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Transnationaler Feminismus und Kampf um globale Gerechtigkeit

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 15 (Seite 59-72)

Die kapitalistische Globalisierung übt einen tiefgreifenden und dennoch wi-dersprüchlichen Einfluss auf das Leben der Frauen und auf die Möglichkeiten aus, die männliche Vorherrschaft sowohl im Zentrum als auch an der Peri-pherie des weltkapitalistischen Systems anzufechten. Einerseits werden ältere Formen der männlichen Dominanz untergraben; andererseits werden die Le-bensbedingungen der Frauen schlechter.

Das Vordringen des Kapitalismus in die ländliche Peripherie hat die fest be-gründeten Wirtschaften erschüttert, die das »klassische Patriarchat« stützen – ein System, in dem die Macht der Männer wirtschaftlich und politisch auf männlichem Eigentum und der Tatsache ihres Haushaltsvorsitzes beruhte.1

In den Städten der Peripherie ist das »fordistische Geschlechterregime« – mit dem männlichen Alleinverdiener und der Frau als Hausfrau, das in den 60er und 70er Jahren, dem »goldenen Zeitalter« der wirtschaftlichen Entwick-lung in einigen Teilen des Südens aufkam – auf dem Wege, wegzubrechen, da männliche Lohn- und Gehaltsempfänger nicht länger eine Familie ernähren können. Gleichzeitig – teilweise begründet in der Eingliederung der Frauen in die Lohnarbeit und in ihrem Zugang zum Lesen, Schreiben und zur Bildung – ist der Feminismus als organisierte politische Kraft entstanden. Frauen aus dem globalen Süden stellen die Verhältnisse in ihren Ländern infrage und nehmen an einer globalen feministischen Bewegung teil, die fähig ist, die Politik transnationaler Organisationen wie der UNO und der Europäischen Union (EU) zu beeinflussen.2

Jedoch sind Frauen und Kinder durch die globale kapitalistische Umgestal-tung stärker als Männer gebeutelt. Wirtschaftliche Unsicherheit und

Verar-1 Gordon und Hunter, 1998; Kandioyti, September 1988.

2 Während am ersten UN-gesponserten NGO-Forum 1975 in Mexiko-City 114 Frauenorganisationen teilnahmen, kamen 1995 nach Beijing bereits 3000. Heute nehmen Zehntausende NGOs an internatio-nalen Konferenzen und Treffen teil. Vergleiche Basu, Herbst 2000, S. 73.

mung, Beeinträchtigung durch Giftstoffe, Verschlechterung der Wasserqua-lität, hohe Säuglings- und Müttersterblichkeit, erzwungene Migration, immer mehr bei bezahlter und unbezahlter Arbeit verbrachte Stunden – das sind nur einige Indikatoren für die weltweit auf Frauen lastenden Bürden.3

Frauenorganisationen, die werktätige Frauen und die ländlichen und städti-schen Armen verteidigen, finden sich in einem widersprüchlichen Feld aus Machtverhältnissen wieder, die durch drei einander bekriegende Kräfte – die Nationalstaaten, die religiösen fundamentalistischen Bewegungen und die glo-balen, die neoliberale Agenda verwaltenden Institutionen – definiert werden.

Die Regierungen der Dritten Welt sind männlich dominiert, oft ineffizient, von Vetternwirtschaft und Korruption geplagt; der Druck der strukturellen Anpassungsprogramme, die ihnen von IWF und Weltbank aufgezwungen werden, hat diese Tendenzen nur verstärkt. Ihr Versagen, die versprochenen Vorteile der Politik des freien Marktes wirklich an die Menschen zu bringen, hat das Wachstum religiöser fundamentalistischer politischer Bewegungen angestachelt, die sich den Feminismus vorknöpfen und die Regierungsmacht herausfordern. Die nationalen Regierungen antworten auf diese Bewegungen sowohl mit politischer Repression als auch mit Gefälligkeit, in dem sie zum Beispiel lokale zivile Macht an religiöse Tribunale und Führer abgeben. Eine derartige Politik hievt das traditionelle Patriarchat in seinen sozialen Kon-trollfunktionen nach oben, während die kapitalistische Umgestaltung der lokalen Wirtschaften den Frauen jene ungewissen Schutz- und Sicherheitsga-rantien raubt, die patriarchalische Systeme ihnen geboten hatten.4

Im Gegensatz zum geschwächten und männlich dominierten Nationalstaat und den fundamentalistischen Bewegungen erklären Schlüsselinstitutionen der neoliberalen Ordnung – vor allem die Weltbank, aber auch Regierungs-agenturen der nördlichen Staaten wie etwa die United States Agency for Inter-national Development (USAID)–, dass sie Modernisierung und Demokratisie-rung unterstützen wollen. Indem sie Mittel für wirtschaftliche Entwicklungs-anstrengungen der Frauen, für Sozialleistungen und Gesundheitsfürsorge an-bieten, stellen sich die Verwalter der neuen Weltwirtschaftsordnung als Bünd-nispartner des liberalen Feminismus dar.

Zentrale feministische Anliegen – wie volle politische Staatsbürgerschaft, gleicher Zugang zu Bildung und Beschäftigungsmöglichkeiten und Ende des kulturell und legal autorisierten Rechts der Männer, die Körper der Frauen, ihre Sexualität und ihre Reproduktionsmöglichkeiten zu kontrollieren – sind voll mit dem Neoliberalismus vereinbar. Die Kräfte, die von der Institutiona-lisierung der politischen Ziele des liberalen Feminismus am meisten zu ver-lieren haben, sind Organisationen, die Gruppen vertreten, die durch den

Ver-3 Bandarage, 1998.

4 Feldman, Sommer 2001, S. 1108; Raj et al., 1998.

lust älterer Formen patriarchalischer politischer und wirtschaftlicher Macht bedroht sind: also zum Beispiel islamische Regierungen, konservative musli-mische NGOs, der Vatikan und katholische Organisationen, die protestanti-schen Evangelisten und das Internationale Right to Life-Komitee.5

Natürlich wird eine neoliberale Wirtschaftsordnung nie in Geschlechter-gleichheit münden. Aber genauso, wie der Kapitalismus mehr Raum für Selbstbestimmung und Selbstorganisation bietet als der Feudalismus, räumt die neoliberale Geschlechterordnung den Frauen mehr Möglichkeiten ein, sich im öffentlichen Leben zu engagieren und mit den Männern um Macht und Po-sition zu streiten. Jedoch sind im Süden wie im Norden die Frauen gegenüber den Männern benachteiligt: wegen ihrer Verantwortung für Erziehung und Pflege, durch die sie in den immer mehr auf Wettbewerb orientierten und ver-einzelten wirtschaftlichen und politischen Welten, die mit den Anforderungen des globalen Kapitalismus einhergehen, die schlechteren Karten haben. Durch dieses andauernd verschiedene Verhältnis von Männern und Frauen zur wich-tigen und notwendigen Arbeit des Sozialen – einer Arbeit, die wegen des Weg-rutschens des Wohlfahrtsstaats zunehmend privatisiert wird – wird die männ-liche Dominanz in neuer Form aufrecht erhalten.6

In dieser Situation sind FeministInnen, die eine Bewegung schaffen wollen, die die Bedürfnisse und Interessen sowohl der werktätigen als auch der armen Frauen auf dem Land und in den Städten vertritt, mit intensiven und schwie-rigen politischen Dilemmata konfrontiert. Diese können in drei Punkten zu-sammengefasst werden. Erstens: Verhältnisse der Klassen- und Rassendomi-nierung, die in feministischen Organisationen entweder reproduziert oder verringert werden, dies sowohl transnational als auch in der nationalen Poli-tik. Zweitens: die speziellen Zwänge, mit denen Frauen-NGOs zu tun haben, und die Möglichkeiten, ihnen zu widerstehen oder sie einzuarbeiten. Und drit-tens: die Spannungslinien und Allianzen zwischen der globalen feministischen Bewegung und den Bewegungen für Globale Gerechtigkeit.

Feministische Politik zwischen patriarchalischem Nationalismus und Neokolonialismus Der organisierte Feminismus war lokal und global am wirksamsten in der För-derung liberaler Bürgerrechte für Frauen und im Aufwerfen von Fragen, die vorher unsichtbar waren – wie sexuelle Misshandlung und häusliche Gewalt – und die er in die Politik gebracht hat.7

FeministInnen sind mit den gleichen schwierigen und drückenden Nöten konfrontiert – und bieten gleichzeitig Möglichkeiten an, traditioneller männ-licher Kontrolle zu entkommen.

5 Basu, Herbst 2000, S. 72.

6 Mehr dazu siehe bei Brenner, 2000.

7 Basu, Herbst 2000, S. 81.

In den Vereinigten Staaten brachten schwarze Frauen weiße FeministInnen dazu, einzusehen, dass ihre Kategorien der Analyse die Universalität der weißen Mittelklasseerfahrung voraussetzen und dass sie die Begriffe Gleich-heit und Chancen auf eine Art und Weise definieren, bei der die politischen Interessen der werktätigen farbigen Frauen an den Rand gedrängt werden.

Auf ähnliche Weise haben Frauen aus dem neokolonialisierten Süden die Do-minanz der Stimmen der Frauen aus dem Norden infrage gestellt.

Seit der von der UNO einberufenen Weltkonferenz zum Internationalen Jahr der Frau in Mexiko City 1975 ist im internationalen Feminismus darüber debattiert worden, wie die Interessen der Frauen zu definieren seien. Eine wichtige Entwicklung war die Annahme einer Menschenrechtsplattform als einer organisierenden Agenda, an der Frauen transnational kooperieren und die sie lokal verwenden können. Bei der UNO-Weltkonferenz über die Men-schenrechte 1993 riefen Frauengruppen, die argumentierten: »Menschenrech-te sind Frauenrech»Menschenrech-te und Frauenrech»Menschenrech-te sind Menschenrech»Menschenrech-te«, die Konferenz auf, »Gewalt auf Geschlechtsgrundlage als eine Verletzung der Menschen-rechte anzuerkennen, die sofortiges Eingreifen erfordert«.

Diese Anstrengung umfasste die Durchsetzung der Konvention zur Besei-tigung aller Formen der Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW), die von der UNO im Jahre 1979 angenommen wurde. Auf nationaler Ebene haben die Frauenorganisationen die Universelle Erklärung der Menschenrechte verwendet, die von der UNO im Jahre 1966 auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte ausgeweitet worden war, um Rechenschaft von ihren Re-gierungen zu fordern. Jedoch genießen – wie angesichts der augenblicklichen Dominanz der kapitalistischen Kräfte nicht anders zu erwarten ist – in der Praxis nur die politischen und Bürgerrechte reale Unterstützung, während die sozialen Rechte der Frauen – wie auch die der Männer – durch die Zerstörung der öffentlichen Dienstleistungen zunehmend vergewaltigt und marginalisiert werden, und zwar überall: im Zentrum sowohl als auch an der Peripherie.

Besorgnis über die Menschenrechte als politischer Diskurs sollte keinesfalls als Billigung des kulturellen Relativismus verstanden werden. Frauen aus dem globalen Süden sind sich sehr wohl dessen bewusst, wie der Anspruch auf kulturelle Unterschiede verwendet werden kann, um die patriarchalen Praktiken zu legitimieren. Sie sind sich auch sehr wohl der Notwendigkeit be-wusst, ihre Nationen und Kulturen gegen die nördliche Hegemonie zu vertei-digen – eine Hegemonie, die westliche Praktiken als das Maß des Fortschritts für Frauen und für die Gesellschaft überhaupt bewertet und so die neokolo-niale Dominierung legitimiert. Die nördlichen Feministinnen haben sich in diese Art »universalisierenden« politischen Diskurs hineinziehen lassen und geleugnet, dass die von nicht-westlichen Kulturen gestaltete Modernisierung Frauen mehr Würde, Macht oder Respekt verschaffen könnte. Dadurch haben

sie es den antifeministischen Kräften in der Dritten Welt leichter gemacht, den Feminismus als Teil des nördlichen imperialistischen Projekts anzugreifen.

Ein gutes Beispiel für die Übernahme von »Frauenrechten« für imperialis-tische Zwecke ist George Bushs Behauptung, dass der US-Krieg gegen Afgha-nistan geführt wurde, um die Menschenrechte der afghanischen Frauen durchzusetzen. Der Anlass für diese Behauptung war zum Teil die internatio-nale Kampagne für Frauenrechte, die 1997 von einer Koalition von nördlichen Frauenrechtsorganisationen angestrengt worden war.8 Diese Kampagne rief die internationale Gemeinschaft auf, den Taliban Investitionen und Anerken-nung zu verweigern, ignorierte dabei aber die Komplizenschaft des Nordens, der die Taliban überhaupt erst eingesetzt hatte, und die Art und Weise, in der Washingtons Toleranz der Talibanherrschaft in seiner gesamten neoliberalen, geopolitischen Agenda Sinn machte.

Unter der Führerschaft von FeministInnen der Dritten Welt haben einige Organisationen versucht, einen Kurs zwischen patriarchalischem Nationalis-mus und kolonisierendem FeminisNationalis-mus zu steuern. So hat das Netzwerk Frauen unter der Muslimherrschaft (WLUML)den religiösen/politischen Funda-mentalismus aus dem Innern des islamischen Diskursrahmens heraus infrage gestellt und so, wie Männer dies früher in der Geschichte getan haben, um-definiert, was eine islamische Praxis ist. Radhika Coomaraswamy fragt, wie Menschenrechte auf lokaler Ebene geschützt werden können, ohne dass FeministInnen dabei zu Bauern auf dem Schachbrett der imperialen Strategie werden. Sie regt zwei Kriterien an. Das erste: Jede Praktik, die den Frauen großen Schmerz und Leid verursacht, sollte kriminalisiert werden. Das zwei-te: Andere Praktiken sollten durch Debatte, Dialog und Koalitionsaufbau un-ter den Frauen der jeweiligen Gesellschaft, die »in verschiedener Weise den Rassismus und den Kommunalismus bekämpfen, aber auch gegen das Patri-archat und für Frauenrechte eintreten«, beurteilt werden. Sogar innerhalb dieser Gruppe freilich gebe es große Unterschiede.9

Die wahre Rolle der feministischen Organisationen in den imperialistischen Kernländern ist, diesen Dialog vor Ort mit Respekt und mit Geld zu unter-stützen. Wer definiert Fraueninteressen und Rechte? Das feministische Behar-ren auf Freiheit von sexueller Gewalt und Frauenrechten schafft eine offen-sichtliche Basis für Allianzen über Klassenallianzen hinweg. Jedoch definieren sowohl werktätige als auch arme Frauen im globalen Süden ihr Verständnis der männlichen Gewalt oft in Klassenbegriffen. Sie sehen es als eine Frage in-nerhalb eines bestimmten sozialen Kontexts – zum Beispiel mit Bezug auf die Förderung von Schnapskonsum in verarmten Distrikten durch die Regierung oder wachsende Arbeitslosigkeit oder das Verschwinden traditioneller

Män-8 Ebenda, S. 73.

9 Coomaraswamy, 2002.

nerarbeit. Hingegen neigen VerteidigerInnen aus der Mittelklasse, die interna-tionale Menschenrechte auf lokaler Ebene umsetzen, mehr dazu, sich auf die Notwendigkeit der Änderung von Gesetzen und Polizeipraktiken zu konzen-trieren, was oft ohne Beachtung der tieferen Gründe für Gewalt gegen Frauen geschieht.10

Um sein organisatorisches Wachstum zu finanzieren, hat der globale Femi-nismus nicht nur von Geldern seiner Basismitgliedschaft profitiert, sondern auch von Fonds der UNO, sozialdemokratischer Regierungen im Norden und privater Stiftungen in den kapitalistischen Zentren. In den frühen 90er Jahren haben sich die Vereinten Nationen, sicherlich auf feministischen Druck von in-nen, dazu verpflichtet, das Engagement lokaler Frauengruppen bei den natio-nalen Konferenzen zu finanzieren, die zur Bearbeitung von Entwicklungsfra-gen geplant sind.11

Externe Finanzierung hat mehrere Konsequenzen. Innerhalb der dritten Welt verlassen sich Frauen-NGOs auf externe Finanzierungsquellen. Wenn Graswurzelgruppen zu sozialen Bewegungen werden und dann mehr zu Ver-teidigerinnen denn Mobilisatorinnen ihrer Anhängerschaft, findet ein unver-meidlicher Prozess der Professionalisierung und Bürokratisierung statt. Durch externe Finanzierung ist dieser Prozess nur verstärkt worden. Manche Organi-sationen haben es besser als andere geschafft, die Verbindung mit ihrer sozia-len Basis und die Rechenschaftslegung ihr gegenüber am Leben zu erhalten.12

Jedoch ist die soziale Schichtung der Frauenbewegungen größer geworden, weil diejenigen mit Verbindungen zu den Eliten, mit Zugang zu internationa-len Geldgebern und Sponsoren über mehr Mittel und politischen Einfluss ver-fügen können. In ihrer strukturellen Position gegenüber ihren Nationalstaaten und gegenüber internationalen Mäzenen werden diese NGOs zu Ratgebern und Frauenfragen-»Experten«, die eine Maklerrolle zwischen dem Staat und seiner Klientel spielen.13

NGOs, populärer Feminismus und das Problem der Allianz über Klassengrenzen In den 60er und 70er Jahren gab es, obwohl die politischen Rechte relativ eng umschrieben blieben, einen gewissen Entwicklungsüberschuss in Richtung des Ausbaus von Grunddienstleistungen – insbesondere bei Bildung und Ge-sundheit –, wodurch die Mütter- und Säuglingssterblichkeit in vielen Ländern gesenkt werden konnte. Der Kampf für kollektive oder soziale Rechte ist für

10 Meridians: feminism, race, transnationalism (Meridiane: Feminismus, Rasse, Transnationalismus), Herbst 2002, S. 16.

11 Basu, Herbst 2000, S. 76. Für die USA siehe Beth E. Richie, 2000.

12 Basu, S. 74. Die Fördermittel wichtiger US-Stiftungen für Frauenorganisationen, die für Frauenrechte und gegen Gewalt gegen Frauen arbeiten, stiegen zwischen 1988 und 1993 um das 13fache. In den zwei Jahren vor dem Beijing-Gipfel 1995 erhielt die lateinamerikanische und karibische regionale NGO-Ko-ordination 1 007 403 US-$ von der UNO. Vergleiche Alvarez, Herbst 2000, S. 16.

13 Thayer, 2000.

die politische Mobilisierung der werktätigen Frauen und Armen in den Städ-ten und Dörfern und Eingeborenen grundlegend gewesen. Die sinkenden Standards des städtischen Lebens, die Zerstörung der ländlichen Auskommen und das Schrumpfen des Staates durch die vom IWF erzwungenen struktu-rellen Anpassungsprogramme hat in den vergangenen beiden Jahrzehnten eine buchstäbliche Explosion des Frauenaktivismus ausgelöst.

Dieser Aktivismus hat drei Charakteristika. Es ist ein durch Überlebensbe-dürfnisse motivierter Aktivismus; er wird von haushaltübergreifenden Netz-werken gegenseitiger Hilfestellung organisiert und durch gemeinschaftliche Werte unterstützt; und er wird durch die traditionelle Geschlechterrolle der Frau legitimiert und gleichzeitig erweitert, um eine Teilhabe der Frauen am öffentlichen Leben unabhängig von den Männern zu ermöglichen. Eine auf Mutterschaft basierte Politik ficht traditionelle Geschlechterrollen nicht an und könnte sogar die Identifikation der Frauen mit ihrer Mutterschaft bestär-ken. Aber sie kann Basisaktivistinnen dazu bringen, die männliche Macht in-frage zu stellen, die geschlechtlichen Identitäten umzugestalten – wenn dies in einem Zusammenhang stattfindet, der feministische Ideen zu Frauenrechten nicht nur im Verhältnis zum Staat, sondern zu den Männern in ihren eigenen Gemeinschaften, Haushalten und Bewegungsorganisationen zum Ausdruck bringt.14

In den 70er und frühen 80er Jahren tendierten Aktivistinnen in der Dritten Welt bei ihren Debatten dazu, eine Kluft zwischen Frauenpolitik einerseits und der Politik für zivile und politische Rechte der werktätigen Frauen in Stadt und Land andererseits zu konstruieren. Es wurde argumentiert, dass den Dritte-Welt-Frauen die kollektiven und sozialen Rechte »wichtiger« seien als individuelle Bürgerrechte.

Dieser Konflikt entstand zum Teil durch die Einkapselung der Aktivistin-nen in die Politik der traditionellen Organe der Arbeiterklasse zur politi-schen Mobilisierung des Volkes – also Gewerkschaften, Erwerbslosengruppen, linke politische Parteien und Bauernorganisationen. Mit der Zeit entwickelten sich durch die Kämpfe der armen ländlichen und städtischen Frauen Graswurzel-organisationen, und die Frauen im neuen Proletariat der Freihandelszonen entwickelten ihre eigenen Versionen einer Arbeiterklasse und eines populären Feminismus. Als sie unter dem Deckmantel der maskulinen Politik der lokalen sozialen und politischen Bewegungen hervorkrochen, begannen sie Fragen der Geschlechterpolitik aufzuwerfen und unterscheidbare feministische Organisa-tionsformen aufzubauen: Bewusstseinsbildung, gemeinsame Entscheidungs-findung und Aufmerksamkeit für persönliche Befähigung als Basis für kollek-tive Befähigung.15

14 Alvarez, S. 55-58.

15 Petchesky and Judd, S. 310.

Diese politische Entwicklung wäre ohne das Bestehen transnationaler femi-nistischer Organisationen abgebrochen worden. Regionale und internationale Zusammenkünfte gaben lokal randständigen Frauenbasisorganisationen mo-ralische und praktische Unterstützung. Mittelklasse und Elitefrauen waren die ersten, die ein Programm für Frauengleichheit und Frauenteilhabe artikulier-ten und neue Ziele feministischer Herausforderung herausarbeiteartikulier-ten, was im weitesten Sinne als »Geschlechterpolitik« verstanden werden kann. Obwohl diese Frauenorganisationen ihren Ursprung nicht in der Arbeiterklasse hatten, schufen sie eine Umgebung, in der eine andere Art der feministischen Politik unter Frauen der Arbeiterklasse, der Bäuerinnen und der armen Stadteinwoh-nerinnen möglich ist.

Allerdings können diese Organisationen auch eine sehr negative Rolle spie-len – wenn Beziehungen von Klassenprivileg und Herrschaft innerhalb der Be-wegungen reproduziert werden, wenn sie feministische Ideologie und Strategie im Rahmen eines liberalen politischen Projekts instrumentalisieren und sie kon-servative Allianzen mit politischen und wirtschaftlichen Eliten schmieden. Ein Beispiel einer solchen Entwicklung ist das Anwachsen der Zahl der NGOs in den Verwaltungsprogrammen für kleinere Kredite an Frauen – Mikrokredite – im globalen Süden. Obwohl die Aktionsplattform von Beijing aus dem Jahre 1995 ein breites Spektrum von Reformen und Interventionen vorschlug, um die Position der Frauen in der Dritten Welt zu verbessern, sind die Frauen-NGOs am erfolgreichsten im Sponsoring von Mikrokreditprogrammen gewesen. Von USAID und der Weltbank ins Leben gerufen, haben diese Programme die große Mehrheit der für Frauen bestimmten Entwicklungsfonds an sich gezogen. Der Mikrokredit hat die Integration der Frauen in die informellen Sektoren der Wirt-schaft erhöht, aber oft müssen, um ihre Arbeit zu schaffen, die Frauen ihre eige-nen Kinder, insbesondere ihre Töchter, ausbauten. Damit werden die Wettbe-werbsbeziehungen zwischen den Frauen verschärft – und es trägt nicht dazu bei, die Frauen oder ihre Familien aus der Armut zu befreien.16

Durch die Mikrokredite wird die neokoloniale Auffassung bekräftigt, wo-nach die Dritte-Welt-Frauen sowohl moralische Qualitäten als auch persönli-che Fähigkeiten haben, die eine staatlipersönli-che Kontrolle und regulierte Entwick-lung überflüssig machen würden. Indem sie die Mutterschaftsfähigkeit, ein Graswurzel-Unternehmertum und die Überlebensfähigkeit der Frauen groß herausstellen, charakterisieren die NGOs die Frauen als bestgeeignete Em-pfänger von Entwicklungsfonds. Da Männer Kredite weniger bereitwillig zurückzahlen als Frauen und eher geneigt sind, ihr Einkommen für sich selbst und nicht ihren Haushalt auszugeben sowie an Korruption teilzuhaben, die einen Weg zu politischem Einfluss darstellt, sind diese Argumente nicht ohne realen Hintergrund.

16 Townsend et al., 1999; Corcoran-Nantes, 2000; Alvarez, p. 36-37.

Andererseits beruht – wie alle mächtigen Ideologien – der »Mikrokredit«

auch auf einem sehr einseitigen Bild und hat die unbeabsichtigte Konsequenz, die neoliberale Agenda weiter zu konsolidieren. Die Dritte-Welt-Frauen wer-den als eine Art Vorwurf präsentiert – aber nicht als Vorwurf an die Kräfte der kapitalistischen Herrschaft, sondern als Vorwurf an jene, bei denen es

auch auf einem sehr einseitigen Bild und hat die unbeabsichtigte Konsequenz, die neoliberale Agenda weiter zu konsolidieren. Die Dritte-Welt-Frauen wer-den als eine Art Vorwurf präsentiert – aber nicht als Vorwurf an die Kräfte der kapitalistischen Herrschaft, sondern als Vorwurf an jene, bei denen es

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 15 (Seite 59-72)