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Kapitel 2 – Verfassungsrechtliches Umfeld

A. Verfassungsrechtliche Grenzen des Ertragsteuerrechts

III. Stellungnahme und Bedeutung der Ergebnisse für die weitere Arbeit

3. Limitierte Fundierung des objektiven Nettoprinzips

3.4 Beispielhafte Verdeutlichung

Zur Verdeutlichung dieser Regel kann man beispielsweise auf abhängig Beschäftige (§ 19 EStG) abstellen. Mit der Eröffnung der steuerbaren Tätigkeit (Abschluss eines Arbeits-vertrages oder Berufung in ein Beamtenverhältnis) gehen vor allem zwei Pflichten des Nicht-selbständigen einher: Die Pflicht zur Arbeit an sich und die Unterwerfung unter das

715 Diese Konsequenz zieht ähnlich auch Leisner-Egensperger FR 2006, 1018 (1025)

716 S.o. S. 109 ff.

717 Ähnlich Hey in: H/H/R KStG Einf. KSt Rn 32 a.E.

718 a.A. scheinbar Lindberg in: Frotscher EStG § 15b Rn 12 a.E, der an die Eröffnung der Steuerquelle anknüp-fen will. Man muss sich bei dieser Sichtweise allerdings fragen, welche Steuerquelle nicht freiwillig eröffnet wird.

onsrecht des Arbeitsgebers/Dienstherrn. Diese Pflichten sind also im obigen Sinne durch die grundrechtlich geschützte Entscheidung des Steuerpflichtigen für die Eröffnung einer Steuer-quelle unmittelbar bedingt. Damit sind auch die als unmittelbare Konsequenz folgenden Auf-wendungen dem Grunde nach geschützt.719

Der Steuerpflichtige kann sich dem so bedingten Zwang nur entziehen, wenn er die Steuer-quelle nicht eröffnet. Gerade diese Erwägung will das BVerfG nach seinen Rechtsprechungs-linien nicht anstellen. Die Frage, ob und wie eine Steuerquelle eröffnet wird, steht nicht zur Disposition des Gesetzgebers, sondern ist eine Frage des Steuerpflichtigen selbst, der die Be-achtung seines grundrechtlich geschützten Entscheidungsspielraums verlangen kann. Deswe-gen sind etwa AufwendunDeswe-gen, die z.B. durch eine Weisung des Arbeitsgebers entstehen (z.B.

Pflicht zur Dienstreise ohne Kostenerstattung), zwangsläufige und pflichtbestimmte Aufwen-dungen.720

Nicht geschützt ist die Frage, wie eine einmal eröffnete Erwerbsquelle ausgestaltet wird. Der Gesetzgeber ist somit von Verfassungs wegen nicht gehalten, die (prinzipiell freie) Entschei-dung des Arbeitnehmers für den Kauf eines beruflich genutzten PCs zu berücksichtigen, ob-wohl der Kauf einhergeht mit der Verpflichtung zur Bezahlung des Kaufpreises. Die Ent-scheidung für den Kauf eines PCs liegt (bei aller gebotener Vorsicht über die Beurteilung der Nützlichkeit einer solchen Anschaffung) im Wesentlichen beim Arbeitnehmer. Die Anschaf-fung ist nicht unmittelbare Konsequenz der Eröffnung einer Steuerquelle, sondern Frage der Ausgestaltung dieser. Die Ausgestaltungsentscheidung des Steuerpflichtigen ist verfassungs-rechtlich nur durch das Gebot der Folgerichtigkeit geschützt.

Die Übertragbarkeit der Kriterien von Zwang und Pflicht lässt sich natürlich an einer beson-ders fremdbestimmten Steuerquelle wie der nichtselbständigen Arbeit (§ 19 EStG) am an-schaulichsten verdeutlichen. Dennoch sind diese Kriterien auch auf andere Erwerbsquellen übertragbar, auch wenn diese nicht so einfach durch einen singulären Akt (Arbeitsver-trag/Mietvertrag usw.) begründet werden.

Auch im Rahmen der im Wesentlichen selbstbestimmten Erwerbsquellen der Gewinnein-kunftsarten (§§ 13, 15, 18 EStG) lässt sich die gefundene Abgrenzungsregel anwenden. Die Abgrenzung hat wieder an der Eröffnung der Steuerquelle selbst anzusetzen. Die Steuerquelle

719 Der Schutz der Höhe nach kann nicht pauschal ausgeführt werden

720 So nach einfach gesetzlichen Kriterien wertend BFH v. 21.09.2009 GrS 1/06 = BStBl II 2010, 672 (685); vgl.

zu dem Gedanken eines verfassungsrechtlichen Hintergrundes schon oben S. 74 ff. und unten S. 176 ff.

der Gewinneinkunftsarten wird einerseits durch die Ausübung einer Tätigkeit (z.B. eines frei-beruflichen Rechtsanwalts) und andererseits durch die Bildung von steuerverstricktem Be-triebsvermögen begründet, da diese beiden Elemente den Steuerzugriff definieren.

Der Staat definiert die Einkunftsquelle der Gewinneinkunftsarten letztlich als „laufende Ein-nahmen aus der Tätigkeit“ und als „EinEin-nahmen aus der Veräußerung von Betriebsvermö-gen“ (Reinvermögenszugangstheorie).721 Laufende Einnahmen etwa eines Rechtsanwalts werden prinzipiell über die Bereitstellung von Dienstleistungen als Rechtsanwalt generiert.

Die Eröffnung der Steuerquelle ergibt sich, soweit die laufenden Einnahmen aus der Tätigkeit betroffen sind, aus dem Abschluss eines entsprechenden, das „Grundverhältnis“ der Tätigkeit bestimmenden Vertrags.

Bei einem Rechtsanwalt ist dies zumeist der Abschluss eines entsprechenden Dienstleistungs-vertrags, der die zu versteuernden Einnahmen generiert. Die damit einhergehenden unmittel-baren Pflichten und Zwangsläufigkeiten sind also diejenigen, die sich bei Abschluss eines rechtsanwaltlichen Dienstleistungsvertrags ergeben. Zwar liegt hier zunächst ein freier Wil-lensentschluss zum Abschluss dieses Vertrags vor, doch ist dieser eben gleichzeitig auch die perpetuierte Eröffnung einer Einkunftsquelle, auf die der Staat Zugriff nehmen will. Auf den Abschluss dieses Vertrags kann der Rechtsanwalt nicht verzichten, ohne die Einkunftsquelle (in diesem Fall eben teilweise) nicht zu eröffnen. Somit kann die (freiwillige) Entscheidung über den Abschluss eines solchen Grundverhältnisses nicht die verfassungsrechtliche Freiwil-ligkeit begründen, da an die Entscheidung für die Eröffnung einer Steuerquelle nicht ohne verfassungsrechtliche Rechtfertigung angeknüpft werden darf. Aufwendungen, die sich also in diesem unmittelbaren Veranlassungszusammenhang mit der Eröffnung oder Perpetuierung der Tätigkeit an sich ergeben, sind verfassungsrechtlich geschützt.

Auch soweit die Besteuerung von Einnahmen aus der Veräußerung von Betriebsvermögen be-troffen ist, liegen identifizierbare, zwangsläufige und pflichtbestimmte Aufwendungen vor.

Zwar ist die Begründung von Betriebsvermögen als Einlagevorgang ebenfalls freiwilliger Na-tur, jedoch ist auch sie gleichzeitig die Begründung einer potentiellen Steuerquelle, da der Staat auf verstricktes Vermögen potentiellen Zugriff erlangt. Deswegen sind etwa die An-schaffungs- und Herstellungskosten (AHK) von steuerverstricktem Betriebsvermögen als zwangsläufige Vorbedingung einer Einlage dem Grunde nach von Verfassungs wegen zu be-rücksichtigen. Die AHK können ebenfalls nur dann als Aufwand verhindert werden, wenn die potentielle Steuerquelle nicht eröffnet wird. Ohne eine Anschaffung oder Herstellung (und

721 Statt vieler Birk/Desens/Tappe Steuerrecht (16.Auflage) § 5 Rn 610

damit ohne diesen Aufwand) kann kein Betriebsvermögen begründet werden, weshalb dies eine zwangsläufige Vorbedingung der Besteuerung darstellt.

Nicht verfassungsrechtlich geschützt sind aus obiger Definition heraus somit alle Aufwen-dungen, die nicht unmittelbar zur Eröffnung oder Perpetuierung einer Steuerquelle führen.

Hierzu zählt etwa der Abschluss eines Mietvertrags über die Anmietung von Praxisräumen eines freiberuflichen Rechtsanwalts. Hier ergibt sich die Grenze zu dem aufgeworfenen Prob-lem,722 dass sich durch einen im Wesentlichen freien Willensentschluss alle Aufwendungen als „Zwang“ tarnen lassen könnten. Durch die Anmietung von Praxisräumen wird (mangels Einnahmen) keine potentielle Steuerquelle eröffnet. Die Frage, ob die Anmietung der Praxis-räume nützlich ist oder nicht, ist deswegen schlicht eine Frage der Ausgestaltung der Steuer-quelle und nicht der Eröffnung der SteuerSteuer-quelle. Nur die Entscheidung für die Eröffnung der Steuerquelle genießt aber verfassungsrechtlichen Schutz. Natürlich muss bei diesem Beispiel beachtet werden, dass es im Einzelfall für den Steuerpflichtigen keine Alternative zur Anmie-tung solcher Räume geben kann (etwa weil entsprechende Räume nicht zum Verkauf stehen oder ihm die Mittel hierfür fehlen). Dass die Nichtanerkennung dieser Ausgaben faktisch zu einer Erdrosselung der Tätigkeit führen könnte, macht sie aus freiheitsrechtlicher Warte den-noch nicht zu zwangsläufigen oder pflichtbestimmten Aufwendungen, da ihnen die geforderte Regelmäßigkeitswirkung hierfür fehlt.

Die Geltung des objektiven Nettoprinzips ist also begrenzt auf der Höhe nach und dem Grun-de nach zwangsläufigen und pflichtbestimmten Aufwand.

Daraus folgert sich auch unmittelbar aus dem Grundgesetz ein weiteres „Aufteilungsgebot“.

Dieses Gebot verläuft jedoch nicht entlang der bekannten Trennlinien von privatem und be-ruflichem Aufwand, sondern entlang der Grenze zwischen zwangsläufigem und pflichtbe-stimmtem Aufwand einerseits und freiwilliger Einkommensverwendung andererseits. Die hier konkret entwickelte Leitlinie trennt nicht in privaten und erwersbdienlichen Aufwand sondern in zwangsläufigen/pflichtbestimmten Erwerbsaufwand einerseits und in freiwilligen Erwerbs-aufwand andererseits.

Man könnte dies wie hier geschehen als limitierte Fundierung des objektiven Nettoprinzips verstehen. Man kann allerdings auch nur von einer Berücksichtigungspflicht für erwerbsdien-lichen Zwangsaufwand sprechen.

722 Siehe oben S. 133 f.