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Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

C. Gemischte Aufwendungen in der geänderten Rechtsprechung des BFH

IV. Leitlinien zur Aufteilung von gemischten Aufwendungen

2. Formelle Leitlinien

2.3 Möglichkeiten der Schätzung

„Verunglückt“ darf man die Ausführungen des Großen Senats zu den Möglichkeiten einer Schätzung nach § 164 AO, § 96 I 1 FGO nennen. Diese finden sich verstreut über die gesam-ten Entscheidungsgründe hinweg und sind inhaltlich reichlich undeutlich. Das zeigt sich auch daran, dass die meisten Literaturstimmen, die diese Leitlinien nicht einfach nur unreflektiert wiedergeben, diesen die unterschiedlichste Bedeutung beimessen.522

Von Interesse muss zunächst die Erwähnung der Möglichkeit einer Schätzung im Kontext der

„abgrenzbaren“ Veranlassungsbeiträge sein. Hierzu wird ausgeführt: „Enthält eine Reise ab-grenzbare berufliche und private Veranlassungsbeiträge, die jeweils nicht von völlig unterge-ordneter Bedeutung sind (z.B. einer beruflich veranlassten Reise wird ein Urlaub hinzuge-fügt), so erfordert es das Nettoprinzip, den beruflich veranlassten Teil der Reisekosten zum Abzug zuzulassen. Der Umfang des beruflichen Kostenanteils ist notfalls zu schätzen (…).“523

„Bestehen hingegen keine Zweifel daran, dass ein abgrenzbarer Teil der Aufwendungen be-ruflich veranlasst ist, bereitet seine Quantifizierung aber Schwierigkeiten, so ist dieser Anteil unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände zu schätzen (…).“524

Fasst man den beide Aussagen verknüpfenden Zusammenhang der „Abgrenzbarkeit“ wie hier vertreten auf, so dürfte diese Leitlinie kaum praktische Bedeutung entwickeln. Die „Abgrenz-barkeit“ beschreibt nur eine Art Sprachproblem.525 Die umgangssprachliche Verknüpfung verschiedener Aufwendungen unter einem Terminus („Reisekosten“, „Telefonkosten“) ist un-beachtlich, wenn sich eine steuerrechtliche Veranlassung der einzelnen Aufwendungen ge-sondert und eindeutig (= „abgrenzbar“) feststellen lässt („ein berufliches Telefongespräch“;

„ein beruflicher Kongress im Ausland“). Fälle, in denen eine steuerrechtlich eindeutige Ver-anlassung einer Aufwandsposition feststellbar, aber etwa wegen einer zu komplizierten oder unmöglichen Auftrennung nicht der Höhe nach nachvollziehbar ist, dürften selten sein.

Eine Folgeentscheidung des BFH lässt auch an dem hier vertretenen Verständnis der „Ab-grenzbarkeit“ zweifeln. So hatte der III. Senat die Schätzung der Mietkosten für ein gemischt genutztes, häusliches Arbeitszimmer als unzulässig angesehen, weil der zeitliche und

522 Siehe hierzu Leisner-Egensperger DStZ 2010, 185 (188 f. dort v.a. Fn 49); Steck DStZ 2011, 191 (203 ff.);

BMF v. 06.07.2010 IV C 3-S 2227/07/10003:002, 2010/0522213 = BStBl I 2010, 614 (614, 616 – hierzu auch v. Glasenapp BB 2011, 160 ff.); Fischer NWB 2010, 412 (416 f., 419 f.); Urban DS 2010, 87 (92); Thürmer in:

Blümich EStG § 12 Rn 111, 116; siehe auch etwa die Abgrenzung zwischen untrennbaren und schätzungsweise teilbaren Aufwendungen von Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 56 ff.; Rn 58 ff.; 62 ff.

523 BFH BStBl II 2010, 672 (681)

524 BFH BStBl II 2010, 672 (683)

525 Siehe dazu oben S. 67 ff.

che Umfang der Nutzung dieses Zimmers nicht festgestellt werden konnte und sich deswegen nicht als abgrenzbarer Teil der Aufwendungen darstelle.526 Gemischt veranlasste Mietkosten sind aufgrund ihres Charakters als Fixkosten jedoch nie abgrenzbar, denn sie fallen unabhän-gig von ihrer Veranlassung stets in gleicher Höhe an.527 In dieser Fallgruppe geht es also nicht um ein bloßes „Sprachproblem“. Im Gegenteil muss man doch fragen, was noch geschätzt werden soll, wenn das zeitliche oder räumliche Nutzungsverhältnis im Sinne der Verhältnis-methode feststeht.528 Welches Sachverhaltsdefizit529 besteht dann noch, das durch die Schät-zung behoben werden müsste?

Die Möglichkeit einer Schätzung wird aber auch an anderer Stelle und in anderem Kontext erwähnt: „Danach kommen auf der Grundlage der vom Großen Senat nunmehr weiterentwi-ckelten Rechtsauffassung, nach der § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG kein allgemeines Aufteilungs- und Abzugsverbot zu entnehmen ist, die beruflichen und privaten Zeitanteile einer Reise als nahe liegender und sachgerechter Aufteilungsmaßstab in Betracht. Ihre Verifikation ist nicht schwieriger als die umfassende Würdigung der einzelnen Merkmale, die aufgrund der bishe-rigen Rechtsprechung des BFH der Finanzverwaltung und den Finanzgerichten abverlangt worden war. Dies gilt umso mehr, als die Aufteilung auch im Wege der Schätzung geschehen kann (…).“530

Durch diese schwammigen Ausführungen, die auch nicht im Zusammenhang mit der Frage der „Abgrenzbarkeit“ fallen, fällt es schwer, die genauen Grenzen zu den untrennbaren Auf-wendungen zu ziehen. Alle AufAuf-wendungen sind im Wege einer Schätzung aufteilbar. Wenn unteilbare Aufwendungen seitens des Großen Senats durch die Abwesenheit objektiver Krite-rien zu ihrer Teilung definiert werden, so muss man sich fragen, wo noch Platz für eine Schätzung sein soll? Für mich ist nur schwerlich vorstellbar, inwiefern objektive Kriterien für eine Teilung vorliegen können und dennoch die Notwendigkeit einer Schätzung gegeben ist.

Geht man von der Präferenz des BFH für die Verhältnismethode aus, so zeichnet sie sich ge-rade dadurch aus, dass die Nutzungsverhältnisse zur Teilung gemischt veranlasster Fixkosten objektiv feststehen. Würden diese Nutzungsverhältnisse geschätzt, so könnte jede Art von

526 BFH v. 02.07.2012 III B 243/11 = BFH/NV 2012, 1597 (1598 f.); hinsichtlich des genauen Sachverhalts ist auf die Entscheidung des FG Hamburg v. 08.06.2011 6 K 121/10 = EFG 2011, 2131 ff. hinzuweisen

527 a.A. scheinbar Fischer NWB 2010, 412 (416 f.; 418), der die hier vertretene Ansicht zur Abgrenzbarkeit

„Einzelaufwendungen“ nennt.

528 Ähnlich Steck DStZ 2011, 191 (203)

529 Vergleiche BFH v. 18.12.1984 VIII R 195/82 = BStBl II 1986, 226 (228 f.); BFH v. 19.02.1987 IV R 143/84

= BStBl II 1987, 412 (413) und die Nachweise in Fn 341

530 BFH BStBl II 2010, 672 (683; vergleiche dort auch die Rn 111 und 112)

gemischten Aufwendungen aufgeteilt werden. Untrennbare Aufwendungen gebe es folglich nicht.

Auch lehnt der BFH Mehraufwand als Teilungsmethode grundsätzlich ab, weshalb sich diese Ausführungen nicht auf Mehraufwand beziehen dürften.

Klar scheint nur zu sein, dass die Schätzung jedenfalls nicht herangezogen werden darf, um die erwerbsdienliche Veranlassung an sich zu schätzen.531 Die (wenigstens auch) erwerbs-dienliche Veranlassung eines Aufwands muss feststehen.

Für mich spielt die Schätzung weiterhin eine Rolle, wenn Mehraufwand zur Teilung von ge-mischten Aufwendungen herangezogen wird.532 Dort kommt die Schätzung ins Spiel, wenn die Wahrscheinlichkeitserwägungen im Einzelfall keine Aufteilung mehr möglich erscheinen lassen, sondern auf die vergröbernde Ermittlung eines Aufwandsüberhangs zum Existenzmi-nimum zurückgegriffen werden muss.

Im Rahmen der Verhältnismethode hat die Schätzung dagegen nur in Ausnahmefällen Bedeu-tung. So ist eine Schätzung immer dann vorzunehmen, wenn die berufliche Veranlassung an sich feststeht, sich aber die Nutzungsverhältnisse aufgrund eines strukturellen Beweisprob-lems nie objektiv feststellen lassen könnten. Kann also dem Erfordernis des BFH nach der Darlegung objektiver Kriterien strukturell nicht nachgekommen werden, so kann man die Aufteilung durch Schätzung der Nutzungsverhältnisse in Betracht ziehen.533 Ein solches strukturelles Beweisproblem existiert etwa immer im Rahmen häuslicher Vorgänge. Die ge-mischte Nutzung eines häuslichen Arbeitszimmers,534 die gemischte Nutzung eines im häusli-chen Bereich aufgestellten PCs535 lässt sich (strukturell) nie objektiv nachweisen. Anders als Reisekosten, bei denen jedenfalls häufiger ein objektiver Beweis möglich ist, wären die nannten Aufwendungen strukturell immer untrennbar. Gerade das in § 4 V 1 Nr. 6b EStG ge-regelte häusliche Arbeitszimmer zeigt aber, dass dieser Aufwand trotz dieses Problems ab-ziehbar ist und nicht wegen der strukturellen Beweisprobleme unberücksichtigt bleiben soll.

531 BFH v. 01.06.2010 VIII R 80/05 = BFH/NV 2010, 1805 (1806); BFH v. 03.05.2011 VIII B 18/10 = BFH/NV 2011, 1346 (1346)

532 Siehe dazu oben S. 84 ff.

533 Ähnlich Fischer NWB 2010, 412 (419 f.); Söhn in: FS Spindler S. 795 (807)

534 Für eine Schätzung in diesem Fall: Korn KÖSDI 2011, 17556 (17563); Ziesecke/Gerken SteuK 2013, 45 (48);

objektiv messbar wären wohl (anders als Nutzungszeiten) Nutzungsflächen Steck DStZ 2011, 191 (206); vor-sichtiger Eismann DStR 2013, 117 (121); Zur Aufteilung nach Nutzungszeiten BFH v. 21.11.2013 IX R 23/12 = BStBl II 2014, 312 (315)

535 BFH v. 19.02.2004 VI R 135/01 = BStBl II 2004, 958 (961 f.); zustimmend: Fischer NWB 2010, 412 (419 f.);

Steck DStZ 2011, 191 (204); Söhn in: FS Spindler S. 795 (807); siehe dazu auch oben S. 63 ff.

V. Zusammenfassung

Als wichtigste Ergebnisse dieses Teils der Arbeit sind festzuhalten:

 Der Behandlung gemischter Aufwendungen durch ein grundsätzliches Aufteilungsge-bot seitens der Rechtsprechung ist zuzustimmen.

 Die Rechtsprechung tendiert hierbei zur Aufteilung nach der Verhältnismethode und lehnt Mehraufwand grundsätzlich ab.

 Die vom Großen Senat erwähnte Möglichkeit anderer Aufteilungsmaßstäbe verbleibt unklar, insbesondere da die Folgerechtsprechung hierzu verfehlt ist.

 Zustimmungswürdig ist jedoch die vollständige Zuweisung gemischt veranlasster Vorgänge bei Pflichten und Zwängen. Hierin zeigt sich nicht nur eine Abgrenzung zwischen Mehraufwand und Normalaufwand, sondern auch eine verfassungsrechtliche Vorgabe.

 Die Nichtaufteilbarkeit der unverzichtbaren Aufwendungen für die Lebensführung ist unter jeglichen Gesichtspunkten nicht haltbar. Eine Gefahr der Doppelberücksichti-gung besteht nur teilweise und kann methodisch ausgeschaltet werden.

 Unverzichtbare Aufwendungen für die Lebensführung können sowohl durch die Ver-hältnismethode als auch durch Mehraufwand aufgeteilt werden. Bei der Verhältnisme-thode ist ein Aufwandsüberhang über den Grundfreibetrag aufteilbar. Vorzugswürdig erscheint jedoch die Aufteilung nach Mehraufwand, die primär durch Wahrscheinlich-keitsüberlegungen im Einzelfall und sekundär durch eine Schätzung im Bereich zwi-schen Grundfreibetrag und den Werten aus der Einkommens- und Verbrauchsstich-probe (EVS) zu erfolgen hat.

 Unklar sind ebenfalls die Ausführungen der Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Schätzung. Schätzung kommt neben der Rolle beim Mehraufwand auch bei der Verhältnismethode zur Anwendung, wenn aufgrund eines strukturellen Sachverhalts-defizits ein objektiver Beweis der Nutzungsverhältnisse unmöglich ist. Eine solche Fallgruppe stellen etwa die Vorgänge im häuslichen Bereich dar.