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Zusammenfassung des ersten Teils

II. I Artverben als basic motion verbs: βαίνω, βαδίζω, πορεύομαι und χωρέω

3 Χωρέω: Die Fortentwicklung der Bewegung

3.2 Überprüfung der deiktischen Orientierung .1 Aufforderung zur Bewegung

Χωρέω ist zum Ausdruck einer Aufforderung zur Bewegung nicht stabil orientiert, d.h.

es codiert keinen festen Bezug der figure auf die Position der origo: Bei den unten vorgelegten Beispielen entspricht das erste offensichtlich einer zentrifugalen Bewegung, während es sich in den letzten beiden Belegen um eine Annäherung an den Sprecher handelt:

(150)

ἄγε δὴ χαίρων, Αἰσχύλε, χώρει, / καὶ

áge chaírōn, Aischúle, chórei, kaì

nun PTCL glücklich_sein:PRS.PTCP.N A.:VOK PRS.IMP.SG.2 und

σῷζε πόλιν τὴν ἡμετέραν

sôize pólin tèn hēmetéran

retten:PRS.IMP.SG.2 Stadt:AKK DEF.AKK unser:POSS.AKK

„Glück auf den Weg, mein Aischylos! Gehe und rette unsere Stadt“ (Ar. Ra. 1500-1501) (151)

χώρει δευρί, δεῖξον σαυτὸν / τοῖσι θεαταῖς,

chórei deurí, deîxon sautòn toîsi theataîs,

PRS.IMP.SG.2 hierher PRS.IMP.SG.2 du:REFL.AKK DEF.DAT Zuschauer:DAT

„Nun komm hierher und laß vor dem Publikum dich sehen,“ (Ar. Nu. 889-890) (152)

μηδαμῶς, πρὸς τῶν θεῶν, / προδῷς

mēdamôs, pròs tôn theôn, prodôis

ADV bei DEF.GEN Gott:GEN verlassen: AOR.KONJ.SG.2

με. Χώρει δεῦρο.

me. Chórei deûro.

ich:AKK PRS.IMP.SG.2 hierher

„Bei allen Göttern, lass mich nicht im Stich! Komm hierher!“ (Ar. Th. 228-229)

In (150) verabschiedet sich Pluton von Aischylos (χαίρων) und wünscht ihm eine gute Heimreise nach Athen.270 In (151) und (152) verweisen die Adverbien δευρὶ und δεῦρο

270Χαίρων wird auch in Ar. Pax. 154 verbunden mit χωρέω verwendet, wo sich Sprecher und Angesprochener gemeinsam bewegen, vgl. (158). Für das Vorkommen von χαίρων zusammen mit dem Imperativ eines weiteren Bewegungsverbs innerhalb einer Verabschiedung vgl. SS. 174 f. und Fn. 202 S. 135.

hingegen deutlich auf einen Ort, welcher mit der Position des Sprechers übereinstimmt: In (153) lädt der Anwalt der guten Sachen seinen Gegner, den Anwalt der schlechten Sachen, zu sich ein und ermuntert ihn, vor dem Publikum aufzutreten. Im letzten Beispiel fleht Euripides Kedestes an, zu ihm zu kommen.

Die kommentierten Imperativ-Beispiele zeigen deutlich, dass χωρέω keine kohärente Relation zwischen figure und ground ausdrückt und die von diesem Verb ausgedrückte Bewegung in diesem Kontext nicht orientiert ist.

3.2.2 Beschreibung einer Bewegung im Präsens

Die Analyse der Verwendung des Verbs im Indikativ Präsens bestätigt die Ergebnisse derjenigen im Imperativ: Auch in diesem Fall weist das Verb keine stabile Orientierung auf und kann sowohl eine Annäherung der figure zur origo als auch eine Entfernung ausdrücken:

(153)

ποῖ σύ, ποῖ / χωρεῖς μετὰ ταύτης;

poî sú, poî chōreîs metà taútēs?

wohin du:N wohin PRS.IND.SG.2 mit DEM.GEN.SG.F

„Wohin, wohin gehst du mit dieser [i.e. Frau]?“ (Ar. Ec. 1065-1066) (154)

καὶ μὴν ἀπὸ τῆς Σπάρτης οἱδὶ πρέσβεις

kaì mèn apò tês Spártēs hoidì présbeis

und PTCL ABL DEF.GEN S.:GEN DEM.N.PL Botschaft:N.PL

ἕλκοντες ὑπήνας χωροῦσ᾽,

hélkontes hupénas chōroûs',

ziehen:PRS.PTCP.N.PL Bart:AKK.PL PRS.IND.PL.3

„und aus Sparta kommen diese Botschafter mit langem Bart,“ (Ar. Lys. 1073-1074)

In (153) deutet die Frage nach dem Ziel der Bewegung der zweiten Person auf die Entfernung des Angesprochenen von dem Ort hin, an dem er sich gerade (noch) gemeinsam mit dem Sprecher befunden hat.271 Der zweite oben vorgelegte Beleg bietet hingegen ein Beispiel für die gegensätzliche Orientierung, d.h. eine Annäherung: Hier meldet der Chorleiter (ground), dass die Botschafter aus Sparta (figure) sich nähern. Die darauffolgenden Verse, in denen der Chorleiter mit einem der Botschafter spricht, bestätigen, dass χωροῦσ᾽ eine

271Ein weiteres Beispiel von Entfernung ist Ar. Av. 1715-1716 ὀσμὴ δ’ἀνωνόμαστος εἰς βάθος κύκλου / χωρεῖ,

„Ein unnennbarer Duft geht in die Tiefe des Weltalls.“ An dieser Stelle wird das Hinaufsteigen des Duftes in den Himmel aus der Perspektive des Sprechers beschrieben, eine nicht-animierte Figur vollzieht die Bewegung. Dabei handelt es sich nicht um einen Sonderfall; χωρέω wird regelmäßig genutzt, um auf eine Bewegung eines nicht-animierten Objektes zu verweisen, vgl. SS. 202-206.

Annäherungsbewegung ausdrückt.

Die kommentierten Beispiele zeigen, dass χωρέω sowohl im ersten als auch im zweiten Kontext gegensätzliche Orientierungen in Bezug auf die origo ausdrücken kann. Die räumliche Relation zwischen figure und ground wird durch das Verb nicht stabil codiert.

Darüber hinaus kann in Bezug auf den Verbgebrauch beobachtet werden, dass das Verb nur selten durch weitere räumliche Komplemente ergänzt wird, ähnlich, wie es bereits für das Verb πορεύομαι festgestellt werden konnte. Im besten Fall ist es durch die Berücksichtigung von Kontext und Handlungsverlauf möglich, die Bewegung in Relation zum Sprecher zu setzen und so ihre Richtung zu definieren. Bei Stellen, deren Bewegungsrichtung von χωρέω nicht präzisiert werden kann, handelt es sich vor allem um solche, an denen der Chorführer die Tanzbewegungen des Chors durch Befehle steuert, wie im nächsten Beispiel im Fall des Imperativs:

(155)

χωρεῖτε νῦν / ἱερὸν ἀνὰ κύκλον θεᾶς,

chōreîte nûn hieròn anà kúklon theâs,

PRS.IMP.PL.2 nun heilig:AKK ALL Kreis:AKK Göttin:GEN ἀνθοφόρον ἀν’ ἄλσος,

anthophóron an' álsos, blumig:AKK ALL Hain:AKK

„Nun geht in den heiligen Kreis der Göttin, in den blumigen Hain,“ (Ar. Ra. 440-441)

In (155) spricht der Chorführer zu den anderen Chormitgliedern und fordert sie zu einer bestimmten Bewegung auf, deren Ablauf durch ἱερὸν ἀνὰ κύκλον beschrieben wird. Dieses Komplement beschreibt vorrangig das gesamte Aussehen der kreisförmigen Bewegung, es verweist weder auf ihren Ausgangsort noch auf ihr Ziel und drückt schließlich noch weniger eine Relation zum Standort des Sprechers aus. Da das Verb deiktisch nicht stabil orientiert ist, bleibt es in diesem Fall schwierig, die Relation zwischen figure und origo zu definieren.272 Die räumlichen Verhältnisse scheinen für die Auswahl des Verbs keine entscheidende Bedeutung zu haben.

Im Folgenden soll χωρέω hinsichtlich der ausgedrückten Zeitrelation SZ/BZ und anderer semantischer Merkmale untersucht werden. Auf diese Weise soll das Verwendungspotenzial von χωρέω eingegrenzt und die Konzeptualisierung der Fortbewegung

272Dies ist auch in den folgenden Beispielen zu beobachten: Ar. V. 230, 245-246; Ar. Th. 953-954; Ar. Ec. 289.

Zum häufigen Vorkommen des Verbs zur Beschreibung einer Bewegung des Chors oder einer Gruppe vgl.

SS. 202-206.

im Vergleich zu den anderen allgemeinen Bewegungsverben definiert werden.

3.3 Analyse der Zeitrelation SZ/BZ

Die Verteilung der Formen des Verbs (vgl. Tabelle 24) zeigt deutlich, dass χωρέω bevorzugt im Präsensstamm vorkommt – die anderen Verbstämme sind eher selten belegt.

Was die Relation zwischen SZ und BZ im ersten Kontext betrifft, übt der Modus Imperativ auch hier seinen Einfluss darauf aus: Das übliche Verhältnis in diesem Kontext ist SZvorBZ, die Durchführung der Fortbewegung folgt auf die Äußerung der Aufforderung. Im unten zitierten Beleg kann aber auch angenommen werden, dass die ausgedrückte Bewegung sich zur Sprechzeit bereits in ihrer Durchführung befindet und der Imperativ dazu dient, anzudeuten, dass die Bewegung weiterhin fortgesetzt werden soll. Die Zeitrelation nähert sich in diesem Fall SZ=BZ:

(158)

Κᾆτα δρομαίαν πτέρυγ᾽ ἐκτείνων / ὀρθὸς

kâita dromaían ptérug' ekteínōn orthòs

und_PTCL schnell:AKK Flügel:AKK aus_breiten:PRS.PTCP.N.SG direkt

χώρει Διὸς εἰς αὐλάς,

chórei Diòs eis aulás,

PRS.IMP.SG.2 Zeus:GEN ILL Raum:AKK

„Breite deine schnellen Flügel aus und galoppiere mir gerade zum Hof des Zeus,“ (Ar. Pax 160-161)

Trygaios richtet sich hier an seinen Mistkäfer, auf dem er in Richtung Himmel fliegt. Es handelt sich bereits um die dritte Aufforderung des Trygaios an den Mistkäfer.273 Χώρει kommt hier nach einer Reihe von Bewegungsverben vor, die darauf schließen lassen, dass der Flug des Mistkäfers in den Himmel bereits begonnen hat.274

Im zweiten Kontext entspricht das vom Verb ausgedrückte Zeitverhältnis der Relation SZ=BZ: Die beschriebene Bewegung befindet sich zur Sprechzeit mitten in ihrer Durchführung. Für Beispiele wird auf (153)-(154) und die im nächsten Abschnitt zitierten Stellen verwiesen: An allen Stellen hat die Bewegungshandlung bereits begonnen, wenn der Sprecher die Bewegung ausdrückt. Während durch χωρέω also keine stabile räumliche Relation codiert wird, drückt das Verb eine stabile zeitliche Relation zwischen SZ und BZ aus, die derjenigen des anderen allgemeinen Bewegungsverbs, ἔρχομαι, ähnelt. Im nächsten

273Vgl. (157) und (158) im nächsten Abschnitt.

274Das Adverb κᾆτα bezieht sich auf diese Reihenfolge von Befehlen.

Abschnitt werden die Ergebnisse aus der Raum- und Zeitanalyse des Verbs zusammengefasst und das Verhältnis von χωρέω zu den anderen allgemeinen Bewegungsverben näher definiert.

Dabei wird auch nach weiteren Merkmalen bzw. typischen Verwendungen des Verbs gesucht.