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Das Weltsozialforum »lesen« 1

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 15 (Seite 23-36)

In einem viel beachteten Artikel hat Michael Hardt2– er ist mit Antonio Negri zusammen Verfasser des Buches Empire – das Weltsozialforum mit der großen Bewegung der Blockfreien verglichen, die Mitte des 20. Jahrhunderts die Welt

1 Ich danke meinen Mitredakteurinnen und Mitredakteuren Anita Anand, Arturo Escobar und Peter Wa-terman für ihre Kommentare zu früheren Entwürfen dieses Prologs. Er stellt somit in gewissem Sinne ein gemeinsames Werk dar.

2 Hardt, Juli 2002.

erschütterte. Und viele andere Beobachter – mich selbst eingeschlossen – mei-nen, dass das WSF eine der bedeutendsten zivilgesellschaftlichen und politi-schen Initiativen der letzten Jahrzehnte, vielleicht des ganzen letzten Jahrhun-derts ist.

Was für eine Rolle es spielen wird, ist noch ungewiss. Aber jedenfalls kommt es nicht jeden Tag vor, dass eine Initiative wie das Weltsozialforum Ge-stalt annimmt: eine Initiative, die gleichzeitig die Hegemonie so vieler Impe-rien herausfordert – sowohl »externer« als auch »interner« –, und es gibt sogar noch weniger Beispiele für eine Idee von solcher Tragweite, die tatsächlich ge-startet wäre und sich weiterbewegt hätte. Gleichzeitig ist die Initiative heute, wie einige Essays in diesem Buch erörtern, in einem Schlüsselstadium: sowohl in sich selbst, indem sie versucht, sich bewusst und strategisch zu globalisie-ren – unter anderem dadurch, dass sie nach den Foglobalisie-ren in Indien und Porto Alegre nach Afrika gehen wird, dem ärmsten und am meisten gebeutelten Kontinent der Welt –, als auch wegen der enormen Herausforderungen des hi-storischen Moments, zu dem sie dies tut.

Dieses Buch ist ein Versuch, zu einem besseren Verständnis dieser Initiative beizutragen. Insbesondere hoffen wir als Herausgeberinnen und Herausgeber, dass dieses bessere Verständnis uns befähigen wird, uns alle kritisch mit die-ser wichtigen Idee zu befassen und an ihr teilzuhaben, und dies in diedie-ser aus-schlaggebenden Zeit. Dieser Prolog legt die Natur des vorliegenden Buchpro-jekts dar, beschreibt und kommentiert das WSF in Kürze – im Buch selbst folgt dazu sehr viel mehr – und skizziert den Inhalt und die Struktur des Buches.

Die vorliegende Textsammlung ist eine sorgfältige Zusammenstellung ver-schiedener Essays und Dokumente entweder über das Forum selbst oder über verwandte Themen, von denen wir glauben, dass sie das Forum selbst und seine Möglichkeit und Grenzen erhellen können. Obwohl jetzt schon eine ganze Menge über das Forum geschrieben und publiziert worden ist, haben wir den Eindruck, dass bis jetzt kein einziger Essay und kein einziges Buch in der Lage gewesen ist, den Reichtum und die Tiefe der Initiative – ganz zu schweigen von den Ideen, die dahinter stehen oder die es aufgeworfen hat – umfassend zu porträtieren. Aber genau wegen des Maßstabs der Initiative und der Tatsache, dass das Forum die Phantasie der Menschen so umfassend angesprochen – und in vielen Fällen richtiggehend angefacht – hat, und auch, weil sich das Forum an einem kritischen Übergangspunkt befindet, glauben wir, dass es wichtig ist, uns kritisch und grundsätzlich mit dem Phänomen zu beschäftigen. Wir haben versucht, dies zu tun, indem wir Essays und Artikel aus vielen Teilen der Welt und von Menschen vieler verschiedener ideologi-scher Überzeugungen und Sichtweisen zusammengebracht haben. Wir be-trachten dies als eine engagierte und kritische Anthologie über das Forum und sehen das Buch als so etwas wie den »offenen Raum«, den das Forum zu er-kämpfen sich anbietet.

Vielleicht ist es nicht überraschend, dass im Verlauf der Zusammenstellung dieses Buches das Erreichen dieser Formulierung und der Versuch, zu dieser Balance zu kommen, in sich selbst ein Kampf gewesen ist. Eine unserer vielen Entscheidungen in dieser Hinsicht war, in diese Sammlung Stimmen aufzu-nehmen, die kritisch, aber nicht engagiert sind, wie auch solche, die sich engagiert, aber nicht notwendiger Weise kritisch artikulieren. Eine weitere Entscheidung bestand darin, uns auf das Forum zu konzentrieren, obwohl wir erkennen, dass aus dem Forum heraus etwas aufkommt, was manche eine Weltsozialbewegung nennen, und dass das Forum selbst nur ein Teil einer viel größeren und noch im Entstehen begriffenen globalen Bewegung ist. Wir sehen diesen Kampf der Ideen als die Widerspiegelung des Besten, was das Forum zu bieten hat.

Zu entscheiden war drittens, Gedanken und Geschriebenes sowohl aus der etablierten – oder »alten« – als auch aus der neuen Politik aufzunehmen und sowohl harte Kritik und Ablehnung als auch Analyse und lobende Zustim-mung zu drucken und dadurch den Dialog über die Grenzen hinweg zu be-fördern. Und viertens schließlich entschieden wir, nicht Teile von Kapiteln zu streichen, weil sie sich zu überschneiden scheinen – vermitteln sie doch ein unterschiedliches Verständnis der »gleichen« Geschichte des Forums und der Bewegung und ihrer Zukunft. Wir haben versucht, nicht eine bestimmte Sicht zu bevorzugen. Um die Sammlung aufzubauen, haben wir deshalb eine viel größere Zahl von Texten herausgesucht, ausgetauscht und durchforstet, als am Ende zum Druck gekommen sind.

Natürlich hat dieses Buch seine Fehler. Manche liegen daran, dass das Buch vor allem eine Sammlung von bestehenden Artikeln ist – mit nur einigen be-stellten Essays und einer kleinen Zahl unveröffentlichter Schriften. Wir sind uns dessen bewusst, dass die Sammlung unausgewogen geblieben ist. Viele Teile der Welt sind nicht berücksichtigt. Es gab auch einige unberücksichtigt gebliebene Ansichten, speziell von Randgruppen, insbesondere von den Dalits in Indien, deren Beiträge uns aber nicht erreicht haben. Die Zahl der Beiträge von Frauen ist viel niedriger, als wir wollten. Wir wissen auch und bedauern dies in mancher Hinsicht, dass wir in einer Zeit publizieren, da die internatio-nale Debatte über das Forum ausufert, weil dies bedeutet, dass wir nicht in der Lage sein werden, viele der nun anderswo publizierten Artikel zu berücksich-tigen! Aber um das Buch herauszubringen, haben wir die Entscheidung ge-troffen, diese Mängel in Kauf zu nehmen und haben, zusammen mit unseren Verlegern, das Buch um diese Realitäten herum angelegt.

Trotz aller dieser Defizite glauben wir, dass wir Beiträge von sehr hoher Qualität gefunden – und auf Einladung erhalten – haben und damit dieses Buch zu einer wahrlich außergewöhnlichen Sammlung von Schriften gemacht haben, die – wie wir wissen, individuell und kollektiv – einen großen Einfluss auf die entstehende Debatte ausüben wird.

Wir haben es geschafft, mit Hinblick auf die sich entfaltende Debatte Bei-träge jüngeren Datums in die Bibliographie aufzunehmen. Es mag ungerecht scheinen, hier bestimmte Einträge herauszuheben. Aber wir wollen nichts-destoweniger die Aufmerksamkeit auf bestimmte Werke richten, die aus un-terrepräsentierten Weltgegenden oder von ebenso unzureichend vertretenen

»Positionen zur Sache« kommen.

Aus dieser kurzen Liste möchten wir Busgalins Traktat erwähnen, da es aus der wichtigen russischen Erfahrung sowohl mit der Globalisierung als auch mit der Antiglobalisierung stammt, und auch wegen des großen Bemühens des Autors, zur Theorie der Antiglobalisierung beizutragen;3weiter Chatto-padhyays Essay, weil er detailliert analysiert, was das WSF der Linken in In-dien zu bieten hat – und was die Linke zu vermissen scheint;4ferner einen Ar-tikel von Vera-Zavala, da er eine kritische Reflektion über das Forum von je-mandem aus einer zivilgesellschaftlichen Bewegung ist, die bei der Bildung und dem Wachsen des Forums eine große Rolle gespielt hat (ATTAC), und da er Punkte zur internen Dynamik des Forums zur Sprache bringt, die von an-deren nicht so schonungslos ausgesprochen worden sind. Außerdem kommt dieser Beitrag von ScandaNiederlande(was mein Ko-Lektor Peter Waterman be-sonders gerne sieht), das eine wichtige Rolle im Leben des Forums und der globalen Bewegung im Allgemeinen spielt, aber bis jetzt in der auf Englisch er-schienenen Literatur wenig vertreten gewesen ist.5 Außerdem ist da noch ein Essay von McLeish, der vielleicht der beste über die Vernetzung ist, die ei-nen so wichtigen Teil des WSF-Prozesses darstellt (hier mit Fokus auf das Eu-ropäische Sozialforum);6und schließlich eine wichtige Kritik des Forums, die kürzlich von RUPE (Research Unit on Political Economy) verfasst worden ist – wichtig, weil sie eine der ersten Versuche ist, die politische Ökonomie des Fo-rums eingehender zu erörtern.7

Das Buch hat mehrere Ziele. Indem wir so eine reiche Sammlung zusam-menbringen, hoffen wir, ein breites Lesepublikum über dieses bedeutende so-ziale und politische Phänomen zu informieren. Dadurch wollen wir die Auf-merksamkeit für das Forum und das Engagement in ihm befördern und uns darüber hinaus mit dem Phänomen der globalen zivilen Aktion befassen – der Aktion, die manche als »Antiglobalisierungsbewegung«, andere als gung für globale Gerechtigkeit und Solidarität« und noch andere als »Bewe-gung für eine alternative Globalisierung« oder »Alterglobalisierungsbewe-gung« bezeichnen und die wir zunehmend um uns herum Gestalt annehmen sehen. Die Kämpfe von Seattle, Prag, Göteborg, Québec und Genua, der

welt-3 Busgalin, Oktober 200welt-3.

4 Chattopadhyay, November 2003.

5 Vera-Zavala, Februar 2003.

6 McLeish, nd, c. 2003.

7 RUPE, September 2003.

weite Protest im Februar 2003 gegen den Aggressionskrieg gegen den Irak und der kürzliche Volksaufstand in Bolivien sind die sichtbarsten Kennzeichen die-ser Aktion gewesen. Insofern das WSF Teil diedie-ser breiteren, im Entstehen be-griffenen Bewegung ist und es unmöglich (und unnötig) ist, es daraus zu ent-wirren, öffnet dieses Buch auf manche Weise auch Fenster auf einiges – wenn auch bei Weitem nicht auf alles –, was sich in diesem Allgemeinen bewegt.

Insbesondere glauben wir, dass das Forum drei neue und miteinander ver-knüpfte Dimensionen zusammenbringt: die Formdes Politischen und der po-litischen Diskussion (das Konzept des Forums vom »offenen Raum«); die Fra-geder Erneuerung der Vorstellungen und Utopien (wie dem Ruf »Eine ande-re Welt ist möglich!« Inhalt verliehen werden kann); und Fragen der Strategie (Vorschläge, Wege der politischen Organisation usw. eingeschlossen). Wir hof-fen, mit diesem Buch eine kritischere Auseinandersetzung anzuregen.

Schließlich haben wir genau diese Sammlung gerade jetzt zusammenge-stellt, weil wir glauben, dass sich das WSF an einem kritischen Scheideweg be-findet. Seit 2001 hat sich das WSF von einem einzigen, jeden Januar in Porto Alegre stattfindenden Hauptereignis zu einer blühenden Feier an verschiede-nen Orten überall in der Welt entwickelt. Zwischen 2001 und 2004 haben lo-kale Treffen in Afrika, Asien, Europa, der Mittelmeerregion und Lateinameri-ka stattgefunden, und städtische, regionale und nationale Treffen sind in Staa-ten in vielen Teilen der Welt ins Leben gerufen worden. Die ständig wachsen-de Zahl wachsen-der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an wachsen-den Welttreffen zeugt von der Relevanz des Forums für Menschen überall auf der Welt, die wegen der Wirtschaftsglobalisierung, der Militarisierung und anderen miteinander zu-sammenhängender Fragen besorgt sind. Aber es ist nicht nur eine Frage der Zahlen.

Das jährliche Weltereignis verändert sich. Das erste Treffen 2001 war hauptsächlich eine Herausforderung an Davos als ein Symbol der wirtschaft-lichen Globalisierung und dadurch an die Wirtschaftsglobalisierung als sol-che. In 2002 wurde es zu einem Treffen, das nach Alternativen rief: »Eine an-dere Welt ist möglich!« Und das dritte Treffen im Januar 2003, zu einer Zeit, da das Zentrum erhellende Schritte hin zu konkreten Alternativen entwickelte, war auch durch kritisches, reflektierendes Nachdenken über das WSF selbst – sowohl als Struktur als auch als Prozess – geprägt.

Es besteht guter Grund zu der Annahme, dass das WSF bei der Frage nach der Sinngebung einen großen Schritt nach vorn gemacht hat. Es hat völlig klar gemacht, dass es eine Alternative zur wirtschaftlichen, kapitalistischen Globa-lisierung gibt.Auf diese Weise spielt das WSF gemeinsam mit allen anderen Formen der globalen zivilen Aktion eine tief schürfende Rolle bei der Befrei-ung aller Völker der Welt von den Ketten der KolonisierBefrei-ung der Gehirne.

Die Herausforderung durch das Forum ist im Begriff, radikal ausgeweitet zu werden. Ausgehend von einer ersten Position gegen die neoliberale

Globa-lisierung hat das Forum eine bedeutende Rolle im Aufbau der weltweiten öf-fentlichen Meinung gegen den Irak-Krieg gespielt, und zwar nicht, indem es selbst von vornherein eine Position ergriffen hätte, sondern indem es einen Raum bildete, in dem sich Antikriegskräfte aus vielen Teilen der Welt treffen konnten. Bemerkenswerterweise war es auch ein Raum und eine Zeit, da diese Akteure und andere, die sich bis dahin alleine gegen die neoliberale Globalisierung gewandt hatten, sich treffen und gemeinsam ein umfassende-res Verständnis von Krieg und Militarisierung als Instrument der wirtschaftli-chen Globalisierung entwickeln konnten.

In jüngster Zeit, anlässlich des vierten Welttreffens in Indien mit WSF Indien als Gastgeber, hat das Forum seine Perspektiven auch auf die Opposi-tion gegen religiöses Sektierertum und Fundamentalismus, gegen Kastismus (Unterdrückung, Ausschluss und Diskriminierung aufgrund von Abstam-mung und Arbeit), Rassismus und Patriarchat erweitert.

Außerdem kann die Tatsache, dass lokale, nationale und regionale »Filia-len« der Initiative nun in vielen Teilen der Welt und in so kurzer Zeit Gestalt angenommen haben, auch als eine Vertiefung der globalen Bedeutung der Idee angesehen werden. (Eine andere Ansicht hierzu ist jedoch, dass die politischen Bedingungen der letzten Zeit Gemeinschaften von Leuten mit gemeinsamen Gedanken und Interessen auf der ganzen Welt hochgebracht haben und dass das WSF in diesem Sinne nur ein Vehikel für ihre Äußerungen ist.)

Die Herausforderung des Forums ist auch eine »intern« – und nicht nur

»extern« – tief greifende, und zwar insofern, als die politische Kultur des

»offenen Raumes«, die das Forum zu praktizieren vorgibt, eine radikale He-rausforderung für die meisten existierenden Modi organisatorischer Praxis und Politik darstellt, und in der Annahme dieses breit angelegten Program-mes die Herausforderung an alle Teilnehmenden steckt, diese Positionen ebenfalls anzunehmen. Dies ist eine große Herausforderung an die Praktiken des religiösen Fundamentalismus und der religiösen Diskriminierung, der Diskriminierung nach Kasten, des Rassismus und/oder des Patriarchats, auch des Sexismus und der Homophobie und – im ganz Allgemeinen – des Man-gels an Toleranz und Pluralität, Vielfalt und Offenheit.

Allerdings hat dieses dynamische Wachstum auch organisatorische Proble-me mit sich gebracht – und zwar sowohl bei den Veranstaltungen selbst als auch bei der Entwicklung der Politik und Strategie für das Forum als Idee –, die zuweilen dazu neigen, alles andere zu überwältigen. Das dritte Welttreffen in Porto Alegre im Januar 2003 wird von vielen als der Punkt angesehen, an dem OrganisatorInnen, TeilnehmerInnen und BeobachterInnen begannen, ernsthaft darüber zu reden, wie man Alternativen zur Wirtschaftsglobalisie-rung praktizieren könne und auch darüber nachzudenken, in welchem Maße das Forum die Prinzipien selbst befolgt, die es predigt – und genau das war

auch der Punkt, an dem das Forum dem Zusammenbruch am nächsten kam, und zwar nach innen.8Viele wichtige TeilnehmerInnen und TheoretikerInnen, so zum Beispiel Boris Kagarlizkij und Hilary Wainwright, sind zu dem Schluss gekommen, dass das Forum allmählich ein Platz ist, an dem es unmöglich wird, eine wirkliche Debatte zu führen oder in den Sitzungen zu einem wirk-lichen Dialog zu kommen.9Und dies, obwohl Hilary Wainwright es im vorlie-genden Buch auch als einen Prozess feiert, der »lebenswichtig für die Schaf-fung einer globalen politischen Kultur« sei.10 Dies sind ernst zu nehmende Kommentare.

Die jüngsten Beratungen des Internationalen Rats des WSF zeigen, dass das Forum sich nun, da regionale und problemspezifische Foren weltweit wie Pil-ze aus dem Boden geschossen sind, seiner eigenen Globalisierung bewusst wird. Aber sind die regierenden Körperschaften, Strukturen und Prozesse ei-nem Phänomen gewachsen, das exponentiell wächst und sich global verbrei-tet? Sind die Entscheidungen, die das Internationale Sekretariat und der Inter-nationale Rat des WSF treffen – Entscheidungen also, die im Namen all jener Pioniere der Bewegung getroffen werden, die den Weg zu einer anderen Welt bahnen –, wirklich wegweisend oder bleiben sie in den Grammatiken und dem Vokabular der Vergangenheit stecken? Und wie kann das Forum ein Platz für Begegnung der Ansichten werden – für einen wirklichen Dialog also – und verhindert werden, daß es ein Ereignis mit tausend voneinander getrennten Treffen bleibt?

Ganz grundsätzlich gesprochen: Das Weltsozialforum ist – obwohl es hauptsächlich mit dem jährlichen Treffen jeden Januar in Verbindung gebracht wird – ein Prozess, der immer noch sehr stark im Aufbau begriffen ist und einen schnellen Wandel durchmacht. Sein Schicksal – wenn wir dieses Wort hier benutzen dürfen – hängt davon ab, wie es lernt, sich zu entwickeln und auf sich verändernde Bedingungen zu reagieren und wie »wir« alle – Bewe-gungen, Intellektuelle, progressive Organisationen usw. – auf seine Initiativen antworten.

Die Struktur des Buches

Wir sehen dieses Buch als Beitrag zu diesem Prozess. Um ihn zu verwirkli-chen, haben wir das Buch in fünf Hauptabschnitte aufgeteilt. Es beginnt mit einer Erkundung der Vorgeschichte – der begrifflichen, ideologischen und his-torischen Landschaften, innerhalb derer sich das Forum entwickelt hat und weiter entwickeln wird –, und zwar unabhängig davon, ob die das WSF Führenden und/oder die am WSF Teilnehmenden dies wollen oder nicht. Wir glauben, dass es wichtig ist, dem Forum in dieser künftigen Welt seinen Platz

8 Albert, im vorliegenden Band S.430-438; Waterman, im vorliegenden Band S. 206-223.

9 Kagarlizkij, November 2002, und Wainwright, Dezember 2002.

10 Wainwright im vorliegenden Band S. 18-23.

zu geben – und dass jede(r) von uns dies selbstverständlich auf ihre/seine Weise tun wird. Gleichzeitig liefert dieser Abschnitt – obwohl er nicht eine Ideengeschichte als solche ist – natürlich auch einen nützlichen Rahmen für ein tieferes Verständnis der Beiträge in den nächsten beiden Abschnitten, die mit »Tagebücher« und »Kritisches Engagement« überschrieben sind. Tatsäch-lich kann man das ganze Buch sehr gut mit Hinblick auf den Kontext lesen, den dieser Abschnitt skizziert – und dies auch dann, wenn man berücksich-tigt, dass die Darstellungen der Zusammenhänge und der Vorgeschichte in den einzelnen Beiträgen nur Teilabschnitte umfassen und anfechtbar sind.

Im Teil 2 – »Tagebücher« – wird versucht, eine Idee davon zu vermitteln, wie diese Treffen eigentlich beschaffen sind, und dies besonders für diejenigen Leserinnen und Leser, die noch nicht die Chance hatten, persönlich an einem der größeren Treffen des WSF teilzunehmen. In der Tradition des Reiseberichts geschrieben, geben die zwei Essays, die wir aufgenommen haben, wichtige Winke und kritische Einsichten in die Erfahrung des Forums, die – wie jede(r), die/der bei einem der Treffen gewesen ist, bestätigen kann – ein zentraler Be-standteil dessen sind, worum es eigentlich geht. Diese »Tagebücher« werden von anderen Beiträgen in Teil 3 und Teil 4 ergänzt, wo das Element der Re-portage in eigentlich analytische Essays eingebaut ist.

Teil 3, zusammen mit dem nächsten, ist in mancher Hinsicht das Herzstück des Buches: substantielle und dauerhafte kritische Befassung mit dem Forum und seinen Ideen und Vorschlägen. Wir haben versucht, hier Essays aus so vie-len Teivie-len der Welt aufzunehmen, wie wir finden konnten. Da-runter sind Beiträge, die auf sehr lokale Erfahrungen sowohl innerhalb einzelner Länder als auch innerhalb des Forums gegründet sind, wie auch solche von hohem Abstraktionsgrad. Die Erkundungen rangieren von Erfahrungsberichten bis zum Philosophischen und enthalten strukturelle und poststrukturelle Analy-se. Die Stimmung der Beiträge variiert von hoher Feierlichkeit bis zu tiefster Sorge – und sogar Ablehnung. Individuell und im Ganzen gelesen meinen wir,

Teil 3, zusammen mit dem nächsten, ist in mancher Hinsicht das Herzstück des Buches: substantielle und dauerhafte kritische Befassung mit dem Forum und seinen Ideen und Vorschlägen. Wir haben versucht, hier Essays aus so vie-len Teivie-len der Welt aufzunehmen, wie wir finden konnten. Da-runter sind Beiträge, die auf sehr lokale Erfahrungen sowohl innerhalb einzelner Länder als auch innerhalb des Forums gegründet sind, wie auch solche von hohem Abstraktionsgrad. Die Erkundungen rangieren von Erfahrungsberichten bis zum Philosophischen und enthalten strukturelle und poststrukturelle Analy-se. Die Stimmung der Beiträge variiert von hoher Feierlichkeit bis zu tiefster Sorge – und sogar Ablehnung. Individuell und im Ganzen gelesen meinen wir,

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 15 (Seite 23-36)