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Ursprungsphase: Weltbildungskrise und Notwendigkeit der Entwicklung

3.1 Entwicklung von Konzepten des Lebenslangen Lernens im

3.1.1 Ursprungsphase: Weltbildungskrise und Notwendigkeit der Entwicklung

In der Ursprungsphase (Ende der 1960er- bis Anfang der 1970er-Jahre) wurde die Notwendigkeit des Umbaus der traditionellen Bildungssysteme, die auf Lernen im Kindes- und Jugendalter und die dahinterstehende Annahme eines

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„fertigen“ Erwachsenen konzentriert waren, und der Entwicklung eines umfassenden lebenslangen Bildungskonzepts in zunehmendem Maße erkannt. Diese Notwendigkeit ergab sich aus der vermeintlichen oder tatsächlichen Weltbildungskrise, die in der mangelnden Effektivität und Effizienz der Bildungssysteme in den Industrienationen zum Ausdruck kam (vgl. Koepernik 2010, S. 82 f.).

Aufgrund dieser Notwendigkeit wurde das Konzept der „Permanent Education.

Fundamentals for an Integrated Policy“ als Strategie oder als Modell der Zukunft vom Europarat im Jahre 1971 beschrieben und umfasste das gesamte Feld der Bildungsmöglichkeiten im Leben einer Person mit ihren verschiedenen Lebensphasen. Damals wurde der Schwerpunkt auf die Basisausbildung bis zum Jugendalter gelegt, aber nun wurde das Konzept der Ausbildung auf das Lernen im Erwachsenenalter ausgedehnt. Deswegen wird der Begriff der „Permanent Education“ als ein Synonym für Erwachsenenbildung verstanden.

Auch „Permanent Education“ zielt auf eine umfassende Ausweitung des Bildungssystems mit qualitativ individualisierten und flexibilisierten Lernmöglichkeiten, Befriedigung menschlicher Bedürfnisse, Erschließung der Wissenschaften und insbesondere persönlichem Wachstum im Erwachsenenalter.

Im Konzept des Europarats wird die Spannung aus individuellen und gesellschaftlichen Bedürfnissen sowie der gesellschaftliche Wandel gesehen, von denen ein Anpassungsdruck auf die Individuen ausgeht. Deswegen könne Lebenslanges Lernen nicht nur zu einer Chancengleichheit unter den Menschen beitragen, sondern auch die Entwicklung verantwortungsbewusster Menschen fördern. Dabei ist das Konzept „Permanent Education“ vor allem bildungspolitisch angelegt und enthält weniger konkrete Realisierungsschritte oder didaktische Ausführungen.

Im Kontext der Diskussion um Permanent Education wurde die Frage der Öffnung der Hochschulen für ältere Lernende sowohl im Bereich des grundständigen wie auch des weiterbildenden Studiums thematisiert (vgl. Faulstich 2003, S. 283, Koepernik 2010, S. 85, Arnold & Pachner 2011, S.165 f., Kuhlenkamp 2011, S. 29 und Wolter & Banscherus 2016, S. 57).

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Ein Jahr später wurde der Faure-Bericht „Learning to Be. The word of education and tomorrow“ (deutsch: „Wie wir leben lernen. - Ziele und Zukunft unserer Erziehungsprogramme“) von der UNESCO im Jahre 1972 vorgelegt. Der Hauptgedanke dieses Berichts ist, dass Lernen sowohl ‚lebenslang„ als auch

‚überall„ stattfinden müsse. Der Faure-Bericht verwendet weniger die Bezeichnung Lebenslanges Lernen („life-long learning“), sondern Lebenslange Bildung („life-long education“14 ), die die gesamte Lebensspanne und alle Lebensbereiche des Menschen umfasst.

Dabei kann die Lebenslange Bildung („life-long education“) sowohl in spontaner, bewusster und unbewusster Weise als auch institutionsgebunden, nicht institutionalisiert oder in individueller Eigenorganisation stattfinden.

Darüber hinaus steht im Zentrum des Faure-Berichts die lernende Gesellschaft bzw.

die Lerngesellschaft, die als verwirklicht gilt, wenn Lernen sich durch seinen Verlauf und seine Vielschichtigkeit auf das ganze Leben ausweitet und Aufgabe der ganzen Gesellschaft und ihrer sozialen, wirtschaftlichen und erzieherischen Mittel ist. Laut dem Faure-Bericht „geht es auch nicht mehr darum, punktuell ein für alle Mal Wissen zu erwerben, sondern sich darauf einzustellen, während des ganzen Lebens ein sich ständig entwickelndes Wissen zu erarbeiten und leben zu lernen“ (Faure 1973, S.

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Ziel dieses Berichts ist die Modernisierung der Bildungssysteme, insbesondere die Stärkung der informellen Bildung und ein verstärkter Realitätsbezug, mit dem der Begriff der Allgemeinbildung um sozioökonomische, technische und praktische Kenntnisse erweitert wurde. Damit werden Bildung und Lernen über Kindheit und Jugend hinaus auf alle Lebensphasen und über formale Bildungsinstitutionen hinaus auf alle Lebenssituationen und -kontexte ausgedehnt (vgl. Schemmann 2001, S.128 f., Schuetze 2007, S.178, Koepernik 2010, S. 84, Arnold & Pachner 2011, S.165 f.

und Wolter 2012, S.192).

14Es gibt eine Unterscheidung zwischen „learning“ und „education“. Dem Begriff „learning“ wird eine biologische Bedeutung zugeschrieben und als grundlegende Veranlagung eines Menschen betrachtet. Dagegen wird der Begriff „education“ als organisiertes und strukturiertes Lernen bezeichnet, d. h., „learning“ ist ein eigenverantwortlicher Prozess und „education“ ist ein von außen gesteuerter Lehr-/Lernprozess (Koepernik 2010, S. 84).

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Ein weiteres Jahr später wurde das Konzept der „Recurrent15 Education. A Strategy for Lifelong Learning“ (deutsch: „Ausbildung und Praxis im periodischen Wechsel“) von der Organisation for Economic Cooperation and Development/Centre for Educational Research and Innovation (OECD/CERI) veröffentlicht. „Recurrent Education“ ist als ein Konzept charakterisiert, das die Ausdehnung von Bildung und Ausbildung über die gesamte Lebensdauer der Individuen im periodischen Wechsel mit anderen Aufgaben und Aktivitäten des Lebens vorsieht, besonders mit dem Beruf.

Mit diesem Konzept der „Recurrent Education“ werden erste konkrete Entwürfe zur Organisation und Funktion der Erwachsenenbildung angefertigt. Bildung und Lernen innerhalb des Rahmens des Lebenslangen Lernens sollen sich nach der allgemeinen Schulpflicht in wiederholenden Phasen abwechseln mit Phasen der Arbeit und anderen sozialen Aktivitäten. Auch schulisches Lernen soll durch Wissen von „außen“ angereichert werden, zudem sollen außerschulische Erfahrung und schulisches Wissen miteinander verknüpft werden.

Die OECD beschwört nicht nur die Möglichkeiten des Lebenslangen Lernens, die Gleichheit der Bildungschancen und damit Lebenschancen zu verwirklichen, sondern auch die Kluft zwischen Bildungs- und Arbeitswelt zu verringern.

Im Kontext der Diskussion um Recurrent Education und das Verhältnis zwischen Bildung und Arbeit wurden Fragen des Hochschulzugangs und der Hochschulzulassung sowie übergreifend die Flexibilisierung des postsekundären Bildungswesens erörtert. Seit Ende der 1970er-Jahre rückten verstärkt nicht traditionelle Studierende in den Fokus der OECD. Dies waren vor allem ältere Studierende und Studieninteressierte mit beruflicher Vorbildung, die nicht über eine Studienberechtigung im traditionellen Sinn verfügten. Im Mittelpunkt stand die Frage, wie der Übergang zur Hochschule für diese Gruppen erleichtert werden könnte.

Zudem wurde diskutiert, welche Rolle ein Ausbau des Fern- und Teilzeitstudiums spielen könnte. Bereits zu diesem Zeitpunkt wurde über Möglichkeiten zur

„Übertragbarkeit von erworbenen Leistungsnachweisen“ beraten (vgl. Arnold &

15 Der Begriff „recurrent“ ist aus dem lateinischen „recurrere = zurücklaufen oder wiederkehren“ abgeleitet, d. h., jede/r kann jederzeit zu Veranstaltungen organisierten Lernens zurückkehren (Koepernik 2010, S. 85).

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Pachner 2011, S. 167, Kuhlenkamp 2011, S. 17 ff., und Wolter & Banscherus 2016, S. 56).

Insgesamt führte in dieser Ursprungsphase der Europarat den Begriff „Permanent Education“ ein, während die UNESCO von „Lifelong Education“ sprach und die OECD den Begriff „Recurrent Education“ nutzte. Alle diese Konzepte betonen die Kontinuität über die gesamte Lebensspanne hinweg und heben die Lernformen des formalen, nicht formalen und informellen Lernens hervor.