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Der Begriff "Normenkontrolle" ist sowohl im deutschen, österreichi­

schen und schweizerischen Schrifttum gebräuchlich geworden. Er hat die früher verwendeten Bezeichnungen "richterliches Prüfungsrecht"

oder "richterliche Prüfungszuständigkeit" verdrängt und ist an deren Stelle getreten.1 Der Begriff ist neueren Datums und wohl eine Schöp­

fung der Rechtslehre.2 Es lässt sich nicht mehr genau eruieren, wie es zu dieser Begriffsbildung gekommen ist und wem man sie zuzuschreiben hat. Nachforschungen über ihre Herkunft anzustellen, ist wohl wenig ertragreich. Sie ist auch nicht von Belang. Es genügt im Rahmen dieser Untersuchung der Hinweis, dass sich jedenfalls in der Zwischenzeit der Begriff "Normenkontrolle" trotz vereinzelter Kritik3 im deutschspra­

chigen Schrifttum durchgesetzt hat.

Die Verfassung kennt den Begriff "Normenkontrolle" nicht. Er wird in der liechtensteinischen Judikatur und Literatur erst in neuerer Zeit verwendet. Der Staatsgerichtshof greift in seiner Praxis häufig auf eine

1 So Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 948 f. mit weiteren Nachweisen.

2 Zur Herkunft der Begriffsbildung siehe Theodor Maunz/Hans H. Klein in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. V (Stand 1997), Art. 93, S. 11/Anm. 1. Sie verweisen in diesem Zusammenhang auf Hans Peter Ipsen, Grund­

gesetz und richterliche Prüfungszuständigkeit, in: DV 1949, S. 486 (488). So auch Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, S. 982. Siehe auch Hans Peter Ipsen, Die Nachprüfung der Verfassungsmässigkeit von Gesetzen, in: Deutsche Landesreferate zum III. Internationalen Kongress für Rechtsvergleichung (Beiträge zum Öffentlichen Recht), Berlin/Tübingen 1950, S. 791 (799 und 808).

3 Christoph Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit verfassungswidriger Gesetze, S. 18, hält es für zutreffender, anstatt von Normenkontrolle von "Rechtsatzkontrolle" zu sprechen.

Begriffsbestimmung und Normenkontrollsystem

am Wortlaut der Verfassung und des Staatsgerichtshofgesetzes orien­

tierte Terminologie zurück. Dies wird besonders dann augenscheinlich, wenn er von einer ausführlichen Entscheidungsbegründung absieht und sich an deren Stelle auf eine blosse Wiedergabe der einschlägigen Be­

stimmungen der Verfassung und des Staatsgerichtshofgesetzes be­

schränkt,4 die je nachdem in einer mehr oder weniger wortgetreuen oder dann in einer sinngemässen Wiedergabe bestehen kann. Wenn sich der Staatsgerichtshof in allgemeiner Weise äussert, das heisst, ohne dass er im einzelnen Gesetzes- oder Verfassungsstellen als Stütze seiner Dar­

legungen heranzieht oder sich in seinen Entscheidungen zu grundsätz­

lichen Erwägungen veranlasst sieht, gebraucht er verschiedentlich auch den Begriff der Normenkontrolle5, der Verfassungskontrolle6 oder der Norm- oder Normenprüfung7 - ein Begriff, der aus der österreichischen Judikatur und Lehre stammt - und meint mit diesen Benennungen nichts anderes als die "Prüfung von Vorschriften auf Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit"8 beziehungsweise die Prüfung der "Verfassungsmäs­

sigkeit" der Gesetze und der "Gesetzmässigkeit" der Regierungsverord­

nungen (Art. 104 Abs. 2 LV und Art. 11 StGHG). Diese Begriffswahl lässt den Schluss zu, dass es im einzelnen vornehmlich darauf ankommt, ob die Ausführungen des Staatsgerichtshofes im Zusammenhang mit einer Bestimmung des Staatsgerichtshofgesetzes stehen oder nicht. Je nachdem hält sich die Begriffsumschreibung mehr oder weniger präzis an den Wortlaut dieses Gesetzes. Es gibt aber keine feststehende Ge­

brauchsregel, und es bedarf ihrer auch nicht, da Klarheit über den Inhalt

4 Vgl. etwa den Wortlaut von Art. 104 Abs. 2 LV u nd die Art. 11 und 28 Abs. 2 StGHG.

5 Diesen Begriff gebraucht der Staatsgerichtshof - soweit ersichtlich - erstmals in StGH 1968/2, Entscheidung vom 12. Juni 1968, ELG 1967 bis 1972, S. 236 (238); weiters in StGH 1981/17, Beschluss vom 10. Febniar 1982, LES 1/1983, S. 3 (4); StGH 1982/36, Gutachten vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 107, 110 und 111. Von "Normenkon­

trolle" ist ebenfalls die Rede im Originaltext von StGH 1990/5, Urteil vom 21. Novem­

ber 1990, nicht aber in der in LES 1/1991, S. 4 ff., publizierten Ausfertigung des Urteils;

StGH 1993/4, Urteil vom 30. Oktober 1995, LES 2/1996, S. 41 (47); StGH 1995/15, Urteil vom 31. Oktober 1995, LES 2/1996, S. 61 (64) unter Bezugnahme auf Andreas Schurti, Das Verordnungsrecht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 387. Vgl auch jüngst StGH 1997/14, Urteil vom 17. November 1997, LES 5/1998, S. 264 (267).

4 StGH 1983/6, Urteil vom 15. Dezember 1983, LES 3/1984, S. 73 (74); in StGH 1989/15, Urteil als Verwaltungsgerichtshof vom 31. Mai 1990 (nicht veröffentlicht), S. 16, ist von

"Verfassungsprüfung" und in StGH 1982/39, Beschluss vom 1. Dezember 1982 (nicht veröffentlicht), S. 1, von "Prüfung der Verfassungsmässigkeit" die Rede.

7 StGH 1987/20, Urteil vom 3. Mai 1988, LES 4/1988, S. 136 (137) und StGH 1986/7, Urteil vom 5. Mai 1987, LES 4/1987, S. 141 (144).

8 StGH 1990/5, Urteil vom 21. November 1990, LES 1/1991, S. 4 (5).

der verwendeten Begriffe besteht. So bedienen sich im deutschsprachi­

gen Raum Lehre und Rechtsprechung des Begriffs der Normenkon­

trolle, wenn es darum geht, verfassungsgerichtlich die Prüfung von Ge­

setzen und Verordnungen9 am höherrangigen Recht vorzunehmen.

Gleich verhält es sich auch in der liechtensteinischen Rechtspraxis.

Es kann daher festgehalten werden, dass sich auch im liechtensteini­

schen Schrifttum und der Rechtsprechung des Staatsgerichtshofes die Bezeichnung "Normenkontrolle" eingebürgert hat.10 Diese Übernahme ins liechtensteinische Begriffsarsenal ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es in der Praxis der liechtensteinischen Gerichte eine Selbstverständlichkeit ist, ausländische Judikatur und Literatur für das jeweilige Rechtsgebiet beziehungsweise den jeweiligen Rechtsfall heranzuziehen, soweit sie für die liechtensteinische Betrachtungsweise einschlägig und von Bedeutung sind. Davon macht auch der Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit beziehungsweise der Normenkontrolle keine Ausnahme. Es liegt daher auch für diese Untersuchung nahe, die Begriffswahl je nach Konstellation des Falles oder Sachbereiches eben­

falls so zu treffen, dass sie nicht auf den Gesetzeswortlaut ausgerichtet beziehungsweise von ihm bestimmt wird, wenn in der Erörterung der jeweiligen Rechtsmaterie in allgemeiner oder grundsätzlicher Art vorge­

gangen und argumentiert wird, wie auch im Sprachgebrauch von Art. 104 Abs. 2 der Verfassung und des Staatsgerichtshofgesetzes zu ver­

bleiben, wenn sie als Bezugsrahmen bei der Bearbeitung des jeweiligen Themas oder bei der Auseinandersetzung mit einer Entscheidung des Staatsgerichtshofes vorgegeben sind. Dieses Vorgehen wird allerdings nicht strikt eingehalten. Es besteht auch kein Anlass dazu, nachdem man es mit verschiedenen Begriffsumschreibungen der Normenkontrolle von gleicher Bedeutung zu tun hat.

9 Das deutsche Recht kennt im Unterschied zum liechtensteinischen und österreichischen Recht die verfassungsgerichtliche Kontrolle von verwaltungsbehördlichen Verordnun­

gen nicht.

10 Vgl. Johann Brandstätter, Verfassungsgerichtsbarkeit im Fürstentum Liechtenstein, S. 89 ff.; Petra Margon, Staatsgerichtshof Liechtenstein - Verfassungsgerichtshof Öster­

reich: Eine vergleichende Darstellung, S. 160 ff.; siehe auch Andreas Schurti, Das Ver­

ordnungsrecht der Regierung des Fürstentums Liechtenstein, S. 383 ff. (385, 387); Ger­

ard Batliner, Die liechtensteinische Rechtsordnung und die Europäische Menschen­

rechtskonvention, S. 104; Wolfram Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsord­

nung, S. 33, spricht unter Bezugnahme auf Gerard Batliner von "verfassungsgericht­

licher Normenkontrolle"; Arno Waschkuhn, Politisches System Liechtensteins: Konti­

nuität und Wandel, LPS 18, Vaduz 1994, S. 204 f.

Begriffsbestimmung und Normenkontrollsystem

Diese Hinweise oder Begriffsklärungen hätten von der rechtlichen Relevanz her gesehen unterbleiben können. Sie sind jedoch aus Gründen der Verständlichkeit nützlich. An der begrifflichen Erfassung der Nor­

menkontrolle ändert sich durch das noch nicht sanktionierte Staats­

gerichtshof-Gesetz nichts. Denn das noch nicht sanktionierte Staatsge­

richtshof-Gesetz bleibt grundsätzlich in der Terminologie von Art. 104 Abs. 2 der Verfassung. So ist beispielsweise in Art. 17 von "Gesetzes­

prüfung" und in Art. 19 von " Verordnungsprüfung" die Rede." Kor­

rekturen an der beschriebenen Vorgangsweise, soweit in der Darstellung und Behandlung des Stoffes auf das noch nicht sanktionierte Staatsge-richtshof-Gesetz Bedacht genommen wird, bedarf es daher nicht.

II. Monopolisierung der Normenkontrolle beim