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Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

B. Die Behandlung gemischter Aufwendungen

II. Aufteilung gemischter Aufwendungen

2. Die Aufteilung nach Mehraufwand

2.2 Regelungsmechanismus des Mehraufwands

Ausgangspunkt der Beschreibung des Regelungsmechanismus sollen die bereits gesetzlich geregelten Fälle des Mehraufwands – also vor allem Verpflegungsmehraufwendungen und die Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung – sein. Allerdings ist aufgrund des Hin-tergrunds der Vorschriften, die nur auf eine jahrzehntelange Praxis reagiert haben, schnell festzustellen, dass von Seiten des Gesetzgebers und der Normen wenig zusätzliche Erkenntnis hinsichtlich der Methodik zu erwarten ist.

Vielmehr muss versucht werden, die hinter dem von der Rechtsprechung praktizierten Kon-zept des Mehraufwands stehenden Wertungen zu erfassen. Das soll am Beispiel des Verpfle-gungsmehraufwands erfolgen.

Der banale Ausgangspunkt dieser Überlegung ist, dass der Mensch essen muss, um zu leben.

Jedermann muss essen, ob er nun einer steuerpflichtigen Tätigkeit nachgeht oder nicht. Dar-aus lässt sich grundsätzlich ableiten, dass der Aufwand für Verpflegung unabhängig von der Erwerbsquelle entsteht, selbst wenn es sich im Sinne einer conditio sine qua non immer sagen ließe, dass derjenige, der nicht isst, auch keine steuerbare Tätigkeit annehmen kann. Der Aufwand für Verpflegung entsteht also im Sinne einer wertenden Auswahl aus privaten und erwerbsdienlichen Veranlassungsbeiträgen „so oder so“ also mit oder ohne erwerbsdienliche

246 Verpflegungsmehraufwendungen etwa waren schon zu Zeiten der Weimarer Republik anerkannt vgl. RFH v.

15.01.1930 VI A 1675/29 = RStBl 1930, 265; vgl. auch Söhn DStJG 3 (1980), 13 (47 ff.) mit ausführlichem Hintergrund

247 BGBl I 1966, S. 702 ff.; BStBl I 1967, 2 ff.

248 BGBl I 1974, S. 1769 ff.; BStBl I 1974, 530 ff.

249 Vgl. etwa zur doppelten Haushaltsführung vor deren Kodifikation BFH v. 11.05.1966 VI 195/65 = BStBl III 1966, 503 (504); zu Verpflegungsmehraufwendungen BFH v. 08.06.1972 IV R 130/71 = BStBl II 1972, 855 (856); ausführlich auch BFH v. 13.01.1995 VI R 82/94 = BStBl II 1995, 324 ff.

250 So BT-Drs. 5/1068 S. 24 (Doppelte Haushaltsführung); BT-Drs. 7/1470 S. 270 (Verpflegungsmehraufwen-dungen)

251 BGBl I 2013, S. 285 ff. = BStBl I 2013, 188 ff.

252 Siehe dazu unten S. 51 ff.

Ursache. Daher entspricht es auch allgemeiner Meinung, Aufwendungen für Essen grundsätz-lich als privaten Aufwand aufzufassen.253

Unter bestimmten Umständen kann jedoch die Höhe der Aufwendungen durch erwerbsdienli-che Faktoren beeinflusst werden. Den Verpflegungsmehraufwendungen liegt die Wertung zu-grunde, dass etwa demjenigen, der sich aus beruflichen Gründen außerhalb seiner gewöhnli-chen Umgebung aufhält, höhere Kosten für Verpflegung entstehen, als sie entstehen würden, wenn er diesen beruflichen Faktoren nicht ausgesetzt wäre. Derjenige, der sich in einer frem-den Stadt aufhält, hat häufig nicht die Möglichkeit sich selbst zu versorgen, sondern ist auf die Besuche von Restaurants und ähnlichen Einrichtungen angewiesen.254 Die Verpflegungs-mehraufwendungen sollen also nur das (pauschaliert festgelegte) „Mehr“ an Aufwand als Er-werbsaufwand berücksichtigen und die „gewöhnlichen“ Aufwendungen als Privataufwand unberücksichtigt lassen. Genau von diesem Mechanismus ist der Gesetzgeber bei seiner letz-ten Reform255 der Regelungen über die Verpflegungsmehraufwendungen ausgegangen.256 Nach diesem Verständnis haben sich die Verpflegungsmehraufwendungen auch historisch in der Rechtsprechung des RFH entwickelt.257

Aus diesem Beispiel lässt sich denn auch schon der eigentliche Regelungsmechanismus ablei-ten. Ausgangspunkt ist dabei ein hypothetischer Vergleich zweier Zustände.

Zum einen der real vorliegende Zustand, in dem wesentliche, private Veranlassungsbeiträge (bei Verpflegungsmehraufwendungen also schlicht Hunger) und wesentliche, erwerbsdienli-che Veranlassungsbeiträge (bei Verpflegungsmehraufwendungen der berufsbedingte Aufent-halt an einem fremden Ort) einen Aufwand zusammenwirkend veranlasst haben.

Zum anderen ein nur hypothetisch vorliegender Zustand, in dem nur private Veranlassungs-beiträge den Aufwand veranlasst hätten. Der sich ergebende Unterschied im Vermögen des Steuerpflichtigen muss als Mehraufwand bezeichnet werden.

Hier lässt sich eine gewisse Ähnlichkeit des Mehraufwands mit der Methodik der zivilrechtli-chen Schadensberechnung feststellen. Im Zivilrecht nehmen Rechtsprechung und Literatur für

253 Thürmer in: Blümich EStG § 12 Rn 80; Seiler in: Kirchhof EStG (13.Auflage) § 12 Rn 2; Kurzeja in: L/B/P EStR § 12 Rn 38 ff.; Fissenewert in: H/H/R EStG § 12 Rn 37

254 Frotscher in: Frotscher EStG § 4 Rn 717; Meurer in: Lademann EStG § 4 Rn 692; Nacke in: L/B/P EStR

§§ 4,5 Rn 1713; Schober in: H/H/R EStG § 4 Rn 1360

255 Gesetz vom 20.02.2013 siehe Fn 251

256 BT-Drs. 17/10774 S. 15

257 z.B. RFH v. 15.01.1930 VI A 1675/29 = RStBl 1930, 265; Söhn DStJG 3 (1980), 13 (47 ff.) m.w.N. zu Rechtsprechung und Hintergrund der Verpflegungsmehraufwendungen

die Schadensberechnung die sog. „Differenzhypothese“ als Ausgangspunkt.258 Dabei wird ein hypothetischer Vergleich der Vermögenslage des Geschädigten mit und ohne schädigendes Ereignis angestellt. Die Hypothese im Zivilrecht ergibt sich daraus, dass die Vermögenslage ohne schädigendes Ereignis nicht real ermittelbar, sondern nur hypothetisch annehmbar ist.

Mehraufwand hat aber nicht nur eine Ähnlichkeit mit der zivilrechtlichen Differenzhypothese, sondern auch mit der schon behandelten steuerrechtlichen Angemessenheitsprüfung. Das ver-bindende Element zwischen Angemessenheit und Mehraufwand ist der Fremdvergleich. Denn konkret muss der oben skizzierte Vergleich zwischen realer und hypothetischer Lage durch einen Fremdvergleich mit einem Vergleichsmaßstab durchgeführt werden. Mehraufwand lässt sich daher auch als Angemessenheitsprüfung mit „umgekehrten Vorzeichen“ verstehen.

Die Angemessenheitsprüfung hat nach hier vertretenem Verständnis den Zweck, den „priva-ten Exzess“ in typischerweise erwerbsdienlich veranlasstem Aufwand zu messen. Vom Errei-chen der Angemessenheitsgrenze an wird der überschießende Aufwand („Exzess nach oben“) als nicht abzugsfähiger Privataufwand qualifiziert. Die Angemessenheitsgrenze wird durch einen Fremdvergleich mit einem ordentlichen und gewissenhaften Unternehmer bestimmt.

Mehraufwand wiederum dreht die Vorzeichen dieser Prüfung um. Ich meine, dass Mehrauf-wand dazu dient, den „erwerbsdienlichen Exzess“ in typischerweise privat veranlasstem Aufwand zu messen.259 Kosten der Ernährung, Schlafgelegenheiten und Wohnraum sind typi-scherweise private Aufwendungen. Vom Erreichen der Mehraufwandsgrenze an wird der überschießende Aufwand („Exzess nach oben“) als abzugsfähiger Erwerbsaufwand qualifi-ziert. Die zentrale Frage hierbei ist aber, wie die Mehraufwandsgrenze bestimmt werden soll.

Es fragt sich also, ob es auch hier einen Fremdvergleich mit einem Vergleichsmaßstab geben kann und welches Leitbild diesem Fremdvergleich zugrunde gelegt werden soll.

Was den Vergleichsmaßstab angeht so besteht ein entscheidender Unterschied zwischen An-gemessenheit oder der zivilrechtlichen Differenzhypothese einerseits und Mehraufwand ande-rerseits. In ersteren Fällen ist der Vergleichsmaßstab Teil der gesetzlichen Vorschriften.

258 Schiemann in: Staudinger BGB § 249 Rn 4 ff.; Oetker in: MüKo BGB II (6.Auflage) § 249 Rn 18 ff.; Ebert in:

Erman BGB (13.Auflage) Vor §§ 249 – 253 Rn 24 ff.; BGH v. 21.03.2013 III ZR 260/11 = BGHZ 197, 75 (83 f.) m.w.N. zur stRspr.

259 In diese Richtung auch Fissenewert in: H/H/R EStG § 12 Rn 23 a.E.; Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 50 f.

Die Angemessenheitsprüfung hat durch die in § 4 V 1 Nr. 7 EStG enthaltenen Worte „nach der allgemeinen Verkehrsauffassung“ eine gesetzgeberische Vorzeichnung erhalten, welches Leitbild als Vergleichsmaßstab für den Fremdvergleich herangezogen werden soll. Der von der Rechtsprechung entwickelte „ordentliche und gewissenhafte Unternehmer“ ist also in der Vorschrift angelegt.

Genauso verhält es sich mit der zivilrechtlichen Differenzhypothese, die in § 249 I BGB, der anordnet, dass der Gläubiger so zu stellen ist, als ob die zum Schaden führenden Umstände nicht eingetreten wären, fundiert ist.260

Genau ein solch vorgezeichneter Vergleichsmaßstab fehlt für Mehraufwand, da es gerade kei-ne gekei-nerelle Kodifikation der Methodik gibt. Aufgrund des immer nur hypothetisch gegebe-nen Zustands des rein privat veranlassten Aufwands bedarf es aber eines Leitbilds für den Fremdvergleich. Ein solches Leitbild für den Vergleichsmaßstab kann nur durch Typisierung seitens der Rechtsanwendung gebildet werden.