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Zusammenfassung des ersten Teils

II. Basic motion verbs im Suppletionsverhältnis: εἶμι und ἔρχομαι

3 Das Verb ἔρχομαι

3.1.1 Aufforderung zur Bewegung: Die Belege bei Aristophanes

Mit 16 von 184 Gesamtbelegen wird der Imperativ von ἔρχομαι (immer im Aoriststamm) bei Aristophanes nur selten verwendet. Was die Formen aus dem Präsensstamm angeht, wurde bereits in der allgemeinen Besprechung der Beleglage von ἔρχομαι (vgl. SS.

Literaturhinweise vgl. SS. 359-367 (Appendix 1).

178Bei Homer hat das Verb nicht in allen Belegen im Indikativ eine zukunftsbezogene Bedeutung, vgl. die Besprechung dieser Stellen auf SS. 296 f.

104-106) thematisiert, dass sie nach Homer außerhalb des Indikativs nur sporadisch belegt sind. Diese Tendenz ist aber bereits bei Homer zu erkennen.179 Aufgrund der niedrigen Frequenz der zu besprechenden Formen bei Aristophanes werden auch andere Autoren in die Analyse einbezogen (vgl. unten).

Die Aorist-Belege des Verbs bei Aristophanes drücken mehrheitlich zentripetale Bewegungen aus. Das Verb steht in 10 von 16 Belegen in Verbindung mit δεῦρο, das Adverb bezeichnet dabei immer eine allative Bewegung in Richtung der origo, wie aus den folgenden Beispielen deutlich wird:

(50)

φιλτάτη, δεῦρ’ ἐλθὲ καὶ δός

ô philtátē, deûr' elthè kaì dós

INTJ lieb:ADJ.SUPRL.VOK hierher AOR.IMP.SG.2 und geben:AOR.IMP.SG.2

μοι κύσαι.

moi kúsai.

ich:DAT küssen:AOR.INF

„mein lieber Schatz, komm hierher und lass mich dich küssen.“ (Ar. Pax 709) (51)

δεῦρ’ ἔλθ’ εἰς χορόν, χρυσοτρίαιν’,

deûr' élth' eis chorón, ô chrusotríain',

hierher AOR.IMP.SG.2 ALL Chor:AKK INTJ goldener_Dreizack:VOK

ὦ / δελφίνων μεδέων Σουνιάρατε,

ô delphínōn medéōn Souniárate,

INTJ Delphin:GEN herrschen:PRS.PTCP von_Sunion:ADJ.VOK

„Hierher komm in den Chor, du goldener Dreizack, Herr der Delphine, hochverehrt in Sunion,“ (Ar. Eq. 559-560)

In (50) wendet sich Trygaios an Opora und lädt sie ein, zu ihm zu kommen, um ihn zu küssen.

Der zweite aufgeführte Beleg ist ein Gebet des Chors an Poseidon, sich dem Chortanz anzuschließen. Obwohl fast alle belegten Bewegungen als zentripetal zu interpretieren sind, gibt es auch komplexere Fälle, deren Orientierung aufgrund zusätzlicher Ortsangaben weniger deutlich wird:

179In der klassischen Zeit sind nur noch wenige Belege des Präsensstamms des Verbs außerhalb des Indikativs vorhanden. Die entsprechenden Formen von εἶμι dienen dazu, diejenigen nicht-indikativen von ἔρχομαι zu ersetzen, sodass sich die beiden Verben in einem Modus-Suppletionsverhältnis befinden. Das Nebeneinander der Formen des Imperativs der beiden Verben – das bei Homer noch besteht – wird in diesem Abschnitt bezüglich der Orientierung der Formen besprochen, im dritten Teil (SS. 313-317) wird erneut auf diese Überschneidung Bezug genommen werden.

(52)

ἅμα δὲ Δίκτυννα παῖς καλά, /

háma dè Díktunna paîs ha kalá,

gleich PTCL D.:N Kind:N DEF.N schön:ADJ.N

τὰς κυνίσκας ἔχουσ’ ἐλθέτω

tàs kunískas échous' elthétō

DEF.AKK.PL Hündin:AKK.PL haben:PRS.PTCP.N.SG.F AOR.IMP.SG.3 διὰ δόμων πανταχῇ.

dià dómōn pantachêi.

durch Haus:GEN überall:ADV

„Und zugleich, jungfräulich schöne Diktynna, sie soll durch das Haus überall mit den Hündinnen kommen.“ (Ar. Ra. 1359-1360)

In (52) fordern Euripides und Aischylos einander im Dichten heraus und reklamieren dabei Stellen aus ihren Tragödien. Aischylos singt eine tragische Chorpartie, in der Artemis angerufen wird, gemeinsam mit ihren Jagdhunden zu erscheinen: Das Komplement διὰ δόμων ('durch das Haus') und das Raumadverb πανταχῇ ('in alle Richtungen') deuten die Bewegungsrichtung an, beziehen sich aber nicht auf den Endpunkt der Bewegung, der eine Referenz zum Standort des Flehenden aufbauen würde. Die Bewegung der Gottheit kann als ein allgemeines Flehen des Sprechers interpretiert werden, das nicht auf seinen Standort bezogen ist.180 Auch im nächsten Beleg ist die Orientierung der vom Verb ausgedrückten Bewegung in Bezug auf den Standort des Sprechers nicht klar zu definieren:

(53)

μήθ’ ὑπάκουε μήτ’ ἔ λ/θ ῃ ς συνέριθος αὐτοῖς,

méth' hupákoue méth' élthēis sunérithos autoîs,

NEG hören:PRS.IMP.SG.2 NEG AOR.KONJ.SG.2 Gefährte:N.SG DET.DAT.PL

„Höre nicht auf ihre Bitten, gehe nicht als ihr Gefährte,“ (Ar. Pax 785-786)

Es handelt sich in (53) um einen Konjunktiv, der als negative Form einer Aufforderung angewendet wird. Der Chor singt hier für eine Muse: Sie soll weder Karkinos, einen tragischen Dichter, der schon an anderen Stellen von Aristophanes parodiert wurde, erhören, noch sich mit seinen Söhnen abgeben. Im Ausdruck μήτ’ἔλθῃς συνέριθος αὐτοῖς liegt das Verb verbunden mit dem Prädikativ des Subjektes συνέριθος vor. Die Orientierung dieser Bewegung ist schwer zu definieren, weil kein zusätzlicher Hinweis auf die an der Sprechsituation beteiligten Personen vorhanden ist. Eine neutrale Interpretation der

180Die Interpretation der Verse mithilfe des Kontextes ist in diesem Fall nicht möglich, da es sich um ein Zitat handelt und es keinen engen Bezug zur Handlung der Komödie hat.

Verbverwendung hinsichtlich der räumlichen Deixis, d.h. ohne Bezug auf den Standort des Sprechers, ist der Annahme einer zentripetalen Orientierung vorzuziehen. Allerdings muss hinzugefügt werden, dass das Beispiel eine unübliche Verwendung im Fall eines V-Verbs darstellt.

Interessante Beobachtungen zur Bestimmung des Bezugsrahmens erlaubt auch ein weiteres Beispiel von Aristophanes. Hier wird die Konjunktivform ἔλθωμεν genutzt, um zu einer Bewegung aufzufordern:

(54)

παρθένοι ὀμβροφόροι, / ἔ λθωμεν λιπαρὰν

parthénoi ombrophóroi, élthōmen liparàn

Jungfrau:VOK.PL regnerisch:VOK.PL AOR.KONJ.PL.1 strahlend:AKK

χθόνα Παλλάδος, εὔανδρον γᾶν /

chthóna Palládos, eúandron gân

Land:AKK P.:GEN mit_guten_Männern:ADJ.AKK Heimat:AKK

Κέκροπος ὀψόμεναι πολυήρατον·

Kékropos opsómenai poluératon;

K.:GEN schauen:FUT.PTCP.N.PL sehr_lieb:ADJ.AKK

„Regnerische Jungfrauen, gehen wir zum gesegneten Land von Pallas, die heldenerzeugende, liebliche Heimat des Kekrops schauen:” (Ar. Nu. 298-300)

Die Verse gehören zum Eintrittslied des Chors (πάροδος): Während dieses Liedes nimmt der Chor seinen Platz auf der Orchestra, dem Tanzplatz, ein. Das Aufziehen der Wolken wurde von Sokrates bereits in den vorangehenden Versen ab Ar. Nu. 260 erbeten. Bei den hier vorgelegten Versen handelt es sich um den Gesang der Wolken, die einander auffordern, nach Athen (λιπαρὰν χθόνα Παλλάδος) zu ziehen.181 Der Chor ist für die Schauspieler vermutlich noch nicht sichtbar, weil Strepsiades in Ar. Nu. 319-322 sagt, dass er schon dessen positiven Einfluss spüren kann, obwohl er nur seine Stimme gehört hat. Sokrates fordert ihn gleich danach auf, in Richtung des Parnes zu schauen, um die Wolken wegziehen zu sehen (Ar. Nu.

323-324). Die Konjunktivform ἔλθωμεν in (54) legt eine zentrifugale Deutung der Bewegung der Wolken nahe, sie ziehen, ausgehend von einem anderen Punkt am Horizont, weg in Richtung Athen. Interessanterweise bestreiten Létoublon (1985: 51) und Kölligan (2007: 139 f.) bezüglich der homerischen Sprache die Existenz einer solchen Form in der Funktion einer Aufforderung. Sie behaupten, dass der Aorist ἐλθ- ausschließlich zentripetale Bedeutung

181Für eine Besprechung des Fehlens der Präposition mit dem Akkusativ als „Akkusativ der Ausdehnung in Raum und Zeit“ und für weitere Beispiele vgl. Schwyzer & Debrunner 1950: 67-70; Kühner & Gerth 1898:

312 f. sowie aktuell auch Fritz 2005: 55-58 und Bortone 2010: 124-125.

haben könne und als V-Verb fungiere: ἔλθωμεν als Aufforderung einer ersten Person, sich auf ihren aktuellen Standort zuzubewegen, hätte keinen Sinn.182 In (54) ist aber genau dies der Fall. Dieses Beispiel erweist sich deshalb als so interessant, weil es der sonst überwiegend zentripetalen Orientierung der Imperativformen entgegensteht und eine solche Verwendung nicht zu dem Typ eines V-Verbs passt. ἔλθωμεν beschreibt an dieser Stelle eine Entfernung.183