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Verständnis von Lernen (Entwicklung des Lernbegriffs von

5.2 Lernen im Alter

5.2.1 Verständnis von Lernen (Entwicklung des Lernbegriffs von

Zunächst liegt eine theoretische Fundierung des Lernbegriffs mithilfe der traditionellen Lerntheorie nahe. Dazu sollen die traditionellen Lerntheorien kurz erläutert werden.

Die klassischen psychologischen Lerntheorien versuchten immer, Lernen vom Außenstandpunkt zu erklären und setzten dabei gleichzeitig auch dessen Ermöglichung voraus. Aber in neueren Ansätzen rückt zunehmend die Situation selbst in den Mittelpunkt des Interesses. Mandl & Gruber & Renkl (1995) beschreiben menschliches Lernen als einen Prozess, in dem personeninterne Faktoren mit personenexternen, situativen Komponenten in Wechselbeziehung

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stehen (vgl. Mandl & Gruber & Renkl 1995, S.168 ff. und Sindler 2004, S. 13).

Im Folgenden werden die drei wichtigsten Lerntheorien, Behaviorismus, Kognitivismus und Konstruktivismus, genauer erklärt. Die Grundposition des Behaviorismus, der 1913 von John B. Watson begründet wurde, lässt sich dem Objektivismus zuordnen und besagt, dass Wissen extern und unabhängig vom Lernenden existiere.

In behavioristischen Lerntheorien wird Lernen als eine Verhaltensänderung verstanden, die durch definierte Reize in der Umgebung beeinflusst wird, wobei Annahmen über Struktur oder Funktionsweise des Geistes nicht zulässig sind (vgl.

Sindler 2004, S. 14 f.). Das Verhalten ist das sichtbare Ergebnis von Reiz-Reaktions-Verbindungen, die der Organismus - ausgehend von einigen elementaren angeborenen Reflexen - im Laufe der Zeit erlernt hat. Um die Komplexität des menschlichen Lernprozesses in den Griff zu bekommen, versuchte man in der behavioristischen Lerntheorie ein Modell zu konstruieren, das den Input (Stimulus) und den Output (Response) des Individuums als einzige Variablen in den Mittelpunkt stellen würde. Das Individuum wird hierbei als Black-Box betrachtet:

Nach Abbildung 15 wird der Lernprozess selbst als „Black-Box“ angesehen und als relativ irrelevant betrachtet. Zudem besteht ein wesentliches Ziel der behavioristischen Lerntheorien in der Erklärung der Beziehung zwischen dem Verhalten eines Individuums und den auslösenden Umweltreizen bzw. situativen Bedingungen.

Nach meiner Auffassung berücksichtigen die behavioristischen Lerntheorien bei der Individuum

Stimulus Response SR-Paradigma (Umweltreiz) (bestimmte Reaktion)

Input Output Black-Box

(vgl. Güldenberg 1998, S. 79)

Abbildung 15: Die behavioristischen Lerntheorien

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Betrachtung von Lernvorgängen die besonderen Fähigkeiten des Menschen nicht.

Insbesondere beziehen sie sich auf die sehr eingeengte Auffassung von Lernen als Reiz-Reaktions-Verbindung. Deswegen sind sie für die Bewältigung von komplexen Problemstellungen des Lernens weder in der Theorie noch in der Praxis geeignet.

Aus diesem Grund kam es in den 1960er Jahren zur „kognitiven Wende“, wodurch nun auch mentale Prozesse des Lernens in die Forschung einbezogen wurden.

Während der Behaviorismus die Lerntätigkeit als Ansatzpunkt hatte, konzentrierte sich der Kognitivismus auf die beim Lernen im Gehirn ablaufenden Prozesse der Informationsverarbeitung. Zudem betrachten die Kognitivisten intrapsychische Prozesse nicht als Phänomen der Black-Box, sondern als intervenierende Variablen zwischen dem äußeren Stimulus und dem gezeigten Verhalten. Das Ziel der Kognitivisten ist es, das Wesen der Intelligenz und des Denkens des Menschen zu verstehen (vgl. Sindler 2004, S. 20).

Unter kognitivistischen Lerntheorien wird Lernen als eine vom Lernenden aktiv zu leistende Informationsaufnahme und -verarbeitung verstanden. Daher gehen kognitivistische Lerntheorien von der Annahme aus, dass die menschliche Wahrnehmung als aktive Konstruktionsleistung der Person zu werten sei. Damit gewinnen die Denk- und Verstehensprozesse des Lernenden in diesen Theorien einen zentralen Stellenwert (vgl. Sindler 2004, S. 20).

Alle Informationen werden zunächst mit den bisher gemachten Erfahrungen verglichen und auf deren Basis interpretiert, um dann weiterverarbeitet zu werden.

Die gespeicherten Erfahrungen werden in dieser Theorie subjektiv verstanden, denn sie basieren immer auf den vorher gemachten Erfahrungen, und neue Informationen werden nur in Verbindung damit abgespeichert. Die Schwächen der kognitivistischen Lerntheorien zeigen sich vor allem in der Reduktion des menschlichen Lernens auf mentale Informationsverarbeitungsprozesse, wodurch körperliche und soziale Aspekte des Lernens nahezu ausgeblendet werden.

Genau hier setzt der Konstruktivismus an. Konstruktivistische Ansätze stellen die Person und ihre jeweils subjektiven Konstruktionen in den Mittelpunkt des Geschehens.

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In den konstruktivistischen Lerntheorien wird Lernen als subjektive Konstruktion von Wissen, Ideen und Konzepten verstanden. Damit stellen die konstruktivistischen Lerntheorien den individuellen Lernprozess, bei dem der Lehrende dem Lernenden in situierten Anwendungskontexten durch sein Tun, durch Hinweise, Fragen und Informationen hilft, selbst Wissen zu konstruieren, in den Mittelpunkt ihrer Theorie (vgl. Thissen 1997, S. 75). Als Lernender eignet man sich nicht einfach Wissen an, sondern konstruiert sich sein Wissen selbstständig und individuell unterschiedlich.

Somit handelt es sich bei dieser Theorie nicht um eine Wissensrepräsentation, sondern um eine subjektive Wissenserzeugung. Zudem lassen sich aus der konstruktivistischen Lerntheorie viele wertvolle Hinweise zur Gestaltung der Lernumgebung gewinnen. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen werden individuelle Unterschiede stärker berücksichtigt. Die Konzepte sind weniger autoritär und zur Vermittlung komplexer Fähigkeiten besser geeignet; dazu gehören Problemlösungskompetenz sowie kritisches und ganzheitliches Denken. Vor allem können die Problematik des trägen Wissens und mangelnden Transfers berücksichtigt werden (vgl. Sindler 2004, S. 34).

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass der Konstruktivismus durch Ablehnung der Wechselwirkung zwischen der externen Präsentation und dem internen Verarbeitungsprozess vom Kognitivismus abhängt, im Gegensatz zum Behaviorismus aber die internen Verstehensprozesse und die individuelle Wahrnehmung, Interpretation und Konstruktion betont.

Im Zuge der angeführten Kritik an den gängigen Lerntheorien sind einige Anforderungen an eine verbesserte Lerntheorie zu formulieren. Eine Lerntheorie, die das Lernen Erwachsener in angemessener Weise abbildet, sollte

∙ Menschen auf der Basis von Sinnstrukturen behandeln, die in einem engen Zusammenhang mit ihrer körperlichen, sozialen und gesellschaftlichen Existenz stehen,

∙ die Besonderheiten spezifischer Lernsituationen erkennen und nicht in einem allgemeinen Modell von Leben auflösen,

∙ an bildungstheoretische Modelle anknüpfen, in denen Lehre und Lernen in einem Spannungsverhältnis gesehen werden (vgl. Grell 2006, S. 22 f.).

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Vor dem Hintergrund dieser Anforderungen wäre es sinnvoll, auf Klaus Holzkamp (1993) Bezug zu nehmen. Holzkamp vollzieht eine entscheidende Wende, indem er Lernen nicht mehr als passiven, sondern als aktiven Aneignungsprozess ansieht.

Zudem begründet er seine subjektwissenschaftliche Grundlegung mit der Kritik an der herkömmlichen psychologischen Lerntheorie, die er als Lehr-Lern-Kurzschluss bezeichnet. Er stellt dar, wie die Lerntheorie sich bislang nicht aus dem Stimulus-Response-Konzept, wonach Lernen durch externe Reize steuerbar erscheint, gelöst hat. In seinem Werk „Lernen“ (1995) entwirft er eine Lerntheorie, die - anders als die traditionellen Lerntheorien - den herkömmlichen Außenstandpunkt verlässt und die Perspektive des Lernsubjekts selbst annimmt, um umfangreiche und tiefe wissenschaftliche Einblicke in das Problem des Lernens zu gewinnen. Er stützt sich dabei auf seinen subjektwissenschaftlichen Ansatz und setzt so den Standpunkt des Lernsubjekts mit dem der wissenschaftlichen Analyse gleich. Demnach ist der Lernende nicht mehr ein Objekt, das unter externen Einflüssen steht, sondern selbst der Initiator seiner Lernhandlungen.

Lernen wird im Allgemeinen definiert als „subjektiv sinnvolle Reaktion auf eine bestehende Handlungsproblematik in der Lebenssituation der Person, die eine Diskrepanz zwischen einem ‚nicht können‘ und ‚können wollen‘ oder ‚können müssen‘ erlebt, dann ist es sicher angemessen, diesen Lebenskontext, der zu der Diskrepanzerfahrung geführt hat, zu berücksichtigen“ (Grell 2006, S. 67 f.).

Diese oberflächliche Definition von Lernen basiert auf einer Unterscheidung, die Holzkamp mit den Begriffen relatives und fundamentales Lernen kennzeichnet. Er führt die beiden Begriffe in seinem Beitrag aus dem Jahr 1987 „Lernen und Lernwiderstand“ aus Sicht des lernenden Subjekts, also aus Sicht des Lernvollzugs, wie folgt ein: Die Aufhebung einer Lernproblematik erfolgt nur durch fundamentales Lernen, da eine Antwort auf die Frage gefunden werden muss, wie das Subjekt künftig lernen müsse, um in seinem eigenen Lerninteresse weiterzukommen.

Für die Realisierung dieses fundamentalen Lernschritts sind die Prinzipien des bisherigen relativen und fundamentalen Lernens zu analysieren, die Grenzen bisheriger und für die Überwindung der Lernproblematik erforderlicher Lernformen zu erkennen und neue Lernprinzipien zu entwickeln, die es ermöglichen, neue

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Bedeutungsebenen des Lerngegenstands zu kennzeichnen.

Folglich ist fundamentales Lernen „eine aus den inhaltlichen Notwendigkeiten des weiteren Lernfortschritts begründete qualitative Selbstveränderung der initialen Lernproblematik: dem Lernenden wird dabei also im Lernvollzug am Lerngegenstand mit dessen Durchdringung bzw. Erweiterung nicht weniger, sondern mehr problematisch, und er gewinnt mit dem fundamentalen Lernschritt somit quasi ein neues ‚Problembewußtsein‘ als Basis weiteren ‚relativen Lernens‘ (bis zur nächsten

‚Lernkrise‘)“ (Holzkamp 1987, S. 29).

Im Gegensatz zum fundamentalen Lernen ist relatives Lernen durch einen

„Lernfortschritt im Rahmen des durch die Lernproblematik ausgegliederten Lerngegenstands gekennzeichnet, wobei diese Ausgliederung selbst unproblematisch bleibt“ (Holzkamp 1987, S. 29). Relatives und fundamentales Lernen stellen also unterschiedliche Niveaustufen dar.

Nach den subjektwissenschaftlichen Lerntheorien ist das Lernen kein automatischer Prozess, sondern ein gerechtfertigtes menschliches Handeln. Die Lernenden setzen sich Ziele und bewerten die Folgen ihrer Handlungen. Die Ziele können nur dann erreicht werden, wenn die Lernenden persönliche Motive haben und die Absicht verfolgen, auf eine bestimmte Weise zu handeln.

5.2.2 Lernen im Alter aus psychologischer Sicht: Intelligenz und Lernfähigkeit