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I. II Auswahlkriterien der allgemeinen Bewegungsverben

2 Grundlegende Oppositionen: Prototypische Kontexte für die Identifizierung räumlich-deiktischer Relationen

2.2 Aufforderung zu einer Bewegung

Die Darstellung der ersten Dialogsituation hat den wesentlichen Unterschied zwischen den Sprachen der ersten zwei Gruppen, welche über ein Paar gegensätzlich orientierter Bewegungsverben verfügen, und denjenigen der dritten Gruppe hervorgehoben, in denen Deixis kein entscheidender Faktor für die Auswahl eines Bewegungsverbs ist. Der nächste Kontext stellt ein aufschlussreiches Beispiel dar: Hier ist die deiktische Opposition zwischen einer zur origo gezielten oder nicht-gezielten Bewegung noch stärker als im vorigen besprochenen Fall, sodass in diesem Kontext auch einige der nicht-deiktischen Sprachen eine grundlegende deiktische Opposition zwischen zwei Bewegungsverben aufweisen. Es handelt sich um die Aufforderungen des Sprechers an den Hörer, sich zu bewegen: Die Veränderung der räumlichen Relation betrifft in diesem Fall die an der Rede beteiligten Aktoren, welche ground und figure darstellen; die zeitliche Relation bei einer solchen Aufforderung setzt voraus, dass die Durchführung der Bewegung ihrer sprachlichen Codierung folgt (SZ<BZ):59

(4a) Hey you, MOVE here! (4b) MOVE to Peter's house now!

it. Ehi, vieni qui va' subito a casa di Peter ung. Hé, gyere ide Menj rögtön Péter lakására

dt. Komm her Geh sofort zu Peters Haus

russ. Ej, ty, idi / pojdi sjuda! Idi nemedlenno k Petru ukr. Gey ty, jdy-no sjudy Jdy-no do Pitera dodomu pol. Chodź / Przyjdź tu Idź do Piotra

tsch. Ty, pojd'sem Jdi k Petrovi60

(Ricca 1993: 81, 89 f.) Die Beispiele der ersten drei Sprachen (sie gehören zu den ersten zwei Typen) zeigen, wie

Vergangenheit bereitet.

59 Im Griechischen kann der Imperativ auch genutzt werden, um einer dritten Person einen Befehl zu erteilen.

In diesem Fall stellt die dritte Person die figure und der Sprecher den ground dar. Die sich verändernde räumliche Relation zwischen ihnen ist auch in diesem Fall als eine Annäherung bzw. eine Entfernung zu deuten. Es muss darüber hinaus die effektive zeitliche Relation zwischen Ausdruck der Aufforderung und Durchführung der Bewegung berücksichtigt werden: Dabei spielen die Dringlichkeit des Befehls des Sprechers und der Widerstand der figure bei seiner Durchführung eine große Rolle (vgl. SS. 37-49).

60 Ricca (1993: 89) weist darauf hin, dass die russischen, polnischen und tschechischen Antworten dem Kontext im Englischen von (4b) nicht vollkommen entsprechen, weil die Bewegung Peter selbst und nicht sein Haus als Ziel definiert. Im zweiten Fall handelt es sich aber trotzdem um eine Bewegung-weg-vom-Sprecher.

vom ersten Kontext zu erwarten, eine Opposition zwischen einem V-Verb und einem I-Verb auf. V-Verb und I-Verb konzipieren die Bewegung der figure in Referenz zur origo unterschiedlich und drücken sie dementsprechend aus. Die slawischen Sprachen (die letzten vier aufgelisteten), die in der ersten prototypischen Sprechsituation keine räumlich-deiktischen Relationen ausdrücken, verhalten sich auf zwei unterschiedliche Arten: Während das Russische und das Ukrainische den Erwartungen entsprechen – also dasselbe Lexem nutzen –, ist im Polnischen und im Tschechischen eine deiktische Opposition unter den Bewegungsverben – wenn auch nicht vollkommen realisiert – zu beobachten: Die Verbformen pol. idź bzw. tsch. jdi und pol. chodź / przyjdź bzw. tsch. pojd' scheinen auf eine gegensätzliche räumliche Orientierung der Bewegung hinzuweisen.61

Die Realisierungen dieses zweiten Kontextes deuten darauf hin, dass Deixis eine skalare Kategorie innerhalb einer Sprache darstellt: Die Zuschreibung von einer Sprache zu einem bestimmten Typ entspricht einer überwiegenden Tendenz und die verschiedenen Sprachen derselben Gruppe zeigen unterschiedliche Abstufungen desselben Phänomens.

Darüber hinaus koexistieren zahlreiche Faktoren in der Semantik der Lexeme: Die verschiedenen Kontexte aktivieren dann den einen oder den anderen Aspekt und erweisen sich deshalb als mehr oder weniger geeignet für die Untersuchung deiktischer Aspekte.

2.3 Woher...? / Wohin...? und Bewegungsverb

Der dritte ausgewählte Kontext dient dazu, eine weitere Eigenschaft der deiktischen allgemeinen Bewegungsverben im Vergleich zu den nicht-deiktischen Bewegungsverben zu erörtern. Ein Vergleich zwischen deiktischen und nicht-deiktischen Sprachen zeigt auf, inwiefern die kontextgebundene Verbauswahl einen Einfluss auf die syntaktische Konfiguration des Satzes ausübt: Die orientierten Bewegungsverben haben im Unterschied zu den anderen Bewegungsverben ein stabiles Verhältnis zu den Interrogativadverbien (Woher...?

/ Wohin...?), weil sie bereits einen Hinweis auf einen Teil des Quelle-Weg-Ziel-Schemas voraussetzen: Aufgrund der stabil codierten Relation der Figur zur Position des Sprechers enthält das V-Verb Informationen über das Ziel der Bewegung und das I-Verb über die Quelle oder den Weg bzw. die Strecke:

61 Der Unterschied bei den verwendeten Verben besteht meistens in ihrer Präfigierung. Diese dient in den slawischen Sprachen üblicherweise zur Unterscheidung verschiedener Aktionsarten. Da aber die Aktionsart in den gegensätzlichen Situationen konstant bleibt, kann die Hypothese aufgestellt werden, dass die Präfigierung konträre Raumrelationen differenziert (Ricca 1993: 89 f.). Für die slawischen Sprachen wird auf Grenoble 1995, Breu 2000, Slobin 2004: 8 und speziell für das Polnische auf Lewandowski 2007: 78-82 verwiesen.

Abbildung 7(a/b): Verhältnis ground / figure im dritten prototypischen Kontext

Die sprachlichen Codierungen in den drei bereits vorgestellten Sprachtypen veranschaulichen die möglichen Kopplungen der Verben mit den interrogativen Raumadverbien:

(5a) Where you MOVE from?

it. da dove vieni?

dt. Wo kommst du her?

russ. Otkuda ty idëš'?

ukr. Zvidky ce ty jdeš?

lit. Iš kur tu eini?

(5b) Where you MOVE?

Dove vai?

Wo gehst du hin?

Kuda ty idëš'?

Kudy ce ty jdeš?

Kur eini?

(Ricca 1993: 85-87) Das Italienische und das Deutsche verwenden, wie zu erwarten, zwei unterschiedliche Lexeme für die zwei gegensätzlich orientierten Bewegungen. Bei den Beispielen der ersten Spalte, in denen das V-Verb ausgewählt wird, stellt das Ziel der Bewegung die bekannte Angabe dar; bei der Auswahl des I-Verbs in der zweiten Spalte ist hingegen der Ausgangspunkt der Bewegung die bereits bekannte Rauminformation. Die Sprachen der dritten Gruppe (russ., ukr., lit.) verwenden hingegen zweimal dasselbe Bewegungsverb, wie schon in den zwei vorigen Analysekontexten herausgestellt wurde.

Die Kopplung mit einem bestimmten Raumadverb ist bei den deiktisch orientierten Bewegungsverben eine Konstante und wird von der stabil ausgedrückten Relation zwischen figure und ground vorausgesetzt. Bei denjenigen Sprachen, die deiktische Aspekte durch Bewegungsverben ausdrücken, sind Kombinationen von Verben und interrogativen Raumadverbien wie in *Where do you go from? oder *Where do you come? nicht belegt,62 weil die räumlichen Informationen der Interrogativadverbien und die deiktische Komponente

62 Genauso im Italienischen und Deutschen: *Da dove vai? / *Dove vieni?; *Woher gehst du? / *Wohin kommst du?

der Verben nicht zueinander passen: Da die Position des Sprechers bereits vom Verb ausgedrückt wird, stellt im Fall eines I-Verbs die Frage nach der Herkunft und im Fall eines V-Verbs diejenige des Ziels eine überflüssige Wiederholung von bereits bekannten Informationen dar. Der Vergleich zu anderen nicht-deiktischen Bewegungsverben hebt den Unterschied in der Kopplung mit diesen Interrogativadverbien deutlich hervor, da hier keine Einschränkungen vorkommen. Die Bewegungsverben leave und arrive63 z.B. weisen deutlich auf einen Moment bzw. eine Phase der Bewegung hin: das erste fokussiert den Anfang und das zweite die Endphase. Sowohl die Kopplungen Where do you leave? und Where do you arrive from? als auch Where do you leave from? oder Where do you arrive? wären innerhalb einer Dialogsituation möglich. Im ersten Fall kann die Auswahl der Verben im Verhältnis zum Standort des Sprechers zur Sprechzeit gestellt werden und deshalb als deiktisch interpretiert werden; im zweiten Fall ist hingegen eine deiktische Interpretation des Verbgebrauches ausgeschlossen. Da aber im Unterschied zu come und go kein verbindlicher Bezug auf die Position der origo besteht, ist auch die zweite Kopplung möglich.

Die Analyse dieses dritten Kontextes bei den allgemeinen Bewegungsverben wird zur Überprüfung deiktischer Verwendungen hilfreich sein. Im Fall von nicht orientierten Bewegungsverben dient die Untersuchung des Kontextes zur Feststellung einer Präferenz für eine bestimmte Kopplung von Interrogativadverb+Bewegungsverb, die als Ansatzpunkt für eine spätere Spezialisierung der Verben aufgrund deiktischer Kriterien gelten kann (vgl. SS.

46-49).