 Scherer: »Die Metamorphosen des Wolpertingers«, 180.

jedoch weder zeitlich-räumlich noch von ihrem Persönlichkeitsumfang zu dieser wieder zusammenfügen lassen.

Als Bild zur Veranschaulichung ist das eines Netzwerks dienlich, möglicherweise eines »Ego-Netzwerk[s]«130von Figuren, die zeitlich voneinander unterschiedene Entwicklungsstufen eines Ichs sind. Als weiteres Bild wurde mehrfach das eines Rhi-zoms vorgeschlagen. Ein erster jedoch kontextloser Hinweis findet sich bei Scherer131, Moosbach/Patorski baut seine gesamte Arbeit auf den Begriff nach dem Verständnis von Deleuze und Guattari auf,132und auch Reber bezieht sich auf dem Rhizombegriff verwandte Konzepte von ihnen wie ›Fluchtlinien‹ oder ›Werden‹133. Neben Zweifeln an der Schlüssigkeit der Übertragung von recht willkürlich gewählten philosophischen Modellen auf Herbsts Werke, stellt sich die Frage, inwieweit solche Bilder wirklich hilfreich sind. Sie können zwar versuchen, die Zusammenhänge zu veranschauli-chen, indem sie ein griffiges Bild zur Verfügung stellen. Das Deters-Netzwerk als einen »Block des Werdens«134zu sehen oder von einer »dynamischen Konsistenz-ebene eines Dreiergefüges«135zu reden, sagt aber wenig aus über die Funktion dieser Konstruktion.

Hinweise auf die Funktion ergibt ein kontrastierender Vergleich mitVG. Wie im zugehörigen Abschnitt bereits angesprochen, hat die Figurenaufspaltung dort die psy-chologischen Züge klassischer Doppelgänger, die Veranschaulichung verschiedener charakterlicher Aspekte einer Person in der Aufspaltung in zwei oder mehr. Dies trifft inWBnicht zu. Über das natürlich durch die romantischen Vorbilder als intertex-tueller Bezugspunkt mitzudenkende Doppelgängermotiv geht diese Konstruktion hinaus.136Zum einen sind die Deters-Instanzen zeitlich voneinander getrennt und treffen sich (teilweise) erst in einer merkwürdigen Verschlingung der Zeitebenen, zum anderen stellen sie keine sich entgegenstehenden oder ergänzenden charakterli-chen Züge dar. Im Rahmen ihrer Übertragung bachtinscher Überlegungen aufWB kommt Reber zu der Aussage, dass »den menschlichen Figuren, so wie sie geschildert sind, […] außerhalb ihrer jeweiligen Rollen kein Sein zukommt. Der Wechsel der Rolle geht stets mit dem Wechsel der ›Identität‹ im engeren Sinne einher«137. Wie weiter oben dargestellt, gilt dies auf unterschiedliche Weise für alle Figuren des Ro-mans. Die Deters-Figuren sind allerdings das deutlichste Beispiel nicht unbedingt für die Rollenhaftigkeit, sondern für den Rollen- und Identitätswechsel selbst.138Dies

130 Reber:Formenverschleifung, 320.

131 Scherer: »Die Metamorphosen des Wolpertingers«, 180.

132 Moosbach: »Das Ribbentrop-Rhizom«.

133 Vgl. Reber:Formenverschleifung, 318 und passim.

134 Moosbach: »Das Ribbentrop-Rhizom«, 54.

135 Reber:Formenverschleifung, 337.

136 Vgl. auch ebd., 330f.

137 Ebd., 353.

138 Dass von »Bertrecht dem Dichter und Bertrecht dem Terroristen, von Katrin Legrand der Coop-Verkäuferin und Katrin-Kybele als nicht nur chronologisch und phantasmatisch, sondern als tatsächlich und radikal geschiedenen Personen gesprochen werden kann« (ebd.), wird in der Hand-lung nicht weiter ausgebaut. Zwar gibt es Hinweise darauf im Text (vgl.WB, 715), doch sind sie so marginal, dass ein Vergleich mit der Aufspaltung der Deters-Figuren keineswegs möglich ist.

Das Deters-Netzwerk 185

macht den Unterschied zu der eigentlich ähnlichen Konstruktion inVGaus: Ihre Rollen definieren sich durch die Funktionen, die ihnen in bestimmten Kontexten zugeschrieben werden. Innerhalb der oben beschriebenen, immer miteinander ver-wobenen Motivkomplexe wird ihnen dann sogar eine aktive Rolle zugeschrieben.

Im ›Geschlechterkampf‹ müssen sie den männlichen Part und in denHieros gamos die diesem zugewiesene Rolle übernehmen. Im Kampf der gegeneinanderstehen-den Positionen Mythos vs. Logos bzw. Elben vs. moderne Menschen kommt ihnen die Vermittlerrolle zu. Insgesamt stellen sie wichtige, da aktive Teile innerhalb der metanarrativen Gesamtkonstruktion dar, haben Funktionen innerhalb des metanar-rativen Spiels. Sie sind die Aktivpunkte, die das Spiel am Laufen halten. Die personale Aufspaltung ist daher im Wesentlichen nicht psychologisch, sondern metanarrativ begründet.

Im Dokument Von Bremen in die Anderswelt (Seite 183-187)