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Die Abgabe von Gutachten durch den Staatsgerichtshof ist in Art. 16 StGHG geregelt. Danach hat der Staatsgerichtshof auf Verlangen der Regierung oder des Landtages Gutachten über allgemeine Fragen des Staats- und Verwaltungsrechtes, über Gegenstände der Gesetzgebung und über Gesetzesentwürfe und die Auslegung von Gesetzen zu er­

statten. Es handelt sich um eine Kompetenz, die dem Staatsgerichtshof vom Gesetz zugewiesen worden ist. Der Gesetzgeber hat hier den ver­

fassungsrechtlichen Rahmen verlassen und eine verfassungsgerichtliche Kompetenzerweiterung vorgenommen. Auffallend ist nämlich, dass die Erstattung von Gutachten im Kompetenzkatalog des Art. 104 der Ver­

fassung nicht enthalten ist. Staatsgerichtshofgesetz und Verfassung stimmen in dieser Hinsicht nicht überein. Diese "Unstimmigkeit zwi­

schen Verfassungsrecht und einfachem Recht"84 ist in der Literatur verschiedentlich zur Sprache gebracht worden, wobei die mangelnde verfassungsrechtliche Grundlage ins Blickfeld der Kritik gerückt wird.85

Der Staatsgerichtshof scheint diese Auffassung zu teilen, wenn er in StGH 1985/11/V86 dezidiert erklärt, dass "allein die Landesverfassung die Kompetenzen des Staatsgerichtshofes" bestimme und in StGH

84 Wolfram Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsordnung, S. 35.

85 Vor allem Heinz Josef Stotter, Verfassungsrechtliche Probleme zum Kompetenzkatalog des Staatsgerichtshofs des Fürstentums Liechtenstein, S. 167 ff.; vgl. auch Gerard Bat-liner, Die liechtensteinische Rechtsordnung und die Europäische Menschenrechtskon­

vention, S. 109 und 149, und Wolfram Höfling, Die liechtensteinische Grundrechtsord­

nung, S. 34 f. Siehe auch den Bericht und Antrag der Regierung zum Staatsgerichtshof-Gesetz Nr. 71/1991, S. 20 ff. Bei Gebhard Müller, Die Bedeutung der Verfassungsge­

richtsbarkeit für das Verständnis des Grundgesetzes, in: Peter Häberle (Hrsg.), Verfas­

sungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976, S. 398 (407), ist beispielsweise nachzulesen, dass in Deutschland anfänglich das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch nicht im Grund­

gesetz selber vorgesehen gewesen ist.

86 StGH 1985/11 /V, Urteil vom 10. November 1987, LES 3/1988, S. 88 (89). Vgl. im wei­

tern StGH 1982/37, Urteil vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 112 (113 f.); StGH 1968/2, Entscheidung vom 12. Juni 1968, ELG 1967 bis 1972, S. 236 (238); StGH 1964/4, Entscheidung vom 22. Oktober 1964, ELG 1962 bis 1966, S. 215 (217).

Die gutachterliche Tätigkeit des Staatsgerichtshofes

1982/3787 darauf hinweist, dass nur der Verfassungsgesetzgeber befugt sei, dem Staatsgerichtshof Funktionen zu übertragen, die den "Rah­

men" des Artikels 104 der Verfassung überschreiten. Danach würde Art. 16 StGHG die verfassungsmässige Deckung fehlen und im Wider­

spruch zu Art. 104 der Verfassung stehen. Der Staatsgerichtshof hat sich aber bisher in seiner Gutachtenpraxis dieser Frage der Verfassungskon­

formität nicht gestellt88 beziehungsweise es unterlassen, die entspre­

chenden Konsequenzen zu ziehen. Auf dem Hintergrund des noch nicht sanktionierten Staatsgerichtshof-Gesetzes, in dem die Erstellung von Gutachten durch den Staatsgerichtshof als verfassungsgerichtliche Tätigkeit wegen der "rechtlichen Probleme von Verfassungsgrundlage und Rechtsverbindlichkeit"89 keine Berücksichtigung mehr gefunden hat, hätte man erwarten können, dass der Staatsgerichtshof in Zukunft die Erstattung von Gutachten ablehnen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Er hat vielmehr bis in die jüngste Zeit Gutachten erstattet.90

Es wird allerdings zur Frage der Notwendigkeit einer verfassungs­

rechtlichen Grundlage für die Erstattung von Gutachten auch eine an­

dere, entgegengesetzte Rechtsmeinung vertreten, der der Staatsgerichts­

hof auch schon gefolgt ist. Seine Praxis ist diesbezüglich schwankend beziehungsweise widersprüchlich. Danach wird eine verfassungsrecht­

liche Abstützung nur für "Entscheidungskompetenzen" als notwendig erachtet. Gutachten komme lediglich "unverbindlicher" Charakter zu, so dass es für die Gutachtertätigkeit des Staatsgerichtshofes keiner Kompetenzbestimmung in der Verfassung bedürfe. Diesen Standpunkt nimmt die Regierung auf einen Vorschlag ein, eine Kompetenzbestim­

mung über die Erstattung von Gutachten durch den Staatsgerichtshof in der Verfassung zu verankern. Sie argumentiert, dass dort, wo der Staats­

87 StGH 1982/37, Urteil vom 1. Dezember 1982, LES 4/1983, S. 112 (115), wo der Staatsge­

richtshof als Beispiel die "Funktion als Wahlgerichtshof" nach Art. 59 LV durch das Ver­

fassungsgesetz vom 25. Februar 1958, LGB1 1958 Nr. 1, erwähnt. Die Wahlgerichtszu­

ständigkeit ist in den Kompetenzkatalog von Art. 104 Abs. 2 LV mit Verfassungsgesetz LGB1 1964 Nr. 10 aufgenommen worden. Siehe dazu den Regierungsakt LLA RE 292/72/10.

88 Art. 16 StGHG war bisher auch noch nicht Gegenstand eines abstrakten Normenkon­

trollverfahrens. Ein solches dürfte von Regierung und Gemeindebehörden aus ver­

ständlichen Gründen auch nicht eingeleitet werden, da zumindest auf Seiten der Regie­

rung kein (rechtspolitisches) Interesse vorhanden ist.

89 StGH 1995/14, Gutachten vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119 (122).

90 StGH 1995/14, Gutachten vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119.

gerichtshof als Gericht entscheide, die taxative Aufzählung seiner Zu­

ständigkeit sicher am Platz sei, nicht jedoch dort, wo er lediglich un­

verbindliche Gutachten abgebe.91 In diese Richtung deutet ohne Zweifel auch die Formulierung des Staatsgerichtshofes in StGH 1981/192 hin, wonach er Gutachten "ausserhalb der verfassungsmässigen Kompetenz"

aufgrund von Art. 16 StGHG verfassen könne und ihn solche Gutach­

ten gerade auch im Hinblick auf die "Verschiedenheit der einzelnen Fälle" nicht binden. In StGH 1984/5/V93 hat er in Weiterführung dieser Praxis gutachtlichen "Ausführungen" für spätere Urteile und ebenso einzelnen "Sätzen" der Begründung in Gutachtenserwägungen eine ver­

bindliche Wirkung abgesprochen.

Eine solche Betrachtungsweise, die nur die Wirkung eines Gutachtens ins Blickfeld rückt, muss sich als zu einseitig erweisen. Sie lässt die kom­

petentielle Verfassungsfrage unberücksichtigt und beantwortet sie folg­

lich auch nicht. Die Frage nach der verfassungsrechtlichen Grundlage hat nichts mit der rechtlichen Wirkung eines Gutachtens zu tun. Auch ist der Versuch, diese Verfassungsfrage dadurch zu relativieren, dass Gutachten rechtlich unverbindlich seien, fehl am Platz. Denn Gutachten erzeugen, auch wenn sie rechtlich unverbindlich sind, in der Praxis durchaus Wir­

kungen.94 Einer schlüssigen Antwort auf dieses "rechtliche Problem"95

weicht der Staatsgerichtshof aus. Sie unterbleibt auch in seinem jüngsten Gutachten vom 11. Dezember 1995. Er begnügt sich damit, die Entwick­

lungslinie seiner Praxis zu Art. 16 StGHG zu resümieren und seine

"Zurückhaltung" darzutun, die er sich dabei auferlegt habe. Er präzisiert sie als "Einschränkungen", die ihm die "inhaltliche Reichweite" von Art. 16 StGHG aufgebe. Diese aus der Sicht eines Gerichts sich aufdrän­

91 So die Ansicht der Regierung in einem Schreiben vom 13. Januar 1964, zitiert aus dem Bericht und Antrag der Regierung zum Staatsgerichtshof-Gesetz Nr. 71/1991, S. 21.

Der Vorschlag, eine Kompetenzbestimmung in die Verfassung aufzunehmen, stammte vom damaligen Landesamtsdirektor von Vorarlberg, Dr. Elmar Grabherr. Dieser Vor­

schlag ging der Regierung zu weit.

92 StGH 1981/1, Urteil vom 10. Februar 1982, LES 1/1983, S. 1 (2).

93 StGH 1984/5/V, Urteil vom 25. April 1985, LES 4/1985, S. 103 (104). In diesem Sinn äussert sich der Staatsgerichtshof unter Berufung auf StGH 1976/6, ELG 1973 bis 1978, S. 407 (409), in StGH 1985/11, Urteil vom 2. Mai 1988, LES 3/1988, S. 94 (97), und hält fest: "Die Gutachten erörtern Rechtsfragen abstrakt und binden daher den Staatsge­

richtshof in späteren Urteilsverfahren, das heisst in der Beurteilung konkreter Streitig­

keiten, nicht."

94 Dazu hinten S. 96 f.

95 Diese Formulierung ist StGH 1995/14, Beschluss vom 11. Dezember 1995, LES 3/1996, S. 119 (122), entlehnt.

Die gutachterliche Tätigkeit des Staatsgerichtshofes

genden "Einschränkungen" sind aber für die hier interessierende Zustän­

digkeitsregelung nicht von Relevanz und vermögen keinesfalls seine man­

gelnde Zuständigkeit zu ersetzen. Diese ist entweder gegeben oder nicht gegeben. In diesem Zusammenhang macht denn auch die vom Staatsge­

richtshof geltend gemachte "Zurückhaltung" keinen Sinn, da sie aus dem Verständnis der richterlichen Tätigkeit geboten beziehungsweise eine Selbstverständlichkeit ist und nichts mit der Problematik seiner Zustän­

digkeit in dieser Sache zu tun hat. Auf diese Weise bleibt der Staatsge­

richtshof bewusst in Distanz zur eigentlichen Verfassungsfrage, um sich nicht mit ihr auseinandersetzen zu müssen.96 Aufgrund seiner jüngsten Äusserungen verdichtet sich der Eindruck, als ob der Staatsgerichtshof das Inkrafttreten des noch nicht sanktionierten Staatsgerichtshof-Gesetzes abwarten und den Entscheid in dieser Frage dem Gesetzgeber überlassen wolle.97 So ändert die praktizierte Zurückhaltung bei der Erstattung von Gutachten nichts daran, dass das verfassungsrechtliche Problem der ein­

fachgesetzlichen Regelung bestehen bleibt.