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Zusammenfassung des ersten Teils

II. I Artverben als basic motion verbs: βαίνω, βαδίζω, πορεύομαι und χωρέω

2 Πορεύομαι: Die Unbestimmtheit der zeitlichen Dimension

2.2 Überprüfung der deiktischen Orientierung .1 Aufforderung zu einer Bewegung

Die Verbbelege im Imperativ bleiben bis in das 5. Jh. vor Chr. selten: Insgesamt ist πορεύομαι in dieser Form nur 21-mal und ausschließlich im Präsensstamm belegt. Am häufigsten ist der Imperativ zudem bei den Tragikern und bei den Historikern vertreten. Der bevorzugte Verbstamm für den Ausdruck einer Aufforderung zur Bewegung ist das Präsens:

Eine Opposition zwischen Präsens- und Aoristform scheint in diesem Fall von geringerer Bedeutung zu sein.

Wenn eine Orientierung der ausgedrückten Bewegung festzustellen ist – dies geschieht nicht häufig, weil ein Bezug auf den Sprecher eher selten ist –, fordert der Sprecher den Angesprochenen durch πορεύομαι zu einer Entfernung auf. Die nächsten Beispiele illustrieren eine solche zentrifugale Bewegung:

(114)

Σὺ τοίνυν τὴν ταχίστην πορεύεο ὀπίσω

toínun tèn tachístēn poreúeo opísō

Du:N dann DEF.AKK schnell:ADJ.KOMP.AKK PRS.IMP.SG.2 zurück ἐς Πέρσας καὶ ποίεε ὅκως, ἐπεὰν ἐγὼ τάδε

es Pérsas kaì poíee hókōs, epeàn egò táde

ALL P.:AKK uns machen:PRS.IMP.SG.2 dass wenn ich:N DEM.AKK

καταστρεψάμενος ἔλθω ἐκεῖ, ὥς μοι

„Gehe du darum auf dem schnellsten Wege nach Persien zurück und sorge dafür, wenn ich nach der Unterwerfung dieses Landes dahin komme, mir deinen Sohn zur Vernehmung zur Verfügung zu stellen.“ (Hdt. 1.209.5)

„Geh in Frieden. Denn alles ist gut.“ (E. Med. 756)

In (114) befiehlt Kyros Hystaspes, nach Persien zurückzukehren, um die Verschwörung gegen ihn aufzuhalten.243 In (115) verabschiedet sich Medea von Aigeus und wünscht ihm (χαίρων) eine gute Reise nach Athen.244 An beiden Stellen handelt es sich offensichtlich um eine Entfernung vom Ort des Sprechers, das Verb verhält sich wie ein I-Verb.

Obwohl sich πορεύομαι im ersten Kontext wie ein I-Verb verhält, weil es eine stabile Bewegungsorientierung ausdrückt, kann es dem Typ eines I-Verbs nicht ganz zugeordnet werden, weil es dafür viel häufiger verwendet werden müsste. Um den Gebrauch von πορεύομαι als deiktisch orientiertes Bewegungsverb im Imperativ näher zu untersuchen, wird die Analyse deshalb diachron erweitert.245 Wie schon im 5. Jh. vor Chr. kommen die Imperativformen auch im 4. Jh. vor Chr. recht selten vor und auch in der Komödie sind sie fast nicht vertreten: Bei Menander ist der Imperativ nur einmal belegt und an dieser Stelle ist die Orientierung der Bewegung nur schwer zu bestimmen:

243In (114) ist die Verwendung des Konjunktivs Aorist ἔλθω zu kommentieren. Das räumliche Adverb ἐκεῖ weist auf einen Ort hin, der nicht dem Aufenthaltsort des Sprechers entspricht. Stattdessen wird auf einen Ort verwiesen, an dem sich der Angesprochene zukünftig vermutlich befinden wird. An dieser Stelle entscheidet der Aspekt, nicht der Raum über die Verbauswahl, weil Kyros sich hier die Gegebenheiten vorstellt, die er zur Zeit seiner Ankunft vorfinden wird. Seine Bewegung wird als abgeschlossene Handlung konzeptualisiert.

244Auch εἶμι steht häufig zusammen mit dem Partizip von χαίρω, wenn ein Abschied ausgedrückt wird, vgl. Fn.

202 S. 135. Für die Besprechung anderer gemeinsamer Verwendungen von εἶμι und πορεύομαι vgl. SS. 187-192.

245Für die Besprechung der Belege im NT vgl. SS. 243-253.

(116)

Πλαγγών, πορεύου θᾶττον· ἤδη τεθυκέναι /

Plangón, poreúou thâtton; édē tethukénai

P.:N PRS.IMP.SG.2 schnell:ADV.KOMP PTCL opfern:PRF.INF

ἡμᾶς ἔδει.

hemâs édei.

wir:AKK nötig_sein:IPRF.IND.SG.3

„Gehe/Komm schneller, Plangon! Längst schon sollten wir das Opfer vollendet haben.“ (Men.

Dysc. 430-431)

Die Verse stehen am Anfang des dritten Akts der Komödie, es sind die Worte der Mutter des Sostratos: Sie wendet sich an die Sklavin Plangon und fordert sie auf, sich schneller zu bewegen, weil sie viel früher zum Opfer hätte bereit sein müssen. Die Standorte der beiden Frauen sind auch deshalb besonders schwierig festzustellen, weil Plangon eine schweigende Figur ist: Dass sie überhaupt auf der Szene auftritt, wird ausschließlich aus der Anrede der Mutter von Sostratos deutlich, und abgesehen davon wird im Stück nicht weiter auf ihre Figur eingegangen (Gomme & Sandbach 1973: 201). Die Richtung der befohlenen Bewegung bleibt interpretationsabhängig, weil der Kontext keine weiteren Informationen für ihre Definition bereithält: Es könnte sich sowohl um eine Annäherung an die Mutter des Sostratos handeln, als auch um eine Entfernung von ihr.

Mit der LXX wird an dieser Stelle ein weiteres interessantes Corpus in die Analyse einbezogen. Obwohl die Zahl der Gesamtbelege von πορεύομαι in diesem Corpus zunimmt, bleibt das Verb im Imperativ selten belegt: Aus einer Untersuchung im Pentateuch sind von 179 Belegen (56 im Präsens, 4 im Imperfekt, 81 im Aorist, 3 im Perfekt und 34 im Futur) 17 Stellen im Imperativ verzeichnet, allerdings mit einer deutlichen Verbstammopposition: 9 Belege nutzen den Aorist-, 8 Belege den Präsensstamm.246 An allen Stellen beschreibt der Imperativ eine Entfernung. Im Folgenden werden zwei Beispiele vorgelegt:

(117)

καὶ εἶπεν Λαβὲ τὸν υἱόν

kaì eîpen Labè tòn huión

und sagen:AOR.IND.SG.3 nehmen:AOR.IMP.SG.2 DEF.AKK Sohn:AKK

σου τὸν ἀγαπητόν, ὃν ἠγάπησας,

sou tòn agapētón, hòn ēgápēsas,

du:GEN DEF.AKK geliebt:AKK REL.AKK lieben:AOR.IND.SG.2 246Im Gegensatz zur klassischen Zeit ist hier eine Zunahme der Belege aus dem Aorist festzustellen (vgl.

Tabelle 22).

τὸν Ισαακ, καὶ πορεύθητι εἰς τὴν γῆν

tòn Isaak, kaì poreúthēti eis tèn gên

DEF.AKK I.:AKK und AOR.IMP.SG.2 ALL DEF.AKK Land:AKK

τὴν ὑψηλὴν καὶ ἀνένεγκον αὐτὸν

tèn hupēlèn kaì anénenkon autòn

DEF.AKK hoch:AKK und bringen:AOR.IMP.SG.2 DET.AKK

ἐκεῖ εἰς ὁλοκάρπωσιν ἐφ’ ἓν τῶν ὀρέων,

ekeî eis holokárpōsin eph' hèn tôn oréōn,

dorthin ALL Opfer:AKK ALL INDEF.AKK DEF.GEN.PL Berg:GEN.PL

ὧν ἄν σοι εἴπω.

hôn án soi eípō.

REL.GEN.PL PTCL du:DAT sagen:AOR.KONJ.SG.1

„und sagte: 'Nimm bitte deinen Sohn Isaak, deinen einzigen Sohn, den du liebst, und gehe ins Land und opfere ihn dort als ein Brandopfer auf einem der Berge, den ich dir bezeichnen werde.'“ (LXX Ge. 22.2)

(118)

καὶ νῦν πορεύου, καὶ ἐγὼ ἀνοίξω τὸ

kaì nûn poreúou, kaì egò anoíxō

Und nun PRS.IMP.SG.2 und ich:N öffnen:FUT.IND.SG.1 DEF.AKK

στόμα σου καὶ συμβιβάσω σε

stóma sou kaì sumbibásō se

Mund:AKK du:GEN und lernen:FUT.IND.SG.1 du:AKK

μέλλεις λαλῆσαι.

mélleis lalêsai.

REL.AKK.NEU sollen:PRS.IND.SG.2 sprechen:AOR.INF

„So geh nun, und ich selbst werde deinen Mund öffnen und dich lehren, was du sprechen sollst.“ (LXX Ex. 4.12)

In (117) befiehlt Gott Abraham, mit seinem Sohn auf einen Berg zu ziehen und ihn dort zu opfern. In (118) redet Gott zu Moses und fordert ihn auf, wegzugehen; er versichert ihm, er werde ihn begleiten und durch seinen Mund sprechen. An beiden Stellen fordert der Sprecher den Angesprochenen offensichtlich dazu auf, sich vom aktuellen Standort zu entfernen.

Darauf weist auch das allative Komplement (εἰς τὴν γῆν τὴν ὑψηλὴν) in (117) hin. Bei allen in der LXX vorhandenen Belegen ist die Orientierung der befohlenen Bewegung deutlich zu bestimmen, weil das Bewegungsziel immer ausgedrückt wird oder aus dem Kontext deutlich zu entnehmen ist. Verglichen mit dem Gebrauch des Verbs in der klassischen Zeit scheint die räumliche Dimension an Bedeutung gewonnen zu haben.

Schwieriger zu definieren ist der Unterschied zwischen Aorist- und Präsensstamm. Ein

Unterschied könnte darin bestehen, dass die Durchführung des Befehls im Präsens unmittelbar gefordert wird, während die Aoristform eine schwächere Aufforderung ohne die Berücksichtigung der inneren Einteilung der Handlung ausdrückt (Ruijgh 1985).247 Dass die Formen im Präsens häufig mit dem Adverb νῦν gekoppelt sind, das in engem Bezug zu der unverzüglichen Realisierung der Handlung und zum Kontext der Aufführung steht, unterstützt diese Interpretation.

Schließlich kann die stabile Orientierung der Imperativform innerhalb einer Kosubordination – wie bereits im Fall von ἐλθέ – überprüft werden. Dies ist der Fall, wenn das Partizip von πορεύομαι syntaktisch vom Imperativ eines anderen Verbs abhängt, aber beide Handlungen den gleichen Illokutionsakt teilen.248 Aus der klassischen Zeit steht kein Beispiel zur Verfügung, das Konstrukt kommt nicht vor.249 Für die LXX250 kann die Orientierung z.B. anhand der beiden folgenden Stellen überprüft werden:

(119)

„gehe zur Herde und hol mir von dort zwei zarte und gute Ziegenböcke!“ (LXX Ge. 27.9) (120) 247Nach Ruijgh ist die Bedeutung des Imperativs Präsens „inceptive“.

248Für eine Definition vgl. SS. 122 f.

249Das Verb im Partizip steht nur in narrativen Kontexten, eine deiktische Verwendung kann deshalb nicht festgestellt werden.

250Die Untersuchung beschränkt sich auch hier auf den Pentateuch.

μητρί, mētrí, Mutter:DAT

„'Nur hör auf meine Stimme und gehe, bring sie mir!' Daher ging er hin und holte (sie) und brachte (sie) seiner Mutter,“ (LXX Ge. 27.13-14)

(119) und (120) sind repräsentativ für die Verwendung des Verbs im Konstrukt. In beiden Beispielen wird eine Entfernung befohlen: Jemand soll etwas von einem anderen Ort holen. In (119) kann εἰς τὰ πρόβατα nicht mit dem Standort des Sprechers übereinstimmen, sondern ist mit dem Adverb ἐκεῖθεν zu verknüpfen. In (120) wird die Durchführung der Bewegung im darauffolgenden narrativen Teil (πορευθεὶς δὲ ἔλαβεν) beschrieben. Auch innerhalb dieses Konstruktes bleibt die deiktische Charakterisierung des Verbs stabil zentrifugal.

2.2.2 Beschreibung einer Bewegung im Präsens

Im Unterschied zum ersten Kontext drückt πορεύομαι im Indikativ Präsens in der klassischen Zeit fast ausschließlich eine zentripetale Bewegung aus:

(121)

μίμν’, ὡς ὅδ’ ἁνὴρ οὐκ ἐμῶν

mímn', hōs hod' hanèr ouk emôn

bleiben:PRS.IMP.SG.2 SBJN DEM.N Mann:N NEG mein:POSS.GEN ὑπ’ ἀγγέλων / ἀλλ’ αὐτόκλητος ἐκ δόμων πορεύεται.

hup' angélōn all' autóklētos ek dómōn poreúetai.

wegen Ruf:GEN aber allein:N ELAT Haus:GEN PRS.IND.SG.3

„Bleib! Denn kommt dieser Mann, und nicht auf meinen Ruf, vielmehr aus eigenem Willen aus dem Haus“ (S. Tr. 391-392)

In (121) handelt es sich um eine Annäherung an den Ort des Sprechers: Deianeira befiehlt einem Boten zu warten, weil König Lichas aus dem Palast herauskommt. Dass Lichas nach einem weiteren Vers auf der Bühne auftritt und mit Deianeira redet, bestätigt, dass er (figure) sich Deianeira und dem Boten (ground) genähert hat. Das Verb verhält sich an dieser Stelle wie ein V-Verb. Hierbei handelt es sich um die häufigste Auswahl des Verbs im Indikativ Präsens innerhalb einer Dialogsituation.251 Eine gegensätzliche Orientierung, wie sie aufgrund der Analyse des ersten Kontextes zu erwarten wäre, ist hingegen nicht vorhanden. Keiner der

251Ein weiteres Beispiel ist S. OC 111-112 Πορεύονται γὰρ οἵδε δή τινες / χρόνῳ παλαιοί, σῆς ἕδρας ἐπίσκοποι.

„Jetzt kommen nämlich Leute heran, schon alt an Jahren, die nach deinem Sitze spähen.“, in dem Antigone die Ankunft einiger Menschen ankündigt. Eine ähnliche Stelle ist E. Andr. 879-880 καὶ μὴν ὅδ’ἀλλόχρως τις ἔκδημος ξένος / σπουδῆι πρὸς ἡμᾶς βημάτων πορεύεται. „Ein fremder Mann kommt aus fernem Land mit schnellen Schritten auf uns zu.“ Auch hier wird der Auftritt einer Figur auf der Bühne thematisiert.

insgesamt 58 Belege des Verbs in der dritten Person im Indikativ Präsens aus dem 5. Jh. vor Chr. drückt eine Entfernung vom Standort des Sprecher aus. Häufig kommt das Verb in einem narrativen Kontext vor, wie z.B. im nächsten Beispiel:

(122)

στεφάνους γέ τοι καὶ δᾷδ’ ἔχων

stephánous toi kaì dâid' échōn

Kranz:AKK PTCL PTCL und Fackel:AKK haben:PRS.PTCP.N πορεύεται.

poreúetai.

PRS.IND.SG.3

„Er geht mit Kränzen und Fackeln.“ (Ar. Pl. 1041)

In (122) beschreibt eine alte Frau die Bewegung eines Jungen: Er ist mit Kränzen und einer Fackel ausgestattet, als ob er zu einem Fest ginge. Da kein Hinweis auf die Position der Sprecherin gegeben wird und während des Handlungsablaufes keine Relation zwischen dem ground und der figure entsteht, ist die Auswahl von πορεύομαι an dieser Stelle als deiktisch neutral zu bezeichnen. Die figure steht hier in keinem Bezug zu den an der Sprechsituation Beteiligten.252

Die Belege aus Menander werden im Folgenden in die Analyse einbezogen, um festzustellen, inwiefern sich das Verb diachron auf den Ausdruck von deiktischen Relationen spezialisiert. Πορεύομαι ist bei Menander nur 3-mal von insgesamt elf Belegen im Indikativ Präsens vorhanden. Im Men. Sam. 538 und Men. Dysc. 304-305 steht das Verb in der ersten Person Singular, die Bewegung geschieht in Richtung des Angesprochenen: Es handelt sich um einen Fall, in dem der räumliche Rahmen der zweiten Person einen Einfluss auf denjenigen der ersten ausübt (vgl. SS. 38-41). Der dritte vorhandene Beleg (123) ist ebenfalls nicht aussagekräftig, weil πορεύομαι durch ein direktes Objekt ergänzt wird, welches die räumliche Ausdehnung der Fortbewegung im Raum unterstreicht (vgl. Fn. 181 S. 118), aber keinen Bezug auf die Situation und den Sprecher enthält:253

(123)

τὴν ἑτέραν πορεύεται / ὁδόν.

tèn hetéran poreúetai hodón.

DEF.AKK andere:AKK PRS.IND.SG.3 Weg:AKK

252Weitere Stellen sind E. El. 965 und (130).

253Es handelt sich an dieser Stelle um einen metaphorischen Gebrauch. Onesimos kommentiert die Entscheidung des Habrotonen.

„Sie geht einen anderen Weg.“ (Men. Epit. 559-560)

Die wenigen Belege aus dem Pentateuch, insgesamt nur 13, zeichnen ein anderes Bild als die bisher besprochenen Stellen. Ausgehend von den Belegen ist festzustellen, dass die Orientierung von πορεύομαι stabil zentrifugal ist: Das Verb drückt immer eine Entfernung von der origo aus. Beispiel (124) ist geeignet, sowohl die zentrifugale Orientierung des Verbs als auch die bestehende deiktische Opposition zwischen zwei allgemeinen Bewegungsverben zu illustrieren: πορεύομαι ist zentrifugal und ἔρχομαι zentripetal orientiert:254

(124)

ἄγγελος κυρίου Αγαρ παιδίσκη Σαρας,

ho ángelos kuríou Agar paidískē Saras,

DEF.N Engel:N Herr:GEN A.:VOK Magd:VOK S.:GEN

πόθεν ἔρχῃ καὶ ποῦ πορεύῃ;

póthen érchēi kaì poû poreúēi?

woher PRS.IND.SG.2 und wohin PRS.IND.SG.2

Der Engel des Herrn [sagte]: „Hagar, Magd Sarais, woher kommst du denn, und wohin gehst du?“ (LXX Ge. 16.8)

Die Kopplung von πορεύομαι mit dem allativen Interrogativadverb ποῦ ist auch in der klassischen Zeit belegt.255 Beispiel (124) erweist sich besonders im Vergleich mit der nächsten Stelle als interessant:

(125)

Χαίρετ’, ξένοι· τίνες / πόθεν

chaíret', ô xénoi; tínes póthen

fröhlich_sein:PRS.IMP.PL.2 INTJ Fremd:VOK wer:INT woher:INT

πορεύεσθ’ ἔστε τ’ ἐκ ποίας χθονός;

poreúesth' éste t' ek poías chthonós?

PRS.IND.PL.2 sein:PRS.IND.PL.2 und aus welche:GEN Land:GEN

„Gegrüßt, ihr Fremden, wer seid ihr? Woher kommt ihr? Aus welchem Land seid ihr?“ (E. El.

779-780)

In (125) berichtet der Bote Elektra, wie sich Orestes an Aigisthos gerächt hat. Nachdem er die Situation beschrieben hat – Aigisthos erblickt Orestes aus dem Garten und lädt ihn in den

254Weitere Beispiele auch außerhalb des Pentateuchs sind LXX Ge. 32.18; LXX Jd. 10.12, 19.17; LXX Za. 2.6.

Für eine ausführliche Besprechung des Vorkommens des Verbs mit den Interrogativadverbien vgl. SS. 218 f.

und die Analyse der Belege im NT.

255Besonders bei den Tragikern kann ποῦ auch als allatives Adverb zusammen mit einem Bewegungsverb stehen. Die am häufigsten verwendete Form in der klassischen Zeit ist aber ποῖ. Vgl. Fn. 283 zu den verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten. Weitere Beispiele einer Kombination eines allativen Adverbs mit πορεύομαι sind z.B. E. Hec. 1099; E. Alc. 482. Für den jeweiligen Text vgl. Fn. 298.

Königspalast ein –, gibt der Bote den Dialog zwischen den beiden in direkter Rede wieder:

Aigisthos erblickt die Fremden und fragt sie nach ihrer Herkunft (πόθεν πορεύεσθ’), wer sie seien (τίνες) und aus welchem Land sie kämen (ἔστε τ’ἐκ ποίας χθονός). In diesem Fall und im Unterschied zu (124) kommt das interrogativ-räumliche Adverb πόθεν, das die Quelle der Bewegung andeutet, in Kombination mit πορεύομαι vor. Die Kopplung eines zentrifugal orientierten allgemeinen Bewegungsverbs (also eines I-Verbs) mit dem ablativen Interrogativadverb wird normalerweise vermieden, weil die innere Orientierung des Verbs den Raumhinweis des Adverbs überflüssig macht.256 Die Kopplung von πορεύομαι mit dem Adverb πόθεν in (125) spricht hier erneut dagegen, dass πορεύομαι den Status eines I-Verbs inne hat – zumindest in der klassischen Zeit. Stattdessen spricht die stabile Kopplung mit dem gegensätzlich orientierten Interrogativadverb ποῦ – die in der LXX häufig vorkommt und auch im NT weiter belegt bleibt – in diesem Kontext für eine diachrone, zentrifugale Stabilisierung der Orientierung von πορεύομαι.

Die diachrone Analyse der Verwendung von πορεύομαι in diesem zweiten Kontext macht deutlich, dass der deiktische Raumausdruck ab der klassischen Zeit stärker wird und das Verb sich diachron auf den Ausdruck einer zentrifugalen Bewegung spezialisiert. Die Feststellung der Orientierung deckt sich mit den Ergebnissen der Analyse des Imperativ-Kontextes, in dem πορεύομαι bereits in der klassischen Zeit ausschließlich zentrifugale Bewegungen beschreibt.257 In den nächsten Abschnitten werden die Ergebnisse aus der Analyse der deiktischen Verwendungen durch die Betrachtung weiterer semantischer Aspekte ergänzt: des Ausdrucks der Bewegungsart und der Relation zwischen Sprechzeit und Bewegungszeit.