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1 Status quo zur Lernortkooperation

Die Zusammenarbeit der Lernorte Berufsbildende Schule, Ausbildungsbetrieb und ggf. überbetriebliche Berufsbildungsstätte (ÜBS) gilt als ein wesentliches Element der Qualitätssicherung beruflicher Ausbildung (vgl. Rauner & Piening 2017, S. 15).

Sie wird im engeren Sinne über Formen der Kooperation und Koordination gestaltet:

Koordination bezeichnet dabei lediglich die Erfüllung von Einzelaufgaben als abge-stimmtes Nebeneinander, indem jeder beteiligte Partner sich damit begnügt, dem anderen seinen Zeitanteil an der Ausbildung zuzuerkennen (vgl. Euler 1999, S. 46).

Die Kooperation hingegen versteht sich als enge Zusammenarbeit zwischen den Lernorten und wird mit dem Ziel der Abstimmung der unterschiedlichen Beiträge der Lernorte und der Sicherung einer hohen Qualität der Berufsbildung verfolgt. Sie ist als „Kann“-Regelung in § 2 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) verankert: „Die Lernorte […] wirken bei der Durchführung der Berufsbildung zusammen (Lernortko-operation)“.

Eine Kooperation in der dualen Ausbildung bezieht sich darüber hinaus im We-sentlichen auf drei Bedarfsstränge (vgl. Ortner 1981):

1. Institutioneller Bedarf: Aus didaktischer Perspektive entsteht durch die Abstim-mung der Ausbildungsinhalte ein Mehrwert für ein fundiertes Verständnis für Arbeitsprozesse und fachliche Zusammenhänge.

2. Individueller Bedarf: Gemeint ist der Koordinationsbedarf, der von direkt Han-delnden und Betroffenen gesehen und gedeutet wird. Möglicherweise können sie diesen Bedarf direkt realisieren oder sie reklamieren ihn, da sie ihn auf-grund des gegebenen Umfelds nicht verwirklichen können.

3. Politischer Bedarf: Die Kultusministerkonferenz verweist mit der Lernortkoope-ration auf „eine wesentliche Voraussetzung für die Steigerung der Leistungs-fähigkeit des dualen Systems“ (KMK 1997, S. 8) und schafft durch die Etablie-rung der OrientieEtablie-rung an Rahmenlehrplänen und Lernfeldern ordnungspolitische Voraussetzungen für Möglichkeiten der Kooperation (vgl.

Walden & Brandes 1995, S. 128).

Relevante Auswirkungen einer gelingenden Lernortkooperation (LoK) zeigen sich bspw. in einer höheren Identifikation der Auszubildenden mit ihrem Beruf (vgl.

Rauner & Piening 2017, S. 25). Sie weist somit eine größere Reichweite auf als ge-meinhin vermutet werden kann. Ihre Umsetzung kann allerdings entlang einzelner empirischer Forschungsresultate als nicht zufriedenstellend angesehen werden: Zu benennen sind im Wesentlichen die nicht ausgeprägten inhaltlichen Abstimmungen zu Ausbildungsinhalten sowie Formen der Theorie-Praxisverschränkung. Die Koope-ration und Abstimmung wird durch die systeminhärenten Bedingungen erschwert, die dadurch entstehen, dass sich privatrechtlich organisierte Betriebe und öffentlich-rechtlich organisierten Schulbetrieb gegenüberstehen.

Die Thematik ist seit Ende der 1970er Jahre Gegenstand wissenschaftlicher Un-tersuchungen. Seit Ende der 1980er Jahre gewinnen Untersuchungen zur LoK mit 140 Digitale Lernformen unterstützen die Lernortkooperation in der beruflichen Bildung!

der Qualitätsuntersuchung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB) an Intensi-tät und insbesondere seit Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre an weiterer Bedeutung (vgl. Gessler 2017, S. 177). In den folgenden Jahren ließ das Interesse an der Thematik allerdings nach, sodass aktuellere Untersuchungsergebnisse nahezu nicht vorliegen.

Zusammengefasst soll auf wesentliche Befunde eingegangen werden, um zu verdeutlichen, weshalb von einer nicht zufriedenstellenden Lernortkooperation ge-sprochen werden kann:

• Fehlende inhaltliche Abstimmung: Die Mehrheit befragter Auszubildender (58 %) erlebt entlang der Studie des BIBB 1988 bis 1991 keine ausgeprägte Kooperation der Lernorte. Hauptkritikpunkt ist die fehlende Abstimmung der Ausbildungs-inhalte zwischen Betrieb und Berufsschule (vgl. Feller 1995, S. 43 ff.). Die Aus-zubildenden nehmen entlang der Ergebnisse weiterer Studien nur selten eine intensive Abstimmung und gute Kooperation zwischen den Lernorten wahr (11 %), mehr als die Hälfte gibt an, dass die Kooperation der Lernorte „eher we-nig“ bis „gar nicht“ erlebt wird (vgl. Krewerth et al. 2011, S. 6). Einzelne empiri-sche Resultate verweisen entlang befragter Ausbilder:innen wiederum auf eine gelingende Kooperation: Bei der BiBB Studie 1988 bis 1991 geben 42 Prozent der befragten Ausbilder:innen an, sie fühlten sich „gut“ bis „sehr gut“ über die Inhalte des Berufsschulunterrichts informiert. 85 Prozent stufen laut Institut der Deutschen Wirtschaft die Kooperation als „ausreichend“ und „besser“ ein (vgl. Zedler & Koch 1992, S. 34). Rund 3/4 der Ausbilder:innen und über 90 Pro-zent der Lehrenden geben an, dass sie im letzten Jahr Kontakt zum anderen Lernort hatten (Autsch et al. 1993, S. 33). Diese Befunde würden auf eine inten-sive Kooperation zwischen Schule und Betrieb schließen lassen, stehen jedoch im Kontrast zu Angaben, wonach mehr als 2/3 sich eine Ausweitung der LoK wünschen, obwohl 90 Prozent der befragten Schulleitungen und 70 Prozent der Ausbildungsleiter:innen angeben, mit dem anderen Lernort zu kooperieren (vgl. bei Döring & Zeller 1998, S. 185, ähnlich bei Pätzold, Drees & Thiele 1993, S. 27). Aktuellere Studien verweisen darauf, dass eine nicht ausgeprägte LoK in der Erstausbildung nach wie vor einer der häufigsten Kritikpunkte von Schü-lern/Auszubildenden ist (vgl. Ebbinghaus & Krewerth 2014, S. 86 f.).

• Prioritär organisatorische Kooperationsanlässe: Hinsichtlich der Anlässe wird deut-lich, dass oft lediglich zeitlich-organisatorische Fragen Anlass zur Abstimmung sind. Die Kooperationsaktivitäten reichen hauptsächlich von der Zusammen-arbeit in Prüfungsausschüssen im Rahmen der Zwischen-/Abschlussprüfungen bis hin zu Kommunikationsinhalten zu Verhalten, Disziplin und Leistungs-stand der Auszubildenden (vgl. z. B. Autsch et al. 1993, S. 30 ff.; vgl. auch Ebbinghaus 2009, S. 42 f.). Gezielt geplante, auf methodisch-didaktische Inhalte fokussierte Abstimmungen sind somit eher selten. Prioritär stehen organisato-rische Aspekte und verhaltens- oder leistungsbezogene Auffälligkeiten der Aus-zubildenden als primäre Anlässe für eine LoK im Fokus (vgl. u. a. Euler 1999, S. 255).

Thomas Freiling, Pia Mozer 141

Die vorliegenden Erkenntnisse sind Grundlage des von Berger & Walden (1994) ent-wickelten Kooperationsmodells, das insgesamt fünf unterschiedliche Typen der Ko-operation und Koordination vorsieht, die auf den Kategorien Kontakthäufigkeit (zwi-schen sporadisch und kontinuierlich), Kooperationsrahmen (Anlass des Kontakts) und Kooperationsinhalten (probleminduziert, reaktiv oder konstruktiv mit Blick auf me-thodisch didaktische Inhalte) beruhen. In dem Modell wird weiter nach Betriebs-größe sowie den Berufsbereichen kaufmännisch-verwaltende und technische Berufe unterschieden (vgl. Berger & Walden 1994, S. 4 ff. und 1999, S. 409 ff.).

Beim Typ 1 handelt es sich um kooperationsabstinente Ausbildungsbetriebe, d. h. Betriebe ohne Kontakt zur zuständigen Berufsschule. Typ 2 subsumiert Ausbil-dungsbetriebe mit sporadischen Kooperationsaktivitäten, d. h. Kontakten beispiels-weise im Rahmen von Arbeitskreisen, Berufsbildungs- und Prüfungsausschüssen der Kammern. Typ 3 sieht Ausbildungsbetriebe mit kontinuierlich-probleminduzier-ten Kooperationsaktivitäkontinuierlich-probleminduzier-ten vor, als unmittelbare Reaktion auf punktuell wahrge-nommene Ausbildungsprobleme. Unter Typ 4 werden Ausbildungsbetriebe mit kon-tinuierlich-fortgeschrittenen Kooperationsaktivitäten eingeordnet, d. h. regelmäßige Treffen zur Klärung zeitlich-organisatorischer und ansatzweise auch methodisch-di-daktischer Fragen. Dem Typ 5 schließlich weisen Berger & Walden Ausbildungsbe-triebe mit kontinuierlich-konstruktiven Kooperationsaktivitäten zu, d. h. regelmäßige Treffen zur intensiven Erörterung organisatorischer und methodisch-didaktischer Aspekte.

Erkennbar ist, dass mit knapp 60 Prozent primär die Kooperationsbeziehungen des Typs 1 und 2 zu beobachten sind, während die Typen 3 bis 5 kaum vorkommen (vgl. Berger & Walden 1995, S. 415). Insbesondere in Betrieben mit gering struktu-rierten Ausbildungsaktivitäten stellen Initiativen zur Lernortkooperation eine Aus-nahme dar. Zudem basieren die Kooperationskontakte auf dem Engagement einzel-ner Personen und sind inhaltlich zumeist auf organisatorische Fragen begrenzt.

Sowohl für Ausbilder:innen als auch für Berufsschullehrer:innen sind Lernschwie-rigkeiten und Disziplinprobleme der primäre Kontaktanlass, vor zeitlichen und orga-nisatorischen Abstimmungen. Ein Zusammenwirken in methodisch-didaktischen Fragen zur Erhaltung oder Verbesserung der Ausbildungsqualität ist selten anzutref-fen (vgl. im Einzelnen Pätzold, Drees & Thiele 1993, S. 26; in der Tendenz ähnlich die Befunde bei Döring & Stahl 1998, S. 37).

Das Modell zur LoK bedarf allerdings aus unterschiedlichen Gründen der Ak-tualisierung: Ein Großteil der empirischen Untersuchungen zur Lernortkooperation und deren Auswertung stammt aus den 1980er, 1990er und Beginn der 2000er Jahre.

Ebenso hat das Modell von Berger und Walden seinen Ursprung Mitte der 1990er Jahre. Die duale Ausbildung hat sich allerdings in den zurückliegenden 20 Jahren weiter ausdifferenziert. Darüber hinaus wurden die Rahmenbedingungen der Aus-bildung reformiert, und die Bezugsfelder unterlagen einem organisatorischen und strukturellen Wandel. Als wichtigste Veränderungen der dualen Ausbildung mit Bezug auf die Lernortkooperation können a) die Orientierung an den Lernfeldern, 142 Digitale Lernformen unterstützen die Lernortkooperation in der beruflichen Bildung!

b) der Bedeutungsgewinn der Überbetrieblichen Bildungsstätten (ÜBS) und c) die Expansion der Übergangssysteme sowie Digitalisierung der Arbeit genannt werden.

a) Die flexiblere Handhabung der Lerninhalte innerhalb der Lernfelder führt zu ei-ner Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Lernorten Berufsschule und Ausbildungsbetrieb. Mit der Konzeption der Lernfelder werden Aufgaben und Funktionen der Lernorte neu verhandelt. Damit kann auch die Frage nach dem Zusammenwirken der Lernorte neu gestellt werden (vgl. Kremer 2003, S. 4).

b) Die überbetrieblichen Bildungsstätten sind in manchen Berufen und Regionen Deutschlands längst zur tragenden, wesentlichen Säule des Ausbildungssys-tems geworden (Lohse & Thielke 2016). Die Typisierungsmodelle von Lernort-kooperation aus den 1980er und 1990er Jahren berücksichtigen die steigende Bedeutung der überbetrieblichen Bildungsstätten als möglicherweise dritten Partner der Lernortkooperation noch nicht.

c) Der Bedeutungszuwachs des Übergangsbereichs zeichnet sich u. a. darin ab, dass die Teilnehmerzahl seit den 1990er Jahren in diesem Sektor kontinuierlich zunimmt. Der Bereich befasst sich inzwischen mit mindestens einem Fünftel aller Neuzugänge im Ausbildungsgeschehen. Die Betriebspraktika, die innerhalb von Maßnahmen in diesem Bereich absolviert werden, zählen zu den effektivs-ten Faktoren des erfolgreichen Übergangs in das Ausbildungssystem. Daher ist auch an dieser Stelle eine Kooperation zwischen Trägern von Übergangsmaß-nahmen und Ausbildungsbetrieben entscheidend (vgl. Nickolaus & Seeber 2015, S. 73).

Zusammengefasst wird deutlich, dass primär bei der Umsetzung der Lernortkoope-ration Optimierungsbedarf besteht, um dem Anspruch der Qualitätssicherung ge-recht werden zu können. Durch die Entwicklungen im Rahmen der Digitalisierung in der beruflichen Bildung lassen sich Ansätze zur Verbesserung erkennen. Dazu können digitale Lernformen und -medien beitragen. Es ist somit vor dem Hinter-grund der Digitalisierung zu fragen, wodurch Potenziale für die Lernortkooperation erwachsen könnten.

2 Potenziale digitalen Lernens im Kontext

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