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Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

B. Die Behandlung gemischter Aufwendungen

I. Einheitliche Zuordnung gemischter Aufwendungen

3. Einheitliche Zuordnung durch das Abzugsverbot für sog

3.2 Anwendungsbereich der Vorschrift

Während sich die Literatur bezüglich der Ablehnung des allgemeinen Aufteilungs- und Ab-zugsverbots prinzipiell einig war,167 ist der Anwendungsbereich des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG durchaus uneinheitlich beurteilt worden.168

3.2.1 Wortlaut der Vorschrift

Hierbei stellt sich zunächst die Frage, wie der Wortlaut der Vorschrift aufzufassen ist. Die Norm nimmt als Ausgangspunkt die Aufwendungen für die Lebensführung. Mit dem Begriff

159 Zu weiteren Nachweisen siehe BFH BStBl II 2010, 672 (675)

160 So auch Söhn DStJG 3 (1980), 13 (49); BFH BStBl II 2010, 672 (682)

161 RStBl 1935, 33 (41)

162 BFH v. 19.10.1970 GrS 2/70 = BStBl II 1971, 17 (19); BFH v. 19.10.1970 GrS 3/70 = BStBl II 1971, 21 (22)

163 BFH BStBl II 1971, 17 (19)

164 BFH BStBl II 1971, 17 (19)

165 Vgl. die Nachweise bei BFH BStBl II 2010, 672 (676 f.)

166 BFH v. 21.09. 2009 GrS 1/06 = BStBl II 2010, 672 ff.

167 Siehe dazu die Nachweise bei BFH BStBl II 2010, 672 (680)

168 Vgl. dazu etwa die Ausführungen bei Scheich (Fn 1) S. 72 f.

der „Lebensführung“ nimmt der Gesetzgeber, wie schon die amtliche Begründung erkennen lässt, auf das dort genannte „Privatleben“ Bezug. Die Lebensführung bezeichnet also die Pri-vatsphäre.169 Die Aufwendungen müssen somit „für“ die Lebensführung – die Privatsphäre – erfolgen.

Gleichzeitig will die Vorschrift nur solche Aufwendungen für die Lebensführung erfasst wis-sen, die die gesellschaftliche oder wirtschaftliche Stellung des Steuerpflichtigen mit sich bringt, auch wenn sie zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Steuerpflichtigen erfol-gen. Problematisch erscheint in diesen Teilsätzen schon der Sinn der Begriffe „gesellschaftli-che“ oder „wirtschaftli„gesellschaftli-che“ Stellung in Abgrenzung zu „Beruf“ oder „Tätigkeit“. Die gesell-schaftliche oder wirtgesell-schaftliche Stellung eines Menschen ist in unserer Gesellschaft maßgeb-lich von seinem „Geldbeutel“ und somit maßgebmaßgeb-lich von seinem Beruf oder seiner (steuerba-ren) Tätigkeit abhängig.170 In der heutigen Welt, die weitaus weniger von Standesdünkel und tradierten Rollenvorstellungen geprägt ist als die Welt von 1934, stehen gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung für mich weitestgehend im Schatten der sie vermittelnden Einkunfts-quelle. Juristische Berufe zeichnen sich etwa häufig durch einen gegenüber sonstiger Er-werbsbevölkerung gehobenen Kleidungsstil aus. Man dürfte wohl auch von einer gewissen Erwartungshaltung der Bevölkerung an Juristen in diesem Bereich sprechen. Werden nun Aufwendungen für diese Kleidung wegen einer gesellschaftlichen Stellung getätigt oder sind sie nicht vielmehr schlicht ein Teil der beruflichen Notwendigkeit? Eine wirkliche Trennung zwischen den Begriffen wirtschaftliche bzw. gesellschaftliche Stellung einerseits und Beruf bzw. (steuerbare) Tätigkeit andererseits erscheint mir aufgrund des soeben aufgezeigten Zu-sammenhangs nicht (mehr) möglich. Aus historischer Sicht haben auch weder Rechtspre-chung noch Literatur eine überzeugende Definition aus dem Wortlaut der Vorschrift ableiten können, ohne den vor allem in der Gesetzesbegründung gefallenen Term „Repräsentations-aufwand“ zu verwenden.

Unstreitig lässt sich aber festhalten, dass § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG schon nach dem Wortlaut ei-nen Fall des Zusammenwirkens von erwerbsdienlicher und privater (mithin also gemischter) Veranlassung regeln will und diese als nicht abzugsfähig deklariert.

3.2.2 Sinn und Zweck der Vorschrift

Erhebliche Teile der Literatur suchen den Anwendungsbereich der Vorschrift unter Zuhilfe-nahme der amtlichen Begründung und des darin enthaltenen Begriffs des

169 Stapperfend in: H/H/R EStG § 4 Rn 1621; Thürmer in: Blümich EStG § 12 Rn 46; wohl auch Claßen in: La-demann EStG § 12 Rn 14; Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 14 f.

170 So auch Fissenewert in: H/H/R EStG § 12 Rn 56

aufwands zu definieren. So werden unter Repräsentationsaufwendungen etwa Kosten unter Entstehung eines gewissen „Sozialzwangs“171 oder Kosten, die „zur Befriedigung eines Re-nommee- oder Renommierbedürfnisses“172 getätigt werden, verstanden.

Auch wenn die Bezeichnung Repräsentationsaufwendungen in der amtlichen Begründung und auch in der historischen Rechtsprechung des RFH gelegentlich auftauchte, so ist eine Redu-zierung des Anwendungsbereichs von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG hierauf nicht überzeugend.

Das liegt zum einen daran, dass seit jeher nur schwerlich objektiv bestimmbar war bzw. ist, was dem Renommee eines Menschen dient.173 Das Renommee eines Menschen in der heuti-gen Zeit wird vielmehr in weiten Teilen rein subjektiv bestimmt.

Weiterhin war auch der historische Hintergrund der Vorschrift nie auf Aufwendungen, die ei-nem solchen Repräsentationsbedürfnis dienen, beschränkt. Betrachtet man die Vielzahl der Judikate des RFH aus der Zeit vor 1934, auf die sich die amtliche Begründung beruft, so ist deren Gemeinsamkeit nicht darin zu sehen, ob ein bestimmtes Renommee bedient wurde oder ob der Begriff „Repräsentationskosten“ fiel oder nicht. Vielmehr ist die Gemeinsamkeit die schwierige Abgrenzung zwischen der Lebensführung und der Erwerbssphäre.174 Ich vermag etwa in den Kosten eines Hörgerätes oder der Batterien hierfür175 oder in den Ausgaben für Mahlzeiten außer Haus wegen Berufstätigkeit176 auch unter Beachtung der historisch unter-schiedlichen, gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kein Renommeebedürfnis zu erkennen.

Die Schwierigkeit der Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatsphäre wiederum tritt hier deutlich zu Tage. Es erscheint mir nicht einleuchtend, dass der Gesetzgeber die Regelung nur auf die Fallgruppen beschränkt sehen wollte, die einem undefinierten Renommeebedürfnis dienen, aber solche Fallgruppen ungeregelt belassen wollte, in denen die Abgrenzung zwi-schen Privat- und Erwerbssphäre ähnlich schwer ist, die aber keinen Bezug zu einem Re-nommeebedürfnis haben.

Der Gesetzgeber wollte also vielmehr solche Aufwendungen regeln, bei denen die Abgren-zung zwischen Privatsphäre und Erwerbssphäre schwierig ist. Mithin regelt die Vorschrift gemischte Aufwendungen an sich.

171 Leisner-Egensperger DStZ 2010, 185 (190), die allerdings dies nur als historisches Verständnis zugrunde legt und für eine weitaus vorsichtigere Auslegung plädiert DStZ 2010, 185 (191); ähnlich Thürmer in: Blümich EStG

§ 12 Rn 93; Seiler in: Kirchhof EStG (13.Auflage) § 12 Rn 2

172 Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 20b; Tipke StuW 1979, 193 (204)

173 Kritisch auch zu der Bestimmung eines Renommeebedürfnisses Leisner-Egensperger DStZ 2010, 185 (191)

174 Siehe oben Fn 155

175 RFH v. 17.01.1930 VI A 1134/30 = RStBl 1930, 6 (7)

176 RFH v. 15.01.1930 VI A 1675/29 = RStBl 1930, 265

Es sollten allerdings – wie die amtliche Begründung ausdrücklich ausweist – nur solche Auf-wendungen erfasst sein, die nicht getrennt werden können. Damit regelt

§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG die Nichtabziehbarkeit von untrennbar gemischt veranlassten Auf-wendungen.177 Diese Interpretation von § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG erscheint mir auch vom Wort-laut gedeckt. Die Norm beschreibt in ihrem WortWort-laut ein untrennbares Konglomerat an Ver-anlassungsfaktoren bestehend aus Privatsphäre, Berufsphäre und der Sozialsphäre. Wenn man – wie hier vertreten – eine sinnvolle Trennung zwischen „gesellschaftlicher Stellung“ einer-seits und „Beruf“ anderereiner-seits als nicht mehr möglich sieht, so verbleibt nur noch ein un-trennbares Konglomerat aus erwerbsdienlichen und privaten Veranlassungsfaktoren.

Repräsentationsaufwendungen stellen sich somit als ein historisch zu sehender Unterfall der untrennbaren, gemischten Aufwendungen dar. Aus diesem Grund sollte der Begriff gar nicht mehr verwendet werden, da er nach meinem Verständnis keinerlei Bedeutung für den An-wendungsbereich hat.178

3.2.3 Konstitutive oder deklaratorische Wirkung?

Eine häufig aufgeworfene – und von der Rechtsprechung nicht beantwortete – Frage ist hier-bei, ob die Vorschrift deklaratorisch179 oder konstitutiv180 wirkt. Würde diese Norm konstitu-tiv wirken, so müsste dies im Umkehrschluss bedeuten, dass das Zusammenwirken von priva-ter und erwerbsdienlicher Motivation zur Qualifikation als Erwerbsaufwand nach § 4 IV oder

§ 9 I 1 EStG führen kann. Denn nur wenn gemischte Aufwendungen Erwerbsaufwendungen darstellen können, bedürfte es noch § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG in einem konstitutiven Sinne, um den beabsichtigen Nichtabzug zu rechtfertigen. Die Frage nach der konstitutiven oder deklara-torischen Wirkung ist also in Wirklichkeit eher die Frage, ob gemischte Aufwendungen Er-werbsaufwendungen sind oder nicht.

Wesentliches Argument für die Befürworter der nur deklaratorischen Wirkung von

§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG ist, dass gemischte Aufwendungen schon begrifflich keine

177 So im Ergebnis auch Söhn DStJG 3 (1980), 13 (50); Pezzer DStR 2010, 93 (95); Fissenewert in: H/H/R EStG

§ 12 Rn 56; Loschelder in: Schmidt EStG (33.Auflage) § 12 Rn 1; Claßen in: Lademann EStG § 12 Rn 23;

Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 55

178 In die Richtung auch Leisner-Egensperger DStZ 2010, 185 (191)

179 Dafür z.B. Söhn DStJG 3 (1980), 13 (42); Kanzler StbJB 2010/2011, 43 (51); nicht deutlich Loschelder in:

Schmidt EStG (33.Auflage) § 12 Rn 1

180 Dafür z.B. Arndt in: K/S/M EStG § 12 Rn A81, B15; Kurzeja in: L/B/P EStR § 12 Rn 130; konstitutiv bei

„Untrennbarkeit“ Kratzsch in: Frotscher EStG § 12 Rn 22; ebenso Fissenewert in: H/H/R EStG § 12 Rn 24;

nicht deutlich Rundshagen in: Korn EStG § 12 Rn 3

aufwendungen darstellen können.181 Der Werbungskosten- und der Betriebsausgabenbegriff setzten eine (im Sinne der Wesentlichkeitstheorie) eindeutige, berufliche Veranlassung voraus, die gemischte Aufwendungen nicht erfüllten.182

Der Wesentlichkeitstheorie stimme auch ich vollständig zu. Erwerbsaufwendungen setzen ei-nen eindeutigen Erwerbsbezug voraus. Nur gewinnt diese Wesentlichkeitstheorie für mich ge-rade erst durch § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG – und damit konstitutiv – gesetzliche Fundierung.

Die Anhänger des deklaratorischen Charakters der Vorschrift entnehmen dem Veranlassungs-begriff auch die Wesentlichkeitstheorie. Die Wesentlichkeitstheorie ist jedoch kein gesetzli-ches Tatbestandsmerkmal, sondern ein von Rechtsprechung und Literatur entwickeltes Mo-dell zur Ermittlung der Veranlassung. Der Veranlassungsbegriff ist aber als unbestimmter Rechtsbegriff183 einer Vielzahl von Auslegungen zugänglich. Ohne eine weitere (gesetzliche) Eingrenzung findet die Auslegung erst im Wortlaut des auszulegenden Begriffs (hier: „veran-lasst“) ihre Grenze.184 Der Begriff Veranlassung könnte rechtsfehlerfrei weiter oder enger ausgelegt werden,185 mithin also auch in dem Sinne interpretiert werden, dass nur „irgend-ein“ oder auch nur ein überwiegender Zusammenhang und nicht der einzig „erhebliche“ Zu-sammenhang mit der Erwerbsquelle ausreichen könnte. Nirgendwo im EStG ist die Ausle-gung des Veranlassungsbegriffs in der Art festgeschrieben, dass nicht auch ein nur „lo-ser“ Zusammenhang mit der Erwerbsquelle für die Qualifikation als Erwerbsaufwand aus-reicht. Der Begriff der Veranlassung schließt es nach seinem Wortlaut doch nicht per se aus, die Aufwendungen für bürgerliche Kleidung, die im Beruf getragen wird, als Erwerbsauf-wand aufzufassen.

Genau hier setzt für mich die Funktion des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG an. Die Auslegung des un-bestimmten Rechtsbegriffs war und ist ein Wertungsvorgang. Dass Wertungen vorgenommen werden müssen, war auch dem die Vorschrift schaffenden Gesetzgeber bewusst. Der Gesetz-geber hat die Rechtsprechung zu den schwierig zu trennenden Repräsentationsaufwendungen kodifizieren wollen. Der RFH hatte den Veranlassungsbegriff schon damals nicht in dem soeben beschriebenen, losen Sinne ausgelegt, sondern eine engere (eindeutigere) Auslegung für die Anerkennung von Erwerbsaufwand angewandt.186 Genau diese Auslegung wollte der

181 Söhn DStJG 3 (1980), 13 (42)

182 Söhn DStJG 3 (1980), 13 (42); so auch Kreft in: H/H/R EStG § 9 Rn 177

183 Vgl. Fn 58

184 Allg. Meinung z.B. Drüen in: Tipke/Kruse AO § 4 Rn 340 ff.; Englisch in: Tipke/Lang Steuerrecht (21.Auflage) § 5 Rn 58 jeweils m.w.N.

185 Ruppe DStJG 3 (1980), 103 (121)

186 Vgl. Fn 155

Gesetzgeber als die seinem Willen entsprechende Wertung festschreiben. Ohne diese Norm wäre die oben beschriebene Auslegung durchaus – rechtsfehlerfrei – möglich. § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG hat also die konstitutive Funktion eine zu weite Auslegung des Veranlassungsbegriffs zu verhindern.187 Damit fundiert die Vorschrift gerade die Wesentlichkeitstheorie.

Diese vom Gesetzgeber beabsichtigte Begrenzung des Wertungsspielraums im Rahmen des Veranlassungsbegriffs ist für mich auch Erklärung, warum Teile der Literatur nur im Falle der Untrennbarkeit des gemischten Aufwands eine konstitutive Wirkung annehmen.188 Nur bei Untrennbarkeit bedarf es einer einheitlichen Bewertung des gesamten Aufwands als Erwerbs-aufwand oder PrivatErwerbs-aufwand. Folglich ist nur bei einer einheitlichen Bewertung die Frage der weiten oder engen Auslegung des Veranlassungsbegriffs besonders virulent, denn bei einer Aufteilung können die verschiedenen Veranlassungsbeiträge gesondert bewertet werden.

3.2.4 Die Frage der „Untrennbarkeit“ von Aufwendungen

Wie die gerade dargestellte Meinung zur konstitutiven Wirkung der Norm sowie die hier ver-tretene Meinung über deren Sinn und Zweck zeigen, kommt der Frage der Trennbarkeit von gemischtem Aufwand ebenfalls eine beachtliche Bedeutung für den Anwendungsbereich des

§ 12 Nr. 1 Satz 2 EStG zu. Diese Frage kann sinnvoller Weise erst nach einer genaueren Aus-einandersetzung mit den Möglichkeiten und Regelungen zur Trennung von gemischten Auf-wendungen erfolgen.

Deswegen soll hier im Vorgriff auf die eigentliche Auseinandersetzung lediglich festgehalten werden, dass nur solche gemischten Aufwendungen trennbar sind, die durch vom materiellen Recht zur Verfügung gestellten Methoden teilbar sind. Solche Methoden sind die Teilung durch „Angemessenheit“,189 durch „Mehraufwand“190 und durch die „Verhältnismethode“.191