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Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

B. Die Behandlung gemischter Aufwendungen

II. Aufteilung gemischter Aufwendungen

2. Die Aufteilung nach Mehraufwand

2.3 Die Problematik des „Normalaufwands“

Als Vergleichsmaßstab für Mehraufwand müsste das „übliche Minus“ hierzu also eine Art

„Normalaufwand“ dienen. Größte Probleme bereitet die Definition des stets nur hypothetisch (und typisiert) annehmbaren Normalaufwands.261 Der Normalaufwand soll hierbei die fiktive Situation ohne erwerbsdienliche Einflussfaktoren bezeichnen, die im Abgleich mit der kon-kreten (gemischt veranlassten) Situation den abziehbaren Mehraufwand ergibt.

Die Problematik fängt schon damit an, dass sich nicht wirklich eine einheitliche Terminologie für diesen Zustand finden lässt. In der Rechtsprechung sind Begriffe wie der hier verwendete

„Normalaufwand“262 oder auch „Grundaufwand“263 geläufig. Sehr häufig wird der Zustand auch mehr als ein Rechnungsposten mit dem Begriff der „Haushaltsersparnis“264 definiert.

Historisch findet sich der Term der „standesgemäßen Lebenshaltung“.265 Die Begrifflichkei-ten können noch weitaus diffuser werden wie etwa „das Übliche“266 oder das „ohnehin

260 Oetker in: MüKo BGB II (6.Auflage) § 249 Rn 18; Ebert in: Erman BGB (13.Auflage) Vor §§ 249 – 253 Rn 24

261 Siehe auch Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 50a

262 BFH v. 13.01.1995 VI R 82/94 = BStBl II 1995, 324 (325); BFH v. 06.07.1989 IV R 91-92/87 = BStBl II 1990, 49 (50); so auch Söhn DStJG 3 (1980), 13 (48); im Bereich der vergleichbaren Problematik des § 33 EStG (siehe dazu unten S. 48 ff.) BFH v. 21.06.1963 VI 203/61 U = BStBl III 1963, 381 (382)

263 BFH v. 14.10.2004 VI R 82/02 = BStBl II 2005, 98 (99)

264 BFH v. 13.01.1995 VI R 82/94 = BStBl II 1995, 324 (325) wodurch auch eindeutig klar wird, dass der Be-griff des Normalaufwands mit dem der Haushaltsersparnis gleichzusetzen ist. BFH v. 11.12.1987 VI R 147/85 = BStBl II 1988, 445 (446); so auch Ruppe DStJG 3 (1980), 103 (122 f.)

265 RFH v. 26.04.1923 III A 29/23 = RFHE 12, 152 (153); RFH v. 04.10.1923 III A 320-321/23 = RFHE 13, 90 (94); RFH v. 15.01.1930 VI A 1675/29 = RStBl 1930, 265; RFH v. 16.09.1931 VI A 1711/30 = RStBl 1931, 921

266 So etwa Jochum DStZ 2011, 665 (667)

gewendete“267 und meinen doch das Gleiche. Weitergehende Aussagen, wie dieser Normal-aufwand zu bestimmen ist, werden jedoch zumeist nicht gemacht.

Wenn eine genauere Auseinandersetzung mit dieser Frage erfolgt, so lässt sich am häufigsten die Meinung antreffen, dass der Normalaufwand durch das steuerliche Existenzminimum festgelegt werde.268 Mehraufwand könnte hiernach also immer dann vorliegen, wenn Auf-wand getätigt wird, der über dem vom Existenzminimum erfassten AufAuf-wand liegt.

Im Kern ist diese Aussage sicherlich richtig. Das lässt sich daraus folgern, dass ansonsten eine Doppelberücksichtigung von Aufwand durch den Grundfreibetrag (§ 32a I 2 Nr. 1 EStG) – der das Existenzminimum sichern soll269 – und den Abzug für Erwerbsaufwendungen nach

§ 4 IV, § 9 I 1 EStG erfolgen könnte.270 Dies kann vom Gesetzgeber nicht gewollt sein und muss verhindert werden.

Da die Vorschriften über Mehraufwand selbst keinen Vergleichsmaßstab bieten, kann man nur versuchen, gesetzgeberische Hinweise darauf zu finden, wie der Steuerpflichtige als „rei-ner Privatmann“ (also ohne Einfluss ei„rei-ner Steuerquelle) zu bestimmen ist. Der Rückgriff auf das Existenzminimum scheint für die Bestimmung des Normalaufwands daher nahe liegend.

Die Schwächen dieses Ansatzes zeigen sich allerdings sehr schnell. Die soeben getroffene Aussage muss deswegen dahingehend klargestellt werden, dass ein „Überhang“ über das Existenzminimum notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für die Annahme von Mehraufwand ist. Mehraufwand ist mithin nur denkbar, wenn er außerhalb der durch das Existenzminimum berücksichtigten Aufwendungen liegt. Mehraufwand liegt jedoch nicht per se deswegen vor. Insofern bildet das Existenzminimum sicherlich die unterst mögliche Gren-ze zur Bestimmung von Mehraufwand, wobei noch die durchaus kritische Frage nach der konkreten Ermittlung eines solchen Überhangs über den Grundfreibetrag zu beantworten sein wird.271

Problematisch an der Bemühung des Existenzminimums ist schon, dass damit unterstellt wird, dass sich der Steuerpflichtige ohne die Steuerquelle stets nur auf das Existenznotwendige be-schränken würde. Ob dieses Leitbild stimmen kann, ist schon mehr als fraglich, denn wie

267 BT-Drs. 17/10774 S. 15 in die Richtung auch Heymann (Fn 1) S. 90 ff. wobei Vorsicht geboten ist, da sich

„ohnehin“ je nach Sichtweise auch auf Erwerbsaufwendungen beziehen kann, was aber die gleiche Methodik nur mit anderen Vorzeichen bezeichnet. So etwa Schneider BFH/PR 2010, 85 (86) „berufliche Sowiesokosten“

268 Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 18; Kanzler StbJb 2010/2011, 43 (61 f.); Ruppe DStJG 3 (1980), 103 (122 f.); Tipke StuW 1979, 193 (202); ähnlich Steck DStZ 2011, 191 (199 f.)

269 Statt vieler Wagner in: Blümich EStG § 32a Rn 39

270 Ruppe DStJG 3 (1980), 103 (122); Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 17 f.; in die Richtung Kanzler StbJb 2010/2011, 43 (62); Tipke StuW 1979, 193 (202); Steck DStZ 2011, 191 (198 ff.)

271 Siehe dazu unten S. 79 ff.

le Menschen leben trotz geringem oder keinem Einkommen „über ihre Verhältnisse“? Was ist mit denjenigen, die (auch) vom Verzehr von Vermögen leben? Mag man diese Fälle noch im Rahmen einer Typisierung als vernachlässigbar ansehen, so werden die Schwierigkeiten grö-ßer, wenn man sich klar macht, dass Mehraufwand eine Methode zur Bestimmung eines Aufwands sein soll, der ohne einen konkreten Veranlassungsbeitrag nicht getätigt worden wä-re. Die Fragestellung ist also, ob das Existenzminimum herhalten kann, wenn in Frage steht, ob ein Aufwand ohne diese konkrete Steuerquelle oder diesen konkreten Veranlassungsbei-trag getätigt worden wäre. Hat ein Steuerpflichtiger ein Arbeitsverhältnis und kauft sich des-wegen einen teuren Anzug, den er sich ohne dieses Arbeitsverhältnis nicht gekauft hätte, so könnte man Mehraufwand in gewisser Höhe annehmen, wenn der Aufwand außerhalb des Existenzminimums liegt. Mehraufwand müsste als Methode aber auch Ergebnisse liefern, wenn der Steuerpflichtige zwei Arbeitsverhältnisse hat oder daneben noch Vermietungsein-künfte erzielt. Ließe sich die Annahme von Mehraufwand auch dann noch halten, wenn klar ist, dass der Steuerpflichtige auch ohne diese Einkunftsquelle Einkünfte weit jenseits des Existenzminimums bezieht?

Problematisch scheint die Annahme von Mehraufwand bei Überschreiten des Existenzmini-mums auch dann, wenn es um die Aufteilung von Fixkosten geht. Fixkosten entstehen unab-hängig von weiteren individuellen Faktoren stets in voller Höhe. Betrachtet man Einkunfts-quellen, die von der Fruchtziehung leben wie etwa Vermietungseinkünfte aus § 21 EStG, so liefert Mehraufwand kaum noch Aufschlüsse. Aufwendungen für die eigene Immobilie sind so gut wie gar nicht vom Existenzminimum abgedeckt.272 Jeder Aufwand ist somit potentiel-ler Mehraufwand. Stehen etwa die Anschaffungskosten des Gebäudes in Frage, welches zeit-weise vom Steuerpflichtigen selbst bewohnt und zeitzeit-weise vermietet war, so wird man doch zumeist sagen müssen, dass der Aufwand vollständig angefallen wäre, auch wenn die Immo-bilie nur vermietet worden wäre oder nur selbst genutzt worden wäre.273 Das ist jedenfalls der Charakter von Fixkosten. Eine „steuerrechtliche Differenzhypothese“ verliefe also ergebnislos.

All dies zeigt, dass ein Überhang über das Existenzminimum alleine die Annahme von Mehr-aufwand nicht rechtfertigen kann. Vielmehr muss der NormalMehr-aufwand anhand weiterer

272 Vgl. BT-Drs. 17/3404 S. 55 f. i.V.m. § 5 I RBEG Abteilung 4; zu deren Bedeutung für die Festlegung des Grundfreibetrags siehe unten S. 79 ff.

273 Anders scheint dies der IX. Senat des BFH v. 21.11.2013 IX R 23/12 = BStBl II 2014, 312 (315) zu sehen, der selbst innerhalb ein und derselben Immobilie (häusliches Arbeitszimmer) noch einen zusätzlichen Mehrauf-wand zu erkennen vermag.

rien bestimmt werden. Der neueren BFH-Rechtsprechung lassen sich – wie ich meine – erste allgemeine Präzisierungen entnehmen, die später darzustellen sind.274