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Bei der Gutachtenerstattung durch den Staatsgerichtshof handelt es sich nicht um Rechtsprechung. Dies ergibt sich eindeutig aus Wortlaut und Zweck von Art. 16 StGHG. Auch die Einordnung dieser Bestimmung in das Gesetz lässt dies erkennen. Es besteht nämlich von der Systematik her gesehen kein Zusammenhang zwischen Art. 16 (IV. Gutachten) und den Bestimmungen, die den Staatsgerichtshof als Gerichtsinstanz ausweisen, dasheisstinZiff.il. (Art. 11 ff.) als einzige Instanz und in Ziff. III. (Art. 15) als Rechtsmittelinstanz. Art. 16 StGHG wird unter dem Titel der Zu­

ständigkeit (Bst. C.) als ein von der gerichtlichen Tätigkeit verschiedener und eigener Bereich des Staatsgerichtshofes gesehen. Dem entspricht auch, dass der Staatsgerichtshof als Gutachterinstanz im Zuständigkeits­

96 Eine andere Verfassungsfrage ist, ob die Erstattung von Gutachten zum Aufgabenbe­

reich eines (Verfassungs-)Gerichtes gehört. Dazu im folgenden S. 94 f.

97 Der Staatsgerichtshof weist in StGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119 (122), darauf hin, dass der Landtag in dem von ihm am 11. November 1992 neu gefassten Staatsgerichtshofgesetz dem Antrag der Regierung gefolgt sei, von einer Bestimmung, wie sie der bisherige Art. 16 StGHG vorgesehen habe, abzusehen, so dass sich die Beantwortung der kompetentiellen Verfassungsfrage erübrigen würde.

katalog von Art. 11 StGHG nicht erwähnt ist, wo die Kompetenzen des Staatsgerichtshofes als Verfassungsgerichtshof aufgezählt werden. Art. 15 StGHG, der die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes als Rechtsmittel­

instanz festlegt, fällt mit Blick auf die Umschreibung der Gutachtertätig­

keit in Art. 16 StGHG ebenfalls ausser Betracht. Im übrigen hat der Staats­

gerichtshof mehrfach die gerichtliche und die gutachterliche Tätigkeit klar auseinandergehalten. In StGH 1970/1 hält er zum Beispiel fest, dass eine

"rechtsverbindliche Willenskundgebung" des Staatsgerichtshofes nur im Wege einer Entscheidung und nicht eines Gutachtens erfolgen könne, und in StGH 1976/6 betont er, dass Rechtsprechung "Zusprechung von Rech­

ten und Pflichten" durch unabhängige Gerichte im Einzelfall sei.98 Diese Abgrenzung gegenüber der Rechtsprechung scheint in Bestätigung der bisherigen Praxis als Grundvoraussetzung für ein Gutachten wieder in StGH 1995/14" auf, in dem er erklärt, auf ein Ersuchen der Regierung ein­

treten zu können, da es keine "materielle Verfassungs- oder Gesetzesprü­

fung" begehre. Ein Gutachten des Staatsgerichtshofes ist daher nicht als Entscheidung im Sinn von Art. 104 Abs. 2 der Verfassung zu werten. Es gehen ihm die einer Entscheidung eigentümlichen Wirkungen ab (Art. 42 StGHG).100 Art.16 StGHG versteht denn auch den Staatsgerichtshof nur als ein Gremium von Sachverständigen, das zu allgemeinen Fragen des Staats- und Verwaltungsrechtes, über Gegenstände der Gesetzgebung und über Gesetzesentwürfe und die Auslegung von Gesetzen und Verord­

nungen Stellung bezieht.

Der Staatsgerichtshof vermag aber nicht alle Zweifel über seine Rolle als Gutachter auszuräumen. Dies hängt hauptsächlich mit seiner in Art.104 der Verfassung festgelegten Organstruktur zusammen, die von einer "Gerichtsförmigkeit"101 geprägt ist. Er lässt nämlich die Frage offen, ob das Erstatten von Gerichtsgutachten letztlich nicht eine wesensfrem­

de Aufgabe für ein Verfassungsgericht sei, da Rechtsprechung

grundsätz-98 StGH 1970/1, Gutachten vom 13. Juli 1970, ELG 1967 bis 1972, S. 254 (256), und StGH 1976/6, Gutachten vom 10. Januar 1977, ELG 1973 bis 1978, S. 407 (409).

99 StGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119 (122).

100 Dies vermerkt der Staatsgerichtshof in StGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119(122).

101 Dieser Ausdruck ist dem deutschen Schrifttum entlehnt. Vgl. etwa Werner Heun, Funktionell-rechtliche Schranken der Verfassungsgerichtsbarkeit, S. 13. Vgl. Wolfgang Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung, S. 37 mit Hinweisen auf die Judi­

katur des Staatsgerichtshofes.

Die gutachterliche Tätigkeit des Staatsgerichtshofes

lieh die in einem besonderen Verfahren erfolgende, gerechtigkeitsorien-tierte "Zusprechung" von Rechten und Pflichten im Einzelfall durch un­

abhängige Gerichte sei. Obwohl er seine Gutachtertätigkeit in seinem Zu-ständigkeits- und Aufgabenbereich aus "grundsätzlichen Überlegungen zur Natur der höchstrichterlichen Rechtsprechung" als "Fremkörper"

empfindet, möchte er in ihr jedoch keine Verletzung des Gewaltentei­

lungsgrundsatzes und auch keine unzulässige "Uberdehnung" des Be­

griffes der Rechtsprechung erblicken.102 Er begegnet diesem funktionell-rechtlichen Einwand, indem er für sich "gewisse Sicherungen" reklamiert, die ausschliessen, dass in einem Gutachtenverfahren über die "Rechte von Parteien" entschieden wird. Auch gibt er zu bedenken, dass einem Gut­

achtenverfahren die "Fall-Orientiertheit" fehle, m.a.W. ein konkreter Fall an sich nicht Gegenstand eines solchen Verfahrens sein könne.

Mit diesem Vorgehen sieht er sich in Ubereinstimmung mit "bewähr­

ter Lehre und Rechtsprechung". Eine rechtsvergleichende Untersu­

chung führe nämlich zum gleichen Ergebnis. So hätten sich in denjeni­

gen Staaten, in denen Verfassungsgerichte Gerichtsgutachten erstatteten, die meisten dieser Gerichte geweigert, Gutachten zu erstatten, wo eine Präjudizierung privater Rechte zu befürchten gewesen sei oder eine Ein­

mischung in hängige Gesetzgebungs- oder Verwaltungsverfahren nötig gewesen wäre. Auch hätten sie unterstrichen, dass die "Abstraktheit"

der Gutachten eine strikte präjudizielle Verbindlichkeit unerwünscht mache.103 Daraus zieht der Staatsgerichtshof für sich den Schluss, dass er sich in einem Gutachten nur mit "aller Zurückhaltung und Behutsam­

keit" zu "Rechtsfragen" äussern könne.104 Es entspräche auch besser seiner der "Gerichtsbarkeit zugewiesenen Stellung" oder den ihm zu­

kommenden und von ihm wahrzunehmenden "Aufgaben der Recht­

102 StGH 1976/6, Gutachten vom 10. Januar 1977, ELG 1973 bis 1978, S. 407 (409). Ähn­

lich das deutsche Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 2, 79 (86 f.), das auch von der Verfassungsmässigkeit seiner Gutachterkompetenz ausgegangen ist, obwohl es die Er­

stattung von Gutachten als dem Gerichtscharakter wesensfremd gehalten hat.

103 StGH 1976/6, Gutachten vom 10. Januar 1977, ELG 1973 bis 1978, S. 407 (410). So weist Theo Ritterspach, Unvorgreifliche Gedanken zu Reformen im verfassungsge­

richtlichen Verfahren, S. 291, darauf hin, dass beispielsweise das spanische Gesetz (Organgesetz über das Verfassungsgericht) in Art. 79 Abs. 5 ausdrücklich vorsehe, dass eine solche präjudizierende Wirkung nicht eintrete.

104 StGH 1976/6, Gutachten vom 10. Januar 1977, ELG 1973 bis 1978, S. 407 (409). Wie es sich allerdings mit dieser Devise in der Praxis verhält, ist hinten S. 98 f. und 100 f. dar­

gestellt.

sprechung"105, wenn Landtag und Regierung in dieser Hinsicht einen andern Umgang mit dem Staatsgerichtshof pflegten, m.a.W. sparsam von Gutachtenersuchen Gebrauch machten und sich bei der Fragestellung Zurückhaltung auferlegten.106 Zurückhaltung ist auch noch aus einem anderen Grund geboten. Es könnte nämlich der Autorität des Staats­

gerichtshofes schaden, wenn Landtag und Regierung seinem Rat nicht folgen würden.107

Die Praxis zeigt, dass Landtag und Regierung die Empfehlung des Staatsgerichtshofes zu beherzigen gewillt sind. Er wurde nämlich von ihnen früher häufiger um Gutachten angegangen als heute. Dagegen bestehen sie nach wie vor auf Gutachten von seiner Seite. Sie stellen sich offensichtlich auf den Standpunkt, der Staatsgerichtshof müsse auf ihr Verlangen Gutachten erstatten. Er stehe solange in ihrer Pflicht, als Art. 16 StGHG geltendes Recht ist. Sie haben dabei den Wortlaut von Art. 16 StGHG für sich. Der Staatsgerichtshof scheint dieser Auffas­

sung einiges abgewinnen zu können, denn sonst würde er sich nicht weiterhin trotz erheblicher Bedenken zur Gutachtenerstattung ent-schliessen.