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Aufteilung nach anderen Maßstäben oder eindeutige Zuweisung

Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

C. Gemischte Aufwendungen in der geänderten Rechtsprechung des BFH

IV. Leitlinien zur Aufteilung von gemischten Aufwendungen

1. Materielle Leitlinien

1.3 Aufteilung nach anderen Maßstäben oder eindeutige Zuweisung

Dass sich ein Vorrang der Verhältnismethode aus den Ausführungen des Großen Senats zu-mindest lesen ließe, macht auch eine weitere Leitlinie klar. Insofern führt er aus: „Als sachge-rechter Aufteilungsmaßstab kommt in derartigen Fällen das Verhältnis der beruflichen und privaten Zeitanteile der Reise in Betracht. Das unterschiedliche Gewicht der verschiedenen Veranlassungsbeiträge kann es jedoch im Einzelfall erfordern, einen anderen Aufteilungs-maßstab heranzuziehen oder von einer Aufteilung ganz abzusehen.“401

Die Aussage, dass auch ein anderer Maßstab als die Zeitverhältnisse in Betracht gezogen werden kann, deutet für mich nicht auf eine andere Aufteilungsmethode hin, sondern will wohl nur auf andere „Verhältnisse“ hindeuten, die man im Sinne der Verhältnismethode zur Aufteilung nutzen kann.402 Insofern eröffnen diese Ausführungen die Aufteilung nach den verschiedensten Nutzungsverhältnissen, wie Flächenanteile, Aufteilung nach Personen, nach

396 BFH BStBl II 2010, 672 (684)

397 Aufteilung nach „Fortbildungsstunden“ in BFH v. 21.04.2010 VI R 66/04 = BStBl II 2010, 685 (687)

398 BFH v. 21.04.2010 VI R 5/07 = BStBl II 2010, 687 (689); BFH v. 09.12.2010 VI R 42/09 = BStBl II 2011, 522 (524)

399 Vgl. dazu die Entscheidung der Vorinstanz FG Niedersachen v. 24.04.2012 8 K 254/11 = EFG 2012, 2100 ff.

unter Berufung auf einen „Tätigkeitsbericht“ des Steuerpflichtigen

400 BFH v. 21.11.2013 IX R 23/12 = BStBl II 2014, 312 (313); das Verfahren ist beim Großen Senat unter dem Az. GrS 1/14 anhängig.

401 BFH BStBl II 2010, 672 (684 f.)

402 Ähnlich Kanzler StbJb 2010/2011, 43 (50)

Mengen oder Nutzungsvorgängen.403 In Einzelfällen sollen also andere Aufteilungsmaßstäbe als die Zeitanteile möglich sein, bzw. eine Aufteilung gemischter Aufwendungen kann auch durch eine vollständige Zuweisung – trotz möglicher Aufteilung nach Verhältnissen – ersetzt werden.

1.3.1 Aufteilung nach anderen Maßstäben

Der BFH hat bisher erst zweimal und in inhaltlich fast identischen Fällen von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einen von einem zeitlichen Verhältnis abweichenden Aufteilungsmaßstab zu wählen.404

Beide Entscheidungen betrafen Fälle, in denen ein Steuerpflichtiger einen mehrwöchigen Sprachkurs im Ausland besuchte, um seine Fremdsprachenkenntnisse für den Beruf zu ver-bessern. Im zuerst entschiedenen Fall,405 fand dieser Sprachkurs für Englisch in Südafrika statt, wobei der eigentliche Kurs über 4 Wochen hinweg immer von Montags bis Freitags stattfand. Der Kurs begann um 8.30 Uhr und endete gegen 16 Uhr. Zumindest nach Aussage des Steuerpflichtigen war für Freizeitaktivitäten außerhalb der Wochenenden aufgrund von

„Hausaufgaben“ für den Sprachkurs keine Zeit. Dem Steuerpflichtigen entstanden Aufwen-dungen in Form von Kursgebühren und den sonstigen Reisekosten (Flugkosten, Übernach-tungskosten, Verpflegungsmehraufwand).

Der BFH trennte in seiner Begründung zunächst die Frage der Abziehbarkeit der Kursgebüh-ren als Werbungskosten von der Frage der Abziehbarkeit der sonstigen Reisekosten.406 Diese Trennung dürfte der schon soeben erläuterten Frage der „Abgrenzbarkeit“407 geschuldet sein, wonach die Kosten des Sprachkurses jedenfalls eine eindeutig erwerbsdienliche Veranlassung aufweisen können, die bei den sonstigen Reisekosten so nicht unbedingt vorliegen muss.

Der BFH wies weiter darauf hin, dass für die Aufteilung von Reisekosten grundsätzlich die Aufteilung nach Zeitanteilen im Sinne der Entscheidung des Großen Senats in Betracht zu ziehen sei. Jedoch sei die Anwendung des zeitlichen Verhältnisses als Aufteilungsmaßstab auf Fälle beschränkt, in denen die unterschiedlichen – und jeweils eindeutig zuzuordnenden – Veranlassungsbeiträge, die eine gemischte Veranlassung bedingen, nacheinander verwirklicht

403 Vergleiche dazu auch Fissenewert in: H/H/R § 12 Rn 68; Söhn in: FS Spindler S. 795 (806 f.)

404 BFH v. 24.02.2011 VI R 12/10 = BStBl II 2011, 796 f.; BFH v. 09.01.2013 VI B 133/12 = BFH/NV 2013, 552

405 Hinsichtlich des Sachverhalts muss auf FG BaWü v. 17.06.2009 1 K 100/07 = EFG 2010, 1100 f. verwiesen werden.

406 BFH BStBl II 2011, 796

407 Siehe dazu oben S. 67 ff.

werden.408 Ein von dieser Regel abweichender Fall läge vor, da im zu entscheidenden Fall die Veranlassungsbeiträge gleichzeitig verwirklicht würden, weil die Wahl des Kursorts (Südafri-ka) für einen Englisch-Sprachkurs außergewöhnlich sei und eine private Veranlassung in Form eines touristischen Interesses indiziere.409 Ein solches Indiz könne durch Besonderhei-ten des Einzelfalls – wie das Einüben einer landesspezifischen Aussprache – allerdings auch wieder entfallen.410

Der BFH verwies abschließend darauf, dass in diesem Fall also ein anderer als der zeitliche Maßstab zu wählen sei und falls sich ein solcher nicht finden lasse, eine hälftige Teilung der Reisekosten in Betracht käme.411

Das Urteil ist meines Erachtens zu Recht kritisiert worden, da es mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet.412 Problematisch erscheint mir schon der gesamte Lösungsansatz des BFH. Der entscheidende Ansatzpunkt für das Gericht ist jedenfalls die Annahme einer privaten Mitver-anlassung, die sich in der Wahl des außergewöhnlichen Kursorts niederschlägt. Der damit an-klingende „Vorwurf“ ist also, dass niemand ohne besonderen Anlass einen Englisch-Sprachkurs an einem so exotischen Ort wie Südafrika besucht, ohne touristische Hintergedan-ken zu haben. Ähnliches nimmt der BFH auch für einen Spanisch-Sprachkurs in Südamerika an.413 Ein Sprachkurs in Großbritannien, Irland oder gar in Deutschland hätte wohl keinerlei Anlass für die Annahme einer privaten Mitveranlassung gegeben.414 Gleichzeitig hat sich der BFH auch nicht zu einer zeitlichen Aufteilung durchringen können. Was hätte schon dagegen gesprochen, die Wochenenden als privat veranlasst zu qualifizieren?415 Diesbezüglich befand sich der entscheidende VI. Senat scheinbar in einer Zwickmühle, denn er hatte früher bereits entschieden, dass Wochenenden im Rahmen von mehrwöchigen Sprachkursen nicht als privat veranlasst anzusehen sind.416 Nach den üblicherweise angelegten Kriterien wäre also ein voll-ständiger Abzug als Erwerbsaufwendungen die Folge gewesen.417

408 BFH BStBl II 2011, 796 (797)

409 BFH BStBl II 2011, 796 (797); so auch BFH/NV 2013, 552

410 BFH BStBl II 2011, 796 (797)

411 BFH BStBl II 2011, 796 (797); so auch BFH/NV 2013, 552

412 Kritisch etwa Bergkemper DB 2011, 1144; Kanzler FR 2011, 680 ff.; Söhn in: K/S/M EStG § 4 Rn E119

413 BFH/NV 2013, 552

414 So auch die Wertung von Kanzler FR 2011, 680 (681); Schwenke FR 2011, 1051 (1057); vgl. auch BFH v.

13.06.2002 VI R 168/00 = BStBl II 2003, 765 ff. für die Anerkennung der Kosten eines Sprachkurses in Frank-reich aufgrund europarechtlicher Einflüsse

415 Auf die Möglichkeit weisen auch Schneider BFH/PR 2011, 301 (301) und Schwenke FR 2011, 1051 (1057) hin.

416 BFH v. 13.06.2002 VI R 168/00 = BStBl II 2003, 765 (768)

417 In diese Richtung denkt wohl auch Kanzler FR 2011, 680 (681)

All diese Gedanken zusammenfassend erscheint es mir verwunderlich, warum weder BFH noch Literatur die Lösung dieses Falles anhand § 9 V 1 i.V.m. § 4 V 1 Nr. 7 EStG in Betracht gezogen haben. Die Aufteilung nach Angemessenheit ist exakt die Methodik, die den hier vorliegenden Fall lösen kann.418 Es geht nach hier vertretener Ansicht um die Behandlung ei-nes atypisch privat veranlassten „Exzess“ im Rahmen von typischerweise beruflich veranlass-ten Aufwendungen. Die auf der Ungewöhnlichkeit eines Sprachkurses in Südafrika basieren-de Argumentation lässt für mich die Notwendigkeit eines Aufteilungsmaßstabs anhand eines Fremdvergleichs mit dem „Üblichen“, „Notwendigen“ – eben dem „Angemessenen“ – deut-lich zu Tage treten.419 Die Lösung dieses Falles wäre also nicht in einem anderen Auftei-lungsmaßstab im Sinne der Verhältnismethode, sondern in einer anderen Aufteilungsmetho-dik zu suchen gewesen.

Letztlich verbleiben bei dieser Entscheidung, auch wenn man im Ergebnis mit einer Auftei-lung wird stets leben können, entscheidende Fragen offen.

Ohne Ausführungen zu den denkbaren Aufteilungsmaßstäben erscheint die Abgrenzung zu untrennbaren, gemischten Aufwendungen nicht möglich, denn im Wege einer Schätzung sind alle Aufwendungen trennbar. Aufgrund der hilfsweise erwähnten „hälftigen“ Teilung, die ja bei allen gemischten Aufwendungen möglich ist, lässt die Entscheidung ebenfalls den Schluss zu, dass hier durch Schätzung aufgeteilt420 wurde. Das würde jedenfalls nicht der Intention des Großen Senats entsprechen.421 Aus diesen Gründen müssen die beiden hierzu ergangenen Entscheidungen als in der Begründung fehlerhaft eingestuft werden.

1.3.2 Verzicht auf Aufteilung und eindeutige Zuweisung

Neben einer Aufteilung nach anderen Maßstäben weist der Große Senat auch auf die Mög-lichkeit hin, – trotz an sich gegebener gemischter Veranlassung – eine eindeutige Zuweisung zu den Privat- oder Erwerbsaufwendungen vorzunehmen. Dankenswerterweise liefern die Entscheidungsgründe auch ein Beispiel, in dem eine solche vollständige Zuweisung möglich ist. Nehme der Steuerpflichtige in dem entschiedenen Fall etwa die Reise aufgrund einer Wei-sung seines Arbeitsgebers wahr, so könnten die Reisekosten auch vollständig als

418 Ausführlich dazu oben S. 33

419 Die Begrenzung der Reisekosten auf die Höhe, die für einen Besuch eines Sprachkurses in Deutschland oder Großbritannien notwendig wären, klingt auch bei Kanzler FR 2011, 680 (681) und Schwenke FR 2011, 1051 (1057) an.

420 In die Richtung Kanzler FR 2011, 680 (681); Bergkemper jurisPR-SteuerR 24/2011 Anm. 2

421 Vgl. auch Nöcker jurisPR-SteuerR 40/2011 Anm. 4; kritisch auch BFH v. 24.08.2012 III B 21/12 = BFH/NV 2012, 1973 (1974); a.A. Geserich NWB 2011, 1761 der in einer hälftigen Teilung einen anderen Aufteilungs-maßstab im Sinne des Großen Senats sehen will.

aufwand anerkannt werden, ohne dass es zwingend darauf ankäme, ob der berufliche Teil der Reise länger als der private Anteil sei.422

Diese Leitlinie ist vermehrt von Seiten der Literatur kritisiert worden.423 Es sei nicht zu er-kennen, inwiefern die Tatsache, dass es sich um einen beruflichen Pflichttermin handelt, die gemischte Veranlassung aufhebe.424 So könne doch etwa, wenn der Steuerpflichtige nur für einen Tag beruflich verpflichtend anreisen müsse, nicht die Wertung abgegeben werden, dass ein damit verbundener 2-wöchiger Urlaub unbeachtlich sei.425

Die Kritik ist für mich allerdings unberechtigt. Hinter dieser Leitlinie steckt letztlich die Wer-tung, dass ein beruflicher Pflichttermin den Aufwand hätte in jedem Fall – also mit oder ohne private Veranlassung – in vollem Umfang anfallen lassen.426 Legt man diese Interpretation zugrunde, so befindet man sich mit dieser Leitlinie im Bereich einer „steuerrechtlichen Diffe-renzhypothese“ und – nach hier vertretener Ansicht – in der Abgrenzung zwischen dem Nor-malaufwand und dem Mehraufwand.427 Für mich lässt sich deren Abgrenzung in Anlehnung an diese Rechtsprechung dahingehend vornehmen, dass Pflichten und Zwänge, die aus der Erwerbssphäre stammen, gemischten Aufwand in erwerbsdienlichen Mehraufwand qualifizie-ren. Umgekehrt qualifizieren Pflichten und Zwänge, die aus der Privatsphäre stammen, den gemischt veranlassten Aufwand in privaten Normalaufwand.

Selbst wenn man aber den hier vertretenen Ansatz, dass es bei dieser Leitlinie um die Ab-grenzung zwischen Normalaufwand und Mehraufwand geht, nicht teilt, so erscheint mir diese Art der Wertung verfassungsrechtlich zwingend. Neben der Abgrenzung zwischen Normal- und Mehraufwand sichert sich die Rechtsprechung so auch gegen die verfassungsrechtliche Leitlinie des „zwangsläufigen und pflichtbestimmten“ Aufwands ab, welche im verfassungs-rechtlichen Teil der Arbeit genauer untersucht wird.428 Diese verfassungsrechtliche Vorgabe wirkt „sphärenübergreifend“ und ist deswegen veranlassungsunabhängig. Auf die von der Li-teratur geäußerte Frage, was die Tatsache, dass Aufwand zwangsläufig anfällt, an der Veran-lassung ändert, lässt sich erwidern: Nichts! Die VeranVeran-lassung ist im Sinne dieser

422 BFH BStBl II 2010, 672 (685)

423 Fischer NWB 2010, 412 (420); Schwenke FR 2011, 1051 (1054 f.); Urban DS 2010, 87 (89); Söhn in: FS Spindler S. 795 (802); ders. in: K/S/M EStG § 4 Rn E112

424 Fischer NWB 2010, 412 (420); Söhn in: FS Spindler S. 795 (802); Schwenke FR 2011, 1051 (1055)

425 Söhn in: FS Spindler S. 795 (802)

426 So auch Schneider BFH/PR 2010, 85 (86); Loschelder in: Schmidt EStG (33.Auflage) § 12 Rn 7; Kanzler StbJb 2010/2011, 43 (52 f.)

427 Zu dieser Frage siehe oben S. 42 ff. und S. 45 ff.; in die Richtung auch Kanzler StbJb 2010/2011, 43 (52 f.) und Englisch DStR 2009 Beihefter Heft 34, 92 (95 insbesondere dort Fn 48)

428 Hierzu genauer unten S. 176 ff.

rechtlichen Vorgabe aber auch irrelevant. Der Gesetzgeber durfte Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung,429 für erwerbsbedingte Kinderbetreuungskosten430 oder für die Fahrten zur regelmäßigen Arbeitsstätte431 – trotz ihres Charakters als gemischte Aufwendun-gen – nicht ersatzlos streichen. Alle 3 Fallgruppen sind Anwendungsfälle des zwangsläufiAufwendun-gen und pflichtbestimmten Aufwands. Die Ähnlichkeit zwischen dem Fall der beruflichen Pflicht-reise des Großen Senats des BFH und dem vom BVerfG entschiedenen Fall der zwangsläufi-gen Kettenabordnung432 im Rahmen doppelter Haushaltsführung ist für mich unbestreitbar.

Aus diesem Grund ist auch die vollständige Anerkennung solch gemischt veranlassten

„Pflichtaufwands“ als Erwerbsaufwand zwingend.

Insofern tut der BFH insgesamt gut daran, in neuerer Rechtsprechung dem Kriterium der Pflicht oder des Zwangs eine maßgebliche, allerdings nur indizielle433 Bedeutung für die An-nahme von Erwerbsaufwendungen zuzumessen. Dass Zwang eine maßgebliche Rolle für die Qualifikation als Erwerbsaufwand spielt, hat der BFH explizit schon für gemischt veranlasste Reisekosten entschieden.434 Zwang soll allerdings nur dann diese indizielle Rolle zukommen, wenn er sich gerade auf einen konkreten Aufwand und nicht auf eine allgemeine Verpflich-tung zur Tätigung „irgendeines“ Aufwands bezieht.435

Aber nicht nur bei Reisekosten sondern ganz allgemein für die Abgrenzung zwischen Er-werbs- und Privatsphäre kommt der Frage, ob der Aufwand zwangsläufig oder verpflichtend anfällt, immer wieder entscheidende Bedeutung zu.436

1.4 Keine Aufteilung von unverzichtbaren Aufwendungen für die