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Globalisierung durch die Menschen

Im Dokument Rosa-Luxemburg-Stiftung Texte 15 (Seite 126-132)

Wir lassen nicht die Fanfaren der romantischen Literatur ertönen, noch rasseln wir mit den gebrochenen Ketten der schweren Arbeit, noch schlagen wir die Kriegstrom-mel. Wir scheppern mit Tassen und Töpfen.

Herminia Denot, La Resistancia de las Caceroles (Der Widerstand der Töpfe) Es war eine Woche in der feuchten Hitze, mit sintflutartigen Regenschauern und unbarmherziger Sonne. Über 30 000 AktivistInnen aus über 150 Ländern, die vier offizielle Sprachen und viele weitere sprachen, brachten einander mit Henkeltassen und Töpfen Toasts aktivistischer Weisheit aus und benutzten dann die Töpfe, um Zufallsmenüs für die andere mögliche Welt zu bereiten.

Das WSF war aufregend, frustrierend, furchterregend und lustig zugleich.

Es war ein positives Projekt, ein Werk auf seinem Weg, nicht nur Protest an einem feindlichen Ort. Es erinnerte mich an das NGO-Forum anlässlich der Vierten UNO-Frauenkonferenz in Beijing. Die Stadt und ihre BürgerInnen hießen uns überall willkommen – auf dem wunderbaren Verkehrssystem mit Poesie auf den Fenstern und freier Fahrt an einem Tag im Monat, mit höflicher Bemühung um jeden in Parks, Straßenecken und Cafés verloren aussehen-den Ausländer. Ich schaue zurück auf die Entwicklung der globalen sozialen Bewegungen seit 1995 und bin voller Ehrfurcht. Wer hätte vorausgesehen, dass nur 7 Jahre später die sozialen Bewegungen ihre eigenen Treffen orga-nisieren würden, ohne den Zwang der UN-Bürokratie oder eine von oben nach unten aufgezwungene Agenda einer Gruppe? In Beijing hatte ich den Beginn einer neuen Globalisierung gespürt; in Porto Alegre wusste ich, dass ich dazugehörte. Es gab ungefähr 800 Veranstaltungen, an denen man in fünf Tagen hätte teilnehmen können, daher ist mein Bericht ein sehr per-sönlicher.

Schon zu der Zeit, da das Forum eröffnet wurde – mit einer Demonstration und einer Zeremonie in einem Amphitheater nahe des Flusses –, hatte ich ken-nen gelernt: bretonisch-französische Farmaktivistinken-nen und eiken-nen be-rühmten südafrikanischen Anti-Apartheidpoeten; Frauen in weißen Schals – die Mütter von der Plaza de Mayo aus Argentinien; einen fadenscheinigen kanadischen Geschäftsmann, der gekommen war, um Brasilien zu helfen; ein Akkordeon spielendes Mitglied der KP der Schweiz; brasilianische Studenten, die gerne Englisch sprechen wollten und mir mit meinem Portugiesisch halfen; brasilia-nische Frauen, die ein neues Staudammprojekt stoppen wollten; Musikgrup-pen von eingeborenen Völkern, die überall spielten; italienische Veteranen der Schlacht von Genua und viele andere.

Die Transparente und Slogans hatten ein Hauptthema: Stop the Free Trade Agreement of the Americas! (Stoppt das Freihandelsabkommen der Ameri-kas!) – das zentrale politische Thema dieser Hemisphäre. Mit 160 Millionen Menschen, einer großen gebildeten und konsumierenden Klasse, einer gut entwickelten Infrastruktur und industriellen Basis, immensen natürlichen Ressourcen und unglaublicher biologischer Vielfalt ist Brasilien ein Magnet für multinationale Konzerne. Die meisten lateinamerikanischen Länder sind durch die von den USA unterstützten Kriege und wirtschaftliche Schäden durch die Politik internationaler Institutionen wie IWF und Weltbank und den Ausverkauf der nationalen Souveränität destabilisiert und ausgelaugt wor-den.

Ich hörte Marina Silva, einer Senatorin aus dem Amazonasgebiet, zu. Die zierliche, dunkeläugige, freundliche 41 Jahre alte Frau, Tochter aus einer Gummifarmerfamilie, war, bis sie erwachsen war, Analphabetin geblieben, dann ging sie zur Schule und erwarb ihr politisches Amt trotz eines durch Quecksilbervergiftung verursachten Nervenproblems. Sie führt die Kämpfe gegen Biopiraterie in einem Prozess, der so wichtig ist wie das Produkt.

Sie schlägt eine »kollektive Gesetzgebung« vor, die aus der sozialen Diskussi-on und der Weisheit ihrer Gesellschaft kommt, weil sie glaubt, dass die Ge-setze das Wissen und den Nutzen der genetischen Ressourcen für alle be-schützen müssen – sogar dann, wenn so gigantische Firmen wie Novartis he-reinkommen, um nach der auf einen Wert von drei Billionen US-$ geschätzten Biovielfalt im Amazonasbecken zu schnappen. Sie arbeitet für eine Politik, die soziale, wirtschaftliche, kulturelle, politische und ethische Werte einschließt, die den offensichtlichen und unfassbaren Gewinn eines gesunden Ökosystems aufrechterhalten.

Ich traf Muriel Saragoussi von einer brasilianischen NGO, die uns aufrief, von unserem Recht auf »Konsumverzicht« Gebrauch zu machen, überall öf-fentliche Aufmerksamkeit dafür zu wecken, dass biologische Vielfalt kein für Ausbeutung verfügbares Rohmaterial ist. Ihre Vision umfasst Menschen und Biovielfalt als miteinander vereinbar, Menschen, die die Ökosysteme vor der Kontrolle durch eine Minderheit der Industrie beschützen, und uns alle als Teil der Natur – und damit als Menschen, die wir, indem wir die Natur be-wahren, uns selbst bewahren.

Ana Filippini von der Welt-Regenwald-Bewegung lebt in Uruguay. Sie hat mir von ihrer Kampagne gegen die Verbreitung der Monokultur-Baumplanta-gen erzählt. Die Produkte dieser umweltzerstörenden Methoden werden oft ausgezeichnet, als seien sie von der Waldverwaltung als der verantwortlichen Försterei geprüft und zugelassen, was zu der Annahme verleitet, sie seien öko-logisch gewachsen, aber das Gegenteil ist der Fall.

José Hoffman, Landwirtschaftssekretär in Rio Grande do Sul in Brasilien, sagte, dass der Welthunger ein politischesProblem sei und nicht durch

Gen-manipulation an Pflanzen beseitigt werden könne. Da Patente auf Saatgut Sou-veränität zerstören und Menschen ein Recht auf sauberes, natürliches Essen ha-ben, beklagt er das Verschwinden der Familienbauern. Seine Regierung gibt den Leuten Land zurück – kürzlich erst an 13 000 Bäuerinnen und Bauern. Nicht genmanipulierte Produkte sind ein wichtiger Teil der brasilianischen Export-wirtschaft, und ihre Erhaltung braucht Schutz. Der Staat finanziert und unter-stützt FarmerInnen und landwirtschaftliche Organisationen, damit sie biolo-gisch wirtschaften und eine Balance zwischen Ackerbau, Försterei und Fischen halten können. Porto Alegre hat einen großen Biomarkt und die Konferenz eine ganze Reihe von Cafés und Ständen mit organischen Menüs.

Ich fand heraus, dass Amazonien – eine Bioregion, die Teile von Brasilien und anderen Ländern umfasst – nun eine geheimnisumwitterte internationa-le Raketenabschussbasis beherbergt, die angeblich der Erforschung der At-mosphäre dienen soll. Der brasilianische Anthropologe Alfredo Wagner sagt, dass diese Basis gemeinsam von den USA, Deutschland, Russland und der Ukraine errichtet wird, weil ein Start in Äquatornähe billiger und präziser ist.

Tausende von Eingeborenen sind von ihrem Land vertrieben worden, und nun darf nur das Militär dieses geheime Areal betreten. Er sagt, dass die mi-litärische Kontrolle des Amazonas nicht nur mit den Raumfahrtindustriekon-zernen, sondern auch mit den Bergbau- und Biotechnologie-Multis zu tun hat und dass die Information und die Forschung von den Militärs sowohl ge-schützt als auch genutzt werden – das ist eine mächtige Koalition vereinbarer Interessen. Diese Machtgruppe braucht immer die Komplizenschaft nationa-ler Regierungen. Hier müssen soziale Bewegungen aktiv werden, um zu in-formieren und Widerstand zu leisten. Ich dachte an den kanadischen Norden und fragte mich, wie viele von uns wissen, was wirklich »da oben« in unse-rem eigenen Land vor sich geht.

In Kolumbien geht der Schutz der Konzerne und der Interessen von Stan-dard Oil zurück bis in das Jahr 1916. Hector Mondragon führte aus, dass das Mein Kampf für den sozialen Genozid an den Bauern, das Buch Accelerating Development (Beschleunigte Entwicklung), von einem Kanadier, Laughlin Currie, der als Ratgeber für fünf kolumbianische Präsidenten fungierte, ge-schrieben worden sei. Dieser habe vorgeschlagen, die Bauern in die Lohnab-hängigkeit zu locken oder sie vom Land zu vertreiben. Sein Ratschlag führte zum politischen Genozid der gesamten Bauernopposition. Der populärste Bauernführer und Kandidat für die Präsidentschaft wurde ermordet. Jede Opposition wird gemordet, Bürgermeister, Stadträte, Kongressleute und Se-natoren eingeschlossen. Führerpersönlichkeiten der Menschenrechts- und Bauerngruppen werden ermordet, und allein im Jahre 2001 fielen 157 Ge-werkschaftsführer solchen Anschlägen zum Opfer. Mondragon sagt, dass der Rauschgifthandel ein Resultatder Militarisierung und nicht seine Ursache sei.

Die US behaupten, dass Kolumbien eine Demokratie ist, aber Mondragon hält

dagegen, dann sei es eine »genozidale Demokratie«. Die Wirtschaft Kolumbi-ens ist durch den Krieg so weit herunter gekomment, dass das Land, das für seinen Kaffee-Exportberühmt ist, nun Kaffee importierenmuss. Als Mondragon geendet hatte, fühlte ich mich elend, sah ihn mir an und fragte mich, wie lan-ge wirst duleben?

Ich war entsetzt, Palästinenser und Israelis über die immerwährenden Tö-tungen, Hauszerstörungen, Verhaftungen und Bewegungskontrollen reden zu hören. Der Mangel an Essen und Wasser führt zu einer gewaltigen huma-nitären Krise in der verarmten Region, noch draufgesattelt auf den politischen Verrat und die militärische Unterdrückung.

Die guatemaltekische Nobelpreisträgerin Rigoberta Menchu, eine Maya-führerin, zeigte sich in ihrem Bericht überzeugt vom Erfolg unseres Traums.

Sie sagte, AktivistInnen seien Träumer – von Einheit in der Vielfalt, friedlicher feministischer Umgestaltung und leidenschaftlicher Hingabe an die reale Welt der Solidarität. Sie erinnerte sich, dass die Vernichtung der eingeborenen Völ-ker und ihrer Kultur für das neue Millenium vorausgesagt worden sei. Eines ihrer Hauptprojekte war die Nutzung und das Lehren der Mayasprachen in guatemaltekischen Schulen. »Hurra auf das Leben!« lachte sie, als sie uns ermutigte, uns an unsere gemeinsame Tagesordnung der Gerechtigkeit zu halten, während wir »mehr liebten und mehr strebten«.

»Aktion ist die Mutter der Hoffnung« – Pablo Neruda

Ich war zum Forum gekommen, um über wichtige Information und Analyse hinaus zu hören, wie diese andere mögliche Welt zu schaffen sei. Um zu se-hen, wie Hilary Wainwright, Herausgeberin des britischen Magazins Red Pep-per, es ausdrückte, »wie Aktion Ideen schafft«. Hilary Wainwright, eine Akti-vistin in politischen Parteien und sozialen Bewegungen, betont, dass erfolg-reiche politische Bewegungen auf der Kreativitätder Praxis der Arbeitergrup-pen an den Graswurzeln basieren. Gestern Abend habe ich in Victoria an ei-nem Planungstreffen zum G8-Gipfel in Kanada teilgenommen. Ich war hoch erstaunt, als aus meinem Mund die Idee eines Kreises von acht Zelten kam, die die acht Länder darstellen würden, wo Schauspieler versuchen würden, die Korporatisierung und das Versagen ihrer Wirtschaften zu erklären, während AktivistInnen reden und Informationen zur Globalisierung verteilen, pick-nicken und um die Zelte herum spielen würden. Ich hatte daran bis zu dem Augenblick nicht gedacht, aber irgendwo in den Schächten meiner Erinnerung muss ich ein Bild von etwas Ähnlichem anderswo gehabt haben, und es be-durfte der Gruppendiskussion, um mich daran zu erinnern. Das ist für mich Kreativität.

Beim WSF diskutierten AktivistInnen aus allen Kontinenten Strategien: wie Jugendliche und Frauen in Uganda Dramen zu sozialen und politischen Fra-gen schreiben und aufführen können; wie Transparente benutzt werden

kön-nen, um Menschen zusammenzubringen; wie die Frauen-in-Schwarz-Bewe-gung von Israel und Palästina überall zu Gruppen gewachsen ist, sogar in Ka-nada; und wie insgeheim Datteln aus dem Irak – einem Land und Volk unter der Herrschaft des Imperiums – importiert werden, um in Europa und beim WSF verkauft zu werden. Eine Frau aus Sambia erzählte von einer Bewegung, mit der der Präsident daran gehindert werden solte, für ein illegales drittes Mal zu kandidieren. Alle, einschließlich der Beamten, trugen etwas Grünes, am Freitag Abend um 5 Uhr tönte jede Autohupe, Fußgänger bliesen Triller-pfeifen – es funktionierte!

Auch Schweigen kann Aktivismus sein. Ich denke an das globale Netzwerk der Frauen in Schwarz, die still stehen bleiben, als Zeugnis gegen Gewalt und Krieg. Kürzlich kam bei unserer Frauen-in-Schwarz-Mahnwache in Victoria eine Frau vorbei, die – ärgerlich auf unsere Plakate – rief: »Träumt doch wei-ter, Ihr Weiber!«, und ich dachte: »Ja, wir werden weiter träumen, da niemand uns unsere Träume wegnehmen kann.« Träumen, Schweigen, Zuhören – alles sind wichtige Aspekte des Aktivismus.

In Brasilien gibt es mehr als 20 000 »freie Radiostationen«, die aus Häusern und Autos heraus operieren, um Gemeinschaftsinteressen zu bedienen.

Fünftausend T-Shirts wurden ausgegeben mit Instruktionen, wie ein Sender eingerichtet werden kann. Ein italienischer Aktivist schlug vor, dass alle Leu-te in sozialen Bewegungen eine FernsehsLeu-teuer zahlen sollLeu-ten, bis jede Region unabhängige Fernsehprogramme produzieren kann. Ein anderer arbeitet da-ran, Websites zu erstellen, die nun von Italiens rechtsgerichtetem Regime bedroht werden. Sie werden in anderen Ländern wieder aufgebaut. Eine denkwürdige Vorstellung wurde von StudentInnen der York University in Toronto dargeboten, die mit einer lebendigen Satire, Slogans und Kostümen die Geschichte von einem der erfolgreichsten Streiks der letzten Jahre in Ka-nada erzählten. Es folgte eine gute Diskussion mit brasilianischen StudentIn-nen und der dabei gewonStudentIn-nenen Einsicht, dass Aktivistentum in der Schule beginnen kann und dass wir überall mit den jüngeren Menschen arbeiten müssen.

Wir können uns nicht auf die konventionellen Medien und eigentlich noch nicht einmal auf unsere eigenen Medien der Bewegungen verlassen, um un-sere Geschichte zu erzählen. Wir können und müssen unun-sere eigenen Histori-kerInnen, Aufnahmegeräte, FotografInnen, KünstlerInnen und Filmemacher-Innen sein. Wir müssen alles in unserem Gedächtnis bewahren und als menschliche Wesen dürfen wir nie aufhören zu schaffen, zu träumen und für unsere Visionen zu arbeiten. Gigi Francisco von den Philippinen warnte vor zu starker Zentralisierung von sozialen Gruppen. Er sagte, dass wir unsere be-ste Arbeit in den Bewegungen leibe-sten, aber uns global vernetzen müsbe-sten, und berichtete, wie ihre Gruppe Frauen in Kommunen mit solchen im Sexhandel und in Betrieben mit forcierter Ausbeutung zusammenbringt und keine

An-häufung von Anstrengung und Mitteln in ein paar großen Gruppen zulässt.

Trevor Ngwane, ein südafrikanischer Aktivist, sprach über eine »Operation Light-Up«, die illegale Umleitung von Elektrizität zu Armen, denen der Strom durch neue private Versorger abgestellt worden ist.

Kunst ist kein Spiegel, den wir der Realität vorhalten; sie ist ein Hammer, mit der wir sie schmieden. – Bertolt Brecht

Eines Tages, als ich über den Freiluftmarkt des Forums spazierte, traf ich auf die Bewegung der Landlosen (MST) – eine der erfolgreichsten sozialen Bewe-gungen in Brasilien, die der Ermordung ihrer Führung und der konstanten Unterdrückung ihres Anspruches, das ungenutzte Land der Reichen bearbei-ten zu wollen, widerstanden hat. Die Regierung hat den MST-Gruppen Land gegeben – 300 000 Familien haben sich auf Millionen von Hektar nun Nah-rungsmittel produzierenden Landes niedergelassen. Es war ja die bewegende Geschichte einer MST-Gruppe im Bundesstaat Para gewesen, die mich wahr-scheinlich mehr als alles andere dazu gebracht hatte, nach Brasilien fahren zu wollen. Die Mitglieder dieser Gruppe wollten, dass den neunzehn Män-nern, die beim Versuch, sie von besetztem Land zu vertreiben, von der Mi-litärpolizei getötet worden waren, ein Denkmal errichtet werde. Aber sie wa-ren der Meinung, dass sie keine Künstler seien. Als sie sich nun jedoch wie-derholt in ihrem Schm,erz und Zorn trafen, stieg das Bild der Kastanienbäu-me, die die Bauern genutzt hatten, die aber von den Landbesitzern gefällt und verbrannt worden waren, wieder in ihnen hoch. So schufen sie ein beein-druckendes Monument von neunzehn verkohlten und verstümmelten Kasta-nienbaumstümpfen. Am MST-Stand kaufte ich ein T-Shirt mit einem Foto dieser neunzehn Stümpfe und den Worten: »Die Kastanien erinnern sich.

Und Sie?«

Es gab noch andere T-Shirts im Angebot – mit Fotos von Anti-IWF-Demon-strationen, Porträts von Ché und Gandhi, Cartoons von Disneyfiguren, die aus Lateinamerika vertrieben werden, und ein anderes, das ich besonders liebe, mit dem Zitat: »Leben ist die schönste Kunst!« Jeden Tag gab es Musikgrup-pen, Trommler und Musiker der eingeborenen Völker, die ein beklemmendes Einsaiten-Streichinstrument spielten, und Dramatruppen, die Akte von Bür-gerjustiz im Leben der Kommune aufführten. Es gab Poster mit politischen Cartoons, Stelzenläufer, enorme Transparente und Fahnen und sogar Karne-valschauspieler. Das definitive Kunstwerk für das WSF war ohne Frage das Mosaik der Bürgerschaft. Es ist eine bunte Sammlung von Steinen, die von den WSF-Delegierten 2001 mitgebracht worden waren und die jetzt im Stadtpark eingeweiht wurde. Die Steine mit eingravierten Orten, Namen und Philoso-phien sind in einem fünf Meter breiten strahlenförmigen Muster angeordnet.

Das Mosaik ist das Werk zweier französischer Künstler. Einer von ihnen, Eric Varian, war dabei, um die Steine für das Mosaik 2002 in Empfang zu nehmen.

Wir gaben ihm ein Stück kreideartigen Sandstein von unserem Strand auf Hornby, im Norden von Victoria. Während wir uns unterhielten, fand ich her-aus, dass er zeitweise im Larzac lebt und ein Freund von Joseph Bové, dem französischen Bauernaktivisten, ist. Ich gab ihm, nachdem er mich gefragt te, ob ich die Scheune gesehen hätte, die Friedensaktivisten 1983 gebaut hat-ten, ein Exemplar des Briarpatchvom September 2001 mit meinem Artikel über Bové, und ich zeigte ihm das Foto der Scheune in dem Artikel. Er sagte: »Es war meine Idee, dekorierte und mit Inschriften versehene Steine in die Scheu-nenwand einzubauen.« Fast zwanzig Jahre später hatte er die Idee, noch ein-mal solch spezielle Steine zu nutzen, um ein Mosaik in Brasilien zu machen!

Ich kam aus Brasilien voller Aktionsideen und Hoffnung zurück, vollstän-dig überzeugt, dass ich an einer wirklichen »Globalisierung durch das Volk«

teilgenommen hatte. Aber dann wurde ich mit der Realität konfrontiert. In Victoria stellte ich fest, dass Camp Campbell, eine Behelfsgemeinschaft mit Heim für 50 AktivistInnen und Obdachlose, das auf dem Land der Legislati-ven Versammlung aufgebaut worden war, aufgrund eines Gerichtsurteil ab-gerissen worden war. Ich sah, wie das kanadische Volk und die kommerziel-len Medien sich über ein Eishockeyspiel erhitzten. Ich war nach Hause ge-kommen mit dem Entschluss, härter an kleinen, lokalen Aktionen zu arbeiten – aber die Eishockeymanie machte mich nachdenklich. Wie bringen wir Kana-dierInnen dazu, sich so, wie sie sich über ein Eishockeyspiel aufregen, anzu-strengen, die USA in Fragen internationaler Übereinkünfte wie dem Freihan-delsabkommen FTAA zu besiegen?

PETER WATERMAN

Globalisierung aus der Mitte? Überlegungen vom

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