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Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

B. Die Behandlung gemischter Aufwendungen

II. Aufteilung gemischter Aufwendungen

4. Aufteilung durch Schätzung

4.3 Die Problematik der Untrennbarkeit gemischter Aufwendungen

Die für mich zentrale Problemstellung einer Aufteilung durch Schätzung liegt in der Frage, ob es so etwas wie die materielle Untrennbarkeit von gemischten Aufwendungen gibt. Zentral für die Befürworter der Aufteilung durch Schätzung ist, dass es keine untrennbaren gemisch-ten Aufwendungen gebe, weil alle Aufwendungen im Wege der Schätzung aufgeteilt werden könnten.338 Eine Unterscheidung zwischen trennbaren und untrennbaren gemischten Aufwen-dungen sei dem Gesetz nicht zu entnehmen.339

Die Frage nach der Anwendbarkeit einer Aufteilung durch Schätzung nach § 162 AO muss meines Erachtens unter Beachtung von Sinn und Zweck der Vorschrift und dessen eigentli-chem Anwendungsbereich erfolgen.

§ 162 AO ist eine Vorschrift, die eine besondere Form der Sachverhaltsermittlung durch Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ermöglicht. Sie ist also im Grundsatz340 eine formelle Norm. Damit muss klar sein, dass die Befürworter einer Aufteilung durch Schätzung konse-quenterweise die Frage der Teilbarkeit gemischter Aufwendungen primär als eine Frage man-gelhafter Sachverhaltsaufklärung auffassen. Nach dieser Auffassung ließe sich jeder gemisch-te Aufwand gemisch-teilen, weil die Aufgemisch-teilung nur daran scheigemisch-tern könne, dass sich der Sachverhalt nicht weiter aufklären ließe. Denn vorrangig soll § 162 AO ein solches Sachverhaltsdefizit beheben.341 Dieser Auffassung liegt also die Annahme zugrunde, dass, wenn nur der

334 Seer in: Tipke/Kruse AO § 162 Rn 2; Cöster in: Pahlke/Koenig AO (2.Auflage) § 162 Rn 4 m.w.N.

335 Rüsken in: Klein AO (12.Auflage) § 162 Rn 13; Seer in: Tipke/Kruse AO § 162 Rn 24

336 Steck DStZ 2011, 191 (203)

337 Weber StuW 2009, 184 (194); Steck DStZ 2011, 191 (204); vgl. auch Heymann (Fn 1) S. 47

338 Weber StuW 2009, 184 (194); Steck DStZ 2011, 191 (204); Arndt in: K/S/M EStG § 12 Rn A 76.; Heymann (Fn 1) S. 44

339 Arndt in: K/S/M EStG § 12 Rn A 74 f.; dem zustimmend Weber StuW 2009, 184 (194)

340 Vgl. zu der Frage, inwiefern unter „Besteuerungsgrundlagen“ im Sinne von § 162 I 1 AO auch rechtliche Fragen zu subsumieren sind Seer in: Tipke/Kruse AO § 162 Rn 19 f.; Cöster in: Pahlke/Koenig AO (2.Auflage)

§ 162 Rn 33; Rüsken in: Klein AO (12.Auflage) § 162 Rn 10

341Seer in: Tipke/Kruse AO § 162 Rn 30; Rüsken in: Klein AO (12.Auflage) § 162 Rn 20; Cöster in: Pahl-ke/Koenig AO (2.Auflage) § 162 Rn 43; BFH v. 18.12.1984 VIII R 195/82 = BStBl II 1986, 226 (228 f.); BFH v.

19.02.1987 IV R 143/84 = BStBl II 1987, 412 (413)

beamte den Vorgang genau genug mitverfolgen würde oder könnte, sich eine Aufteilung des gemischten Aufwands stets ergeben würde.342

Damit nimmt man der Aufteilbarkeit von gemischten Aufwendungen allerdings den Charakter als materielles Problem. Dass die Aufteilbarkeit von Aufwendungen keine formelle Frage ei-nes mangelhaft aufgeklärten Sachverhalts, sondern eine Frage des materiellen Rechts ist, zeigt sich für mich schon am Gegenteil der Aufteilbarkeit, nämlich dem Zusammenwirken von Veranlassungsbeiträgen.

Das Zusammenwirken von verschiedenen Veranlassungsbeiträgen, die in einem Aufwand münden, nennt man gemischte Aufwendungen. Auch hier ergeben sich nach der Wesentlich-keitstheorie Möglichkeiten, Aufwand als „teilbar“ und somit als eindeutig erwerbsdienlich oder eindeutig privat veranlasst aufzufassen. Auch hier wird aufgrund eines entsprechenden Sachverhaltes eine entsprechende materielle Wertung abgegeben. Niemand kommt auf die Idee, die Entstehung gemischter Aufwendungen nur als formelles Problem eines im Vergleich zu eindeutig veranlassten Aufwendungen mangelhaft aufgeklärten Sachverhalts aufzufassen.

Konsequenterweise müssten die Vertreter der Aufteilung durch Schätzung annehmen, dass es sich auch bei der Entstehung gemischter Aufwendungen nur um ein Problem eines unzu-reichend aufgeklärten Sachverhalts handelt. Wenn aber schon die Entstehung gemischter Aufwendungen ein materielles Problem ist, so erscheint es mehr als fraglich, die Trennbarkeit als formell zu lösendes Problem aufzufassen.

Aus diesem materiellen Verständnis der Frage der Trennbarkeit wird auch klar, warum es – entgegen den Vertretern einer schätzungsweisen Aufteilung343 – keine gesetzliche Kodifizie-rung von trennbaren und untrennbaren Aufwendungen braucht. Die Trennbarkeit ist die mate-rielle Kehrseite des matemate-riellen Zusammenwirkens von Veranlassungsbeiträgen.

Die Nichtanwendbarkeit einer formellen Norm zur Lösung eines materiellen Problems lässt sich auch nicht durch Gerechtigkeitserwägungen „hinwegwischen“. Man mag der These, dass die Aufteilung grundsätzlich das gerechtere Ergebnis gegenüber einer Nichtberücksichtigung liefert, im Kern zustimmen. Jedoch muss man sich auch fragen, inwiefern die schätzungswei-se Aufteilung das gerechtere Ergebnis gegenüber den schon vorhandenen Aufteilungsmetho-den darstellt. Warum sollte derjenige, dessen feststehende Verhältnisse etwa eine Aufteilung von 30 zu 70 gebieten, sich so behandeln lassen, wenn bei der schätzungsweisen Aufteilung

342 So schlägt etwa Heymann (Fn 1) S. 49 vor, dass sich die Schätzung auf den Sachverhalt eines zeitlichen Nut-zungsverhältnisses im Sinne der Verhältnismethode beziehen könne und sich die Aufteilung dann durch das schätzungsweise festgestellte Nutzungsverhältnis ergebe.

343 Siehe oben Fn 339

zumeist eine hälftige Teilung angenommen werden würde. Denn diese hälftige Teilung stellt die „Salomonische Weisheit“ dar, auf die man sich in den meisten Zweifelsfällen hinausreden wird.344 Wer also durch Schätzung aufteilen will, der muss meines Erachtens immer durch Schätzung aufteilen.

Weiterhin bleiben die Vertreter der schätzungsweisen Aufteilung eine schlüssige Definition des Anwendungsbereichs von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG schuldig.345 Der Gesetzgeber ging, auch wenn sich dies nicht deutlich im Wortlaut des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG niederschlägt, von der Möglichkeit der Untrennbarkeit gemischter Aufwendungen aus.346 Wenn die Norm nicht die Nichtabziehbarkeit untrennbar gemischter Aufwendungen regelt, so bleibt wieder nur die in-haltslose und auch nur in der Gesetzesbegründung verwendete Bezeichnung der „Repräsenta-tionsaufwendungen“, um den Anwendungsbereich von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu definieren.

Es lässt sich also festhalten, dass die Antwort auf die materielle Frage der Teilung nicht in ei-ner formellen Verfahrensnorm wie § 162 AO gefunden werden kann. Die materiellen Tei-lungsmethoden des EStG sind die oben genannten Methoden der Angemessenheit, des Mehr-aufwands und die Verhältnismethode.

Indes hat auch § 162 AO im Rahmen der Aufteilung gemischter Aufwendungen gewisse Be-deutung. Die Vorschrift erlaubt nicht die Teilung an sich, sondern kann in solchen Fällen, in denen die materielle Teilung nach Überzeugung des Rechtsanwenders tatsächlich nur an ei-nem Sachverhaltsdefizit scheitert, zur Lösung beitragen.

Solche Fälle können sich im Rahmen der Verhältnismethode etwa im Bereich von Aufwen-dungen im schwer zu kontrollierenden häuslichen Bereich (häusliches Arbeitszimmer, oder ein im häuslichen Bereich aufgestellter PC)347 ergeben.

Auch bei der Teilung nach Mehraufwand der Höhe nach wird man in einigen Fällen auf eine Schätzung zurückgreifen müssen, was auch von Seiten der Rechtsprechung schon so prakti-ziert worden ist.348

Beide Gedanken sollen im Rahmen der Auseinandersetzung mit der neueren Rechtsprechung nochmals erläutert werden.349

344 Das sind nicht nur die Vorschläge von Steck DStZ 2011, 191 (204); Heymann (Fn 1) S. 47 oder auch Jochum DStZ 2010, 665 (670); sondern auch der BFH gibt in Zweifelsfällen eine hälftige Teilung als Leitfaden aus. So etwa BFH v. 06.11.2001 IX R 97/00 = BStBl II 2002, 726 (729); BFH v. 19.02.2004 VI R 135/01 = BStBl II 2004, 958 (961 f.); BFH v. 24.02.2011 VI R 12/10 = BStBl II 2011, 796 (797)

345 Siehe dazu oben S. 27 ff.

346 Siehe dazu die amtliche Begründung in RStBl 1935, 33 (41)

347 Dazu auch sogleich

348 Vgl. für gemischte Aufwendungen Fn 278 und für außergewöhnliche Belastungen Fn 287

Diese Schätzung erfolgt aber erst, nachdem der Rechtsanwender zu seiner Überzeugung Kri-terien für eine materielle Teilungswertung feststellen konnte. Hierin ist der Unterschied zu ei-ner Aufteilung durch Schätzung zu sehen.