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III. Antragsrecht und auch Antragspflicht bei Gesetzen? 149

3. Einwände

Gegen die neue beziehungsweise geänderte Praxis sind mehrfache ge­

wichtige Einwände vorzubringen.

a) Verfahrensunterschiede

Der Staatsgerichtshof überträgt die zu Art. 28 Abs. 2 StGHG angestell­

ten Überlegungen unbesehen auf Art. 24 Abs. 1 StGHG, die im Ergeb­

nis dazu führen, dass auch die Regierung oder eine Gemeindevertretung

153 Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 385.

154 StGH 1993/15, Urteil vom 16. Dezember 1993, LES 2/1994, S. 52 (53). Vgl. auch StGH 1993/18 und 19, Urteil vom 16. Dezember 1993, LES 2/1994, S. 5 4 (58), wo der Staats­

gerichtshof vermerkt, dass ein Gericht einen Vorhalt der Verfassungswidrigkeit nicht teilen muss bzw. ihn ablehnen kann. Das deutet darauf hin, dass der Staatsgerichtshof der Auffassung ist, dass es nach Art. 28 Abs. 2 StGHG im Ermessen des Gerichtes steht, einen Prüfungsantrag an den Staatsgerichtshof zu stellen.

Abstrakte Normenkontrolle

verpflichtet ist, bei Verfassungszweifel ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten. Der Staatsgerichtshof übersieht dabei, dass zwischen einem konkreten und einem abstrakten Normenkontrollverfahren Unter­

schiede in materiell- und verfahrensrechtlicher Hinsicht bestehen. Beide haben ihre Eigenheiten. So sind etwa - wie dargelegt - die Auswahl und Stellung der antragsberechtigten Organe wie auch der Verfahrenszweck nicht die gleichen, auch wenn beide Rechtsinstitute dem Schutz der Ver­

fassung dienen. Sie haben eine je eigene Schutzfunktion.155 Bei der ab­

strakten Normenkontrolle geht es vornehmlich um die Verfassungskon­

trolle des Gesetzgebers.

b) Keine lückenlose Normenkontrolle

Mit dem einschränkenden Interpretationsversuch macht sich der Staatsgerichtshof zu einem Kontrolleur der Verfassung in einer Inten­

sität, die er umfangmässig in der Praxis nicht durchsetzen kann. Diese Rolle hat ihm der Gesetzgeber auch nicht zugedacht, denn im Staats­

gerichtshofgesetz ist die Normenkontrolle nicht lückenlos verwirk­

licht. So kann auf dem Wege der abstrakten Normenkontrolle nur eine

"Auslese" von Gesetzen zur Überprüfung durch den Staatsgerichtshof gelangen.156 Dabei dürfte auch nicht die "Offensichtlichkeit" zum Gradmesser der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes genommen wer­

den und ausschlaggebend für dessen Überprüfung sein.157 Es gibt keine verfassungsgerichtliche Sicherung der Verfassungsmässigkeit von Ge­

setzen und Verordnungen "um jeden Preis"158. Verfassung und Staats­

gerichtshofgesetz haben nicht eine Verfassungsgerichtsbarkeit etabliert, die die Verfassungsmässigkeit von Gesetzen und Verordnungen aus­

155 Vgl. Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, S. 276/Rdnr. 643 und S. 298/Rdnr. 691. Ernst Benda, Die Verfassungsgerichtsbarkeit der Bundesrepublik Deutschland, S. 132, macht aus deutscher Sicht darauf aufmerksam, dass im Verfahren der konkreten Normenkontrolle, anders als bei der abstrakten Normenkontrolle, nicht so sehr die Rolle des Bundesverfassungsgerichts als "Hüter der Verfassung" im Vor­

dergrund stehe, als vielmehr seine Aufgabe, zu verhüten, dass jedes einzelne Gericht sich über den Willen des Bundes- oder Landesgesetzes hinwegsetzt.

156 So schon Adolf Merkl, Die gerichtliche Prüfung von Gesetzen und Verordnungen, S. 577.

,5? Adolf Merkl, Die gerichtliche Prüfung von Gesetzen und Verordnungen, S. 577, ver­

mutet vielmehr "politische Massstäbe", die den Anstoss zu einem Uberprüfungsver­

fahren geben.

158 Wolfgang Knies, Auf dem Weg in den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktionsstaat"?, S. 1162.

nahmslos sichert. Sie nehmen es beispielsweise hin, dass das verfas­

sungswidrige Gesetz faktisch in Geltung bleibt, wenn und weil eine abstrakte Normenkontrolle von keinem der Antragsteller in Gang ge­

setzt worden ist. Die Schonung der Hoheit des Gesetzgebers ist der Grund, das Antragsrecht in dieser Weise und um diesen Preis zu be­

schränken.159

c) Passive Rolle des Staatsgerichtshofes

Ein Indiz für diese Annahme ist der enge Kreis der Antragsberechtigten im abstrakten Normenkontrollverfahren und die "passive" Rolle,160 die der Staatsgerichtshof bei der Einleitung der Normenkontrolle zu spie­

len hat. Wie mehrfach erwähnt, werden in der Praxis abstrakte Nor­

menkontrollverfahren nicht durchgeführt. Solange nämlich die Regie­

rung oder eine Gemeindevertretung einen zulässigen Antrag im Sinn von Art. 24 Abs. 1 StGHG beim Staatsgerichtshof einbringt, kann die­

ser, selbst wenn ein "offensichtlicher" Verfassungsverstoss vorliegen sollte, nicht einschreiten. Er kann von sich aus nicht tätig werden. Auf der anderen Seite ist es wenig wahrscheinlich, dass die Regierung im Fall der "Offensichtlichkeit" der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes ein Prüfungsverfahren beim Staatsgerichtshof in Gang setzen wird. Es dürfte wohl eher der Fall sein, wenn sie von der Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer Gesetzesnorm überzeugt ist, dass sie von ihrem Initiativrecht im Gesetzgebungsverfahren Gebrauch machen und eine entsprechende Gesetzesvorlage dem Landtag unterbreiten wird, das heisst, nicht den Weg des Gesetzesprüfungsverfahrens beschreiten

159 So Wolfgang Knies, Auf dem Weg in den "verfassungsgerichtlichen Jurisdiktions­

staat"?, S. 1162. Die Rechtslage in Deutschland und Osterreich stimmt in dieser Bezie­

hung überein, vgl. Art. 140 Abs.l öst. B-VG und Art. 93 I Nr. 2 deutsches GG und § 76 deutsches BVerfGG. Näheres dazu für Deutschland siehe Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, S. 277/Rdnr. 644; Wolfgang Löwer, Zuständigkeit und Ver­

fahren des Bundesverfassungsgerichts, S. 774/Rdnr. 54 ff., und Klaus Schiaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 83 ff./Rdnr. 117 und 122, und für Osterreich siehe Wal­

ter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, S. 423/Rdnr. 1159, wo es heisst, die Anfechtung stehe bei der abstrakten Normenkontrolle im Belieben der Bundesregierung oder Landesregierung sowie auch eines Drittels der Mitglieder des Nationalrats. Anderer Ansicht ist Herbert Haller, Die Prüfung von Gesetzen, S. 150.

160 V gl. Gisela Babel, Probleme der abstrakten Normenkontrolle, S. 13, und Karl August Bettermann, Verwaltungsakt und Richterspruch, in: Gedächtnisschrift für Walter Jelli-nek, München 1955, S. 361 (371 f.).

Abstrakte Normenkontrolle

beziehungsweise auf die "Einschaltung des Staatsgerichtshofes" ver­

zichten wird.161 Daran kann sie der Staatsgerichtshof nicht hindern. Das würde auch keinen Sinn machen. Denn bei blossen Verfassungszweifeln wird es wohl so sein, und man wird Verständnis dafür aufbringen, dass die Regierung aus Rechtssicherheitsgründen ein Gesetzesprüfungsver­

fahren einleiten wird, wenn es de lege ferenda das Rechtsinstitut des Gutachtens nicht mehr gibt, nicht aber, wenn sie bereits Gewissheit über die Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes oder einer Gesetzesnorm erlangt hat.

d) Keine Überwachungsfunktion

Der Staatsgerichtshof scheint sich auch als Uberwachungsinstanz der antragsberechtigten Behörden zu verstehen, wenn er Regierung und Ge­

meindevertretung bei ernsthaften Zweifeln an der Verfassungsmässigkeit einer von ihnen anzuwendenden Rechtsnorm zur Antragstellung ver­

pflichten will. Eine solche Uberwachungsfunktion steht dem Staatsge­

richtshof nicht zu. Dies erklärt sich schon aus funktionell-rechtlichen Gründen. Eine Überwachung würde nämlich zu einer nicht unwesent­

lichen Kompetenzverschiebung zu Lasten der Legislative und auch zu einer "prinzipiellen Machtverschiebung"162 zwischen Verfassungsge­

richtsbarkeit auf der einen und Legislative und Exekutive auf der ande­

ren Seite führen.

4. Fazit

Der Auffassung des Staatsgerichtshofes, Regierung und Gemeindever­

tretung im abstrakten Normenkontrollverfahren gemäss Art. 24 Abs. 1 StGHG zur Antragstellung verpflichten zu können, haftet eine überzo­

161 Ein Verzicht auf die Einschaltung des Staatsgerichtshofes ist wohl angebracht. Im Fall von StGH 1995/30, Urteil vom 30. August 1996, LES 3/1997, S. 159 (161/Ziff. 5.), ist eine Gesetzesänderung durchgeführt worden. Damit soll aber nichts zur Vorgangs­

weise der Regierung in der betreffenden Beschwerdesache gesagt werden. Der Staats­

gerichtshof hat die Haltung der Regierung zurecht beanstandet, denn sie habe, wie sie selber in ihrer Entscheidung festhalte, eine "offensichtlich" verfassungswidrige Norm angewendet. Die Regierung hätte mit ihrer Entscheidung bis zur Gesetzesänderung zu­

warten können.

162 Hartmut Söhn, Die abstrakte Normenkontrolle, S. 296.

gene Vorstellung seiner Normenkontrollbefugnisse an.163 Diese bestehen nach Art. 104 Abs. 2 der Verfassung im wesentlichen in der Kassation von Gesetzen und Regierungsverordnungen. Auch aus dem Staatsge­

richtshofgesetz lassen sich keine weitergehenden Kontrollbefugnisse bei der Einleitung eines Normenkontrollverfahrens herauslesen. Es liegt ausserhalb der Reichweite seiner Entscheidungskompetenz zu bestim­

men, ob ein Normenkontrollverfahren einzuleiten ist.

Der Staatsgerichtshof vertritt jedoch einen gegenteiligen Standpunkt, wenn er in StGH 1995/20164 erklärt, es müsse a fortiori allein ihm über­

lassen sein zu entscheiden, ob bei Vorliegen einer offensichtlich verfas­

sungswidrigen Rechtsnorm ausnahmsweise auf eine Kassation zu ver­

zichten sei. Ob und wieweit das Antragsrecht der Antragsteller im Nor­

menkontrollverfahren auch in eine Antragspflicht umgestaltet werden soll, hat der Gesetzgeber zu entscheiden. Dazu bedürfte es jedenfalls einer Gesetzesänderung, die allein in der Zuständigkeit des Gesetzge­

bers liegt. Eine Änderung der gegenwärtigen Rechtslage ist aber in den Artikeln 17, 19 und 21 des noch nicht sanktionierten Staatsgerichtshof-Gesetzes nicht beabsichtigt.

Wenn der Staatsgerichtshof entgegen dem klaren Wortlaut des Geset­

zes für sich in Anspruch nimmt, die am Normenkontrollverfahren be­

teiligten Organe anhalten zu können, ein Prüfungsverfahren beim Staatsgerichtshof zu beantragen, indem er die einschlägigen Bestimmun­

gen (Art. 24 Abs. 1 und Art. 25/28 Abs. 2 StGHG) in diesem Sinn deu­

tet,165 so stellt dies einen unberechtigten Eingriff in die verfahrensrecht­

liche Stellung der antragsberechtigten Organe dar. Es würde das An­

tragsrecht, verstanden als "Initiativrecht" der Antragsberechtigten, ausser Kraft gesetzt.

163 Es gibt die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde, in deren Rahmen auch eine Nor­

menkontrolle durchgeführt werden kann. In StGH 1993/18 und 19, Urteil vom 16. De­

zember 1993, LES 2/1994, S. 54 (58), macht dies der Staatsgerichtshof mit den Worten deutlich: "Sie (Gerichte) können gemäss Art. 28 Abs. 2 StGHG, wenn Verfassungs­

widrigkeit im Verfahren geltend gemacht wird und der Vorhalt begründet erscheint, das Verfahren unterbrechen und den StGH anrufen. Erachtet das Gericht den Vorhalt der Verfassungswidrigkeit nicht als gerechtfertigt, steht bei abgelehnter Anrufung der Partei die Beschwerde an den StGH wegen Anwendung einer als verfassungswidrig er­

achteten Bestimmung offen, der Rechtsschutz und das Beschwerderecht im Sinne Art. 43 LV si nd voll gewahrt."

IM StGH 1995/20, Urteil vom 24. Mai 1996, LES 1/1997, S. 30 (39).

165 Zu Art. 26 StGHG nimmt der Staatsgerichtshof nicht Stellung. Diese Bestimmung bleibt gänzlich ausgeblendet.

Abstrakte Normenkontrolle

IV. Antragsvoraussetzungen