• Keine Ergebnisse gefunden

Zusammenfassung des ersten Teils

II. I Artverben als basic motion verbs: βαίνω, βαδίζω, πορεύομαι und χωρέω

2 Πορεύομαι: Die Unbestimmtheit der zeitlichen Dimension

2.4 Untersuchung der Zeitrelation SZ/BZ

Was die Zeitrelation zwischen coding time und reference time angeht, kann πορεύομαι sowohl eine Bewegung andeuten, die gerade stattfindet und in ihrer Durchführung beschrieben wird (SB=BZ), als auch eine solche, die in der Zukunft stattfinden wird (SZvorBZ). Zwei Beispiele illustrieren dies:

(139)

- ποῖ δὴ πορεύῃ καὶ πόθεν; - Ἐξ Ἀκαδημείας, ἦν - poî poreúēi kaì póthen? - Ex Akadēmeías, ên

wohin PTCL PRS.IND.SG.2 und woher ABL A.:GEN sagen:IPRF.SG.1 δ’ ἐγώ, πορεύομαι εὐθὺ Λυκείου. / - δεῦρο δή,

d' egó, poreúomai euthù Lukeíou. - deûro dé,

PTCL ich:N PRS.IND.SG.1 direkt L.:GEN hierher PTCL

δ᾽ ὅς, εὐθὺ ἡμῶν.

ê d' hós, euthù hēmôn.

sagen:IPRF.SG.1 PTCL DEM.N direkt wir:GEN

„- Wohin also gehst du und woher? - Aus der Akademie – sagte ich – gehe ich zum Lyzeum. - Hierher – sagte er – direkt zu uns!“ (Pl. Ly. 203a-b)

(140)

τύμβος, νυμφεῖον, κατασκαφὴς /

ô túmbos ô vumpheîon, ô kataskaphès

INTJ Grab:VOK INTJ Hochzeitszimmer:VOK INTJ Kerker οἴκησις ἀείφρουρος, οἷ πορεύομαι / πρὸς τοὺς

oíkēsis aeíphrouros, hoî poreúomai pròs toùs

Behausung:VOK ewig:VOK wohin PRS.IND.SG.1 ALL DEF.AKK ἐμαυτῆς,

emautês, ich:REFL.GEN

„O Grab, o Hochzeitszimmer, o ewiger Kerker unterirdischer Behausung, wohin ich zu meinen Lieben gehe,“ (S. Ant. 891-893)

In (139) gibt Sokrates einen Dialog wieder: Er war auf der Straße angehalten und gefragt worden, woher er komme und wohin er gehe. Πορεύομαι ist zuerst mit dem Adverb ποῖ gekoppelt und wird in der Antwort von Sokrates wieder aufgegriffen.261 Sokrates' Weg beginnt an der Akademie und führt ihn zum Lyzeum. Dass sich seine Bewegung mitten in ihrer Durchführung befindet – also durch die Relation SZ=BZ gekennzeichnet ist – wird auch durch die Worte des Fragenden bestätigt, der Sokrates einlädt, ihn sogleich zu besuchen. In (140) hingegen wird eine andere Zeitrelation ausgedrückt: Hier beschreibt πορευόμεθα eine Bewegung, die sich auf die Zukunft bezieht und zur Zeit der Aussage noch nicht begonnen hat (SZvorBZ).262

Für die Analyse können zusätzlich die in den vorigen Abschnitten bereits zitierten Beispiele herangezogen werden: In (125) wird beispielsweise noch eine andere Zeitrelation angedeutet, weil die Bewegung zur Zeit der Aussage hier bereits abgeschlossen ist (SZnachBZ). Die Beispiele im Imperativ-Kontext sind zwar alle auf die Zukunft bezogen, aber auf verschiedene Weise: Πορεύομαι dient im Imperativ sowohl zum Ausdruck eines Befehls, wie in (114) und (131), als auch eines Abschieds (128), oder auch einer Empfehlung (130). Die Bewegung kann unmittelbar nach der Aussage oder erst einige Zeit später vollzogen werden.

Im Unterschied zu ἥκω, οἴχομαι, εἶμι und ἔρχομαι ist für πορεύομαι anhand der hier aufgeführten Beispiele keine stabile zeitliche Relation zwischen SZ und BZ festzustellen, d.h.

bei der Auswahl des Verbs können unterschiedliche Zeitverhältnisse ausgedrückt werden.

Dieses Ergebnis ist besonders überraschend, wenn darüber hinaus berücksichtigt wird, dass das Verb – im Unterschied zu den anderen allgemeinen Bewegungsverben – nicht defektiv ist:

Es verfügt folglich auch über eine Futurform, die für die Beschreibung einer zukünftigen Bewegung genutzt werden kann. In diesem Tempus drückt πορεύομαι die gleiche Zeitrelation aus wie εἶμι. Allerdings wird mit πορεύομαι im Indikativ Präsens überwiegend eine solche Bewegung ausgedrückt, die bereits vor der Aussage begonnen hat, sich aber noch in ihrer Durchführung befindet. Das Verb ähnelt in solchen Fällen eher ἔρχομαι. Die Präferenz für den Ausdruck einer Gleichzeitigkeit zwischen Sprech- und Bewegungszeit hängt auch damit zusammen, dass πορεύομαι besonders häufig im Präsensstamm belegt ist und ein

261Die Orientierung der angedeuteten Bewegung kann in diesem Fall als zentrifugal analysiert werden, darauf weist das Vorkommen des Verbs mit dem Interrogativadverb ποῖ hin. Darüber hinaus wird πορεύομαι in der Antwort des Sokrates gleichermaßen als I-Verb verwendet.

262Hier entspricht πορεύομαι der von εἶμι ausgedrückten Zeitrelation, wie auch das Kompositum κάτειμι auf S.

Ant. 896 hinweist.

vollständiges Paradigma aufweist Bezüglich des Ausdrucks der zeitlichen Dimension einer Bewegung erweist sich πορεύομαι also als neutral und folglich flexibler als die anderen allgemeinen Bewegungsverben, weil es durch seine Verbstämme verschiedene Zeitrelationen ausdrücken kann: Im Präsensstamm ähnelt es tendenziell eher ἔρχομαι, während es im Futur εἶμι ähnlicher ist. Wenn die Verwendungen von πορεύομαι und εἶμι insgesamt verglichen werden, scheinen die beiden Verben mehr Gemeinsamkeiten zu teilen, als ἔρχομαι und πορεύομαι: Beide Verben stehen häufig in der ersten Person Singular oder in idiomatischen Ausdrücken wie dem schon zitierten Beispiel (128) (E. Med. 756 χαίρων πορεύου), um jemanden zu verabschieden.

Um das Verhältnis zwischen πορεύομαι und den anderen Bewegungsverben bezüglich der zeitlichen Dimension der Bewegung zu definieren, sind die Belege bei Menander besonders aufschlussreich. In diesem Corpus ist das einfache εἶμι nicht mehr belegt und die Futurformen von πορεύομαι haben offensichtlich dessen Funktion übernommen. Bei Menander stehen fünf von elf Belegen im Indikativ Futur:

(141)

- πορεύσομαι. / - μικρόν, γύναι, πρόσμεινον.

- poréusomai. - mikrón, gúnai, prósmeinon.

FUT.IND.SG.1 wenig Frau:VOK warten:AOR.IMP.SG.2

„Ich werde gehen. - Frau, warte noch ein wenig.“ (Men. Epit. 857-858) (142)

πορεύσομαι δέ.

- poreúsomai dé.

FUT.IND.SG.1 PTCL

„Ich werde gehen.“ (Men. Pk. 184) (143)

- πορεύσομαι. / - περιπατῶν δὲ προσμενῶ σε, <Δᾶε>,

- poréusomai - peripatôn prosmenô se, <Dâe>,

FUT.IND.SG.1 PRS.PTCP.N PTCL warten:FUT.IND.SG.1 du:AKK D.:VOK πρόσθε τῶν θυρῶν.

prósthe tôn thurôn.

vor DEF.GEN Tür:GEN.PL

„- Ich werde gehen. - Ich laufe umher und werde auf dich, Daos, vor der Tür warten.“ (Men.

Pk. 298-299)

(144)

ἆρ’ ἐγὼ πορεύσομαι / ἐπὶ τὸν Γέταν τὸν

âr' egò poreúsomai epì tòn Gétan tòn

PTCL ich:N FUT.IND.SG.1 ALL DEF.AKK G.:AKK DEF.AKK

τοῦ πατρός;

toû patrós?

DEF.GEN Pater:GEN

„Soll ich zu Getas gehen, dem Sklaven meines Vaters?“ (Men. Dysc. 181-182)

An allen oben angegebenen Stellen wird das Verb in der ersten Person Singular verwendet, um den Abgang einer Figur von der Szene anzukündigen. Die Beispiele machen deutlich, dass πορεύομαι im Futur den Ausdruck des zeitlichen Verhältnisses zwischen SZ und BZ von εἶμι übernimmt.263 Darüber hinaus ist anzumerken, dass πορεύομαι eine allgemeine Bewegung ohne eine besondere Berücksichtigung ihrer Qualität andeutet. Die durch πορεύομαι ausgedrückte Bedeutung ist hier mit derjenigen eines allgemeinen Bewegungsverbs gut vergleichbar, πορεύομαι hat εἶμι auch hinsichtlich dieses semantischen Aspektes ersetzt.

Bei Menander kommt es darüber hinaus auch vor, dass Formen der beiden Verben innerhalb von einigen wenigen Versen auf die gleiche Bewegung referieren:

(145)

πορεύσεθ’ ὡς σέ.

poreúsesth' hōs sé.

FUT.IND.SG.3 ALL du:AKK

„Sie wird zu dir kommen.“ (Men. Pk. 990)

In (145) sagt Doris Polemon, dass Glykera bestimmt zu ihm zurückkommen wird. In Men.

Pk. 978 hatte Doris das Kompositum von εἶμι durch ἀπo- verwendet, um die gleiche Bewegung auszudrücken: ἄπεισιν ὡς σέ.264 Beide Verben beziehen sich auf eine zukünftige Bewegungshandlung. Die Korrespondenz zwischen dem Futur von πορεύομαι und dem Kompositum von εἶμι ist aufgrund ihrer ähnlichen Zeitrelation an dieser Stelle anzunehmen.

Ein ähnlicher Fall ist der vorher zitierte (143): Wenige Verse früher, in Men. Pk. 294-295, befiehlt Moschion Daos, ins Haus zu gehen, damit er ihm anschließend berichten kann, was gerade darin passiert:

263Das häufige Vorkommen in der ersten Person Singular stellt eine weitere Gemeinsamkeit von εἶμι und πορεύομαι dar.

264An dieser Stelle handelt sich um eine Annäherung an den Standort der zweiten Person. Die Verwendung des Kompositums mit ἀπο- entspricht nicht derjenigen bei Aristophanes: Dort verweist es auf den Abgang einer Figur von der Bühne, vgl. SS. 139-142. Hier deutet ἄπεισιν darauf hin, dass Glykera das andere Haus verlassen wird und zu Polemon zurückkehren wird.

(146)

εἰσιὼν δέ μοι σύ, Δᾶε, τῶν

eisiòn moi sú, Dâe, tôn

hinein_PRS.PTCP.N PTCL ich:DAT du:N D.:VOK DEF.GEN

ὅλων κατάσκοπος / πραγμάτων γενοῦ, τί

hólōn katáskopos pragmátōn genoû

ganz:GEN Spion:N Sache:GEN werden:AOR.IMP.SG.2 was

ποιεῖ, ποῦ ’στιν μήτηρ,

poieî poû 'stin métēr,

machen:PRS.IND.SG.3 wo sein:PRS.IND.SG.3 DEF.N Mutter:N

„Geh voran ins Haus mir, Daos, und erkunde, wie es steht mit dem Ganzen, was das Mädchen macht und wo die Mutter ist,“ (Men. Pk. 294-295)

Auch an dieser Stelle existiert eine enge Korrespondenz zwischen πορεύομαι und dem Kompositum von εἶμι.

Die Überlappung der Funktionen und Verwendungen von πορεύομαι und εἶμι steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem allmählich selteneren Vorkommen von εἶμι: Solange beide Verben aktiv verwendet werden, sind nämlich noch Beispiele vorhanden, in denen die beiden Verben deutliche Unterschiede zeigen:

(147)

ἐγὼ γὰρ εἶμ’ ἐκεῖσ’ ὅποι πορευτέον·

egò gàr eîm' ekeîs' hópoi poreutéon;

ich:N PTCL PRS.IND.SG.3 dorthin wohin müssen_VERB-ADJ

„Ich werde dorthin gehen, wohin ich gehen muss;“ (S. Aj. 690) (148)

ὥσπερ γε καὶ ἀπορία κακόν, καὶ πᾶν, ὡς

hósper ge kaì he aporía kakón, kaì pân, hōs

wie PTCL und DEF.N Ratlosigkeit:N Böse:N und alles SBJN

ἔοικεν, ὅτι ἂν ἐμποδὼν

éoiken, hóti àn empodòn êi

scheinen:PPRF.IND.SG.3 SBJN PTCL von_den_Füßen_weg sein:PRS.KONJ.SG.3

τῷ ἰέναι καὶ πορεύεσθαι.

tôi iénai kaì poreúesthai.

DEF.DAT PRS.INF und PRS.INF

„auch die Unsicherheit ist schlecht, sowie, wie es scheint, alles, was nicht mit dem Losgehen und dem Reisen zu tun hat.“ (Pl. Cra. 415c)

(149)

καὶ ὅτι ἐὰν μέν τις εἰς τὴν

kaì hóti eàn mén tis eis tèn

und dass wenn:SBJN PTCL INDEF.N ALL DEF.AKK

Ἑλλάδα μέλλῃ ἰέναι, πρὸς ἑσπέραν

Helláda méllēi iénai, pròs hespéran

E.:AKK werden:PRS.KONJ.SG.3 PRS.INF ALL Westen:AKK

δεῖ πορεύεσθαι·

deî poreúesthai;

müssen:PRS.IND.SG.3 PRS.INF

„(Ihr wisst doch wohl), dass wenn man nach Griechenland gehen will, man gegen Abend gehen muss;“ (X. An. 5.7.6)

Bei den hier zitierten Stellen werden die Verben mit voneinander differenzierender Bedeutung verwendet. Der Unterschied liegt in der Fokussierung verschiedener Phasen der Bewegung. In (147) bezeichnet εἶμι den Anfang der Bewegung und πορεύομαι den Weg selbst. Die von πορεύομαι ausgedrückte Handlung verweist auf die Dauer der Fahrt bzw. der Reise. Genauso ist es im darauffolgenden zitierten Beispiel (148), in dem τῷ ἰέναι und πορεύεσθαι zwei Momente der Bewegung unterscheiden, den Anfang und den Durchführungsprozess. Auch in (149) wird μέλλῃ eher zur Kennzeichnung des Handlungsanfangs genutzt, während πορεύεσθαι in Kombination mit πρὸς ἑσπέραν eine Richtung ausdrückt. Die Indikation der Bewegungsdauer und die Fokussierung unterschiedlicher Bewegungsphasen differenzieren πορεύομαι in diesen Beispielen von εἶμι.