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Kapitel 2 – Verfassungsrechtliches Umfeld

A. Verfassungsrechtliche Grenzen des Ertragsteuerrechts

III. Stellungnahme und Bedeutung der Ergebnisse für die weitere Arbeit

3. Limitierte Fundierung des objektiven Nettoprinzips

3.1 Berücksichtigung von Zwangsaufwendungen

Problematisch an der Bemessungsgrundlage ist, dass sie auf der Ausgabenseite vom Steuer-pflichtigen selbst in starkem Maße beeinflusst werden kann. Ob der selbständige Steuerpflich-tige eine Dienstreise unternimmt und ob er hierfür einen Helikopter chartert oder mit dem Au-to fährt, entscheidet er selbst. Es geht also auch hier um die bereits angesprochene (freiheits-rechtliche) Frage, ob der Gesetzgeber die Notwendigkeit von Erwerbsausgaben im Rahmen des Gebots angemessener Besteuerung selbst bestimmt oder die Entscheidung des Steuer-pflichtigen zu akzeptierten hat. Wenn man darauf abstellt, dass der Steuerpflichtige die Not-wendigkeit bestimmt, so lässt sich natürlich weiter in die Frage unterteilen, ob die Entschei-dung dem Grunde und der Höhe nach steuerlich zu akzeptieren ist.

Die Notwendigkeit von Erwerbsaufwendungen ist jedenfalls auch geprägt durch gesetzliche Pflichten und faktisch unmöglich vermeidbare Ausgaben.692 Notwendige Erwerbsaufwendun-gen sind mithin solche AufwendunErwerbsaufwendun-gen, die entweder dem Grunde nach oder dem Grunde und der Höhe nach nicht vom Steuerpflichtigen beeinflusst werden können, sondern zwangsläufig anfallen. Je weniger der Steuerpflichtige jedoch die Erwerbsaufwendungen beeinflussen kann, desto sensibler ist er für Eingriffe in die Bemessungsgrundlage. Um am obigen Beispiel zu bleiben: Wenn der Steuerpflichtige weiß, dass Reisekosten nicht anerkannt werden, kann er eventuell auf sie verzichten, jedenfalls aber auf den Helikopter verzichten und ein günstigeres Transportmittel wählen und so oftmals Einfluss auf seine Bemessungsgrundlage nehmen. An-dererseits: Selbst wenn ein Rechtsanwalt weiß, dass Kosten für seine Berufshaftpflichtversi-cherung nicht anerkannt werden, so kann er sie dem Grunde nach nicht verhindern, weil sie gesetzlich (§ 51 I BRAO) vorgeschrieben sind. Die Frage, ob der Rechtsanwalt sie wenigstens der Höhe nach beeinflussen kann, lässt sich nicht pauschal beantworten. Die Frage müsste danach beantwortet werden, wie groß etwa die Preisspanne für diese Leistung ist und inwie-fern die Höhe der Aufwendungen durch bestimmte Leistungsmerkmale der Versicherung vom Steuerpflichtigen beeinflusst werden kann.

Letztlich verlangt die Differenzierung nach Zwangsläufigkeit und Freiwilligkeit konsequen-terweise nur, auch in der Höhe zwangsläufige Aufwendungen zu berücksichtigen. Allerdings

692 Vgl. Jachmann DStR 2009 Beihefter Heft 34, 129 (130)

kann eine verfassungsrechtliche Differenzierung zwischen zwangsläufigen und gewillkürten Aufwendungen der Höhe nach wohl nur durch den Gesetzgeber verfassungs- (insbesondere gleichheits-)konform ausgestaltet werden, da eine Beeinflussung auf die Höhe der Aufwen-dungen meist nur abstrakt dargelegt werden kann und keine allgemein übertragbaren Kriterien aufweist. Eine solche Abgrenzung gelingt nur durch pauschalierende oder typisierende Rege-lungen des Gesetzgebers. Auf eine generalklauselartige Zwangsläufigkeitsprüfung seitens der Verwaltung im Bereich aller Erwerbsaufwendungen muss schon aus praktischen Gründen verzichtet werden, da dies aufgrund der Vielfalt der zu bewertenden Lebenssachverhalte eine abstrakte und praktisch nicht kontrollierbare Debatte um eventuell bestehende Preisvorteile usw. auslöst.693

Es lässt sich aber dennoch folgern, dass Eingriffe in die Bemessungsgrundlage jedenfalls dann einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung bedürfen, wenn der Eingriff darin besteht, dem Einfluss des Steuerpflichtigen entzogene Erwerbsaufwendungen aus der Bemessungs-grundlage heraus zu definieren.694

Das geht insofern mit der Rechtsprechung des BVerfG zum Gebot angemessener Besteuerung konform, als eine Nichtanerkennung dieser zwangsläufigen Aufwendungen die geforderte re-gelmäßige Wirkung aufweist, die für eine Verletzung des Gebots Vorbedingung und Indiz ist.

Die Regelmäßigkeitswirkung ist dann Produkt der Unausweichlichkeit dieser die Bemes-sungsgrundlage bestimmenden Aufwendungen. Bei Zwangsläufigkeit der Erwerbsaufwen-dungen wäre die übermäßige Belastungswirkung kein Produkt der individuellen Entscheidun-gen des SteuerpflichtiEntscheidun-gen.

Nach hier vertretener Ansicht sind gesetzgeberische Eingriffe in die Bemessungsgrundlage, die auf Erwerbsaufwendungen abzielen, die dem Grunde nach (und damit automatisch auch der Höhe nach) vom Steuerpflichtigen beeinflusst werden können, freiheitsrechtlich stets ge-rechtfertigt.

Zwar kann eine gleich hohe, finanzielle Belastung des Steuerpflichtigen auch durch Nichtan-erkennung freiwilliger Aufwendungen entstehen, jedoch mangelt es diesen freiwilligen Auf-wendungen eben aufgrund ihrer Beeinflussbarkeit der geforderten, regelmäßigen Wirksamkeit.

693 Jachmann DFGT 2 (2005), 59 (80 f.); zustimmend Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92 (95) bezogen auf eine „Notwendigkeitskontrolle“

694 Ganz ähnliche Ansätze haben Hennrichs in: FS Lang S. 237 (247); Schneider DStR 2009 Beihefter Heft 34, 87 (90) und Jachmann DStR 2009 Beihefter Heft 34, 129 (131); letztere allerding nur als Grenze der Typisierung für gemischte Aufwendungen wertend

Dieser Unterteilung liegt eine Differenzierung zu Grunde, die vom zweiten Senat des BVerfG in drei Entscheidungen695 zu gemischt veranlassten Aufwendungen bereits für den verfas-sungsrechtlich relevanten Veranlassungszusammenhang von Aufwendungen aufgegriffen wurde. Das BVerfG führt hierzu aus: „Allgemein gilt: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit kommt es nicht nur auf die Unterschei-dung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für AufwenUnterschei-dungen an, son-dern auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits.“ 696

Es zeigt sich hier jedoch, dass das BVerfG diese Unterteilung als Ausprägung des Leistungs-fähigkeitsprinzips und somit als eine gleichheitsrechtlich in Art. 3 I GG abgesicherte Leitlinie versteht. Nach hier vertretener Ansicht müssen aber die freiheitsrechtlichen Wertungen her-angezogen werden, um die Kriterien von Zwangsläufigkeit und Pflichtbestimmtheit im ein-deutig erwerbsdienlichen Bereich näher definieren zu können. Die Leitlinie erklärt sich also nur aus dem Zusammenspiel von freiheits- und gleichheitsrechtlichen Grenzen der Ertragsbe-steuerung. Freiheitsrechtlich sind Zwangsaufwendungen zumindest auch durch das Gebot an-gemessener Besteuerung geschützt.

Auf den ersten Blick mag sich diese Unterteilung problemlos von dem entschiedenen Bereich der gemischten Aufwendungen direkt auf den Bereich eindeutig erwerbsdienlicher Aufwen-dungen übertragen lassen.697 Es bedarf allerdings einer genaueren Auseinandersetzung mit den Kriterien von „Pflicht“ und „Zwang“, um wirklich Schlüsse auf die hierdurch geschützte Bemessungsgrundlage ziehen zu können.

695 BVerfG v. 08.12.2008 2 BvL 1/07 u.a. (Pendlerpauschale) = BVerfGE 122, 210 (234 f.); BVerfG v.

16.03.2005 2 BvL 7/00 (Kinderbetreuungskosten) = BVerfGE 112, 268 (280) sowie BVerfG v. 04.12.2002 2 BvR 400/98 u.a. (Doppelte Haushaltsführung) = BVerfGE 107, 27 (49)

696 BVerfGE 107, 27 (49) (Hervorhebungen durch den Verfasser)

697 Dafür etwa Seer DStJG 34 (2011), 1 (3); Schneider DStR 2009 Beihefter Heft 34, 87 (90); Leisner-Egensperger BB 2007, 639 (643 f.); Drenseck in: GS Trzaskalik S. 283 (288); Hennrichs in: FS Lang S. 237 (247); Loschelder in: Schmidt EStG (33.Auflage) § 9 Rn 1; Greite NWB 2006, 2505 (2508); Weber DStZ 2007, 736 (739, 743); wohl auch Kreft in: H/H/R EStG § 9 Rn 6; Ratschow in: Blümich EStG § 2 Rn 13; Lindberg in:

Frotscher EStG § 15b Rn 12; nicht ganz eindeutig: Lehner DStR 2009, 185 (191); Drüen StuW 2008, 3 (11);

Mellinghoff Stbg 2005, 1 (3 f.)

3.2 Bedenken gegen die Übertragung der Kriterien von Zwang und Pflicht