• Keine Ergebnisse gefunden

Kapitel 1 – Einfach gesetzliches Umfeld

B. Die Behandlung gemischter Aufwendungen

II. Aufteilung gemischter Aufwendungen

2. Die Aufteilung nach Mehraufwand

2.4 Mehraufwand in der Rechtsprechung des BFH

2.4.2 Die Einteilung durch Mehraufwand „dem Grunde nach“

Mehraufwand spielt andererseits für den BFH, wie ich meine, eine (häufig unbenannte) Rolle bei der vollständigen Zuordnung gemischter Aufwendungen. Das soll an dem für mich ein-deutigsten Beispiel veranschaulicht werden.

Ohne dies so zu benennen, löst der BFH die Frage der Anerkennung von auswärtigen Über-nachtungskosten (Hotelkosten usw.) als Erwerbsaufwendungen mit der Methodik des Mehr-aufwands. Der BFH nimmt in ständiger Rechtsprechung an, dass wegen beruflicher Gründe auswärts anfallende Übernachtungskosten vollständig als Erwerbsaufwendungen anerkannt werden können.290 Dabei lehnte er es explizit ab, dass Übernachtungskosten gemischte Auf-wendungen seien.291 Vielmehr stellte er unter Bezugnahme auf das BVerfG fest, dass es sich um eindeutig erwerbsdienlich veranlasste Aufwendungen handele, weil dies einer Grundent-scheidung des Einkommensteuerrechts zu den sog. „Mobilitätskosten“ entspreche.292

Hierbei verkennt der BFH allerdings, dass das BVerfG293 in dieser Entscheidung gerade nur eine Folgerichtigkeitsbetrachtung294 durchführt und damit nur beschreibt, wie Mobilitätskos-ten (unter anderem von SeiMobilitätskos-ten des BFH) behandelt werden. Eine inhaltliche Stellungnahme zur Veranlassung hat das BVerfG gerade eher in die andere Richtung vorgenommen. Es ging in dem entschiedenen Fall um eine doppelte Haushaltsführung und zu dieser führt das BVerfG aus, dass in diesen Konstellationen private und berufliche Veranlassung ineinander greifen.295

Es handelt sich bei Übernachtungskosten um Fälle, die gerade erst durch die Anwendung der Mehraufwandsmethodik eine eindeutig erwerbsdienliche Veranlassung erfahren.

290 BFH v. 28.03.2012 VI R 48/11 = BStBl II 2012, 926 (926 f.); BFH v. 19.09.2012 VI R 78/10 = BStBl II 2013, 284 (285); BFH v. 11.05.2005 VI R 7/02 = BStBl II 2005, 782 (784); BFH v. 05.08.2004 VI R 40/03 = BStBl II 2004, 1074 (1075)

291 BFH v. 05.08.2004 VI R 40/03 = BStBl II 2004, 1074 (1075)

292 BFH BStBl II 2004, 1074 (1075)

293 BVerfG v. 04.12.2002 2 BvR 400/98, 1735/00 (Doppelte Haushaltsführung) = BVerfGE 107, 27

294 So auch die Wertung von Lochte in: Frotscher EStG § 9 Rn 159; die Folgerichtigkeitsprüfung sieht man an den unmittelbar folgenden Ausführungen BVerfGE 107, 27 (51); zur Folgerichtigkeit allgemein siehe unten S. 105 ff. und kritisch zu dieser Ausprägung S. 147 ff.

295 BVerfGE 107, 27 (50 f.); vgl. auch Lochte in: Frotscher EStG § 9 Rn 159

Übernachtungskosten sind gemischt veranlasste Aufwendungen.296 Sie sind einerseits durch die Notwendigkeit, schlafen zu müssen, privat veranlasst und andererseits wegen der berufli-chen Umstände, sich auswärts aufzuhalten, beruflich veranlasst.

Aus keiner Überlegung der Wesentlichkeitstheorie heraus ließe es sich rechtfertigen, diese Übernachtungskosten (wie der BFH es tut) als rein beruflich veranlasst darzustellen. Nur eine Methodik erläutert, warum der BFH – im Ergebnis richtig – Erwerbsaufwendungen annimmt.

Übernachtungskosten werden deswegen als Erwerbsaufwendungen qualifiziert, weil ihnen die nahe liegende Annahme zugrunde liegt, dass der Steuerpflichtige ohne die berufliche Abwe-senheit in seiner privaten Wohnung geschlafen hätte. Genau dies stellt einen hypothetischen Abgleich zwischen einem Normalaufwand (Kosten der Wohnung) und einem Mehraufwand (Kosten des Hotels und der Wohnung) dar.

Dass sich dieses Ergebnis nur durch die Anwendung der Mehraufwandsmethodik und nicht durch eine wie auch immer angewendete Wesentlichkeitstheorie rechtfertigen lässt, zeigt fol-gendes Beispiel als Gegenprobe. Würden die Übernachtungskosten durch einen Handelsver-treter geltend gemacht, der selbst keinen festen Wohnsitz (und damit keine Wohnung im Sin-ne eiSin-nes Normalaufwands) mehr hat, sondern der von Geschäftstermin zu Geschäftstermin umhervagabundiert, so wage ich stark zu bezweifeln, dass der BFH noch eine eindeutige be-rufliche Veranlassung der Übernachtungskosten annehmen würde. Das Vorhandensein einer privaten Wohnung kann aber nicht bestimmend für die Qualifikation als Erwerbsaufwand o-der als gemischter Aufwand sein, es sei denn, man erkennt Mehraufwand als Methode zur Behandlung gemischter Aufwendungen an.

Konsequenterweise hat auch der Gesetzgeber seit dem Veranlagungszeitraum (VZ) 2014 Übernachtungskosten gesetzlich als Mehraufwand in § 9 I 3 Nr. 5a Satz 1 EStG kodifiziert.

Auch der BFH scheint jüngst dazu zu tendieren, Übernachtungskosten als Mehraufwand ein-zuordnen.297

Auch bei anderen Fragen der Bewertung dem Grunde nach spielen meines Erachtens die Überlegungen zu Mehraufwand eine Rolle. Immer dann, wenn es um die Frage geht, inwie-weit sich ein Veranlassungsbeitrag auf die Höhe von Aufwendungen ausgewirkt hat, muss man (benannt oder unbenannt) einen Vergleich des hypothetischen mit dem realen Zustand –

296 Fischer NWB 2010, 412 (417); Söhn in: FS Spindler S. 795 (805); ders. in: K/S/M § 4 Rn E116; Lochte in:

Frotscher EStG § 9 Rn 159; Schneider BFH/PR 2013, 77; nach hier vertretener Auffassung auch BVerfGE 107, 27 (50)

297 BFH v. 05.07.2012 VI R 50/10 = BStBl II, 2013 282 (283 f.); die Entscheidung behandelt zwar unmittelbar die Abziehbarkeit privater Telefongespräche bei längerer Abwesenheit als Mehraufwand, geht aber als Erläute-rung hierzu auch auf die Behandlung von Übernachtungskosten ein.

also einen Vergleich von Normalaufwand und tatsächlichem Aufwand – anstellen. Ist ein solch hypothetischer Vergleich zur Trennung nicht nötig, handelt es sich schon gar nicht um gemischte Aufwendungen. Solche Überlegungen hat der BFH etwa schon bei Reisekosten an-gestellt.298 So stellte der BFH in einem obiter dictum fest, dass die Kosten einer Reise mit ei-nem extra gecharterten Flugzeug zu eiei-nem Fortbildungskongress trotz der Mitnahme von Freunden im Rahmen eines privatem Freundschaftsdienstes als Erwerbsaufwendungen ange-setzt werden können, solange die Reise trotzdem planmäßig verläuft.299 Dahinter steht nichts anderes als die (typisierte, weil nur hypothetisch ermittelbare) Annahme, dass die Charter-flugreise nicht wegen dem Freundschaftsdienst alleine unternommen worden wäre. Dahinter wiederum verbirgt sich die Frage, ob jemand eine Flugreise ohne erkennbar eigennützige Mo-tivation unternommen hätte, womit ein Normalaufwand definiert würde.

Teile der Literatur sehen jedenfalls im Anschluss an den BFH in der Frage, ob sich der private Veranlassungsbeitrag auf die Höhe der Aufwendungen ausgewirkt hat, ein Indiz für die Qua-lifikation als nur unbedeutend privat veranlasster Erwerbsaufwand.300 Eine solche Frage wird sich aber immer nur durch den hypothetischen Abgleich der Vermögenssituation und mithin mit einem Fremdvergleich beantworten lassen. Hierfür kommt der Abgleich zwischen Nor-malaufwand und Mehraufwand in Betracht.

Auch bei Mehraufwand stellt sich an dieser Stelle – wie bei der Angemessenheitsprüfung301 – die Frage, ob sich durch diese Methodik die Wesentlichkeitstheorie konkretisieren lässt.302 Denn im Ergebnis ist es auch hier irrelevant, ob Aufwendungen vollständig als Mehraufwand oder als ausschließlich erwerbsdienlich veranlasst im Sinne der Wesentlichkeitstheorie quali-fiziert werden. Die Austauschbarkeit beider Wertungen für das Ergebnis führt dazu, dass nicht immer scharf abgegrenzt wird. So sieht etwa Jochum303 in der Anschaffung von Fachliteratur für den Beruf Mehraufwand, während ich meine, dass es sich mangels privater Veranlassung bei diesen Aufwendungen um einen Fall ausschließlicher, erwerbsdienlicher Veranlassung im Sinne der Wesentlichkeitstheorie handelt.

Der Anwendung der Mehraufwandsmethode im Rahmen der Wesentlichkeitstheorie stehen im Gegensatz zur Angemessenheitsmethode jedenfalls keine gesetzlichen Vorschriften entge-gen.

298 Wie hier als Frage des Mehraufwands wertend Heymann (Fn 1) S. 99; „MK“ DStR 2006, 128; Wendt BFH/PR 2006, 106 (107)

299 BFH v. 01.12.2005 IV R 26/04 = BStBl II 2006, 182 (184)

300 Loschelder in: Schmidt EStG (33.Auflage) § 12 Rn 11; Fissenewert in: H/H/R EStG § 12 Rn 72 a.E.; Kreft in:

H/H/R EStG § 9 Rn 177; auch Söhn in: FS Spindler S. 795 (800)

301 Siehe dazu oben S. 39 ff.

302 Siehe dazu oben S. 25

303 Jochum DStZ 2010, 665 (667)

Die Konkretisierung der Wesentlichkeitstheorie durch die Methode des Mehraufwands kann letztlich überall dort vorgenommen werden, wo Mehraufwand seinen eigentlichen Anwen-dungsbereich hat.304 Nach hier vertretener Auffassung ist Mehraufwand die Angemessen-heitsprüfung „mit umgekehrten Vorzeichen“. Mehraufwand kommt also dort zur Anwendung, wo typischerweise privat veranlasster Aufwand vorliegt, der (atypisch) auch durch erwerbs-dienliche Veranlassungsbeiträge bestimmt ist. Die Wesentlichkeitstheorie erfährt durch Mehraufwand auch ein Stück weit mehr Konturen, wenn es gelingt, allgemeine Kriterien zur Bestimmung des Normalaufwands als Leitbild für den Fremdvergleich zu bilden. Der Nor-malaufwand ist zwar stets ein nur typisiert bestimmtes Leitbild, welches selber von Wertun-gen abhängt, jedoch können diese WertunWertun-gen auf verschiedene Fallgruppen AnwendunWertun-gen finden und müssen nicht wie bei der Wesentlichkeitstheorie an sich auf den jeweiligen Einzel-fall begrenzt werden.

Die Konkretisierung der Wesentlichkeitstheorie durch Mehraufwand steht und fällt also mit der Konkretisierung des Normalaufwands.305