• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 2 – Verfassungsrechtliches Umfeld

B. Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Behandlung gemischter Aufwendungen142

2. Möglichkeiten verfassungskonformer Umsetzung der Vorgaben

2.2. Umsetzung der Höhe nach

Auch die Berücksichtigung von gemischt veranlasstem Zwangsaufwand der Höhe nach eröff-net dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum. Durch die allgemeine Statuierung einer Be-rücksichtigungspflicht für zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand ist noch keine Aussage über die konkret zu berücksichtigende Höhe getroffen.

2.2.1 Erheblichkeitsschwellen

Als unzulässig erachtet das BVerfG jedenfalls grundsätzlich die Implementierung einer ein-fach gesetzlichen Zumutbarkeitsschwelle für zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand,

759 BVerfG v. 12.05.2009 2 BvL 1/00 (Jubiläumsrückstellung) = BVerfGE 123, 111 ff.; zur Kritik etwa Henn-richs in: FS Lang S. 237 (249 ff.); zustimmend: Mellinghoff Ubg 2012, 369 (372 f.)

760 BVerfGE 123, 111 (123)

761 Siehe hierzu BVerfGE 123, 111 (123 ff.)

762 BVerfGE 123, 111 (125)

763 BVerfGE 112, 268 (281 f.)

wie sie etwa in § 33 I, III EStG festgelegt ist. Es widerspricht den verfassungsrechtlichen Grundsätzen, zwangsläufigen Aufwand nur in der Höhe zu berücksichtigen, die eine be-stimmte Erheblichkeitsschwelle übersteigt.764 Andernfalls käme man in einigen Fällen zu dem Ergebnis, tatsächlich getätigten, zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand, der aller-dings eine bestimmte Höhe nicht erreicht, gar nicht zu berücksichtigen.765

Jedoch gibt es Konstellationen, in denen auch eine solche Zumutbarkeitsschwelle als zulässig erachtet wird. Dies ist dann der Fall, wenn der zwangsläufige Aufwand durch einen pauscha-lierten Betrag zum Teil abgedeckt ist. Ein solcher Fall lag etwa in der Form der teilweisen Be-rücksichtigung des zwangsläufigen Fremdbetreuungsaufwands für Kinder durch den Freibe-trag für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf (BEA-FreibeFreibe-trag) nach

§ 32 VI 1 EStG vor. Das BVerfG hielt jedenfalls für den Veranlagungszeitraum 2002 die Be-rücksichtigung von Kinderbetreuungskosten durch den BEA-Freibetrag nach

§ 32 VI 1 EStG (2002) (1.080 € pro Elternteil) einerseits und die Regelung des

§ 33c I 3 EStG (2002) andererseits, die eine steuerliche Anerkennung von Kinderbetreuungs-kosten erst ab der Zumutbarkeitsschwelle von 774 € pro Elternteil erlaubte, für verfassungs-gemäß.766 Dies wurde gebilligt, um eine doppelte Berücksichtigung dieser Aufwendungen zu vermeiden.767

2.2.2 Obergrenzen

Grundsätzlich frei ist der Gesetzgeber wiederum in der Festlegung einer Obergrenze für die Höhe der als zwangsläufig zu qualifizierenden Aufwendungen. Unter Berücksichtigung seiner ihm zustehenden Typisierungsbefugnis und deren Schranken768 kann der Gesetzgeber eine pauschalierte Obergrenze zur Begrenzung auf den tatsächlich zwangsläufigen Anteil der Kos-ten einführen.769

In diesem Kontext wird der Umsetzungsversuch des Gesetzgebers hinsichtlich der zwangsläu-figen und pflichtbestimmten Kinderbetreuungskosten durch § 10 I Nr. 5 EStG teilweise als

764 BVerfGE 112, 268 (282 f.)

765 So auch Kanzler NWB 2005, 2633 (2638 f.)

766 BVerfG v. 20.10.2010 2 BvR 2064/08 = FamRZ 2010, 2056 f.; dieser Entscheidung lag der Fall der Kinder-betreuung wegen beiderseitiger Erwerbstätigkeit der Ehegatten zu Grunde. BVerfGE 112, 268 ff. lag der Fall der Kinderbetreuung wegen Erwerbstätigkeit eines (geschiedenen) Ehegatten zu Grunde. An der Zwangsläufigkeit und Pflichtbestimmtheit des Kinderbetreuungsaufwandes ändert dies nichts.

767 BVerfG v. 20.10.2010 2 BvR 2064/08 = FamRZ 2010, 2056 (2057)

768 Siehe dazu unten S. 165 ff.

769 BVerfGE 112, 268 (282), so auch Weber-Grellet DStR 2009, 349 (352); Greite FR 2009, 81

verfassungswidrig angesehen.770 Der Gesetzgeber gehe selbst von einer angemessenen Ober-grenze von 6.000 € aus und beOber-grenze diese dann wiederum auf 2/3 der Aufwendungen, was letztlich nichts anderes als eine Art Zumutbarkeitsschwelle im Sinne von § 33 I, III EStG dar-stelle.771

Zunächst ist festzuhalten, dass die Begrenzung auf 2/3 der Aufwendungen nur teilweise mit einer Erheblichkeitsschwelle im Sinne von § 33 I, III EStG gleichgesetzt werden kann. Im Rahmen der zumutbaren Belastung nach § 33 I EStG ergibt sich ein „Fallbeileffekt“, weil Aufwendungen erst und nur soweit zum Abzug kommen, als sie die dort festgelegte Zumut-barkeitsschwelle überschreiten. Bei der Begrenzung auf 2/3 der Aufwendungen nach

§ 10 I Nr. 5 EStG werden nur pauschal 1/3 der Aufwendungen nicht anerkannt, weshalb es keine Fallbeilgrenze gibt. Jedoch ist nicht zu leugnen, dass hier (bei isolierter Betrachtung der Vorschrift) der Höhe nach zwangsläufiger und pflichtbestimmter Aufwand vom ersten bis zum letzten EURO zu 1/3 nicht zum Abzug kommt.

Dies lässt sich nicht dadurch rechtfertigen, dass (nicht monetärer) Betreuungsbedarf auch bei nicht erwerbstätigen Eltern entsteht. 772 Es geht hier in der Sache um zwangsläufige und pflichtbestimmte Aufwendungen von Eltern, die aufgrund ihrer Erwerbstätigkeit keine andere Möglichkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf außer der Fremdbetreuung haben. Es stellt keine – vom BVerfG verbotene773 – Schlechterstellung von selbstbetreuenden Elterntei-len gegenüber fremdbetreuenden Eltern dar, wenn der zwangsläufige, monetäre Aufwand von fremdbetreuenden Eltern anerkannt wird, den selbstbetreuende Eltern nicht haben. Dies gilt vor allem deswegen, weil der nicht monetäre Betreuungsbedarf von selbstbetreuenden Eltern durch die Regelung des Freibetrags für Betreuung und Erziehung oder Ausbildung (BEA-Freibetrag) nach § 32 VI 1 EStG bereits berücksichtigt wird. Vielmehr kann durch die Rege-lung des § 10 I Nr. 5 EStG eine SchlechterstelRege-lung von fremdbetreuenden Eltern erfolgen, wenn in der Höhe zwangsläufiger Aufwand nicht zum Abzug kommt. Der für alle Formen der Kinderbetreuung gewährte BEA-Freibetrag alleine kann aufgrund seiner viel zu geringen Hö-he von 1.320 € pro Elternteil (2.640 € pro Kind) nicht schon als verfassungskonforme

770 Hey NJW 2006, 2001 (2004); Greite in: Korn EStG § 4f Rn 31; Pust in: L/B/P EStR § 9c Rn 22; vorsichtiger insoweit Jachmann FR 2010, 123 (125 f.); a.A. etwa Krömker in: H/H/R (Jahresband 2007) EStG § 4f Rn J 06-2;

BFH v. 05.07.2012 III R 80/09 = BStBl II 2012, 816 (819) unter Berufung auf BFH v. 09.02.2012 III R 67/09 = BStBl II 2012, 567 (568)

771 Hey NJW 2006, 2001 (2004); Greite in: Korn EStG § 4f Rn 30; Pust in: L/B/P EStR § 9c Rn 23; jeweils zu den im Wesentlichen gleichen Vorgängerregelungen des § 4f und § 9c EStG(2006), die Kinderbetreuungskosten unter die Geltung des objektiven Nettoprinzips stellten.

772 So die offizielle Begründung des Gesetzgebers zur 2/3-Regelung in § 4f EStG a.F. BT-Drs. 16/643 S. 9

773 BVerfG v. 10.11.1998 2 BvR 1057/91 u.a. (Familienleistungsausgleich) = BVerfGE 99, 216 (234)

zung gesehen werden.774 Er stellt sich für diesen Fall als nicht realitätsgerechte Typisierung dar. Das zeigt sich etwa schon an den Kosten einer Krippenunterbringung in einer mittleren Großstadt.775

Geht man also davon aus, dass der BEA-Freibetrag der Höhe nach für sich genommen keine realitätsgerechte Typisierung von Fremdbetreuungskosten darstellt, so müsste auch der 2.640 € übersteigende Teil vollständig abziehbar sein. Allerdings besteht dann die Gefahr ei-ner Doppelberücksichtigung von Kinderbetreuungskosten durch einen ungekürzten Abzugs-tatbestand einerseits und durch den BEA-Freibetrag andererseits.776 Der BEA-Freibetrag soll sowohl die nicht monetär messbare Eigenbetreuung von Kindern durch die Eltern, als auch die monetär messbaren Kosten einer Fremdbetreuung abdecken.777 Die Begrenzung auf 2/3 der Aufwendungen nach § 10 I Nr. 5 EStG verhindert die Doppelberücksichtigung zwar nur pauschaliert,778 hält sich jedoch im Rahmen der Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers.779 Da der Mechanismus aus BEA-Freibetrag und 2/3 der tatsächlichen Kosten erst ab 7.921 €780 tat-sächlicher Kinderbetreuungskosten zu einer Abweichung von tatsächlich zu tragenden Kosten und der durch den Mechanismus zu berücksichtigenden Kosten kommen würde, stellt er ver-fassungskonform die Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten sicher. Insgesamt ist durch BEA-Freibetrag und § 10 I Nr. 5 EStG die Berücksichtigung von bis zu 6.640 €781 zwangsläufiger Kinderbetreuungskosten sichergestellt, was auch in der Höhe von der Typisie-rungsbefugnis gedeckt ist.

Sicherlich wäre die Anrechnung des BEA-Freibetrages auf die tatsächlich entstandenen Kos-ten der wesentlich verständlichere Weg des Gesetzgebers gewesen, um eine

774 a.A. BFH v. 23.04.2009 VI R 60/06 = BStBl II 2010, 267 (269)

775 So kostet etwa in Nürnberg gemäß der gemeindlichen Gebührensatzung ein Krippenplatz mit täglicher Be-treuung von 8-9 Stunden 240 € pro Monat (2.880 € pro Jahr) § 3 I (KitaGebS) (abrufbar im Internet). Vgl. be-züglich typischerweise anfallenden Kosten die Daten von Hölzer NJW 2008, 2145 (2146)

776 Wobei dieses Motiv nicht der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist. So auch Hey NJW 2006, 2001 (2006)

777 BVerfG v. 20.10.2010 2 BvR 2064/08 = FamRZ 2010, 2056 (2057); BFH v. 23.04.2009 VI R 60/06 = BStBl II 2010, 267 (270); kritisch hierzu Jachmann FR 2010, 123 (125 f.); Hey NJW 2006, 2001 (2005 f.), die zu Recht darauf hinweist, dass durch den BEA-Freibetrag auch Ausbildung und Erziehung abgedeckt werden sollen und eine Aufschlüsselung nicht möglich ist!

778 Ginge man etwa pauschaliert von der Zwangsläufigkeit von 9.000 € Kinderbetreuungskosten bei einer Allein-erziehenden Person aus, so werden im geltenden System 2.640 € durch den BEA-Freibetrag (§ 32 VI 3 EStG) und im Übrigen noch 2/3 von 9.000 € (= 6.000 €) durch eine Begrenzung auf 2/3 erfasst. Ingesamt würden also

„nur“ 2.640 € + 6.000 € = 8.640 € berücksichtigt. Mit zunehmenden, tatsächlichen Kosten würde die Abwei-chung von diesen größer werden.

779 BFH v. 09.02.2012 III R 67/09 = BStBl II 2012, 567 (568); bestätigt durch BFH v. 05.07.2012 III R 80/09 = BStBl II 2012, 816 (819); Krömker in: H/H/R (Jahresband 2007) EStG § 4f Rn J 06-2; Heger in: Blümich EStG

§ 9c Rn 8

780 Der vollständige BEA-Freibetrag nach § 32 VI 1,2 und 3 EStG in Höhe von 2.640 € (= 2 x 1.320 €) ist exakt ein Drittel von 7.920 €, welches durch die zwei-Drittel-Regelung des § 10 I Nr. 5 EStG unberücksichtigt bleibt.

781 2.640 € BEA-Freibetrag und 4.000 € (2/3 x 6.000 €) aus § 10 I Nr. 5 EStG

sichtigung zu verhindern.782 Verfassungswidrig wird der Regelungsmechanismus dadurch aber nicht.

Trotz der sich an den Kinderbetreuungskosten zeigenden Detailfragen, lässt sich zusammen-fassend die Begrenzung des Abzugs der Höhe nach als wesentliches Merkmal gesetzgeberi-scher Lösungsmöglichkeiten bei gemischt veranlassten Aufwendungen identifizieren.783 Auch das BVerfG vermerkt hierzu in der Entscheidung zur Pendlerpauschale, dass die gesetzgeberi-sche Umsetzung durch § 4 V 1 Nr. 7 EStG und die darin enthaltene Angemessenheitsprüfung sogar das „allgemeine einkommensteuerrechtliche Regelungsmodell“ für die Behandlung von gemischten Aufwendungen verdeutliche.784 Es kommt für dieses Regelungsmodell nicht da-rauf an, ob eine Angemessenheitsprüfung durch den Rechtsanwender selbst vorzunehmen ist oder wie bei § 4 V 1 Nr. 2 EStG pauschaliert durch den Gesetzgeber vorgenommen wird.

Nicht zu Unrecht wird deswegen von solchen Angemessenheitstatbeständen auch als dem

„Königsweg des BVerfG“ zur Lösung der verfassungsrechtlichen Probleme gemischter Auf-wendungen gesprochen.785

Es ist allerdings zu bedenken, dass die Methodik der Angemessenheit zur Trennung eines pri-vaten Exzesses in typischem Erwerbsaufwand dient.786 Bei der vorliegenden Leitlinie geht es aber nicht um die Trennung von privaten und erwerbsdienlichen Aufwendungen, sondern um die Trennung von zwangsläufigem und gewillkürtem Mischaufwand. Dennoch ist die Ange-messenheitsmethode die einzig anwendbare Methode des einfachen Rechts, die den verfas-sungsrechtlichen Anforderungen dieser Leitlinie gerecht werden kann.