II. Verfassungsbeschwerde 1. Begriff und Umfang
3. Kapitel: Verfahrensanforderungen
1. Abschnitt: Verfassungsprozessrechtliche Fragen
§ 7 Verfahrensgang I. Allgemeines 1. Rechtslage
In Art. 104 weist die Verfassung dem Staatsgerichtshof die Kompetenz zur Normenkontrolle zu. Wie er von dieser Kompetenz Gebrauch zu machen hat, ist im Staatsgerichtshofgesetz geregelt. Das verfassungsge
richtliche Verfahren ist darin allerdings nur in knappen Zügen und un
vollständig festgehalten. Aus diesem Grund verweist das Gesetz in Art. 1 Abs. 4 auf das Gerichtsorganisationsgesetz und das Landesver-waltungspflegegesetz betreffend die Beschwerdeinstanz, deren Vor
schriften ergänzend Anwendung finden. Art. 17 StGHG präzisiert, dass auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof als Verfassungs- und Ver
waltungsgerichtshof die Vorschriften über das einfache Verwaltungsver
fahren einschliesslich des Verwaltungszwangsverfahrens Anwendung finden. Nach dem Kommissionsbericht zum Gesetzesentwurf über die allgemeine Landesverwaltungspflege machen denn auch die Rechtsre
geln des einfachen Verwaltungsverfahrens - mit Ausnahme des II. Ab
schnittes über Verwaltungsbote - den grössten Teil der von ihm genann
ten "Prozessordnung des öffentlichen Rechts" für die meisten vor dem Staatsgerichtshof durchzuführenden Angelegenheiten aus. Dies hat der Gesetzgeber so gewollt. Praktikabilitätsgründe werden dafür ins Feld geführt. So heisst es im Kommissionsbericht, dass mit dem Landesver-waltungspflegegesetz ein grosser Teil des Gesetzes über den noch einzu
richtenden Staatsgerichtshof verwirklicht und damit dieses selbst höchst vereinfacht werde.'
Das einfache Verwaltungsverfahren des Landesverwaltungspflegege-setzes enthält demnach die Rechtsnormen, die das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof regeln.2 Daneben bilden die eigentlichen Bestimmun
gen des Staatsgerichtshofgesetzes über die Normenkontrolle auch Teil des Verfahrensrechts. Denn sie enthalten die massgeblichen Vorausset
zungen, die gegeben sein müssen, damit ein Verfahren vor dem Staats
gerichtshof eingeleitet, durchgeführt und abgeschlossen werden kann, das heisst, dass der Staatsgerichtshof eine Entscheidung fällen kann. Es sind dies im Staatsgerichtshofgesetz neben den allgemeinen Verfahrens
regelungen in den Art. 17 bis 22 die Bestimmungen der Art. 23 bis 28, 36, 37, 38, 42 und 43. Auch sie enthalten Verfahrensbestimmungen.3 Es ist aber nicht zu übersehen, dass es sich hierbei nur um ein paar wenige verfahrensrelevante Vorschriften handelt. Unter ihnen befinden sich solche, die sowohl für alle verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Frage kommen können als auch solche, die auf die Beson
derheiten des Normenkontrollverfahrens zugeschnitten sind und nur in diesem Zusammenhang zur Anwendung gelangen.
Eine Geschäftsordnung für den Staatsgerichtshof existiert bis heute noch nicht. Das noch nicht sanktionierte Staatsgerichtshof-Gesetz er
mächtigt den Staatsgerichtshof neu in Art. 13, sich eine Geschäftsord
nung zu geben, die im Landesgesetzblatt kundzumachen ist. Eine sol
che Geschäftsordnung könnte wichtige Bestimmungen für die Organi
sation und Verwaltung sowie-über den "Geschäftsgang" enthalten, wie dies in den entsprechenden Geschäftsordnungen für das deutsche Bun
desverfassungsgericht und den österreichischen Verfassungsgerichtshof der Fall ist.4 Sie kann aber nicht das insbesondere für die Normenkon
1 Siehe den Kommissionsbericht von Dr. Wilhelm Beck zum Gesetzesentwurf über die all
gemeine Landesverwaltungspflege, S. 6 f.
2 Vgl. etwa StGH 1977/8, Entscheidung vom 21. November 1977, LES 1981, S. 48 (50), wo es heisst: "Gemäss Art. 17 des Staatsgerichtshof-Gesetzes finden auf das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof die Vorschriften über das einfache Verwaltungsverfahren Anwen
dung." Vgl. im weiteren StGH 1963/1, Entscheidung vom 17. Oktober 1963, ELG 1962 bis 1966, S. 204 (205), die festhält, dass Art. 24 LVG, wonach die Zuständigkeit von Amts wegen zu prüfen ist, für den Staatsgerichtshof anwendbar sei.
3 Vgl. zu Art. 37 des Staatsgerichtshofgesetzes StGH 1980/8, Entscheidung vom 10. No
vember 1980, LES 1982, S. 4 (7).
4 Für Deutschland die Geschäftsordnung vom 15. Dezember 1986, BGBl I S. 2529; siehe dazu Benda/Klein, Lehrbuch des Verfassungsprozessrechts, S. 13/Rdnr. 33, und
Hans-Verfahrensgang
trolle fehlende Verfahrensrecht ersetzen. Sie könnte sich nur auf den internen Verfahrensgang beziehungsweise die Geschäftsverteilung be
ziehen, nicht aber Regelungen enthalten, die den äusseren Verfahrens
gang betreffen und Rechte der Verfahrensbeteiligten oder Dritter ge
stalten.5 Eine solche Regelungsbefugnis steht dem Staatsgerichtshof nicht zu.
Zum Verfahrensrecht ist auch die Rechtsprechung des Staatsgerichts
hofes zu zählen, soweit sie sich mit Verfahrensfragen befasst.
2. Reformbedürftigkeit
Dieses vorgenannte Konglomerat von Bestimmungen machen die "all
gemein anzuwendenden Vorschriften"6 aus. Welche Bestimmungen da
bei als adäquate Verfahrensvorschriften in Betracht kommen, bestimmt der Staatsgerichtshof selbst. Er ist immer wieder mit der Frage der sinn
gemässen Anwendung der Bestimmungen des LVG und der ZPO kon
frontiert. Er findet die Rechtsgrundlagen für eine zweckentsprechende Gestaltung seines Verfahrens im Wege der Analogie zum sonstigen Ver
fahrensrecht. Der Staatsgerichtshof prüft im Einzelfall unter "Bedacht-nahme auf die Determinanten des jeweiligen verfassungsgerichtlichen Verfahrens (institutioneller Verfahrenszweck, Verfassungsstruktur)",7 ob und wieweit er verwaltungsverfahrensrechtliche oder zivilprozes
suale Bestimmungen für sein Verfahren anwenden kann. So entspricht etwa die ZPO einem bestimmten Verfahrenstyp, der auf andersgeartete Verfahren - wie insbesondere das verfassungsgerichtliche Normenkon
trollverfahren - nicht immer übertragbar ist.8 Verfahrensrechtliche be
ziehungsweise prozessuale Fragen werden jedoch in der Judikatur des Staatsgerichtshofes kaum diskutiert und beantwortet.
Ernst Böttcher, Zu § 1 Status, Sitz und Verfassung des BVerfG, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, S. 222/Rdnr. 42 ff. Für Österreich siehe BGBl 1946/
202, und Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht, S. 392/Rdnr. 1050.
5 Vgl. Michael Hund, in: Umbach/Clemens, Bundesverfassungsgerichtsgesetz, S. 396/Rdnr. 10.
6 So eine Formulierung des Staatsgerichtshofes in StGH-Entscheidung vom 6. Oktober 1960, ELG 1955 bis 1961, S. 145 (147).
7 Peter Pernthaler/Peter Pallwein-Prettner, Die Entscheidungsbegründung des österrei
chischen Verfassungsgerichtshofes, Wien/NewYork 1974, S. 199 (201).
8 So Erwin Melichar, Die Anwendung der Zivilprozessordnung im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof, S. 302.
Eine Verbesserung beziehungsweise Korrektur dieses wenig befriedi
genden Rechtszustandes9 ist anlässlich der Revision des Staatsgerichts
hofgesetzes vergeblich angemahnt worden. Es wurde eingewendet, ein allgemeiner Hinweis auf die Anwendbarkeit der Vorschriften des Lan-desverwaltungspflegegesetzes sei nicht ausreichend. Rechtssicherheits
gründe sprächen für eine eingehendere Regelung im Staatsgerichtshof
gesetz. Dem ist zuzustimmen, denn die verfassungsgerichtliche Rege
lung erweist sich als zu offen und unvollständig. Erschwerend wirkt sich zusätzlich der Umstand aus, dass das Landesverwaltungspflegegesetz seinerseits wieder mit generellen Hinweisen auf die Zivilprozessord
nung durchsetzt ist, die als Ergänzungen "sinngemäss" zur Anwendung gelangen.10 So ist es im Einzelfall schwer festzustellen, welche Bestim
mung welchen Gesetzes, das heisst des LVG oder der ZPO, anzuwen
den ist. Diese Lückenhaftigkeit und Unübersichtlichkeit der Rechtslage ist dem Gesetzgeber nicht verborgen geblieben. Auf die Kritik hat er sich jedoch nicht eingelassen oder hat sie zu wenig bedacht. Der Bericht der Regierung räumt zwar ein, dass die "teils unbestimmten Verfahrens
regelungen" eine Revision geboten erscheinen lassen,11 schwächt dann allerdings diese Feststellung mit dem Argument wieder ab, dass sich in der Praxis keine "Schwierigkeiten" ergeben hätten.12 Eine solche Erklä
rung vermag nicht zu befriedigen. Sie gibt keine Antwort auf die offenen Fragen. Sie weicht vielmehr den "Schwierigkeiten" aus, denen die Praxis des Staatsgerichtshofes begegnet. Er hat zwar Richtpunkte herausgear
beitet, die als Verfahrensregeln hätten ins Gesetz aufgenommen werden können. Sie vermöchten jedoch aufs Ganze gesehen den einzelnen Rechtsinstituten nicht gerecht zu werden, wie sie auch eine einlässliche Regelung nicht ersetzen könnten. Die inhaltliche Ausfüllung des
Verfas-' Auch eine gemäss Art. 13 des noch nicht sanktionierten Staatsgerichtshof-Gesetzes vom Staatsgerichtshof zu erlassende Geschäftsordnung - wie vorne S. 118 erwähnt -, kann an diesem unbefriedigenden Rechtszustand nichts ändern, da es in erster Linie an einschlä
gigen gesetzlichen Bestimmungen fehlt, die eine Geschäftsordnung nicht ersetzen kann.
10 Vgl. etwa aus dem "einfachen Verwaltungsverfahren" des LVG die Art. 88 und 103. Zur Problematik der analogen subsidiären Anwendung der Bestimmungen der ZPO im Ver
fahren vor dem österreichischen Verfassungsgerichtshof siehe Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, S. 399/Rdnr. 1074.
11 Vgl. zum Beispiel für Deutschland Christian Pestalozza, Besprechung von Herbert Hal
ler, Die Prüfung von Gesetzen, in: AöR Bd. 112 (1987), S. 279 (282), der meint, dass diese Arbeit in besonderem Mass geeignet sei, die deutsche Diskussion um eine vollkom
menere Positivierung des Verfassungsprozessrechts anzuregen und weiterzutreiben.
12 So Bericht und Antrag der Regierung zum Staatsgerichtshof-Gesetz Nr. 71/1991, S. 1 3 und 83.
Verfah rensgang
sungsprozessrechtes wird auf diese Weise zum Gegenstand der Recht
sprechung. Die im verfassungsgerichtlichen Verfahren erforderlichen Ausdifferenzierungen der Verfahrensregelungen bleiben damit weitge
hend dem Staatsgerichtshof und seiner Rechtsprechung überlassen.
Das noch nicht sanktionierte Staatsgerichtshof-Gesetz enthält in Art. 39 einen dem bisherigen Recht entsprechenden allgemeinen Ver
weis auf das LVG. Das Verfahren vor dem Staatsgerichtshof ist in Ziff.
III. Verfahren (Art. 39 ff.) zwar ausführlicher gestaltet als im geltenden Staatsgerichtshofgesetz, doch bleibt die Regelung aus der Sicht der Nor
menkontrolle nach wie vor unvollständig und ungenügend. Es wird zwischen dem Normenkontrollverfahren und anderen Verfahrensarten vor dem Staatsgerichtshof nicht unterschieden.