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Zusammenfassung des ersten Teils

II. Basic motion verbs im Suppletionsverhältnis: εἶμι und ἔρχομαι

3 Das Verb ἔρχομαι

3.1.3 Imperativfunktion im Kosubordinationskonstrukt

Die am Ende des vorigen Absatzes gestellten Fragen können vertieft und beantwortet werden, indem eine für das Griechische typische Satzkonstruktion in die Analyse eingeschlossen wird. Dabei handelt es sich um eine Konstruktion, in der das Partizip eines

187Der Zusammenhang zwischen dem Ausdruck einer zurückhaltenden Aufforderung und dem Aoriststamm ist von Grassi (1963) hervorgehoben worden. Eco Conti (2010: 79-82) erklärt diesen Zusammenhang mit der Zurückführung auf die aspektuelle Bedeutung des Aoriststamms: Wer fleht, der stellt sich die Realisierung seines Wunsches vor (vgl. auch Duhoux 2000: 245). In Situationen, in denen ausschlie´lich Menschen miteinander kommunizieren, wird häufiger der Präsensstamm verwendet, als wenn sich ein Mensch an eine Gottheit wendet. Für die Verteilung der Imperativformen im Präsens- und Aoriststamm bei Aristophanes vgl.

Willi 2002: 31 f.

Bewegungsverbs und ein anderer Imperativ zusammen stehen. In diesen Fällen vollzieht das Partizip den gleichen Illokutionsakt wie das übergeordnete Verb: Obwohl das Partizip dem Satzbau nach dem Verb im Hauptsatz untergeordnet ist, besteht keine semantische Bedingtheit zwischen den beiden Handlungen. Sie teilen die gleiche illokutive Funktion und drücken eine neue Information aus. Die Beziehung zwischen solchen Sätzen wird deshalb – auf einer funktionalen Ebene betrachtet – nicht als Subordination, sondern als Kosubordination definiert,188 weil beide Verben zwei symmetrische Handlungen ausdrücken. Eine ausschließlich subordinierende Konstruktion beschreibt hingegen eine logische Voraussetzung, sie definiert z.B. Zweck, zeitlichen Zusammenhang oder Modalität der Hauptsatzhandlung. Eine weitere Voraussetzung für eine Kosubordination ist eine spezifische Wortstellung: In einer solchen Konstruktion steht das Partizip vor dem Imperativ (Pompei 2003).

Abbildung 13 veranschaulicht die funktionale Struktur eines komplexen Satzes. Der Nexus definiert das Verhältnis eines zweiten Satzes zum Hauptsatz als gleichgeordnet (d.h.

Koordination) oder als untergeordnet (Dependent). Wenn sich die Unterordnung auf den syntaktischen Operator statt auf die logische Beziehung zwischen Haupt- und Nebensatz bezieht, wird von Kosubordination statt von Subordination gesprochen:

Abbildung 13: Schematische Darstellung der Struktur des komplexen Satzes (modifiziert aus Van Valin &

Lapolla 1997: 454)

Bei Aristophanes sind insgesamt neun Stellen vorhanden, in denen eine Aoristform des Partizips von ἔρχομαι zusammen mit einem Imperativ eines weiteren Verbs steht. Die beiden Verben teilen, obwohl sie unterschiedliche syntaktische Funktionen erfüllen, den gleichen direktiven illokutionären Akt: Beide Verben dienen dazu, Aufforderungen bzw. Anweisungen

188Für diesen Ansatz wird auch auf Oguse 1962; Johanson 1995; Van Valin & Lapolla 1997; Pompei 2003 verwiesen.

des Sprechers an den Hörer auszudrücken. Aufgrund dieser theoretischen Annahme ist es möglich, die Partizip-Belege in die Analyse der Bewegungsorientierung der Verben miteinzuschließen. Die folgenden Beispiele zeigen, dass das Verb entgegen der aus der Analyse gewonnenen Ergebnisse überwiegend eine zentrifugale Orientierung ausdrückt:

(59)

„Aber schnellstmöglich gehe und lerne an meiner Stelle.“ (Ar. Nu. 839) (60)

„Mein Liebstes unter den Menschen, ich flehe dich an, nun gehe und lerne.“ (Ar. Nu.

110-111)

„Gehe du zu Mittag und zieh den Schuh, damit er breiter wird.“ (Ar. Lys. 418-419)

In (59) und (60) befiehlt Strepsiades seinem Sohn Pheidippides, in die Denkwerkstatt zu gehen und zu lernen.189 In (61) soll der Schumacher zu seiner Kundin gehen und die Schuhe reparieren. An beiden Stellen entspricht das Partizip der Funktion des folgenden Imperativs und drückt eine zentrifugale Bewegung aus.190

189In (60) verstärkt ἴθ’ den darauffolgenden Imperativ. Zur Besprechung dieser Funktion des Imperativs vgl.

SS. 359-367 (Appendix 1).

190Die Ergebnisse der Analyse des Kosubordinationskonstruktes stimmen mit der Annahme von Bloch 1940 über die überwiegend zentrifugale Orientierung des Partizips Aorist überein. Zur Besprechung des Ansatzes vgl. SS. 57 f.

Ausgehend von diesen Ergebnissen kann die oben aufgestellte Hypothese zur Imperativ-Verwendung von ἔρχομαι präzisiert werden: Seine Aoristformen drücken im Kontext einer Aufforderung keine stabile Orientierung aus, sie kann sowohl zentripetal als auch zentrifugal sein. Im Unterschied zu den homerischen Belegen kann bei Aristophanes also eine Reduzierung der Formen festgestellt werden – die Präsensform des Imperativs ist nach Homer nicht mehr belegt. Darüber hinaus stellt die Spezialisierung der Aoristform des Imperativs zum Ausdruck einer zentripetalen Bewegung nur scheinbar ein eigenes Phänomen dar, es ist eigentlich nicht substanziell. Tatsächlich hängt das Vorkommen der Formen von bestimmten Kontexten ab, die selbst eine spezifische Orientierung implizieren. Die Aoristform wird deshalb verwendet, weil sie sich besonders gut eignet, eine schwache, bittende Aufforderung zu formulieren: Wenn der Ansprechpartner eine Gottheit ist, entspricht die Aufforderung dem Wunsch nach dessen Anwesenheit und Beistand. Auf diese Weise wird der Status des Angesprochenen gewürdigt und gleichzeitig wird diesem die Entscheidung überlassen, ob und wie der Bitte des Sprechenden nachzukommen ist.191

Die stabile zentripetale Orientierung ist als Konsequenz der Spezialisierung bzw.

Einschränkung der Form auf besondere Kontexte zu interpretieren. Das seltene Vorkommen der Formen zusammen mit der nicht klar erkennbaren Orientierung einiger Verbverwendungen bei den besprochenen Beispielen des Aristophanes unterstützt diese Annahme. Die diachrone Entwicklung in dem Gebrauch des Imperativs von ἔρχομαι besteht, zusammengefasst, in einer Reduzierung der Formen auf den Aoriststamm und in der Tendenz der Imperativformen, enger kontextgebunden zu werden.

3.1.4 Beschreibung einer Bewegung im Präsens

Um die deiktische Komponente von ἔρχομαι im Indikativ Präsens zu überprüfen, werden zuerst zwei Belege zitiert:

(62)

- πόθεν οὖν φράσον / αὐχμῶν

póthen oûn phráson auchmôn

Woher dann sagen:AOR.IMP.SG.2 schmutzig_sein:PRS.PTCP.N.SG βαδίζεις; - Ἐκ Πατροκλέους ἔρχομαι,

badízeis? Ek Patrokléous érchomai, PRS.IND.SG.2 ELAT P.:GEN PRS.IND.SG.1

191Anders ausgedrückt ist die Fremdbestimmung der Bewegung beim Imperativ Aorist nicht so zwingend wie bei den bisher besprochenen Verbformen und dem Imperativ Präsens.

„- Sag nun, woher kommst du denn so schmutzig? - Ich gehe/komme aus dem Haus des

“'Wohin gehst du hinunter?' 'Wohin? Ich habe Bauchgrimmen, Magenweh, also gehe ich auf den Mist'. 'Nun, gehe!'“ (Ar. Th. 483-485)

Die beiden Beispiele entstammen aus zwei Dialogsituationen: In (62) fragt eine Person nach der Herkunft der anderen (πόθεν [...] βαδίζεις)192 und in (63) fragt ein Mann seine Frau, wohin sie geht (ποῖ σὺ καταβαίνεις).193 In beiden Antworten nutzten die jeweiligen Sprecher das gleiche Verb ἔρχομαι, um zwei unterschiedliche Relationen von der figure zum ground auszudrücken. Während es sich für das Beispiel (63) um eine Entfernung vom Standort der origo handelt,194 könnte man in (62) zunächst vermuten, dass der Sprecher mit ἔρχομαι nicht auf den ihm und dem Hörer gemeinsamen Raum verweist und das Ziel seiner Bewegung mit der Position des Angesprochenen nicht übereinstimmt. Der Sprecher könnte sich durch die Verwendung von ἔρχομαι in (62) darauf beziehen, dass er bei Patrokles war und er von dort losgegangen ist: Das Treffen mit Karion, der ihn nach seiner Herkunft fragt, könnte ihn von seinem Ziel abgelenkt haben. Trotz des Mangels an weiteren Hinweisen, die das Verhältnis zwischen figure und ground näher bestimmen, wird eine zentripetale Interpretation der Bewegungsrichtung an dieser Stelle durch die Präsenz eines Ablativ-Komplements (Ἐκ

192Dieses Beispiel wird auch in der Analyse von βαδίζω in (104) und später in (275) besprochen.

193In diesem zweiten Fall handelt es sich eigentlich um einen Dialog, der von Kedestes, der als Frau verkleidet ist, wiedergeben wird: Der Mann wacht auf und sieht, wie sich seine Frau von ihm entfernt. Das Kompositum von βαίνω weist auf eine Bewegung von oben nach unten hin: Mit diesem Verb wird entweder das Herabsteigen aus dem Bett angedeutet oder das Heruntersteigen der Frau aus dem ersten Geschoss des Hauses. Für einen ausführlichen Kommentar der Stelle und die Begründung der beiden Interpretationen wird auf Russo (1962: 90) und Mastromarco (1983: 250) verwiesen.

194Da es sich an der Stelle nicht um eine Bewegung der ersten Person in Richtung der zweiten Person handelt, entspricht der Gebrauch von ἔρχομαι derjenigen eines I-Verbs.

Πατροκλέους) und durch den Dialog zwischen Plutos und Karion nahe gelegt. Die Position von Karion kann als Zwischenziel der Bewegung des Plutos verstanden werden.195

Im Corpus sind aber auch andere, deutlichere Beispiele vorhanden, in denen ἔρχομαι eine Annäherung ausdrückt und die Referenz zur origo aus dem Kontext bzw. dem Ko-Text besser herzuleiten ist. Besonders deutlich sind Beispiele, in denen das Verb in der dritten Person Singular steht:

„- Doch sag mir, wo ist der Plutos denn? - Er kommt.“ (Ar. Pl. 748-749) (65)

“Es interessiert mich wenig. Da kommen einige Männer zu mir, Gesandte mit Silberbeuteln.”

(Ar. Eq. 1195-1197)

In (64) fragt die Frau, wo Plutos sei. Karion antwortet, dass dieser gerade komme, und in der Tat tritt Plutos nach einigen weiteren Versen auf die Bühne, auf der sich Karion und dessen Frau befinden. Karion hat den sich bewegenden Plutos beobachtet und möchte ihm nach

195Ein noch weniger deutlicher Fall ist Ar. Ec. 1128-1135. Im ersten Vers (ὁδὶ γὰρ ἐπὶ τὸ δεῖπνον ἔ ρχεται.

„Dieser geht zum Essen.“) beschreibt die Sklavin ihren Herrn, der gerade zum Essen geht. Seine Bewegung könnte zwar als eine Annäherung an den Ort verstanden werden, an dem sich die Sklavin und die Chorführerin befinden, weil Blepyros gleich danach auf der Szene auftritt. Aber nach einigen Versen, in Ar.

Ec. 1135 (ἐπὶ τὸ δεῖπνον ἔ ρχομαι. „Ich gehe zum Essen.“), beantwortet Blepyros die Frage seiner Sklavin nach seinem Ziel (ποῖ ποῖ βαδίζεις; „Wohin, wohin gehst du?“): Er geht zum Essen; in diesem Fall ist die Bewegung eindeutig zentrifugal, da der Chor sich zusammen mit ihm zum Essen begibt. Das allative Komplement ἐπὶ τὸ δεῖπνον, das sowohl in Ar. Ec. 1128 als auch in Ar. Ec. 1135 steht, verweist also nicht auf den Standort der Sklavin. Eine mögliche Interpretation wäre noch, dass sich Blepyros der Sklavin nähert, die aber nicht dem endgültigen Ziel seiner Bewegung entspricht. In diesem Fall bezöge sich ἔρχεται auf eine allgemeine Annäherung aus der Perspektive der Sklavin.

einigen Versen entgegenkommen (vgl. Ar. Pl. 770). In (65) meldet Agorakritos die Ankunft einiger Boten auf der Szene. Das allative Komplement ὡς ἔμ’ weist deutlich erkennbar auf den Standort des Sprechers hin. Bei diesen letzten beiden Beispielen handelt es sich ganz sicher um eine Annäherung einer dritten Person an die origo.196

Ein weiteres Beispiel in der dritten Person Singular illustriert die gegensätzliche Orientierung des Verbs:

(66)

Ὀρχησομένη γὰρ ἔ ρχεθ’ ὡς ἄνδρας τινάς.

Orchēsoménē gàr ércheth' hōs ándras tinás.

tanzen:FUT.PTCP.N.SG PTCL PRS.IND.SG.3 ALL Mann:AKK INDEF.AKK

„Sie geht tanzen zu einigen Herren.“ (Ar. Th. 1178)

An dieser Stelle spricht Euripides, er macht den skythischen Wächter auf eine Tänzerin aufmerksam, um ihn abzulenken und so Kedestes retten zu können: Er sagt, dass das attraktive Mädchen zu einigen Männern (ὡς ἄνδρας τινάς) tanzen ginge. Die Bewegung ist in diesem Fall als zentrifugal zu interpretieren.

Die Verwendung des Verbs in den Komödien des Menander, die insgesamt 7-mal im Indikativ Präsens belegt ist, ist mit derjenigen bei Aristophanes vergleichbar. Beispiele für zentripetale Bewegungen sind Men. Dysc. 204 und Men. Sam. 435, in denen die Ankunft einer Person auf der Szene angekündigt wird.197 Für eine zentrifugale Bewegung hingegen können Men. Sam. 693-694 und Men. Epit. 462-463 zitiert werden:

(67)

ὡς ὁρᾶις, ἤδη βαδίζει κἀστὶν ἐν

hōs horâis, édē badízei kastìn en

SBJN sehen:PRS.IND.SG.2 PTCL PRS.IND.SG.3 und_sein:PRS.IND.SG.3 in

ὁδῶ[ι. νῦν δὲ χρὴ / κἀμὲ τοὺς ἔνδον

hodōi. nûn chrè kamè toùs éndon

Weg:DAT nun PTCL Bedarf:N und_ich:AKK DEF.AKK innen

προσειπεῖν· ἔρχο[μ’ ἤδη.

proseipeîn; érchom' édē.

verabschieden:AOR.INF PRS.IND.SG.1 PTCL

196Dazu noch Ar. V. 1415-1416 ὁδί τις ἕτερος, ὡς ἔοικεν, ἔ ρχεται / καλούμενός σε· „Wie es scheint, kommt wieder einer, der dich vorlädt;”. An der Stelle kündigt Bdelykleon Philokleon an, dass gerade ein Mann kommt, um ihn anzuklagen. Die Standorte von Vater und Sohn stimmen überein, es handelt sich um eine Bewegung, die sich in ihre Richtung vollzieht. Andere Beispiele einer solchen Annäherung sind: Ar. V. 1504-1506; Ar. Lys. 1238-1239; Ar. Ach. 908; Ar. Av. 268.

197Vgl. darüber hinaus: Men. Epit. 170-171; Men. Dysc. 256, 404-405.

„Wie du siehst, er geht schon und ist auf dem Weg. Nun muss ich auch diejenigen im Hause verabschieden. Ich gehe schon.“ (Men. Sam. 693-694)

(68)

ἥξω διαδραμών — εἰς πόλιν γὰρ

héxō diadramón eis pólin gàr

FUT.IND.SG.1 rennen_durch:AOR.PTCP.N.SG ALL Stadt:AKK PTCL

ἔρχομαι / νυνί —

érchomai nuní

PRS.IND.SG.1 nun

„Beim Rennen werde ich da sein – nun gehe ich in die Stadt – „ (Men. Epit. 462-463)

Sowohl in (67) als auch in (68) handelt es sich um eine Entfernung des Sprechers von seinem aktuellen Standort: Im ersten Beleg teilt Parmenon Demea mit, dass dessen Sohn Moschion in den Krieg marschiere und er selbst im Begriff sei, ihm zu folgen (ἔρχο[μ’ἤδη). Das Beispiel ist ein komitativer Fall, da die Bewegung der ersten Person aber in Richtung der dritten geschieht, ist der Typologie nach die Auswahl eines V-Verbs nicht geeignet (vgl. SS. 38-41).

Beispiel (68) stammt aus einem Dialog zwischen Syriskos und Onesimos: Der Erste sagt dem Zweiten, dass er bald wieder zurück sein werde (ἥξω διαδραμών), jetzt aber in die Stadt gehe (εἰς πόλιν γὰρ ἔρχομαι / νυνί).

Ausgehend von den zitierten Beispielen wird deutlich, dass ἔρχομαι im Indikativ Präsens sowohl eine Entfernung von der origo als auch eine Annäherung zu ihr ausdrücken kann, also nicht stabil orientiert sind. Nur auf Basis der kontextuellen Angaben wird die Richtung der Bewegung deutlich. Fehlen allerdings Hinweise aus dem Kontext, ist die Bewegungsorientierung nur schwer zu bestimmen. Zur Illustration seien auch die folgenden Beispiele zitiert:

(69)

- Ἡδὶ γοῦν τις αὐτῶν ἔρχεται. / Αὕτη

hēdì goûn tis autôn érchetai. haútē

DEM.SG.F PTCL INDEF.N DET.GEN.PL PRS.IND.SG.3 DEM.N.F

σὺ ποῖ θεῖς; - οἴκαδ᾽ ἐλθεῖν

poî theîs? Oíkad' eltheîn

du:N wohin rennen:PRS.IND.SG.2 nach_Hause:ALL AOR.INF βούλομαι.

boúlomai.

wollen:PRS.IND.SG.1

„- Eine von denen kommt. Und du, wohin rennst du? - Ich möchte nach Hause gehen.“ (Ar.

Lys. 727-728)

(70)

Καὶ τοῦτ’ ἀναθήσων ἔ ρχομαι πρὸς

Kaì toût' anathésōn érchomai pròs

und DEM.AKK.NEU opfern:FUT.PTCP.N.SG PRS.IND.SG.1 ALL

τὸν θεόν.

tòn theón.

DEF.AKK Gott:AKK

„Ich gehe zum Gott, zum Opfern dieses.“ (Ar. Pl. 844)

Das erste Beispiel ist dem in Ar. Ec. 1128-1135 ähnlich (vgl. Fn. 195): Eine Frau nähert sich dem Ort, an dem sich Lysistrate befindet, möchte aber, wie sie selbst auch ankündigt, nach Hause gehen (οἴκαδ᾽ἐλθεῖν βούλομαι). Hier drückt das Verb im Präsens eine Annäherung an Lysistrate aus, ohne dass diese dem Ziel der Bewegung entspricht. Im Infinitiv Aorist verweist es auf eine Entfernung.198 In (70) beschreibt πρὸς τὸν θεόν die Richtung der Bewegung. Es ist jedoch auch hier schwierig, den Referenzrahmen der einzelnen sprechenden Figuren, des Gerechten und Karions, zu bestimmen. Ähnlich hatte der Gerechte bereits in Ar. Pl. 827-828 und 840-841 den Grund für seine Anwesenheit benannt:

(71)

πρὸς τὸν θεὸν / ἥκω.

Pròs tòn theòn hékō.

ALL DEF.AKK Gott:AKK PRS.IND.SG.1

„Ich bin zum Gott gekommen.“ (Ar. Pl. 827-828) (72)

ἀνθ᾽ ὧν ἐγὼ πρὸς τὸν θεὸν / προσευξόμενος

anth' hôn egò pròs tòn theòn proseuxómenos

wegen REL.GEN ich:N ALL DEF.AKK Gott:AKK danken:FUT.PTCP.N

ἥκω δικαίως ἐνθάδε.

hékō dikaíōs entháde.

PRS.IND.SG.1 gerecht:ADV hierher

„Ich bin hierher gekommen, um dem Gott herzlich dafür zu danken.„ (Ar. Pl. 840-841) Er ist zum Tempel gekommen, um sich bei dem Gott zu bedanken. Der Gerechte hat sein Vorhaben noch nicht ausgeführt, ist aber im Begriff, dies zu tun. Aufgrund der perfektiven Semantik von ἥκω kann und muss hier von einer räumlichen Übereinstimmung der Standorte von Sprecher und Ausgesprochenen ausgegangen werden (vgl. Analyse von ἥκω auf SS. 90-92): Im Vergleich zu den folgenden Versen in (70), in denen der Gerechte (figure) das Verb

198Für die Besprechung der Stelle vgl. auch S. 344.

ἔρχομαι gebraucht, beziehen sich seine Worte in (71) und (72) auf einen Bezugsrahmen, welcher sich von seinem früheren Standort unterscheidet und gleichzeitig den aktuellen Standort der an der Sprechsituation Beteiligten (des Karion und des Gerechten) einschließt.

Das Komplement πρὸς τὸν θεὸν in (71) und (72) stimmt mit dem Ziel der Bewegung und dem aktuellen gemeinsamen Standort des Sprechers und des Hörers überein, in ihrer Nähe befindet sich auch der Gott.199 Im Unterschied zu den vorherigen Versen wird in (70) aber das Verb ἔρχομαι verwendet. Hier drückt das Verb eine weitere Fortbewegung des Gerechten aus, hin zum genauen Standort des Gottes, der sich nicht auf der Szene befindet: Um sein Opfervorhaben gegenüber dem verehrten Gott zu erfüllen, geht er, ihm einen alten Mantel weihen (τοῦτ’ἀναθήσων) – wird davon aber durch die Ankunft eines Sykophanten in Ar. Pl.

850 abgehalten. Die Worte des Karion in Ar. Pl. 849 (χαρίεντά γ᾽ἥκεις δῶρα τῷ θεῷ φέρων.

„Du bist mit schönen Geschenken für den Gott gekommen.“) beziehen sich wie in (71) und (72) auf den gemeinsamen Standort von Sprecher und Angesprochenem, der kognitiv auch den Gott einschließt, obwohl dieser sich eigentlich außerhalb der Szene befindet. Die Verwendung von ἔρχομαι an dieser Stelle (70) ist bemerkenswert, weil das Verb in der Aussage des Gerechten vorkommt, als dieser im Begriff ist, sich zum Gott zu begeben, und deshalb seinen Standort von demjenigen seines Angesprochenen unterscheidet. Die Nutzung von ἥκω ist in diesem Fall nicht möglich, weil das Verb einen gemeinsamen Standort der an der Sprechsituation beteiligten Personen impliziert. In Ar. Pl. 849 kann ἥκω von Karion nur deshalb verwendet werden, weil er das Gespräch mit dem Gerechten kommentiert und sich dabei auf dessen vorherige Ankunft bezieht.200

Ein letztes signifikantes Beispiel deutet auf die Schwierigkeit der Richtungsbestimmung der durch ἔρχομαι beschriebenen Bewegung hin, wenn kontextuelle Angaben nicht in ausreichender Menge vorhanden sind:

(73)

Ἀμέλει, ποήσεις τοῦτο·

amélei, poéseis toûto;

keine_Sorge_haben:PRS.IMP.SG.2 tun:FUT.IND.SG.2 DEM.AKK.NEU

199Das Komplement πρὸς τὸν θεὸν verweist auf Plutos, der sich im Moment im Haus des Chremylos befindet.

Das Haus ist auf der Bühne zu sehen. Der Referenzrahmen der sprechenden Figuren in (71) und (72), in denen ἥκω verwendet wird, umfasst offensichtlich einen Raum, der auch das Gebäude einschließt.

200Die nächste Stelle ist ebenfalls repräsentativ für die schwache Orientierung von ἔρχομαι: Ar. Av. 1712-1713 οἷον ἔ ρχεται / ἔχων γυναικὸς κάλλος οὐ φατὸν λέγειν, „So geht er mit der unaussprechlichen Schönheit einer Braut.“ Dass es in diesem Beispiel um eine Annäherung von Pisthetairos an den Chor geht, wird durch das Kompositum von ἔρχομαι (προσέρχεται) deutlich, das in Ar. Av. 1709 verwendet wird, d.h. kurz vor der hier zitierten Stelle. Die Richtung der Bewegung des Pisthetairos wäre allein, d.h. ohne das Präverb des Kompositums, nicht eindeutig zu bestimmen.

ταχὺ γὰρ ἔ ρχομαι.

tachù gàr érchomai.

schnell PTCL PRS.IND.SG.1

“Keine Sorge, du wirst dies tun; ich gehe/komme dann schnell.“ (Ar. Lys. 935)

Diese Stelle stammt aus einem Dialog zwischen Myrrhine und ihrem Mann Kinesias: Die Frau täuscht ihrem Mann vor, sie wolle mit ihm ins Bett gehen, findet aber ständig neue Vorwände, um dies nicht zu tun. Am Ende verschwindet sie von der Szene und lässt ihren enttäuschten Mann zurück. Im zitierten Vers will Myrrhine eine Decke holen. Ihre Worte ταχὺ γὰρ ἔρχομαι können sowohl als eine kurze Entfernung ('gehen') als auch als eine Wiederannäherung ('kommen') nach einer kurzen Abwesenheit interpretiert werden. Aus dem sprachlichen Kontext können keine weiteren Angaben entnommen werden und das Verb allein reicht nicht aus, um die Bewegungsorientierung zu bestimmen. Myrrhines Bewegungsrichtung ist ohne weiteren Kontext zwar nicht zu bestimmen, trotzdem stellt dies für die Deutung der Szene selbst kein Hindernis dar. Aufgrund ihres bisherigen Verhaltens ist für den Zuschauer bereits klar, dass sie nur kurz weggeht und gleich danach mit einer Decke zurückkehren wird. Was für die vorliegende Untersuchung unklar bleibt, ist der Bezugsrahmen der Aussage von Myrrhine: Welcher Teil ihrer Bewegung wird durch ihre Aussage verbalisiert? Mangels einer stabilen Orientierung der vom Verb ausgedrückten Fortbewegung hängt die Bestimmung der Richtung von kontextuellen Angaben ab: Das Verb kann durch ein allatives bzw. ablatives Komplement zwar einen Hinweis auf das Ziel oder die Quelle der Bewegung geben, aber solche internen Rauminformationen reichen zur Identifizierung der Bewegungsorientierung manchmal nicht aus, weil sie nicht explizit auf den Standort der origo referieren. Im Fall von ἔρχομαι ist die räumliche Dimension nicht ausreichend, um die Auswahl des Verbs zu erklären. Im nächsten Abschnitt wird die vom Verb ausgedrückte Zeitrelation zwischen SZ/BZ besprochen.

3.2 Analyse der Zeitrelation SZ/BZ

Wie schon im Fall anderer Bewegungsverben gezeigt wurde, kann die Auswahl des Verbs ἔρχομαι im zweiten Kontext durch die Rückführung auf die temporale Dimension besser verstanden werden. Der Ausdruck einer stabilen zeitlichen Relation zwischen coding time und reference time stellt das entscheidende Kriterium für die Auswahl des Verbs dar.

Werden noch einmal alle im vorigen Abschnitt zitierten Stellen betrachtet, drückt

ἔρχομαι immer eine Bewegung aus, die zum Äußerungszeitpunkt bereits begonnen hat und

ἔρχομαι immer eine Bewegung aus, die zum Äußerungszeitpunkt bereits begonnen hat und