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Verfassungsrechtliche Verankerung der einfach gesetzlichen Subprinzipien? 101

Kapitel 2 – Verfassungsrechtliches Umfeld

A. Verfassungsrechtliche Grenzen des Ertragsteuerrechts

I. Grenzen aus Art. 3 I GG

1. Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit

1.2 Verfassungsrechtliche Verankerung der einfach gesetzlichen Subprinzipien? 101

Die bloße Verankerung dieser Prinzipien in den einfachen Gesetzen gibt aber keine Auskunft darüber, ob auch das Grundgesetz als Verfassung (und insbesondere der allgemeine Gleich-heitssatz) diese Prinzipien zwingend erfordert.

Bezüglich des subjektiven Nettoprinzips besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass diesem in vielen Ausprägungen (u.a. bei der Berücksichtigung des sächlichen Existenzminimums, im Bereich existenzsichernder Vorsorgeaufwendungen sowie bei der Berücksichtigung der ge-setzlichen Unterhaltsverpflichtungen) Verfassungsrang zukommt. Die verfassungsrechtliche Absicherung wird von der Rechtsprechung und Literatur zumeist aus den Freiheitsrechten o-der aus dem Sozialstaatsprinzip sowie (teilweise) aus Art. 3 I GG hergeleitet.555

Hinsichtlich des objektiven Nettoprinzips ist die Beurteilung uneinheitlicher. Der überwie-gende Teil der Literatur schreibt diesem Prinzip Verfassungsrang zu.556

Während jedoch die Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit unbestritten als Ausfluss des allgemeinen Gleichheitssatzes betrachtet wird, wird die Begründung für eine verfassungsrechtliche Geltung dessen Subprinzips nur zu einem Teil aus Art. 3 I GG selbst entnommen.557

Die Ableitung aus Art. 3 I GG wird darauf gestützt, dass aus dem Gleichbehandlungsgedan-ken anerkanntermaßen das Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit folgt. Wenn dem so ist, so könne es auch verfassungsrechtlich für den Bereich der Ertragsteu-ern keinen anderen Vergleichsmaßstab zur Ermittlung dieser Leistungsfähigkeit als das Net-toprinzip (und damit eben auch das objektive NetNet-toprinzip) geben.558

555 Nur freiheitsrechtlich begründet etwa: BVerfG v. 25.09.1992 2 BvL 5/91 u.a. (Existenzminimum) = BVerfGE 87, 153 (169); aus jüngerer Zeit unter Einbeziehung von Art. 3 I GG etwa: BVerfG v. 13.10.2009 2 BvL 3/05 (Kindesexistenzminimum) = BVerfGE 124, 282 (294); BVerfG v. 13.02.2008 2 BvL 1/06 (Krankenversiche-rungsbeiträge) = BVerfGE 120, 125 (154) stRspr. m.w.N.; stellvertretend für viele Stimmen der Literatur Hey in:

Tipke/Lang Steuerrecht (21.Auflage) § 8 Rn 74

556 Frye FR 2010, 603 ff.; Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92 ff.; Jachmann DStR 2009 Beihefter Heft 34, 129 ff.; Wernsmann DStR 2009 Beihefter Heft 34, 101 (106); Lehner DStR 2009, 185 ff.; Tipke JZ 2009, 533 (537); Drüen StuW 2008, 3 ff.; Lang StuW 2007, 3 ff.; P. Kirchhof StuW 2006, 3 (9); Palm DStR 2002, 152 (155)

557 Tipke JZ 2009, 533 (537 f.); Lang StuW 2007, 3 (4); Jachmann DFGT 2 (2005), 59 (66 ff.)

558 Lang StuW 2007, 3 (4); Tipke JZ 2009, 533 (537f.); ders. BB 2007, 1525 (1527)

Erhebliche Teile der Literatur, die die Geltung des objektiven Nettoprinzips als Teil der Ver-fassung ansehen, entnehmen dessen Geltung auch den Freiheitsrechten der Art. 12 I GG, Art. 14 I GG und der Finanzverfassung (insbesondere Art. 106 III GG).

Soweit auf die Freiheitsrechte abgestellt wird, soll sich das Gebot einer sog. „Ist-Besteuerung“ (und damit des objektiven Nettoprinzips) etwa aus der Privatnützigkeit des ver-fassungsrechtlichen Eigentumsbegriffes ergeben.559 Eine „Ist-Besteuerung“ knüpft nur an die erzielten Erträge und – im Gegensatz zu einer „Sollbesteuerung“ – nicht an mögliche, aber eventuell tatsächlich gar nicht erzielte Erträge an. Das Eigentum im Sinne des Art. 14 I GG wird als dem steuerpflichtigen Bürger zugewiesenes (also privatnütziges), vermögenswertes Recht verstanden. Wenn der Bürger zur Versteuerung von Bruttoeinnahmen herangezogen werden würde, so würde ihm ein höheres Einkommen fingiert, als ihm tatsächlich zur Verfü-gung steht, da er bereits Vermögen durch die getätigten Erwerbsaufwendungen verloren hat.

Teilweise wird bereits hierin der Verstoß gegen die Eigentumsfreiheit gesehen, da das objek-tive Nettoprinzip Ausprägung des Gebots angemessener Besteuerung560 sei.561 Dieser Ansatz setzt sich allerdings in Abweichung zur ständigen Rechtsprechung des ersten Senats des BVerfG562 und zu erheblichen Teilen der Literatur,563 welche den Schutz des Vermögens als solches nicht an Art. 14 GG messen.

Andererseits wird etwa darauf abgestellt, dass bereits die Entscheidung darüber, wofür erziel-tes Einkommen verwendet wird, Teil der Privatnützigkeit der Eigentumsfreiheit sei.564 Nach dieser Meinung stellt sich die Frage, ob das objektive Nettoprinzip Verfassungsrang hat, also als eine Frage nach der Tragweite der Entscheidungsbefugnisse des Eigentümers aus der ihm zustehenden Privatnützigkeit seiner vermögenswerten Rechte dar. Diese Entscheidung müsse vom Gesetzgeber akzeptiert werden und dürfe nicht durch Besteuerung der die Privatnützig-keit sichernden Aufwendungen unterlaufen werden.

Soweit auf Art. 12 I GG (oder auch auf Art. 2 I GG) abgestellt wird, wird angeführt, dass das Grundgesetz565 keine Pflicht zur Erwerbstätigkeit vorsehe.566 Nach dieser Meinung liegt also

559 Lehner DStR 2009, 185 (190); Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92 (94); Frye FR 2010, 603 (607);

P. Kirchhof StuW 2006, 3 (9)

560 Siehe dazu unten S. 111 ff.

561 Frye FR 2010, 603 (605, 607), der die Verkennung des objektiven Nettoprinzips als „Luftbesteuerung“ be-zeichnet.

562 Aus jüngster Zeit z.B. BVerfG v. 29.02.2012 1 BvR 2378/10 = NZA 2012, 788 (789); unter Bezugnahme auf ständige Rechtsprechung des BVerfG etwa BVerfGE 96, 375 (397)

563 Vgl. Papier in: Maunz/Dürig GG Art. 14 Rn 160 f., 169 ff.; Wieland in: Dreier GG I (3.Auflage) Art. 14 Rn 68

564 Lehner DStR 2009, 185 (189, 190); P. Kirchhof StuW 2006, 3 (9); ebenso Palm DStR 2002, 152 (155)

565 Im Gegensatz zur Weimarer Reichsverfassung nach Art. 63 WRV

in der Auferlegung einer Geldleistungspflicht, die über das hinausgeht, was im Sinne des ob-jektiven Nettoprinzips erwirtschaftet wird, eine Pflicht zur zusätzlichen („erzwungenen“) Er-werbstätigkeit. Dies wäre dann nicht eine Ist-Ertragsteuer, sondern eine Sollertragsteuer. Eine solche Sollertragsteuer, die nicht auf erzielte, sondern zu erzielende Erträge abzielt, wird als mit der Berufsfreiheit unvereinbar angesehen.567

Auch die Finanzverfassung des GG wird als Begründung für die verfassungsrechtliche Gel-tung des objektiven Nettoprinzips in Stellung gebracht.568 Die Art. 105 und 106 GG beziehen sich auf verschiedene Steuerarten, die im einfachen Recht existieren, und regeln die Gesetz-gebungskompetenzen sowie die Verteilung des jeweiligen Aufkommens. Durch diese An-knüpfung wird aber nach dieser Ansicht auch ein „Grundtypus“ der jeweiligen Steuerart kon-stituiert, der hierdurch verfassungsrechtlichen Schutz erfährt. So sei die Einkommensteuer eben finanzverfassungsrechtlich (über die Anknüpfung an das einfache Recht) im Kern durch das objektive Nettoprinzip geprägt.569 Somit erfahre dieser Kern dann auch verfassungsrecht-lichen Schutz.

Das BVerfG hat die Frage, ob das objektive Nettoprinzip bereits Ausfluss der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit ist, bisher offen gelassen.570 Dies erklärt sich wohl aus dem Gedanken, dass sich das BVerfG nicht festlegen will, ob es der Politik möglich ist, einen „echten“ Systemwechsel im Sinne einer Bruttoeinnahmenbesteuerung durchzuführen.

Wirtschaftlich sinnvoll erscheint dies sowieso nur bei den Überschusseinkunftsarten der

§ 2 I 1 Nr. 4 – 7 EStG. Insofern bleibt hier insbesondere eine Entscheidung zur Verfassungs-mäßigkeit der „Abgeltungsteuer“ auf private Kapitalerträge durch das BVerfG abzuwarten.571

566 Jachmann DStR 2009 Beihefter Heft 34, 129 (130); Lehner DStR 2009, 185 (189); Waldhoff/Lehner in:

K/S/M EStG § 1 Rn A 36, A 150

567 Fn 566

568 Drüen StuW 2008, 3 (14); Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92 f.; Jachmann DFGT 2 (2005), 59 (63f.)

569 Drüen StuW 2008, 3 (7); Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92; Eckhoff in: FS Steiner S. 118 (129)

570 So ausdrücklich BVerfG v. 12.10.2010 1 BvL 12/07 (Betriebsausgabenabzugsverbot) = BVerfGE 127, 224 (248) m.w.N. auf die eigene Rechtsprechung

571 Seit dem VZ 2009 hat der Steuerabzug von 25 % (§ 43a I 1 Nr. 1 EStG) auf private Kapitalerträge i.S.d.

§ 20 EStG nach § 43 I, V 1 EStG Abgeltungswirkung und wird grundsätzlich nicht mehr der tariflichen Ein-kommensteuer (§ 32a I EStG) unterworfen. Dafür ist der Ansatz von Werbungskosten über den Pauschbetrag des

§ 20 IX 1, 2 EStG hinaus ausgeschlossen. Das objektive Nettoprinzip gilt also nicht mehr uneingeschränkt. Noch eklatanter wird das Problem im Fall der „Günstigerprüfung“ des § 32d VI 1 EStG, bei der auf Antrag die Kapi-talerträge der tariflichen Einkommensteuer unterworfen werden und trotzdem § 20 IX 1 HS 2 EStG zur Anwen-dung kommt (zu dieser Konstellation ist ein Verfahren beim BFH unter dem Az. VIII R 13/13 anhängig).

Ein kleiner Teil der Literatur folgt dem BVerfG und geht indes – negativ feststellend – weiter, indem er keine verfassungsrechtliche Verankerung des objektiven Nettoprinzips sieht.572 Das objektive Nettoprinzip sei in erster Linie eine Gesamtschau einfach gesetzlicher Wertungen.

Diese Gesamtschau sei geprägt durch den Veranlassungsbegriff für Einnahmen und Ausgaben nach § 4 IV bzw. § 9 I 1 EStG aber auch durch den zeitlichen Zusammenhang zwischen Ein-nahmen und Ausgaben (also der Periodizität dieser zeitlichen Beziehung nach § 2 VII EStG mit dem Zuflussprinzip bzw. der periodengerechten Gewinnermittlung). Ein primär durch dif-fizile, einfach gesetzliche Wertungen geprägtes Prinzip könne – zumindest in seiner Gesamt-heit – nicht Ausdruck der eher offenen Wertungen der Verfassung sein.573

2. Das Gebot der Folgerichtigkeit

Das BVerfG und weite Teile der Literatur stimmen im Kern überein, dass der Gesetzgeber bei der Schaffung und Änderung von Steuergesetzen aus Art. 3 I GG über die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit hinaus an das sog. Gebot der Folgerichtigkeit gebunden ist.574

„Die mit der Wahl des Steuergegenstandes einmal getroffene Belastungsentscheidung hat der Gesetzgeber unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig umzusetzen. (…) Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grun-des.“575

Das Gebot der Folgerichtigkeit beschreibt mithin eine Bindung des Gesetzgebers an seine ei-genen, einfach gesetzlich getroffenen Grundentscheidungen. Es stellt sich somit als eine Form der Selbstbindung an eigene Wertentscheidungen und nicht der Fremdbindung an einen „ex-ternen“ Vergleichsmaßstab aus Art. 3 I GG dar. Hierüber kommt auch dem objektiven Net-toprinzip eine sehr weitgehende, verfassungsrechtliche Bindungswirkung zu, über die wei-testgehend Einigkeit besteht. Da das Gebot der Folgerichtigkeit aber an die Systementschei-dungen des einfachen Rechts anknüpft, geht der Schutz des objektiven Nettoprinzips hier-durch allerdings nur so weit, wie der Gesetzgeber diese einfach gesetzliche

572 Schneider DStR 2009 Beihefter Heft 34, 87 ff.; Droege StuW 2011, 105 (109, 111); G. Kirchhof in: FS Lang S. 563 (584) objektives Nettoprinzip als nicht justitiable, aber an den Gesetzgeber gerichtete

„Klugheitsregel“ der Verfassung; wohl auch Kischel in: Epping/Hillgruber GG (2.Auflage) Art. 3 Rn 151

573 Schneider DStR 2009 Beihefter Heft 34, 87 (89); eine ähnliche Richtung schlägt auch Droege StuW 2011, 105 (108) ein, wobei er schon den Leistungsfähigkeitsgedanken für eher einfach gesetzlich geprägt hält.

574 BVerfG v. 18.07.2012 1 BvL 16/11 (Grunderwerbsteuer Lebenspartnerschaft) = BVerfGE 132, 179 (189) stRspr.; statt vieler Seiler DStJG 34 (2011), 61 (69); kritisch zur Folgerichtigkeit etwa Lepsius JZ 2009, 260 (262); Ratschow in: Blümich EStG § 2 Rn 15

575 BVerfGE 132, 179 (189)

dung noch weiter tragen will. Einen steuerrechtlichen „Systemwechsel“ hin zur Abkehr vom objektiven Nettoprinzip kann das Gebot der Folgerichtigkeit nicht verhindern.576

Als eine weitere Schwäche des Gebots der Folgerichtigkeit stellt sich die Frage heraus, ob es dem Gesetzgeber auch möglich ist, abweichende „Sub-Systementscheidungen“ einzuführen.

Wenn andere Prinzipien etwa dem objektiven Nettoprinzip zuwiderlaufen, aber eben als

„Sub-Systementscheidung“ selbst zu einer Systementscheidung werden, so ist der Schutz des objektiven Nettoprinzips über die Folgerichtigkeit wirkungslos. Durch die Erhebung zu einer Systementscheidung würde ein abweichendes Prinzip zum Maßstab und nicht zum Gegen-stand einer Folgerichtigkeitsprüfung. So hatte der Gesetzgeber etwa bei der für verfassungs-widrig erklärten Streichung577 der Pendlerpauschale für die Jahre 2007 und 2008 versucht, das Gebot der Folgerichtigkeit durch Einführung des „Werktorprinzips“ (die berufliche Sphäre beginnt erst an den Werktoren) als eigenständige (Sub-) Systementscheidung zum objektiven Nettoprinzip zu umgehen.578

Der Gesetzgeber hat sich579 im Rahmen der Einkommen- und der Körperschaftsteuer unstrei-tig für das Grundprinzip des objektiven Nettoprinzips zur Bemessung der steuerlichen Leis-tungsfähigkeit entschieden.580 Diese Systementscheidung zeigt sich einfach rechtlich schon in der von der Einkünfteart grundsätzlich unabhängigen Vorschrift des § 2 II EStG. Wenn der Gesetzgeber sich für ein solches System entschieden hat, so muss er für Durchbrechungen dieses Prinzips einen besonderen sachlichen Grund anführen können, ansonsten verletzt er Art.

3 I GG.

Als mögliche Rechtfertigung für solche Durchbrechungen kommt eine Reihe von Zielen in Betracht.581

Hierzu zählen vor allem Typisierungen und Pauschalierungen, die zur Vereinfachung in der Anwendung des „Massenfallrechtsgebiets“ Steuerrecht eingeführt werden.582 Gesetzliche

576 Mellinghoff Ubg 2012, 369 (373); Drüen Ubg 2009, 23 (26 f.); Englisch in: FS Lang S. 167 (192 ff.); BVerfG v. 09.12.2008 2 BvL 1/07 u.a. (Pendlerpauschale) = BVerfGE 122, 210 (241 ff.)

577 Steueränderungsgesetz 2007 vom 19.07.2006 BGBl I 2006 S. 1652 ff. = BStBl I 2006, 432 ff.

578 So die Begründung des Finanzministeriums BVerfGE 122, 210 (223 ff.); siehe dazu unten S. 155 ff.

579 Zu den Gefahren und aktuellen Indizien für eine bewusste Herbeiführung eines unsystematischen Steuer-rechts durch die Steuergesetzgebung vgl. Eckhoff in: FS Steiner S. 118 (129 ff.)

580 So auch BVerfG v. 12.10.2010 1 BvL 12/07 (Betriebsausgabenabzugsverbot) = BVerfGE 127, 224 (248) stRspr. m.w.N.

581 Vgl. Weber-Grellet FR 2011, 1028 (1031); Breinersdorfer DStR 2010, 2492 (2494 ff.); BVerfGE 127, 224 (245 f.; 255)

pisierung bedeutet die Vernachlässigung der Besonderheiten des Einzelfalls und Zusammen-fassung dieser besonderen Einzelfälle in einem allgemein gehaltenen Tatbestand.583 So wird jedem Steuerpflichtigen etwa der gleiche – also pauschalierte – Grundfreibetrag nach

§ 32a I 2 Nr. 1 EStG gewährt, ohne dass eine individuelle Berechnung des im Einzelfall viel-leicht wirklich höheren oder niedrigeren existenznotwendigen Bedarfs durchgeführt wird. Die hierdurch herbeigeführte Ungleichbehandlung hält sich jedoch im Rahmen der Typisierungs-befugnis.584

Eng verknüpft mit dem Gedanken der Pauschalierung und Typisierung ist auch der Gedanke der Missbrauchsvermeidung, der ebenfalls eine tragfähige Rechtfertigung liefert.585 So ist et-wa das Betriebsausgabenabzugsverbot des § 8b V KStG in Höhe von 5 % zur pauschalierten Bekämpfung der Umgehung von § 3c I EStG als Rechtfertigung für Durchbrechungen des Folgerichtigkeitsgebots vom BVerfG anerkannt worden.586

Ebenso kommen außerfiskalische Lenkungsziele in Betracht. Die Vorschrift des

§ 12 Nr. 4 EStG, wonach Geldstrafen trotz beruflicher Veranlassung (also eigentlicher Gel-tung des objektiven Nettoprinzips) nicht bei der Einkünfteermittlung berücksichtigt werden dürfen, begegnet keinen durchgreifenden,587 verfassungsrechtlichen Bedenken. Der Sinn von Geldstrafen würde teilweise fehlgehen, wenn sich der Staat über die Einkommensteuer an ihnen beteiligt.

Zur Rechtfertigung von Durchbrechungen nicht geeignet ist der reine Finanzbedarf des Staa-tes.588 Würde man diesen als Rechtfertigungsgrund für Durchbrechungen akzeptieren, so liefe das Gebot der Folgerichtigkeit leer, da der Finanzbedarf des Staates im Prinzip unlimitiert ist und von ihm selbst festgelegt wird.

582 BVerfG v. 07.05.2013 2 BvR 909/06 u.a. (Homo-Splitting) = BVerfGE 133, 377 (412 f.) stRspr.; Vertiefend zur Typisierung Wernsmann DStR 2011 Beihefter Heft 31, 72 ff.

583 Vgl. BVerfGE 133, 377 (412) stRspr.; Jachmann DFGT 2 (2005), 59 (83); Wernsmann DStR 2011 Beihefter Heft 31, 72

584 BVerfGE 87, 153 (172)

585 BVerfGE 127, 224 (255 ff.); siehe auch Drüen StuW 2008, 3 (13)

586 BVerfGE 127, 224 (255); zum eigentlichen Missbrauchsproblem anschaulich BVerfGE 127, 224 (229 ff.)

587 Tipke StRO II (2.Auflage) S. 776; vgl. insoweit BVerfG v. 23.01.1990 1 BvL 4/87 u.a. (Geldbußen) = BVer-fGE 81, 228 ff.

588 BVerfG v. 06.07.2010 2 BvL 13/09 (Arbeitszimmer II) = BVerfGE 126, 268 (278, 281)

Primär stellt das Gebot der Folgerichtigkeit eine Schranke für die Legislative dar. Allerdings ist dessen Geltung nicht nur auf den Bereich der Rechtssetzung begrenzt, sondern muss auch von der Exekutive und Judikative im Bereich der Rechtsanwendung beachtet werden.589